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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998

From oliver-gassner@bigfoot.com


PRESSEINFORMATION

Pegasus'98 Internet-Wettbewerb: Teilnehmer ziehen ihre Beiträge zurück

ARD-ONLINE HÄLT LINKS FÜR POTENTIELL STRAFBAR


Großen Ärger beim diesjährigen Internet-Wettbewerb von ZEIT, ARD-online, Radio Bremen und IBM verursachte die restriktive Rechtsauffassung von ARD-Online, nach der Betreiber einer Website für alle Links, die sich auf ihrer Website befinden, strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können.

Einige Teilnehmer haben aus Protest gegen diese, bisher von keinem deutschen Gericht geteilte, Rechtsauffassung ihre Wettbewerbsbeiträge zurückgezogen oder erst gar nicht eingereicht. Weitere Teilnehmer drohten damit, den Wettbewerb ebenfalls zu boykottieren, wenn diese Auffassung nicht revidiert wird. Da die Internet-Autoren die Freiheit des Internets und damit ihre Arbeitsmöglichkeiten als Web-Autoren durch eine Kriminalisierung von Links bedroht sehen, protestieren sie nun mit einer Unterschriftenliste gegen die Ansichten der Wettbewerbs-Betreiber. Der Protestaufruf der Autoren befindet sich auf der Homepage der Mailingliste Netzliteratur, dem Diskussionsforum der deutschen Netz-Autoren, das Sven Stillich, Preisträger des ersten Internet-Literaturwettbewerbs der ZEIT 1996, ins Leben gerufen hat.

http://www.netzliteratur.de/aufruf 

Der Anlaß für die Proteste war zunächst ziemlich unbedeutend. In einem Internet-Diskussionsforum des Wettbewerbs wurde eine technische Funktion abgeschaltet, so daß man den dortigen Links nicht mehr mit einem Mausklick folgen konnte. Als nach dem Grund für das Abschalten gefragt wurde, antwortete Dr. Hermann Rothermund, der Leiter von ARD-Online: "Die beiden am Wettbewerb beteiligten Partner ARD online und Radio Bremen müssen sich an eine Rechtsauslegung halten, nach der der Betreiber einer Website auch für die auf ihr zu findenden Links verantwortlich ist. Dieser Auffassung müssen wir folgen, unabhängig von unserer persönlichen Auffassung."

Claudia Klinger aus Berlin, die ihren Beitrag zurückgezogen hat, sagt: "Wenn sich die Rechtsauffassung von ARD-online auch bei deutschen Gerichten durchsetzt, kann niemand mehr das Risiko tragen, eine Suchmaschine zu betreiben, denn irgendwo auf einer der Millionen angelinkter Seiten, könnte sich ein strafbarer Inhalt befinden. Kein Betreiber einer privaten Homepage könnte mehr Links auf fremde Internetseiten setzen, ohne sie jeden Tag von einer Schar Rechtsanwälte kontrollieren zu lassen." Oliver Gassner aus Vaihingen, einer der Preisträger im letzten Jahr, der eine große Linksammlung zu literarischen Angeboten im Internet verwaltet, hat darauf verzichtet, seinen Beitrag einzureichen und begründet dies so: "Was beim Pegasus'98 passiert, ist absurdes Theater. Das, wofür ich im letzten Jahr ausgezeichnet wurde, nämlich rund 500 Links auf fremde Angebote zu setzen, das ist nun in den Augen der Veranstalter potentiell strafbar. Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, muß ich mein Angebot vom Netz nehmen."

Von der eigenwilligen Rechtsauslegung hat sich bisher erst einer der Mit-Veranstalter zaghaft distanziert. So schrieb Parvin Sadigh von der ZEIT im Internetforum des Wettbewerbs: "Es ist aus Sicht der "ZEIT im Internet" nicht notwendig, das Forum aus rechtlichen Bedenken "linkfrei" zu halten." Die übrigen Veranstalter und Sponsoren, IBM, Radio Bremen und das ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe schweigen bisher.

Gesellschaftspolitisch gefährlich ist die Haltung von ARD-online insbesondere deshalb, weil die deutschen Gerichte sich in einer schwierigen Lage befinden. Die Richter müssen nach Gesetzen urteilen, die lange vor der Entstehung des Internets formuliert wurden. Um im Falle eines Falles zu einem Urteil zu kommen, werden die Richter daher auch die "gängige Praxis" betrachten und sich fragen: Wie verhalten sich bekannte und seriöse Internet-Anbieter, wie z.B. eine öffentlich-rechtliche Institution wie die ARD? Und das hätte dann fatale Folgen, die man nicht verharmlosen sollte. Wenn sich die deutsche Rechtsprechung die übertrieben restriktive Haltung von ARD-online zu eigen macht, ist das Internet faktisch tot.

LINKS ZUM THEMA

Protestaufruf: http://www.netzliteratur.de/aufruf  
Pegasus98: http://www.pegasus98.de/indexp.htm  
Forum des Wettbewerbs:
http://www.pegasus98.de/cgi-bin/Ultimate.cgi?action=intro  
Urteil AG Berlin-Tiergarten: http://www.netlaw.de/urteile/agb_1.htm  
Urteil LG Hamburg: http://www.netlaw.de/urteile/lghh_6.htm  
Urteil AG München:
http://www.jura.uni-wuerzburg.de/lst/sieber/somm/somm-urteil.pdf  
Hintergrundinformationen:
http://www.snafu.de/~klinger/bericht/freelink.htm  
Offener Brief an H. Rotermund: http://hyperfiction.de  
Freedom for Links: http://192.41.48.33/hering/welcome.htm  
David Hudson: Germany's Internet Angst
http://www.wired.com/news/news/email/other/politics/story/12884.html  

WORTERKLÄRUNG: WAS IST EIN LINK

Ein Link in einem Internet-Dokument ist ein Verweis auf ein anderes Dokument im World Wide Web. Dieses Dokument kann sich auf einem weit entfernten Rechner irgendwo auf der Welt befinden. Mit einem Mausklick auf den Link ist es hier und jetzt verfügbar und wird im Internetbrowser dargestellt. So können weltweit verteilte Informationen überall interessierten Menschen zur Verfügung gestellt werden. Fast jede Homepage hat daher eine Rubrik mit dem Namen: meine Lieblings-Links.

Das Wesentliche am World Wide Web sind nicht die Millionen der dort verfügbaren Dokumente und Programme, sondern deren Verbindung untereinander durch Links. Erst die Links sorgen für eine lebendige und sinnvolle Selbstorganisation des Internets. Kein zentraler Rechner könnte die große Anzahl der Internetseiten überblicken und kontrollieren. Und das würde auch dem demokratischen Geist des Internets widersprechen. Das Internet macht es möglich, per Mausklick durch ein lebendiges, vielfältiges und weltweit zugängliches Netz von Informationen, Meinungen und Angeboten zu surfen.

Wenn man allein schon für einen Link auf fremde Seiten für den fremden Inhalt haftet, wäre dies der Tod des Internets. Suchmaschinen, die nichts anderes sind als gigantische Linksammlungen müßten abgeschaltet werden. Aus dem lebendigen Netz vieler engagierter Anbieter würden isolierte Inseln, die zwischen den kommerziellen Angeboten großer Unternehmen untergingen.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Business Kommunikation Telefon 0212 / 2 33 14 83
Jan Ulrich Hasecke Telefax 0212 / 2 33 14 84 Goldstrasse 8 email: juh@pironet.de  42697 Solingen http://www.koeln.netsurf.de/~JanUlrich.Hasecke  
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