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LESEPROBE aus der antifaschistischen
Zeitschrift
DER RECHTE RAND Nr. 54 Sept./Okt. 1998
David Novak
Auf absteigendem Ast
Das "Thule-" und das
"Nordland-Netz" auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit
Nazis in Datennetzen - ein Thema, welches immer wieder gern und
oft von bürgerlichen bis Antifa-Medien aufgegriffen wird. Es sollte also eigentlich genug
darüber geschrieben worden sein. Weil aber sowohl viel Unsinn geschrieben wurde und wird,
bzw. alte Geschichten und Halbwahrheiten stets dankbar wieder aufgegriffen werden, soll
dieser Artikel einen aktuellen Stand über die Aktivitäten der Nazis in den Datennetzen
vermitteln
Vor allem in den letzten Monaten hat es einige richtungsweisende
Entwicklungen gegeben. Um diese zu verstehen, muß mensch die Geschichte brauner Netze
kennen. Deshalb zuerst ein kurzer Rückblick. Für ein tiefergehendes Studium der Materie
sei auf die zahlreichen Veröffentlichungen, u.a. in dieser Zeitung, verwiesen.
Bevor es etwa 1992/93 zur Gründung des "Thule-Netzes" gekommen
war,
versuchten einige Nazis, darunter auch der spätere Betreiber der
"Widerstand"-Mailbox im "Thule-Netz", Thomas Hetzer, in den damaligen
Mailboxnetzen, u.a. auch im linken "Comlink-Netz" (CL-Netz), propagandistisch
tätig zu werden. Der mäßige Erfolg war letztlich einer der
Anstöße zur Gründung des "Thule-Netzes".
Bereits vorher gab es vereinzelte Nazi-Mailboxen, welche mit der Gründung
des "Thule-Netzes" nach dem Vorbild des CL-Netzes, zusammengeschlossen wurden.
Allerdings erreichte das "Thule-Netz" zu keiner Zeit den Umfang seines
Vorbildes, weder was die Anzahl der Benutzer noch die Zahl der Mailboxen angeht. Zu seinen
Spitzenzeiten dürften im "Thule-Netz" kaum mehr als 300 Nutzer in insgesamt
nicht mehr als 20 Mailboxen vertreten gewesen sein. Anders, als oft behauptet, waren
darunter nur wenige Führungskader der Naziszene. Selbst wenn es irgendwann einmal das
Ziel gewesen sein mag, so etwas wie ein Kommunikationsmedium für die Koordination der
deutschen Naziszene zu schaffen, so wurde bis heute dieses Ziel nicht einmal annähernd
erreicht. Auch die sogenannten internen Bereiche konnten nicht halten, was viele (linke)
Verschwörungstheorien behaupteten. Vielmehr waren im "Thule-Netz" eher die
"Computer-Freaks" der rechten Szene vertreten. Praktisch von Anfang an herrschte
ein, für Nazis typ isches, Klima aus persönlichen Ego-Trips und anhaltenden Intrigen.
Dies hatte zur Folge, daß
einige Mailboxbetreiber das "Thule-Netz" relativ schnell wieder verließen. Ein
Beispiel dafür war André Völkel alias "Tristan", der als einer der Ersten das
Netz verließ und später Selbstmord beging, nachdem er von seinen Kameraden unter Druck
gesetzt wurde.
Später, im Jahre 1997, wurde das "Thule-Netz" durch das
Auftauchen von
Thekla Kosche erneut auf eine harte Probe gestellt. Ihr Erscheinen brachte
angestaute Konflikte zum Ausbruch, welche letztendlich zur Spaltung des
"Thule-Netzes" und Gründung des "Nordland-Netzes" führte. Beide
Netze
entwickelten sich von da an unterschiedlich, auch deshalb weil beide Fraktionen
unterschiedliche Ansprüche an ein rechtes Netzwerk stellten. Das "Thule-Netz"
machte im alten Trott weiter, inhaltlich ging es wie schon in den vergangenen Jahren mehr
oder weniger steil bergab. Zwischenzeitlich war ein Niveau erreicht, welches eine
inhaltliche Diskussion unmöglich machte. Zum größten Teil wurden Texte aus anderen
Medien, hauptsächlich dem CL-Netz und der Boulevardpresse, eingespielt und kommentiert.
