Die Aufregung um die Ladenschlußzeiten kann man für eher
lächerlich halten, sie hat aber auch eine aufschlußreiche Seite. Früher wurde mal
behauptet, bei längeren Verkaufszeiten würde mehr verkauft, was gut fürs Geschäft sei.
Aber das behauptet heutzutage keiner mehr ernsthaft. Schließlich haben die Leute nicht
mehr Geld in der Tasche, wenn die Läden länger geöffnet sind. Was ist dann der Grund
für eine Aufregung, die sogar die Gerichte beschäftigt? Gar nicht die Tatsache selbst,
ob nun ein Geschäft länger offen hat, sondern die Bedeutung, die dieser
"Grundsatzfrage" zugemessen wird. Was ist das Grundsätzliche? Da geht es um
nichts weniger als um die "Qualität unseres Standortes". Worunter leidet der?
Eben - an "Verkrustung", an "mangelnder Flexibilität", an
"staatlicher Reglementierungswut". Das alles würde in die moderne Zeit nicht
mehr hineinpassen - und zur Bebilderung wird dafür der uralte Kalauer vom
"König Kunde" herangezogen. Der ist zwar, was seinen Geldbeutel angeht, kein
besonderer König, aber kurzzeitig kann er als Material dienen, nämlich als
Material für die heiße Frage, ob bei uns nicht "die Freiheit" zu kurz kommt.
Kann "König Kunde" jederzeit einkaufen? Eben nicht - da sieht man's doch.Ehe
man sich's versieht, hat "der Kunde" einen natürlichen Feind: das
Verkaufspersonal. Das will doch tatsächlich feste Arbeitszeiten und einen freien Sonntag,
und was tut es damit? Es behindert die "Freiheit des Kunden". Das ist zwar ein
dummer und zusammenkonstruierter Gegensatz - aber er ist ja auch nur dafür erfunden
worden, um überhaupt das schreckliche Verbrechen "Unflexibilität" anprangern
zu können. Oder: Es gibt bei uns überhaupt zuviel "Beschränkung" und zuwenig
"Flexibilität". Es wird klar, wofür der "verkaufsoffene Sonntag"
steht, was für ein weitreichender Anspruch sich dahinter auftut, ein Anspruch, den
gewiß nicht eine Figur namens "der Kunde" erfunden hat. Es geht um eine Kritik,
die das Kapital an diesem "Standort" hat. Diese Kritik ist nicht näher
bestimmt, dafür aber sehr umfassend: Es gäbe zu viele "Reglementierungen", die
einen Kapitalisten daran hindern, ganz und gar seinem Interesse nachgehen zu
können. Daraus folgt eine Forderung des Kapitalisten gegen über dem Rest der Welt, die
genauso umfassend ist: Die Gesellschaft muß sich noch viel mehr für ihn
"öffnen", das heißt, sich nach seinen Vorstellungen richten. Und der
Kapitalist spricht nicht für sich allein, sondern für seine Klasse, heißt: Für das
Kapital darf es keine Beschränkung geben, sein Gewinnstreben muß
unumschränkt, ohne gesellschaftlichen Einschränkung und Widerrede herrschen können. Die Behauptung, bislang habe das Kapital unter einer "Fesselung"
gelitten, ist natürlich unsinnig. Die staatlichen - und auch gewerkschaftlichen -
"Reglementierungen" haben es nicht nur nicht daran gehindert, sondern ihm gerade
die Freiheit verschafft, eine Exportweltmeisterschaft nach der anderen, ein riesiges
Bankenwesen und übrigens auch riesigen privaten Reichtum einzufahren - nicht zuletzt mit
Rationalisierungen und massenhaften Entlassungen. Aber das reicht diesen Leuten einfach
nicht. Sie wissen, daß sie den Standortfanatismus hinter sich haben, sie brüsten sich
mit den "Herausforderungen der Globalisierung", die nur sie bewältigen können,
und sie hielten es für einen Fehler, wenn sie das nicht ausnutzen würden. Dafür
beherrschen sie den Umgang mit dem Argument "Arbeitsplätze" aus dem Effeff..
