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Albanische Wirtschaft
von Jürgen Elsässer

Wiederaufbau im Kosovo: Auf seiner eigenen ökonomischen Grundlage entwickelt der Kapitalismus eine Herrschaft der Stämme und Banden

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Zum Gipfeltreffen der Siegermächte des Kosovo-Krieges Ende Juli wurde Sarajevo für zwei Tage in ein Operettenstädtchen verwandelt: Als Clinton und Schröder bemüht lässig durch die engen Gassen der Altstadt schlenderten, erinnerten das blankgewienerte Pflaster, die schnell getünchten Fassaden, die pittoresken Caféhaustischchen an Saint Tropez oder Lugano. Das leidgeprüfte Bosnien als balkanische Cote d'Azur, der Kanton Sarajevo als muselmanisches Tessin - jetzt, nachdem der Serbe in die Knie gezwungen ist, kann man endlich wieder träumen ...

Doch schon die Tatsache, daß die riesigen Werbetafeln mit dem Slogan »Peace, Democracy and Prosperity - Our Hope and Our Goal« selbst von den Pressefotografen und Fernsehkameras kaum aufgenommen werden konnten, ohne daß sich von der Seite ein Schützenpanzer oder von oben ein Kampfhubschrauber ins Bild schob, störte die idyllische Inszenierung ein wenig. Tatsächlich war alles nur Fassade: Für die »Internationale Stabilitätspakt-Konferenz« wurde über die bosnische Hauptstadt der Ausnahmezustand verhängt, 4.000 Nato-Soldaten und 5.000 Polizisten sicherten den Weg der Spitzenpolitiker, die Bewohner wurden ferngehalten, selbst Taxen durften aus Sicherheitsgründen - bis auf 50 überprüfte und eigens für diesen Anlaß konzessionierte Fahrer - nicht unterwegs sein. Die Sieger fühlen sich nicht sicher, und ganz unabhängig von den Gerüchten über geplante Anschläge des fundamentalistischen Oberschurken Bin Laden waren sich die Akteure offensichtlich des bösen Genius loci bewußt: Wie die Nato, so hatte einst auch die K.u.K.-Monarchie geglaubt, durch die Übernahme von Bosnien als Protektorat die bedrohlichen Entwicklungen an ihrer balkanischen Peripherie eindämmen zu können. Dabei war es - List der Geschichte - gerade die Protektion (ab 1878) und spätere Annexion (ab 1908), die den ursprünglich ausländischen, d. h. osmanischen Krisenherd zu einem inländischen machte, dessen Entzündung durch den Attentäter Gavrilo Princip schließlich das ganze Habsburger Reich in Flammen setzen und zerstören sollte.

Ob Präsident Clinton und Kanzler Schröder ihren balkanischen Besitz besser hegen werden als Kaiser Franz und sein Verbündeter Wilhelm II., ist auch nach diesem Gipfel nicht wahrscheinlicher geworden. Die in Sarajevo vereinbarten Finanzzusagen für den Wiederaufbau des Kosovo sind mickrig, der »Marshallplan« ein in jeder Hinsicht billiger Etikettenschwindel. Die Belgrader Zahlen für die Schäden allein in der Bundesrepublik Jugoslawien schwanken zwischen 35 (Draskovic) und 180 Milliarden Euro (Außenministerium). Selbst die Schätzungen des IWF, der Deutschen Bank und der Münchner Bundeswehr-Universität über die Kosten des Wiederaufbaus im Kosovo, dem übrigen Jugoslawien und den Nachbarstaaten liegen zwischen 19 und 30 Milliarden Euro - die Flüchtlingsversorgung und die Stationierungskosten für die Kfor nicht mitgerechnet. Bereits unterhalb dieser Schätzungen bewegten sich die ursprünglich gehandelten Zahlen für die Aufbauhilfe - Ende Mai war die EU-Kommission noch von sechs Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen, sie selbst wollte, verteilt über die nächsten Jahre, insgesamt 16 Milliarden beisteuern. Was nun Ende Juli in Sarajevo vereinbart worden ist, liegt noch einmal erheblich darunter: Mehr als hundert Länder und internationale Organisationen konnten sich lediglich auf Zusagen von 2,1 Milliarden Dollar (ca. 1,9 Milliarden Euro) einigen, wobei die bereits geflossene Hilfe zur Flüchtlingsrückführung souverän mitverechnet wird. Dieser Betrag gilt nur für das Kosovo, Zahlungen an die übrigen Länder der Region (selbstverständlich mit Ausnahme Jugoslawiens) sind in unbestimmter Höhe und mit wenig Verbindlichkeit in Aussicht gestellt.

