TREND Serie zum 200. Geburtstag

Karl Marx und Friedrich Engels über proletarische Konspiration

von Fritz Austen

09/2020

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Für Marx und Engels war die proletari­sche Konspiration ein unmittelbares Erfor­dernis des revolutionären Kampfes der Ar­beiterbewegung und nicht ein seiner selbst wegen zu lösendes theoretisches Problem. Aus der Sicht der zu diesem Problem erst be­gonnenen Analyse ihres Gesamtwerkes und ihrer Teilnahme am revolutionären Klassen­kampf des Proletariats zeigt sich bereits, daß Marx und Engels das klassenmäßige Ver­hältnis des Proletariats zur Konspiration so­wohl theoretisch begründeten als dieses auch in die Arbeiterbewegung trugen und es im Klassenkampf selbst verwirklichten. Aus der Bewußtheit, mit der der konspirative Kampf durch die Arbeiterklasse als Bestand­teil ihres Klassenkampfes geführt wird, erge­ben sich alle Wesenszüge der proletarischen Konspiration. Auf das Ringen um diese Be­wußtheit im konspirativen Kampf lassen sich damit zugleich alle entscheidenden Leh­ren und Erfahrungen bei der Handhabung der Konspiration durch die organisierte re­volutionäre Arbeiterklasse zurückführen. Die letztendlich aus ihrer Stellung im Pro­duktionsprozeß objektiv erwachsende revo­mung mit den objektiven Interessen aller ar­beitenden Klassen und Schichten. Die An­wendung der Konspiration als Waffe im Klassenkampf durch die Arbeiterklasse be­sitzt eine qualitativ neue gesellschaftliche Legitimation. Folgerichtig bekennt sich die Arbeiterklasse offen gegenüber der alten Ge­sellschaft nicht nur zum Ziel ihres Kampfes, sondern auch zu den „dabei anzuwendenden Mitteln und Methoden des Kampfes"(39) ein­schließlich der nur ihr eigenen Art und Weise des konspirativen Kampfes. Als Ende 1852 mit dem Kommunistenpro­zeß dem deutschen Publikum eine angeblich kommunistische Verschwörung dargeboten werden sollte, umriß deshalb Marx die Stel­lung des Bundes zur Konspiration mit den bereits einleitend zitierten Worten.(40) An­knüpfend an diese grundsätzliche Charakte­risierung legte er 1870 in der „Proklamation des Generalrats der IAA über die Verfol­gung der Mitglieder der französischen Sek­tion" die unverwechselbar eigene Art des konspirativen Kampfes des Proletariats in folgenden Worten nieder: „Wenn die Arbei­terklasse konspiriert, die die große Masse je­der Nation bildet, die allen Reichtum er­zeugt und in deren Namen selbst die usur­pierenden Gewalten vorgeben zu regieren, so konspiriert sie öffentlich, wie die Sonne gegen die Finsternis konspiriert, in dem vol­len Bewußtsein, daß außerhalb ihres Berei­ches keine legitime Macht besteht."(41) Die von Marx 1852 sowie 1870 formulierten Stellungnahmen sind Bestätigung dafür, daß die von Wolff und Schapper 1847 in der „Kommunistischen Zeitschrift" vorgenom­mene Charakterisierung der Notwendigkeit und des Zieles des Einsatzes konspirativer Formen, Mittel, Methoden und Verhaltens­weisen im Kamnf des Proletariats zur Erfüllung seiner historischen Mission tatsächlich charakteristische und wesensbestimmende Seiten der proletarischen Konspiration be­traf.

Marx und Engels sahen 1847/48 das Wesen der vom Proletariat als politischer Klasse ge­prägten Art und Weise des Konspirierens -der proletarischen Konspiration (42) — darin, daß das revolutionäre Proletariat, zunächst sein fortgeschrittenster Teil, jener aus dem Grundwiderspruch der kapitalistischen Ge­sellschaftsformation erwachsenden und im Klassenkampf hervortretenden objektiven Notwendigkeit entspricht, überkommene konspirative Formen, Mittel, Methoden und Verhaltensweisen selbst qualitativ zu erneu­ern und weiterzuentwickeln, indem diese im Kampf gegen die Bourgeoisie mit Bewußt­heit und damit stets zur Verwirklichung der historischen Mission des Proletariats einge­setzt werden. Damit ist die proletarische Konspiration als Bestandteil des Klassen­kampfes der Arbeiterklasse gegen die Bour­geoisie die dialektische Negation jeglicher Verschwörungen und ein objektiv notwendi­ges Mittel zur Organisierung der von ihrem Wesen her öffentlich revolutionären Mas­senbewegung des Proletariats. Sie ist dieser grundsätzlich verpflichtet und dient dem Ziel der Beseitigung jeglicher Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Gemäß dem objektiv erreichten Entwick­lungsstand der Arbeiterbewegung 1847/48 und der gegen die Arbeiterklasse angewand­ten Repressivmaßnahmen, erfolgte der Ein­satz konspirativer Formen, Mittel, Metho­den und Verhaltensweisen im revolutionären Kampf des Bundes der Kommunisten ent­sprechend der kommunistischen Moral und mit dem Ziel, das Proletariat als die revolu­tionäre Klasse der letzten Ausbeutergesell­schaft zu organisieren und politisch zu for­mieren - die subjektiven Voraussetzungen für den Sturz der kapitalistischen Gesell­schaftsordnung zu schaffen. Ihr konspirati­ver Kampf war erstmals in der Geschichte des Klassenkampfes auf die Aktivierung der arbeitenden Massen gerichtet, als diejenige Kraft, die eine von jeglicher Ausbeutung freie kommunistische Gesellschaftsforma­tion zu errichten befähigt ist.

 

Anmerkungen

39) F. Engels an F. Wiesen, 14. März 1893. In: MEW, Bd. 39, S. 46.

40) Vgl. K. Marx: Enthüllungen über den Kommunistenprozeß in Köln. In: MEGA I/11 S. 419/420.

41) K. Marx: (Proklamation des Generalrats ...). In: MEW, Bd. 16, S. 422.

42) Diese neue Qualität des konspirativen Kampfes der organisierten revolutionären Arbeiterbewegung unter Führung ihrer marxistischen Partei läßt sich nicht mit dem deutschen Wort Verschwörung (oder dem franzö­sischen Wort Konspiration) ausdrücken, sondern wi­derspricht diesem direkt. Zur Abgrenzung und Her­vorhebung dieser neuen Qualität in der Anwendung konspirativer Formen, Mittel, Methoden und Verhal­tensweisen und damit zur Kennzeichnung der nur dem Proletariat eigenen Anwendungsweise dieser Art und Weise des Klassenkampfes wird der Begriff „proletarische Konspiration" verwandt (vgl. F. Engels: Vorwort zur englischen Ausgabe [des Kapitals]. In: MEW, Bd. 23, S. 37).

Editorischer Hinweis

Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen Leseauszug aus: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 4-88, Berlin, 1988, 30. Jahrgang, S. 462-464