Anders lief es dagegen im "Nordland-Netz". Durch den wesentlich
kleineren Kreis an Nutzern und sehr rigider Zugangsbeschränkung war das
Diskussionsniveau deutlich höher. Hier wurden anfangs sogar auch inhaltliche, vor allem
theoretische Diskussionen geführt. Obwohl auch hier
die Idee von der umfassenden Vernetzung der rechten Kader gerade mal in Ansätzen zu
erkennen ist, konnte sie doch mehr umgesetzt werde, als dies im "Thule-Netz" je
gelungen war. Trotzdem konnte mit steigender Nutzerzahl ein kontinuierliches Absinken des
Diskussionsniveaus festgestellt werden.
Mittlerweile liegt das Niveau ungefähr auf dem des
"Thule-Netzes" vor etwa ein bis zwei Jahren, also auch nicht besonders hoch. Zur
Zeit besitzt das "Nordland-Netz" etwa 30 aktive Nutzer und offiziell drei
angeschlossene Mailboxen. Das sind die "Asgard"-Mailbox,
"Störtebecker"-Mailbox und die "Fontane"-Mailbox. Die
"Elias"-Mailbox von Jürgen Jost wechselte schon vor längerer Zeit zurück zum
"Thule-Netz". Allerdings ist die "Fontane"-Mailbox bislang lediglich
angekündigt worden, weshalb zu vermuten ist, daß diese Mailbox überhaupt nicht
angeschlossen ist. Ähnlich sieht es mit der "Störtebecker"-Mailbox aus; diese
ist im Frühjahr 1998 von der Bildfläche verschwunden, nachdem sie zuvor nach einer
Razzia noch für einige Wochen in Betrieb war. Im Klartext heißt dies, das gesamte
"Nordland-Netz" besteht derzeit gerade mal aus einer einzigen funktionierenden
Mailbox ("Asgard"-Mailbox).
Nicht besser, sondern eher schlechter, sieht es im "Thule-Netz"
aus. Schon
früher gab es die eine oder andere Razzia mit Beschlagnahme der Mailboxen, was das
"Thule-Netz" aber kaum erschüttern konnte. Erst als tragende Systeme wie die
"Janus"-Mailbox vom Netz genommen wurden, waren die Auswirkungen bedeutender.
Der wohl schwerste Schlag war die Aufgabe der zentralen Mailbox "Widerstand"
durch den Betreiber Thomas Hetzer. Dies hat den Verfall des "Thule-Netz"es
rasant beschleunigt.
Kurze Zeit später ging auch die "Elias"-Mailbox von Jürgen
Jost vom Netz,
die kurzzeitig an das "Nordland-Netz" angeschlossen war. Die Mailbox wurde von
ihrem Betreiber ohne Ankündigung vom Netz genommen, was zu einiger Verwirrung und
Spekulationen seitens der restlichen Nutzer führte. In der Tat merkwürdig war das
Verhalten Josts, der praktisch über Nacht alle Brücken abbrach. Weder die Nutzer seiner
Mailbox noch das restliche "Thule-Netz" wurden vorher oder nachher informiert.
Sogar sein Telefon hat er abgemeldet. Er war sozusagen plötzlich verschwunden.
Seltsamerweise gab es trotz dieser, im "Thule-Netz" bisher einmaligen Umstände,
so gut wie keine Diskussion über Josts Verhalten. Statt dessen wurden Gerüchte gestreut,
zum Beispiel, daß Jürgen Jost die Telefonrechnung nicht bezahlt hätte. Dazu stehen aber
einige Äußerungen verschiedener "Thule-Netz"-Nutzer nicht, z.B. von
NPD-Funktionär Ernst Marschall, der von "Lug und Trug" sprach.