Daß nicht nur die beschlossenen Beträge, sondern auch die ursprünglichen Schätzungen etwa der EU-Kommission dem Ausmaß der Zerstörungen nicht gerecht werden, macht ein einfacher Überschlag deutlich, wie selbst die Frankfurter BHF-Bank feststellte: Für Bosnien wurden nach dem Dayton-Vertrag 1995 Wiederaufbau-Zahlungen in Höhe von fünf Milliarden Dollar vereinbart; legt man allein die Bevölkerungszahl zu Grunde, so müßte das Balkan-Hilfspaket 20 Mal so groß sein. Ob die Orientierung am Vorbild Dayton allerdings helfen würde, ist höchst fraglich. Die bosnische Wirtschaft besteht ebenso bloß aus aufgemalten Attrappen wie die bosnische Gipfel-Hauptstadt Sarajevo, wie ein Bericht der »International Crisis-Group«, die sowohl für die US-Regierung wie für die EU-Kommission arbeitet, deutlich macht. Die Expertise mit dem Titel »Why Will No One Invest in Bosnia and Herzegovina?«, veröffentlicht im April diesen Jahres, resümiert: »Das massive internationale Sponsoring des Wiederaufbaus von Bosnien-Herzegowina sollte eigentlich nicht ewig dauern ... Die Kombination von strukturellen Veränderungen und politisch-militärischer Stabilität, von der Nato garantiert, sollte ein attraktives Geschäftsklima entwickeln, in dem die Privatwirtschaft (ausländische und einheimische) allmählich die Hilfszahlungen ersetzt. Unglücklicherweise ist das nicht passiert. In den letzten zwei Jahren beliefen sich die privaten Investitionen auf ungefähr 160 Millionen Dollar, umgerechnet 4,7 Prozent der Hilfszahlungen ... Heute ist die private Investitionstätigkeit in Bosnien-Herzegowina so gut wie unbedeutend ... Tatsächlich basiert die Wirtschaft des Landes fast ausschließlich auf künstlichen ökonomischen Stimuli der (internationalen) Geldgeber, die bald aufhören werden.«

Die Invasion der Armani-Intellektuellen

Entgegen linker Mythenbildung war der Wiederaufbau kein profitables Geschäft für Westkonzerne. So klagt der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft, in Bosnien habe Deutschland etwa 30 Prozent der internationalen Hilfe finanziert, aber »nur sechs bis acht Prozent der Gesamtsumme« seien wieder in die deutsche Wirtschaft zurückgeflossen. Die »International Crisis-Group« verweist auf VW als den größten deutschen Investor, der seine Vorkriegsfabrik in Sarajevo 1996 wieder in Betrieb nahm. Das Werk wies starke Kriegszerstörungen auf, Maschinen und fertige PKWs waren von den Serben bei der Flucht mitgenommen worden. Der Konzernleitung schien deswegen ein Comeback wenig profitabel, doch »unter extremem Druck von der deutschen Regierung« (»Crisis-Group«) gab sie schließlich nach und streckte die gesamten Kosten zur Wiederinbetriebnahme vor. Zur Zeit produziert VW Sarajevo zwischen fünf und zehn PKWs pro Tag, einen einheimischen Markt dafür gibt es nicht. Fazit: »Die Fabrik wird bis in absehbarer Zukunft Verluste einfahren.«

