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Dirk Burchard 
Flugblatt zum 9. November 1998

- letzte Fassung vom 2. März 1998 -

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Verteilt über Mailboxen und im Internet und gefaxt an folgende Redaktionen ohne weitere Reaktionen:

 

junge Welt - (030) 533 34 - 343 am 15. August 1997 1:02 Uhr
taz Berlin - (030) 2 51 80 95 am 15. August 1997 1:10 Uhr
taz Bremen - (0421) 32 03 32 am 15. August 1997 0:59 Uhr
Magdeburger Volksstimme - (0391) 5 43 07 16 am 15. August 1997 1:04 Uhr
Zeitschrift für Direkt Demokratie - (0421) 24 21 72 am 15. August 1997 1:12 Uhr

Anlaß war eine Petition an den Landtag von Sachsen-Anhalt vom 2. November 1996, dieser möge eine Bundesratsinitiative zur Feiertagsregelung einleiten (Petition Nr 2-I/586). Der Petitionsausschuß weigerte sich, zu dieser Frage Stellung zu beziehen und leitete die Petition im Januar 1997 mit Hinweis auf dessen Zuständigkeit an den Bundestag nach Bonn. Der Petitionsausschuß des Bundestags ließ diese Petition übereinstimmend mit einer knappen Stellungnahme des Innenministeriums unter Manfred Kanther (CDU) in einer Sammelvorlage - Sammelübersicht 13/225 (Drucksache 13/8067) - abweisen. Auch danach mochte der Landtag in Magdeburg keinen selbständigen Standpunkt zur Feiertagsfrage beziehen:

V.i.S.d.P.: Dirk Burchard - Faberstraße 15 - 39122 Magdeburg.

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Deutscher Bundestag
- Petitionsausschuß -
Bundeshaus
53113 Bonn


Tag der deutschen Einheit am 9. November



Sehr geehrte Damen und Herren,

am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, wird in der Bundesrepublik die Unterzeichnung des Einigungsvertrages zwischen der alten Bundesrepublik und der DDR aus dem Jahre 1990 gefeiert. Die erste und letzte demokratisch legitimierte Volkskammer der DDR hatte am 23. August 1990 beschlossen, der Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 beizutreten. Die Volkskammer hatte sich elf Stunden zu einer Entscheidung gequält bis die Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl um 2.50 Uhr das Ergebnis der Abstimmung bekanntgab. Keineswegs war diese Debatte von Zuversicht geprägt oder gar von jener Euphorie, welche dieses Land am 9. November 1989 erfüllte. Skepsis und mühsam verdrängte Zweifel prägten die Debatte. Letztlich wurde mit dem Einigungsvertrag die gegenseitige Einbringung eines kulturellen Erbes und die Bereicherung der gesellschaftlichen Entwicklung durch jede einzelne Persönlichkeit ausgeblendet und allein wirtschaftliche Ungleichheit legitimiert. Mit ihrer Herabsetzung zum "Beitrittsgebiet" entlasteten die neuen Bundesländer festgefahrene Hierarchien in den alten Bundesländern und wurden zum Verzicht auf Souveränität in föderalen Auseinandersetzungen genötigt. Unabhängig von jenen Fakten, welche die DDR etwa mit dem Bau der Mauer geschaffen hatte, sind jedoch auch in der alten Bundesrepublik Fakten geschaffen worden, welche der mit der ursprünglichen Präambel des Grundgesetzes angestrebten Zielsetzung der Wiedervereinigung zuwiderliefen. Dazu zählt zum Beispiel die Westintegration (Auf die Zusammenstellung historischer Quellen durch Wilfried Loth "Die Teilung der Welt", München 1989, sei hier verwiesen. Im Herbst 1998 soll eine weitere Überarbeitung erscheinen.). Mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wird daher ein obrigkeitsstaatlicher Akt der Exekutive gefeiert, welche dieses Land bereits einmal mit Verordnungen aufgrund des Ermächtigungsgesetzes gleichgeschaltet hatte. Die politische Klasse der alten Bundesrepublik hatte am 3. Oktober 1990 die Herrschaft über das Volk wiedererlangt, das sich am 9. November 1989 in Freiheit wähnte.