Wahrscheinlicher dürfte eher eine andere Version sein: Schon lange hält
sich innerhalb der rechten Szene das Gerücht, Jürgen Jost würde für den
Verfassungsschutz (VS) arbeiten. Als Grund wird beispielsweise seine recht milde
Verurteilung, nachdem bei einer Hausdurchsuchung auf seiner Mailbox zahlreiche
Hitlerbildchen und dergleichen gefunden wurden, oft benannt. Auch die bei der Razzia
beschlagnahmten Sachen bekam er ungewöhnlich schnell zurück. Ob er schon vor der
Hausdurchsuchung für den Verfassungsschutz arbeitete, oder ob erst die Razzia zur
Anwerbung genutzt wurde, bleibt offen. Sein Weg innerhalb des "Thule-Netzes" und
im späteren "Nordland-Netz" ist ebenfalls eher ungewöhnlich. Er gehörte zu
den ersten
Betreibern einer Mailbox im "Thule-Netz", ist sozusagen ein Urgestein
rechter Vernetzungsversuche. Trotzdem wurde ihm immer wieder gerüchteweise eine
Tätigkeit für den VS nachgesagt. Er blieb stets unter den anderen Betreibern des
"Thule-Netzes" umstritten. Sein späteres Interes se an Thekla Kosche und dem
"Nordland-Netz" kann eigentlich nur durch das Interesse einer
"übergeordneten Instanz" erklärt werden, stehen die politischen Ansichten und
Arbeitsweisen von Kosche doch total im Gegensatz zu dem, was Jost über die Jahre
vertreten hat. Das "Nordland-Netz" gründete sich seiner Zeit nach heftigen
Streit im "Thule-Netz". Die "Elias"-Mailbox von Jost, die
"Asgard"- und "Störtebecker"-Mailbox wurden vom restlichen
"Thule-Netz" abgeklemmt und bildeten daraufhin zusammen das
"Nordland-Netz". Jost blieb dort allerdings nur wenige Monate, dann wechselte er
zurück in das "Thule-Netz". Offensichtlich fehlte es auch den Betreibern des
"Nordland-Netzes" an Vertrauen zu Jost, der stets die Ansicht eines
"offenen Bürgernetzes" vertrat und auch antifaschistischen Menschen Zugang
verschaffte. Sein Verständnis von Vernetzungsarbeit paßte offensichtlich nicht in das
Bild eines "Hochsicherheitsnetzes". Nach Kosche
sollten nur Nazis, die persönlich den Betreibern bekannt sind, Zugang in das Netz
bekommen. Nach Josts Rückzug aus dem "Nordland-Netz" und der Tatsache, daß das
"Thule-Netz" nach wie vor ein äußerst dürftiges Niveau hat, könnte es sein,
daß der VS sein Interesse an Jost verloren hat und die Zahlungen an ihn eingestellt
wurden. Dies würde auch seinen plötzlichen Rückzug erklären.
Da beide Nazinetze mittlerweile nur noch aus jeweils einer Mailbox
bestehen, gab es von Seiten des "Nordland-Netzes" mehrere Vorstöße zur
Wiedervereinigung, allerdings zu den Bedingungen von Thekla Kosche, was vom restlichen
"Thule-Netz" prompt abgelehnt wurde. So werden wohl beide Nazinetze auch in
Zukunft getrennt bleiben und vor sich hindümpeln. Politisch muß man die Reste der beiden
Nazinetze als untergeordnet bis bedeutungslos einstufen. Weder "Thule"- noch
"Nordland-Netz" sind derzeit in der Lage, auch nur eine teilweise Vernetzung
wesentlicher Teile der Naziszene umzusetzen. Im Gegenteil, durch die kleinlichen
Streitereien wurden die Gräben noch tiefer. Eigentlich kommunizieren in den beiden Netzen
nur noch Leute, die auch so miteinander Kontakt haben. Von einem Kontakt-, Vernetzungs-
und Propagandamedium kann nicht mehr die Rede sein. Eine Vernetzung findet praktisch kaum
noch statt und für ein Propagandamedium fehlt einfach das Publikum. Als Fazit kann gesagt
werden, daß Projekt Nazinetz ist als solches gescheitert ist, und es sieht auch nicht
danach aus, als ob sich daran in Zukunft viel ändern wird.