Wem die Hilfe der internationalen Geldgeber tatsächlich geholfen hat, wird an anderer Stelle deutlich: »Nirgends sind die Folgen der internationalen Hilfe klarer als in Sarajevo, wo 15.000 ausländische Zivilisten untergekommen sind. Sie sind bei Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), ausländischen Botschaften, internationalen Organisationen (UN, UNHCR, EU-Kommission, OSZE, Weltbank, IWF etc.), Minenräumdiensten, Nato-nahen Servicegesellschaften und westlichen Auftragsfirmen von internationalen Hilfsprojekten angestellt. Diese Zahl schließt das Sfor-Militärpersonal nicht ein. Nach konservativen Schätzungen gibt jeder dieser Ausländer im Monat 1.000 Mark für Miete, 1.000 für Lebenshaltungskosten, 1.000 Mark für die Beschäftigung eines bosnischen Arbeiters und 1.000 Mark für Büromiete und ähnliches aus.« Dies summiert sich zu einer Ausgabe von 60 Millionen Mark im Monat oder 720 Millionen Mark im Jahr, in den vier Jahren seit Dayton also 2,9 Milliarden Mark. Mit anderen Worten: Ein Gutteil der internationalen Hilfe (von den vereinbarten fünf Milliarden Dollar sind bis dato vier geflossen) landete in den Taschen dieser ominösen »ausländischen Zivilisten«, die sich die schönsten Apartments und Büros der Hauptstadt gesichert haben, eingeborene Diener (vermutlich auch: Dienerinnen) beschäftigen und mit ihrem Metropolen-Geschmack die Konsumentenpreise in die Höhe treiben.

Soziologisch dürfte diese Schicht die cleversten Elemente der »Lumpen-Intelligenzija« umfassen, deren Deduktion und Denunziation in KONKRET 6/99 einigen Widerspruch hervorgerufen hatte: Mehr oder weniger erfolgreiche Akademiker, die im Lean Management der post-fordistischen Metropolen keine Anstellung fanden, ihr Surplus an intellektueller Bildung und moralischem Eifer aber doch lieber in den Dienst der Macht als der Emanzipation stellen. Hannah Arendt führt in ihrer Totalitarismus-Analyse an, wie der Imperialismus im ausgehenden 19. Jahrhundert auch dadurch entstand, daß »die überflüssig gewordene Arbeitskraft« nach Betätigung und Abenteuern in fernen Ländern suchte: »Diese zum Müßiggang Verurteilten ... stellten außerdem ein bedrohliches Element dar und waren daher durch das ganze 19. Jahrhundert nach anderen Erdteilen exportiert worden ... Eine Politik der Expansion, der Export der staatlichen Machtmittel und das Annektieren von Territorien, in denen nationale Arbeitskraft und nationaler Reichtum investiert worden waren, schien das einzige Mittel geworden zu sein, ... die Kräfte, welche innerhalb der Nation überflüssig geworden waren, der Nation dennoch zu erhalten.« Kräfte also etwa wie Bernard Kouchner, über dessen Überflüssigwerden in Frankreich die »Welt« Ende Juli informierte: »In Samariter-Attitüde, großen Posen und affektionierter Diktion machte Kouchner immer wieder Schlagzeilen. Weswegen er aus der Organisation ›Ärzte ohne Grenzen‹ und ›Ärzte der Welt‹ hinauskomplimentiert wurde, die er 1971 und 1980 gegründet ... hatte. Also blieb ihm die Politik: Schnell machte er dort ... Karriere ... Als Minister setzte er Mittelkürzungen in Krankenhäusern und Psychiatrien durch ... und drückte ein Anti-Tabak-Gesetz durch. Die Folgen waren Streiks und Demos, Kouchners Sympathiewerte sanken. Zumal der stets à la mode gekleidete Vorzeigeintellektuelle der Pariser Schickeria bei Jungwählern ohnehin als ein Gestriger gilt ...« Seit Ende Juli ist Kouchner Koordinator der UN-Zivilverwaltung im Kosovo. Er und Bodo Hombach, zur selben Zeit vom Kanzleramtsminister zum »EU-Beuftragten für den Wiederaufbau« ins Kosovo abgeordert, sind Beispiele der Lumpenintellektuellen, die nun, nachdem sie zu Hause selbst für ihre Claque unerträglich geworden sind, das Ausland beglücken wollen.