Demgegenüber steht der 9. November für die Verantwortung des einzelnen für das Zusammenleben in diesem Land. Der 9. November 1989 stellt nicht nur einen Feiertag der Bürgerbewegung der DDR dar, sondern auch einen für all jene in der alten Bundesrepublik, die sich der Polarisation des Kalten Krieges entzogen und auf die Menschen im anderen Teil Deutschlands vertraut hatten. Gleichzeitig steht der 9. November auch im historischen Zusammenhang mit jener Nacht vom 9. auf den 10. November des Jahres 1938. Der "Druck der Straße" dokumentierte damals die mehrheitliche Hingabe des deutschen Volkes an den Rassismus seiner Machthaber, als in der sogenannten Reichspogromnacht (oder auch Reichskristallnacht) die Scheiben jüdischer Geschäftsleute eingeschlagen wurden. Das Unterlassen der Deutschen, ihre nationalsozialistischen Machthaber abzusetzen, ist daher auch das tatsächlich einende Moment der beiden deutschen Staaten. Ohne die massenhafte Unterwerfung der Deutschen unter die Ideen des Nationalsozialismus wäre eine deutsche Teilung niemals erfolgt und zu überwinden gewesen. Der 9. November war daher vor allem 1938 der Tag, an dem die Menschen in diesem Land die Einheit "verspielt" haben, die sie 1989 wiedererlangten. Deshalb ist der 9. November in herausragender Weise geeignet, einen Tag der Besinnung auf die Ausgestaltung der höchstpersönlichen Rolle als Bundesbürger dem einzelnen zu eröffnen. Darüberhinaus gewährt der 9. November noch zahlreiche weitere Anlässe, die deutsche Geschichte zu reflektieren (Dazu Peter Reichel "Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit", München 1995; ders. "Fünf Tage im November", taz vom 2. Januar 1996 Seite 17.). Der 9. November hat gegenüber dem 3. Oktober den entscheidenden Vorteil, daß er die Verantwortung des einzelnen in den Mittelpunkt stellt. Dieses Datum stellt aber auch ein Mahndatum für jede Regierung der Bundesrepublik dar, die Bedürfnisse und Interessen der Bürger zu achten und zu integrieren. Nur dieser nationale Gedenktag wäre in der Lage, mit den Jahren die Weiterentwicklung eines allgemeinen Bewußtseins für die deutsche Geschichte zu fördern und könnte so zu einem von Gelassenheit geprägten Verhältnis zur Geschichte beitragen.

Mir ist bekannt, daß unter dem Aktenzeichen Pet 1-13-06-1143-041293 beim Deutschen Bundestages ein Petitionsverfahren anhängig war, mit dem gerade diese Verlegung des Tages der deutschen Einheit vom 3. Oktober auf den 9. November erreicht werden sollte. Sie haben den Rahmen Ihrer Möglichkeiten genutzt, um den Abschluß dieses Petitionsverfahrens herbeizuführen. Mit meiner Eingabe möchte ich erneut die Bearbeitung dieses Anliegens durch den Petitionsausschuß erreichen in der Hoffnung, daß eine erneute Auseinandersetzung zu einem anderen Ergebnis führt. Ich denke, daß eine Verlegung des Tags der deutschen Einheit eine herausragend geeignete Form darstellt, die deutsche Geschichte zu ihrer Entwicklung bis zum heutigen Tag und zu Perspektiven in Bezug zu setzen, die noch erarbeitet werden wollen.

[ ] Darüberhinaus möchte ich die Berücksichtigung weiterer Argumente anregen [anliegend/umseitig].

Mit freundlichem Gruß