Kommentare zum Zeitgeschehen

‚Wirtschaftsweise‘, IG Metall, Klimakrise und soziale Frage

von assoziation.info - August '19

09/2019

trend
onlinezeitung

Weil dieser Kaffee hier stinkt
Und weil er scheiße schmeckt
Und Greenwashing Gewalt nicht löst
Sondern versteckt
An Märkte glauben bis zum Mond
(Pascow)

Von ‚Fridays for Future‘ vor sich hergetrieben hat so ziemlich jede Partei und politische Strömung seit dem Frühsommer ein Klimapapier vorgelegt. Da wundert es nicht, dass sich nun mit dem ‚Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung‘ (besser bekannt unter dem Euphemismus ‚Wirtschaftsweise‘) und der IG Metall zwei äußerst einflussreiche Player der Bundespolitik zu Wort bzw. im letzteren Falle sogar zur Tat melden.

Die ‚Wirtschaftsweisen‘ machen es sich dabei so einfach, dass man heulen möchte. „Die aktuelle Debatte bietet die historische Chance, die kleinteilige, teure und ineffiziente deutsche Klimapolitik so umzustellen, dass die Bepreisung von CO2 im Zentrum steht“ heißt es einleitend und inhaltlich auch schon abschließend vom Vorsitzenden des Sachverständigenrates. Kernpunkt ist dabei der europäische Emissionshandel (EU-ETS), also der Versuch, CO2-Ausstoß über die Ausgabe gehandelter Zertifikate einen Preis zu geben (‚Bepreisung‘). Really? Die Idee für die ETS gibt es bereits seit Anfang der 1990er Jahre. Nach 10 Jahren hartem Verhandeln sind sie seit 2005 auf dem Markt. Aber seither haben sie rein gar nichts gebracht. Faktisch ist seither klimatechnisch alles viel schlimmer geworden. Aber – so unsere Marktversteher – wenn man an diesen ETS jetzt nur noch ein bisschen weiter schraubt soll alles gelöst sein. Tatsächlich meinen die ‚Weisen‘ das ernst, sonst könnten sie kaum hinterherposaunen: „Nicht sinnvoll ist es, über die europäisch vereinbarten Ziele hinaus weitere nationale oder gar sektorale Ziele anzustreben“.

Da bleibt einem die Spucke weg. Wir verglühen gerade mal wieder in einem weiteren Hitzesommer und jeder, der etwas drüber nachdenkt, kommt darauf, dass es die Marktgesellschaft – der Markt, das Streben nach dem nächsten Geldgewinn – ist, welche(r) uns diese Probleme eingebrockt hat. Und nun soll ausgerechnet der Markt diese Probleme lösen? Sonst nichts? Der Elternmörder der vor Gericht mildernde Umstände beansprucht, da er schließlich Vollwaise sei, ist harmlos gegen die ‚Wirtschaftsweisen‘. An Märkte glauben bis zum Mond…

Einzig erwähnenswert in dem an Marktgläubigkeit nicht zu toppenden zweiseitigen Papier ist noch der letzte Punkt: „Für eine Akzeptanz in der Bevölkerung sollten die staatlichen Einnahmen zurückverteilt werden. Dies kann etwa über eine pauschale Rückgabe je Einwohner oder eine Senkung der Stromsteuer gestaltet werden“. Woher diese Weisheit? Was muss denn ‚Wirtschaftsweise‘ eine „Akzeptanz in der Bevölkerung“ kümmern? Nun ja, vermutlich wäre ihnen diese relativ gleichgültig, wären da nicht letztes Jahr in Frankreich die ‚Gelbwesten‘ (franz.: Mouvement des Gilets jaunes) auf den Plan getreten. Tatsächlich hatten sich unter diesem Namen zunächst Proteste von Abgehängten und Prekarisierten formiert, um gegen eine höhere Besteuerung fossiler Kraftstoffe zu protestieren und dabei ganz schön Rabatz gemacht. In Frankreich waren es immerhin die heftigsten Proteste seit 1968 und kurzzeitig sah es sogar so aus, als könne der Protest dauerhaft über die Landesgrenze hinwegschwappen. Ein einseitiges Abwälzen der Kosten für eine ökologische Wende auf dem Rücken der Lohnabhängigen hat – zumindest in Frankreich – also einen sehr engen Rahmen. Die Angst vor einer Gelbwestenbewegung in Deutschland sitzt hier so manchem im Nacken und das ist tatsächlich interessant.

Und die IG Metall? Die hat am 29.06.2019 in Berlin immerhin 50.000 Menschen auf die Beine gebracht, welche bundesweit mit zehn Sonderzügen und 800 Bussen in die Hauptstadt reisten. Tenor: „Viele Branchen und Betriebe stehen bereits jetzt unter großem Veränderungsdruck. Beispiel Automobilindustrie: Dort häufen sich die Negativmeldungen. Gestrichene Schichten, gedrosselte Produktion, Entlassungen. Der Trend geht zum E-Auto – Zulieferer, die auf Verbrennungsmotoren spezialisiert sind, haben zu kämpfen. Gleichzeitig kommt die Verkehrswende nicht voran: Es fehlt an Ladeinfrastruktur für E-Autos, am Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Auch in vielen anderen Branchen herrscht Unsicherheit. Die Einschläge treffen uns in immer kürzeren Abständen. […] Wir wollen, dass beim notwendigen ökologischen Umbau der Industrie niemand auf der Strecke bleibt. Wir wollen, dass der Wandel gelingt – und dass aus technologischem Fortschritt sozialer Fortschritt für alle wird“.