Die Ökonomie der Rackets

Schon seit langem ist die Wohltätigkeit im Kapitalismus mit dem organisierten Verbrechen verbunden, wie John Kobler in seinem Buch über Al Capone ausführt: »Gesellschaftliche und politische Klubs der damaligen Zeit veranstalteten traditionsgemäß Wohltätigkeitsfeste zu ihren eigenen Gunsten. Es waren lärmige Festivitäten, bei denen Blechmusik spielte und der mit übermäßigem Trinken verbundene Radau nicht ausblieb, so daß die Feste schließlich als ›Rackets‹ bekannt wurden. Ein Gangster, der zu leichten und nach außen hin legalen Gewinnen kommen wollte, organisierte eine Wohltätigkeitsgesellschaft, deren einziges Mitglied er selbst war. Dann kündigte er ein ›Racket‹ an und zwang die Geschäftsinhaber der Nachbarschaft, ganze Blöcke von Eintrittskarten zu verkaufen, indem er ihnen drohte, bei Weigerung ihr Eigentum zu demolieren« (zitiert nach Pohrt: Brothers in Crime).

Diese Art von Fund-Raising beherrscht auch das Racket um den bosnisch-muslimischen Präsidenten Alija Izetbegovic. »Sie (die Führungsgruppe um Izetbegovic) haben sich die ganze Zeit so benommen, als ob es sich um eine Privatfirma handelte und nicht um einen Staat«, zitierte die muslimische Tageszeitung »Oslobodjenje« im Juli 1997 den bosniakischen Liberalen Muhamed Filipovic. Im selben Monat sprach der britische Außenminister Robin Cook beim Besuch in Sarajevo Klartext: »Zig Millionen« an internationalen Hilfsgeldern seien in geheimen Fonds versteckt, »mit denen die parallelen Institutionen bezahlt werden, die kein Teil des Staatspräsidiums oder der Föderation sind und in keiner Abrechnung auftauchen«. Mit diesen Parallelorganisationen waren, wie Cook später ausführte, vor allem die Geheimpolizei AID und das bosnische Staatsfernsehen RTV gemeint. Die muslimischen Polizeikreisen nahestehende Zeitschrift »Slobodna Bosna« sprach in diesem Kontext von einer Schwundsumme von 480 Millionen Mark, der »Spiegel« hatte bereits Mitte Februar 1997 geschätzt, daß 30 Prozent der Hilfsgelder für Bosnien in »dunklen Kanälen« versickert seien.

Auch im Falle des Kosovo wittern Abgreifer fette Beute. Die »Neue Zürcher Zeitung« berichtete Ende Juli über die »Gründung einer Stiftung für den Wiederaufbau in Kosovo«: »Initiiert hat die Stiftung der Besitzer des Generalbauunternehmens Mabetex, Beghjet Pacolli. Der Tessiner Unternehmer kosovo-albanischer Herkunft erklärte, die Stiftung solle beim Wiederaufbau als Koordinationsstelle und Motor dienen ... Die Mabetex steht seit längerem in den Schlagzeilen, weil sie in Rußland mit Schmiergeldaffären in den höchsten Kreisen des Kremls in Verbindung gebracht wird. Zudem steckt die Mabetex wegen Zahlungsrückständen Rußlands in erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten.«

