Editorial
Auf Hinweise angewiesen


von Karin Müller
 10/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

André Anchuelo schrieb am 5.10.2000 erbost an die Redaktion folgende Zeilen:

hallo trend'lerInnen! 
ich hoffe, ihr kommt jetzt nicht zu sehr in den trend. ich zumindest war ziemlich geschockt, dass ihr eine sibylle tönnies für links haltet (von der taz als quelle wollen wir jetzt mal gar nicht reden). die frau hat, was ihre politische einstellung angeht, einen ähnlichen werdegang wie ein joseph fischer. und den wollt ihr mir ja wohl auch nicht als linken verkaufen. jedenfalls habe ich hier einen guten tipp für euch, den ihr ja auch mal in eure nächste ausgabe aufnehmen könntet.dieser artikel hat den titel "Sybille Tönnies will das Asylrecht abschaffen - wie ein politisches Ziel wissenschaftlich verklärt wird" und stammt aus der Zeitung "30S- Zeitung aus dem AStA der Uni Bremen". 
bis denn, mit solidarischen grüssen,
andré.

Wir geben zu, dass wir diesen Zusammenhang übersehen und dadurch Frau Tönnies ein Forum geboten haben. Obgleich wir es nicht für hinreichend erachten, jemanden allein aufgrund einer Mitteilung, er sei durch Dritte als Reaktionär/-in überführt, bei uns einem Veröffentlichungsverbot zu unterwerfen, sind wir André dankbar. Denn wir als virtuelle Redaktion sind gerade auf solche Hinweise angewiesen. Seine Email veranlasste uns, den Tönnies-Artikel noch einmal gründlich zu lesen. Und siehe da, Tönnies reaktionäre politische Grundorientierung strukturiert auch diesen - auf den ersten Blick recht passablen - Artikel.

Mit Sätzen wie: "Da, wo das Herz links schlägt, geht es richtigerweise und losgelöst von aller Theorie um soziale Gerechtigkeit.", wird einer Ideologie gehuldigt, die die Vernunft gegen Gefühle austauschen und die Legitimation politischen Handels in den Bauch der bürgerlichen Monade zurück verlagern will. Konsequenterweise hält die Tönnies die Revolte eines französischen Biobauern gegen McDonalds samt grünem Überbau für linke Politik. Unter solchen Voraussetzungen kann der Kampf gegen das Fremde zum Schutze der heimatlichen Scholle als linke Politik gelabelt werden.

Solche  - zwischen links & rechts hin- und heroszillierenden - Positionen sind tatsächlich trendy. Dies wurde unlängst auf dem monatlichen Streitkulturabend des Berliner Bandito Rosso im September dargestellt. Die MacherInnen stellten eine entsprechende Querfrontmatrix zur Diskussion, der Berliner Projekte und Strömungen wie Nationale Anarchie, Kalaschnikow, A-Laden, Anarcho-Stalinisten, Freiwirtschaftler etc. zugeordnet wurden. 

Doch was im Fall des Tönnies-Artikel gilt, war auch dort wirksam: Die biblische Methode "Sag mir, mit wem Du umgehst und ich sage Dir, wer Du bist", reicht nicht aus, um solche Strukturen bzw. Positionen anzugreifen. Selbst notwendige Ausgrenzungen lassen sich so schwer vermitteln. Gleichwohl ist diese narrative Methode im linksradikalen Spektrum beliebt, was ein deutliches Zeichen der eigenen theoretischen Schwäche ist. Bisweilen verkommt sie zu einer besserwisserischen Zeigefingerattitude, die es den Angriffenen leicht macht, sich mit gespielter Entrüstung einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen. So geschehen auch an jenem Abend im Bandito Rosso.

Motiviert durch Andrés Email  überprüften wir die Veröffentlichungsliste der Septemberausgabe und stießen auf einen Text, bei dem es uns im Nachhinein wirklich peinlich ist , dass der durchgehen konnte. Gemeint ist das Interview mit Chossudovsky, das wir anläßlich der Prager IWF & Weltbanktagung in die 9/00 aufgenommen hatten.

Wenn Horst Mahler hetzt, das jüdische (??) Kapital an der Ostküste sei Ursache für den vermeindlichen Niedergang von Ökonomie, Kultur und Nation, schreien alle: So ein Faschist!  Wenn Chossudovsky mit der gleichen Argumentationsfigur gegen IWF & Weltbank mobilisiert, gilt er vielen Linksradikalen als Kronzeuge im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Eigentlich  hätten wir es ja schon am Titel merken müssen: "IWF und Weltbank
Zwei Instrumente zur Zerstörung von Nationen"
, was den Chossudovsky umtreibt. Er möchte die "regionalen kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen" bewahren, um die Nation zu erhalten. Doch seit wann verteidigen Anhänger eine sozialemanzipatorischen Politik nationale Interessen und behaupten, Staat und Gemeinwesen vor dem Fremden schützen zu müssen?

Auffällig ist zumindest, dass sich Vertreter eines die nationalen Interessen berücksichtigenden Antikapitalismus immer einer Kritik der kapitalistischen Produktionsweise bedienen, die das Kapitalverhältnis naturalisiert und mit Beweisführungen daherkommt, worin soziale Beziehungen auf rein personale verkürzt werden. Bei Chossudovsky klingt dies so: "In der Tat sind sie (IWF und Weltbank - kamue) einfach zwei Werkzeuge, die von den westlichen Eliten benutzt werden, um Nationen zu zerstören, um sie in Territorien umzuwandeln."

Dieses "Geschichtsbild der falschen Konkretheit" (Neumann, Angst und Politik) ist ein wesentlicher Stützfeiler der Naziideologie. Es ist kompatibel zu einem Marxismusverständnis, das die Kritik der Politischen Ökonomie auf eine Revolutionssoziologie verkürzt. Volk statt Klasse zu sagen, stellt insofern auch keinen Wechsel von links nach rechts dar, sondern nur die Indienstnahme eines anderen Vokabular mit dem die alten Argumentationsmuster neu bebildert werden. 

Wenngleich Chossudovsky persönlich weit entfernt davon sein mag, ein politischer Rechter zu sein, bleibt es dennoch richtig, seine Position, als kompatibel zum rechten Diskurs zu gewichten. Auch auf Frau Tönnies, deren Programm Deutschland heißt, wäre diese Unterscheidung anzuwenden.