Arbeitsplätze haben nun sie millionenfach abgebaut - und woran liegt das? Nein,
nicht an ihren Geschäftskalkulation, also der freien Verfügung über ihr Eigentum,
sondern an den "Beschränkungen", unter denen sie gelitten haben. Wenn man die
Welt erst einmal so auf den Kopf gestellt hat, ist die Umkehrung auch klar: Wenn man ihnen
die "Beschränkungen" wegnimmt, was werden sie da für einen Haufen
"Arbeitsplätze schaffen"! Die ganze Gesellschaft, die Regierung allen voran,
beeilt sich, dieser Lüge nachzukommen und alles, was irgendwie nach
"Beschränkung" aussehen könnte, aus dem Weg zu räumen. Wie gesagt: Die
Freiheit des Kapitals war immer schon üppig bemessen und wurde reichlich ausgenutzt. Das
ändert nichts daran, daß Kapitalisten gegen gewisse "Beschränkungen" nie
hemmungslos genug losziehen können: Gegen die Löhne, die Arbeitszeitordnung, die
Kündigungsbestimmungen, die Lohnnebenkosten usw.usf. Dabei berufen sie sich auf eine
soziale Not, die es gibt: daß die Leute immer weniger Geld haben und die Arbeitslosigkeit
steigt. Daß sie es sind, die die Löhne dauernd drücken, die Arbeitszeiten
durcheinanderwürfeln und mit ihren Entlassungen dafür sorgen, daß der Staat die
"Systeme der sozialen Sicherung" für nicht mehr finanzierbar erklärt - das
geht sie alles nichts an. Umgekehrt: Die Not, die sie herstellen, ist ja gerade der
Hintergrund, die Berechtigung, man kann auch sagen: die Erpressung, mit der sie
ihre Ansprüche an die Gesellschaft stellen. Was sie also verlangen: Arbeitskraft noch
billiger und flexibler benutzen können, noch mehr Leute hinauswerfen können - und dazu sagen
sie: Das stärkt den Standort und nur so kann es wieder zu "Beschäftigung"
kommen. So dreist können nur Leute argumentieren, die sich einer Sache sicher sind: Auf
sie wird gehört, weil die Gesellschaft von ihren Kalkulationen abhängig ist - weil sie
sich von ihnen abhängig gemacht hat. In der vom Staat mit aller Gewalt
eingerichteten und überwachten Marktwirtschaft ist nun mal das Wachstum des Kapitals, die
Steigerung der Gewinne der Kapitalistenklasse, das A & O des gesamten
gesellschaftlichen Lebens. Persönlich kann man den Kapitalisten ihr Verhalten gar nicht
übel nehmen: Sie spielen ja nur die Macht aus, die sie vom Staat zugeteilt bekommen haben
- und unter die sich alle beugen, die dieses System für unwidersprechlich halten, als ob
es der liebe Gott höchstpersönlich angeordnet hätte.
Dabei sagt der liebe Gott doch, in Gestalt seiner Kirchen,
daß das nicht in Ordnung geht. Nein, keine Sorge - gegen den Kapitalismus hat der liebe
Gott nichts. Aber doch etwas gegen die Sonntagsarbeit. Denn bekanntlich gehört der
Sonntag ihm. Wofür braucht er ihn? Um seinen Schäfchen - ob nun Christen oder nicht - zu
sagen, daß es noch was anderes gibt als den Materialismus, der an den sechs Tagen vor dem
Sonntag herrscht. Er sagt ihnen nicht, daß ihnen dieser Materialismus in ihrer
großen Mehrheit schadet, weil es nämlich der Materialismus des Kapitals ist - dem sie
unterworfen sind. Statt dessen bietet er ihnen als Alternative an, daß es doch auch was
Höheres gibt als "Arbeit und Konsum". Da trifft die Kirche doch den Nerv des
modernen, aufgeklärten Menschen, denn einen Sinn, den er hinter den täglichen
Zumutungen ausfindig machen und mit dem er sich mit diesen Zumutungen arrangieren kann,
kann auch und gerade er gut gebrauchen. Allerdings steht das kirchliche Anliegen in einer
Hinsicht auf schwachen Füßen: Den Sonntag braucht es dafür letztlich auch nicht.
Einen Sinn, warum er das alles mitmacht, kann sich "der Kunde" ganz ohne Kirche
und mitten im Alltag selber zurechtbasteln - und am Sonntag ganz "frei"
einkaufen gehen.
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