Krieg in Pristina und Brüssel

Weit wichtiger als die internationalen Aufbauzahlungen dürften für das Kosovo die Einkünfte der mit der UCK symbiotisch verbundenen Mafia-Gruppen sein. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen schätzt, daß allein aus der Bundesrepublik »locker« eine Milliarde Mark jährlich ins Kosovo transferiert wird. Das Geld stammt aus kriminellen Aktivitäten und wird in Schattenbanken - verdächtig sind 200 Briefkastenfirmen: Reisebüros, Andenkenläden und Lebensmittelgeschäfte - gesammelt und schließlich über Kuriere direkt nach Pristina oder Prizren gebracht. »Wir haben Hinweise, daß unter dem Deckmantel politischer Parteien und humanitärer Hilfe über dieses Netz von Tarnfirmen Gelder für einige Großfamilien im Kosovo eingesammelt werden, die auch den Krieg der UCK finanzierten«, zitiert der »Spiegel« Anfang August den gegen einschlägige Reisebüros ermittelnden Braunschweiger Kriminaloberrat Rainer Bruckert. Der Beitrag unter der Überschrift »Sprache der Morde« liefert eine eindrucksvolle Bilanz der Aktivitäten dieser Mafia: »Noch nie hat sich aus einer so kleinen Volksgruppe in so kurzer Zeit eine so starke Energie in der Illegalität entfaltet ... Überall, wo Banden ›ethnischer Albaner‹ operieren, ist aus Kripo-Kreisen zu hören, was der Hamburger Fahnder Detlef Ubben knapp und nüchtern ausdrückt: ›Sie drohen eher, sie prügeln eher, und sie schießen eher.‹ Das Bundeskriminalamt verzeichnete im ›Lagebild‹ bei der OK (Organisierte Kriminalität)-Klientel aus dem Kosovo eine ›extreme Gewaltbereitschaft‹ wie auch eine äußerst massive und brutale Gewaltanwendung‹. Die deutsche Polizei geht bei Einsätzen gegen albanisch sprechende Banden grundsätzlich davon aus, daß sie bewaffnet sind ... Im Heroinhandel sind Albaner die Aufsteiger der neunziger Jahre ... Nach Art der Dominotheorie fiel im süddeutschen Raum eine Stadt nach der anderen in die Hände albanischer Heroinringe ... Albaner sind die neuen Paten Mailands ... Kinderprostitution ist auch in Griechenland eine perverse Spezialität, die vor allem Albaner zu bieten haben ... In Belgien haben die Albaner in kürzester Zeit die Vormacht im Rotlichtmilieu erobert ... ›Der Krieg wütet bei uns‹, so überschrieb das belgische Nachrichtenmagazin ›Knack‹ eine Titelgeschichte über das ›Balkan‹-Kartell, das die ganze Palette der Kriminalität beherrsche, ›normloser und gewalttätiger als alles andere, was man sich vorstellen kann‹.«