Andererseits haben die Nazis das Internet für sich entdeckt. Schon vor
einer ganzen Weile haben sowohl das "Thule"- als auch das
"Nordland-Netz" eine Verbindung zum Internet eingerichtet, um neue Nutzer zu
werben. Allerdings sind beide Projekte damit kläglich gescheitert. Statt Diskussionen
präsentiert man sich im Internet nur noch mit eigenen Homepages, die zudem ständig
völlig veraltete Nachrichten enthalten. Homepages sind aber nur ein einseitiges
Propagandamedium und nicht für eine Kommunikation zwischen Anbieter und Leser geeignet.
Der von dem ehemaligen "Janus-BBS"-Betreiber Rolf Kottcke gestartete Versuch,
mit technischen Mitteln das "Thule-Mailbox-Netz" auch über das Internet
zugänglich zu machen, wurde im April 98 nach kurzer Erprobungsphase eingestellt. Offenbar
hatte man bemerkt, daß man aus der zahlreichen "Laufkundschaft" im Internet
nicht in nennenswertem Umfang neue "Thule-Netz"-Teilnehmer rekrutieren konnte
und diese keineswegs das Potential boten, um das weitere Absinken der politischen
Bedeutung des Netzes zu verhindern. Es scheint sich zu bestätigen, daß die hohen
Leserzahlen der "Thule"-Internet-Seiten lediglich ein Nachbeben jener
zahlreichen Veröffentlichungen waren, mit denen bürgerliche Medien Mitte der 90er das
"Thule-Netz" der Öffentlichkeit bekanntgemacht haben. Zudem haben in den
vergangenen zwei Jahren immer mehr Nazis, sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen und
Organisationen, Webseiten in Betrieb genommen, so daß heute das gesamte braune Spektrum
über der World Wide Web abgerufen werden kann. Wenn dies auch gelegentlich als
brandaktuelle Erkenntnis der Sicherheitsbehörden durch die Sonntagsartikel geistert, so
sollte es eigentlich vor dem Hintergrund, daß sich das Informationsvolumen des WWW alle
150 Tage verdoppelt, wenig verwundern, da es als eine Nebenerscheinung der sprunghaft
wachsenden Popularität des Internet bewertet werden kann, in dem mittlerweile fast jeder
vertreten ist, der mit geringem Aufwand eine vergleichsweise gro ße Öffentlichkeit
erreichen will.
Die faschistischen Webseiten sind ein reines Propagandamedium, da eine
Kommunikation zwischen Anbieter und Nutzer nur eingeschränkt möglich ist, und dienen
primär der Selbstdarstellung. Ihre Inhalte und die Eintragungen in den Gästebüchern
legen den Schluß nahe, daß es sich hierbei um ein Symptom einer gesellschaftlichen
Rechtsentwicklung handelt, die sich mit der Ausbreitung des Internet auch dort bemerkbar
macht. Die These, daß es sich hierbei um eine logistische oder technische Chance für
faschistische Drahtzieher handeln könnte, ist derzeit durch nichts haltbar. Versuche, das
Medium Internet als Ersatz für, z.B. aufgrund polizeilicher Eingriffe oder finanzieller
Schwierigkeiten angeschlagene faschistische Veröffentlichungen, zu nutzen, blieben
vereinzelt und haben es lediglich auf den ersten Blick leichter, mittels einer
durchgestylten Webseite ihre Schwierigkeiten weniger leicht erkennbar zu machen, so z.B.
die "Berlin-Brandenburger-Zeitung" (BBZ), die nach den Verhaftungen von
Christian Wendt und Frank Schwerdt im Prinzip vor sich hin vegetiert.
Trotzdem, oder gerade deshalb, konzentriert sich rechtsradikale
Online-Propaganda zum größten Teil auf solche Webseiten. Ein Ersatz, für
die einst vom "Thule-" und später vom "Nordland-Netz" geplante
faschistische Vernetzung, oder gar ein Motor faschistischer Entwicklung, läßt sich hier
jedoch nicht erkennen. |