Als Medienkritiker wäre man geneigt, dieses Schreckenspanorama als Element metropolitaner Flüchtlings- und Ausländerphobie abzutun, wären ähnliche Nachrichten nicht gleichzeitig auch aus Pristina oder Prizren zu hören - also aus Städten, die in düsteren Farben zu malen aus der Sicht deutscher Abschiebefanatiker kontraproduktiv ist. Als der Vorsitzende der deutschen Innenministerkonferenz, Klaus Hardraht, Anfang August von seiner Rundreise durch den Kosovo berichtete, konnte er sein Erschrecken nur schlecht verbergen: Der Provinz-Aufbau sei »massiv vom organisierten Verbrechen gefährdet«, »Schutzgelderpressungen bei Hotels und Gaststätten« seien durchaus üblich, die UCK sei zumindest zu Teilen in die organisierte Kriminalität verstrickt. Die Londoner »Sunday Times« ging am 24. Juli noch weiter und konstatierte, der Kosovo sei nach dem Kfor-Einmarsch »zu einem Paradies für die Mafia und Drogenschmuggler« geworden. Da das Kosovo »wahrscheinlich die einzige Gegend in der Welt sei, wo es keine Polizei und keine Grenzkontrollen« gebe, hätten sich »ideale Bedingungen für die Narko-Mafia entwickelt«. Die unter den Augen der Nato beinahe vollendete Säuberung des Kosovo von allen Serben und Roma - selbst Kfor-Chef Michael Jackson meinte Ende Juli: »Die Albaner sind genauso schlimm wie die Serben« - hat dabei auch eine ökonomische Funktion: Die Aneignung von serbischem Privat- oder Staatseigentum. Der »Sunday Telegraph« berichtet: »Obwohl von der Nato zur Abgabe der Waffen aufgefordert, hat die UCK eine ›Übergangsregierung‹ gebildet und die Kontrolle über Regierungsgebäude und -unternehmungen übernommen. Den ethnischen Albanern wird geholfen, Cafés, Bars und kleine Geschäfte zu übernehmen, die vorher Serben und Roma besessen hatten. Eine Übernahme beginnt gewöhnlich mit einem Schild an der Tür, auf dem ›UCK-Besitz, betreten verboten‹ steht. Nach ein paar Tagen zieht ein neuer albanischer Eigentümer ein.« Auch die Betriebe der Energie- und Kohleindustrie wechseln zur Zeit unter Gewaltandrohung die Besitzer.

So wird die Provinz, deren Verbleib im jugoslawischen Staatsverbund im Waffenstillstandsabkommen völkerrechtlich zugesichert worden war, auch ökonomisch von Tag zu Tag mehr albanisiert. Da beim Stabilitätsgipfel in Sarajevo jede Zusammenarbeit mit Belgrad ausgeschlossen wurde, haben die Aufbauhelfer vor Ort schon aus rein praktischen Gründen keine Alternative zur Zusammenarbeit mit den UCK-Offiziellen. Als etwa die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John Ende Juli aus Prizren zurückkam, hatte sie einen schönen Plan: »Unsere Verwaltung (in Berlin) könnte Hilfestellung geben, eine Art Management, wie eine Stadt- oder Dorfverwaltung funktionieren kann.« Zur Vorklärung hatte sie mit dem UN-Repräsentanten in Prizren und »einem hohen Vertreter der von der UCK eingesetzten Stadtverwaltung« gesprochen. John: »Ich hoffe sehr, daß beide Institutionen zusammenarbeiten.«

Blutsbrüder als Geschäftsleute

Die hocheffiziente internationale Vernetzung der Albaner-Gangs mit ihren Niederlassungen in allen Teilen Kontinentaleuropas, einzelnen Zweigen selbst in Großbritannien und den USA und schließlich einem alles kontrollierenden Zentrum früher in Nordalbanien, seit kurzem im Kosovo, basiert auf der Großfamilie, dem Clan. »Wie dick der Saft ist, der im ›Blutbaum‹ fließt, zeigt ein vor allem in gebirgigen Regionen Albaniens und des Kosovo verbreitetes Denken in Abstammungskategorien. Männer können in der Regel ihre Linien bis ins 7., manchmal gar bis ins 15. Glied verfolgen ... Getragen von den männlichen Mitgliedern der Sippe, ergibt sich ein Wir-Gefühl, das bei der Emigration in die vom Individualismus gezeichnete Außenwelt ein beträchtliches Potential darstellt. Eine typische Balkanfamilie hat heutzutage 60 Angehörige, bisweilen kommen noch 150 Verwandte zusammen. Verstärkt noch durch Allianzen mit Nachbarn und Freunden sind solche Beziehungsgeflechte, sofern sie sich in kriminelle Netzwerke einfügen, eine nahezu ideale Basis« (»Spiegel« 31/99). Die Überlegenheit des Clan-Prinzips machte nicht nur der serbischen, sondern auch der deutschen Polizei zu schaffen: Festgenommene Kosovo-Mafiosi nehmen lieber hohe Haftstrafen in Kauf, als gegen ihre Gang auszusagen; das Einschmuggeln von V-Leuten ist fast aussichtslos, denn »innerhalb der Führungsebene (werden) keine Angehörigen anderer Nationen geduldet« (ebenda).

So verdienstvoll die »Spiegel«-Reportage in der Darstellung dieses Clan-Archipels ist - während des Krieges ist derlei wohl mit Bedacht nicht gedruckt worden, da die Totalidentifikation mit den als bloße Opfer stilisierten Kosovaren nicht erschüttert werden sollte -, so falsch - und an dieser und nur an dieser Stelle auch potentiell rassistisch - ist es, wenn Augsteins Redakteure da lediglich »Relikte einer archaischen Stammesgesellschaft« erkennen wollen. Denn die Kriminalität vieler Albaner resultiert nicht aus einer ontologischen Konstante, sondern aus einer gesellschaftlichen Variablen: Es war der Einbruch des hochmodernen Kapitalismus in eine staatssozialistische Gesellschaft, die diese innerhalb weniger Jahre in jene wilde Barbarei zurückstürzen ließ, die von Karl May noch treffender als von Karl Marx beschrieben worden ist.

Selbst das Regime Enver Hodschas bedeutete für die Bevölkerung einen historischen Fortschritt insofern, als das Mittelalter und die Macht der Clans zurückgedrängt wurden. Staatliche Beschäftigungsgarantie und ein ausgebautes Sozialsystem ermöglichtem jedem und jeder eine individuelle Lebensführung unabhängig von der Großfamilie. Archaische Riten und religiöser Aberglaube waren in jeder Form untersagt. Nach dem Zusammenbruch des Systems lebten alte Sitten wie das Schleiertragen und die Blutrache wieder auf. Zwischen 1990 und 1995 - während die Weltöffentlichkeit die »Scheinwerfer auf das Kosovo« (Kinkel) gerichtet hielt - forderte im benachbarten Albanien die Blutrache nach Auskünften von Menschenrechtsgruppen 5.000 Opfer. Innerhalb weniger Monate nach dem Systemwechsel mußten fast alle Industriebetriebe in Albanien schließen, da sie teurer produzierten als die über den Weltmarkt ins Land drängende Konkurrenz. Der totale Absturz wurde 1992 durch das UN-Embargo gegenüber Jugoslawien noch hinausgezögert: Die Abschottung der jugoslawischen Außengrenzen eröffnete für die entstehende albanische Mafia die Möglichkeit zum groß angelegten Schmuggel vor allem von Öl und Benzin, der so erwirtschaftete Profit war die Grundlage windiger Anlagegesellschaften, der sogenannten »Pyramiden«, deren Anteilsscheine als fiktives Kapital Konsum und Dienstleistungssektor stimulierten. Mit dem Waffenstillstand von Dayton Ende 1995 und der Lockerung des Embargos gegen Jugoslawien wurde der Schmuggelökonomie der Boden entzogen, die »Pyramiden« stürzten zusammen, Zehntausende kleiner Anleger verloren ihr Sparvermögen (vgl. »Drogen und Deutschmark«, KONKRET 3/99). In dieser Situation wurde die Bandenbildung, die 1991/92 nur von einer kleinen Minderheit praktiziert worden war, zu einem Massenphänomen: Schlagartig war nun klar, daß es für Albanien nicht einmal mehr den Hauch einer volkswirtschaftlichen Chance geben würde. Was lag also näher, als sich eine der 650.000 beim Sturm auf die Kasernen 1997 erbeuteten Waffen zu besorgen und sein Glück mit dem Verkauf von Heroin oder Mädchen zu versuchen? Diese beiden Exportartikel - und nicht das von Rainer Trampert und Jutta Ditfurth beschworene kaspische Öl oder die von Michel Chossudovsky angepriesenen Kohle- und Chrom-Vorkommen - sind offensichtlich die einzigen Rohstoffe, die Europa aus dem Balkan noch haben will - aber auch nur, wenn sie billiger angeboten werden als von den türkischen oder russischen Rivalen. In diesem wie in jedem anderen Konkurrenzkampf siegt die Firma, die ihrem Personal am wenigsten zahlt und es dennoch zu Höchstleistungen motivieren kann - der Clan und der Stamm, die sich durch den Appell an gemeinsame Abstammung (»gemeinsames Blut«) die Loyalität noch der entferntesten Verwandten sichern.

Kapitalismus als Bedrohung für den Westen

Während der prosperierende Kapitalismus das Individuum aus allen traditionellen Bindungen - Volk, Religion, Clan - löst, bewirkt der kontrahierende Kapitalismus deren Wiederbelebung. Auf der verbrannten Erde der Marktwirtschaft zerfallen die modernen Formen der Vergesellschaftung, und es beginnt die Herrschaft der Banden. Diese, je nach Region ethnisch oder religiös kostümiert, sichern sich ihren Unterhalt jenseits der Warenproduktion mit Raub, Schmuggel und Wegelagerei: In Afghanistan und Somalia, Tschetschenien und Liberia, Kolumbien und Angola, schließlich in ganz Zentralafrika entlang des Kongos und rund um die Großen Seen herrscht Mad Max.

Der Kapitalismus, der auch nach der Kapitulation des Sowjetblocks den Appetit noch nicht verloren hat, verschlingt nun seine eigenen Geschöpfe: die Nationalstaaten, beginnend mit den unbotmäßigen, die sich den Schutzmächten des Weltmarktes USA und BRD nicht bedingungslos unterwerfen wollen. Doch erst mit der Zerstörung der vermeintlichen Schurkenstaaten entstehen barbarische Bewegungen, die nicht nur in ihrem angestammten Einflußbereich, sondern auch in den Metropolen Schrecken verbreiten: Da in den Modernisierungsruinen von Grosny und Tirana nichts mehr zu holen ist, müssen die Einheimischen nach Berlin und Brüssel kommen, um ihren Schnitt zu machen. Als Geschäftsleute sind die mafiösen Neokapitalisten so skrupellos, weil sie die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht kennen, die sich in der atlantischen wie in der sowjetischen Zivilisation (in je unterschiedlichem Mischungsverhältnis) als Korrektiv zum bloßen Macht- und Gewinnstreben erhalten haben. Angesichts von Figuren wie Bin Laden wünscht man sich im State Department wohl schon den gemütlichen Nadschibullah zurück, und in nicht allzu ferner Zeit wird man auch dem berechenbaren Milosevic nachtrauern.

Kurzfristig ist es für die kapitalistischen Großmächte dennoch sinnvoll, daß sie der albanischen Mafia das unfriendly takeover des Kosovo ermöglicht haben: In Pristina, der gesetzlosesten Stadt der westlichen Hemisphäre, wird nun das von Hamburg bis Saloniki geraubte Schmutzgeld zusammenkommen und auch den entfernten Verwandten der Gangster in Tirana und Skoder einen bescheidenen Wohlstand ermöglichen. So wird nicht weiter auffallen, daß das europäische und amerikanische Kapital keinerlei Interesse daran hat, in dieser Region zu investieren oder gar uneigennützig die angerichteten Zerstörungen zu beseitigen. In einigen Jahren wird es im Kosovo dann sogar wieder eine Polizei und Zollbeamte mit blitzsauberen Uniformen geben - mit Drogengeldern bezahlt und von der UCK ausgebildet. Und während die Stoßtrupps der Banden schon den nächsten Brückenkopf erobern - vielleicht Mazedonien, vielleicht die Goldküste, vielleicht Kalabrien - wird die Journaille ins Schwärmen geraten: vom albanischen Wirtschaftswunder, das doch - wie weiland das deutsche - erst durch den Sieg über einen Hitler und durch einen großzügigen Marshallplan ermöglicht worden sei.

konkret Heft 9/99 

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