Dieses Anliegen ist zunächst einmal sehr spannend. Die (potentiellen) Verlierer sollen nicht wie in Frankreich gegen eine ökologische Modernisierung aufbegehren, sondern von dieser profitieren. „Die Transformation soll aus technischem Fortschritt sozialen Fortschritt machen“ denn, „Ökologie und Soziales dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“. Mit letzterer Feststellung steht eine Kernfrage der künftigen politischen Entwicklung im Raum. Denn tatsächlich war es ein Grundproblem der alten Ökologiebewegung, dass sie fast ausschließlich aus den produktionsfernen, wohlsituierten Mittelschichten kam. Die Frage nach der Ökologie ist bei ihnen auf eine Frage des individuellen Konsums reduziert worden, die stets auch mit einer enormen sozialen Arroganz daherkam. Letztere war schon immer nicht nur formal, sondern auch inhaltlich fehl am Platz, denn die „teuren Bioprodukte und eine penible Mülltrennung gleichen die großen Wohnungen und Fernreisen der ‚bewussten‘ besserverdienenden Teile der Bevölkerung nicht aus. Die ökologische Frage ist in erster Linie eine gesamtgesellschaftliche und keine des individuellen Verhaltens“ (Goodbye Kapital, Broistedt/Hofmann 2019). Hier wird meist Wasser gepredigt und Wein getrunken und dabei tatsächlich Ökologie gegen Soziales ausgespielt. Sicherlich einer der Gründe für den gesellschaftlichen Backlash, in dem plötzlich das Leugnen des menschengemachten Klimawandels in Mode kam. Nicht die Idiotie an der Oberfläche sondern die sozialen Ängste darunter sind hier entscheidend. Tatsächlich dürfte es wenigen Menschen Spaß machen im Kohleabbau beschäftigt zu sein. Wenn sie sich trotzdem daran klammern, dann doch nur, weil sie keinerlei andere Perspektive sehen.

Aus diesem Grund ist es bemerkenswert, dass die IG Metall nun mit der eigenen Basis ein Klientel für eine ökologische Wende mobilisiert, das man der Tendenz nach eher den ‚Gelbwesten‘ zugeordnet hätte. Dabei ist es der IGM bei ihrer Aktion sogar gelungen, Umweltschutzorganisationen mit einzubeziehen. Auch die Stoßrichtung ihrer Forderungen klingt zunächst spannend. Statt individuellem Verzicht und Tugend bei der Konsumtion wird der Blick zunächst einmal auf die Produktion gelenkt: „Wir wollen keine Zieldebatten mehr, sondern endlich konkrete Maßnahmen. Ganz dringend ist zum Beispiel eine flächendeckende und verlässliche Infrastruktur von Schnellladestationen […]. Daneben sind massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und die Schiene notwendig“.

Was das Zusammendenken von Ökologie und Ökonomie angeht, könnte man frohlocken. Indes trübt sich die Freude, wenn man bedenkt, was hier mit ‚Investitionen‘ gemeint ist. Denn „[m]it einer Politik der schwarzen Null ist die Verkehrs- und Energiewende nicht zu schaffen“.

Worum es hier geht, ist von den Gedankengängen der ‚Wirtschaftsweisen‘ leider nicht so sehr entfernt, denn letztlich muss der Markt es richten. Nur eben nicht der ungezügelte, freie Markt sondern ein vom bürgerlichen Staat gelenkter Markt, der wieder vermehrt Schulden aufnehmen soll und sich deshalb nicht an die ’schwarze Null‘ klammern soll. Von ‚Vater Staat‘ auf die richtige Bahn gelenkt, erhofft man sich von den Unternehmen „Investitionen in neue Produkte und Geschäftsmodelle und die Sicherung von Standorten“. Wie in den Artikeln zu FFF, zum Green New Deal und zum Riexinger-Papier beschrieben1, ist das Grundproblem unserer Gesellschaft der objektive Zwang zur Profitmaximierung. Staatliche Lenkung, Einschränkungen und dergleichen ändern daran nichts und sind niemals die Lösung der Klimakrise. Die IG Metall aber klammert sich an die Marktgesellschaft wie ein Ertrinkender an den Strohalm und macht damit letztlich auch nur der Band Pascow die Ehre: An Märkte glauben bis zum Mond…

Und trotzdem. Von den objektiven Bedingungen – soziale Prekarisierung, Klimakrise, Klimabewegung und Gelbwesten – getrieben, mobilisiert die IG Metall ihre eigene Basis zusammen mit Ökoorganisationen auf die Straße. Theoretisch könnte hier der gordische Knoten zerschlagen werden, der die Gesellschaft in vermeintliche Gewinner und Verlierer spaltet. Das Problem besteht nur darin, dass diese Gesellschaft eben die entfaltete Marktgesellschaft ist. Eine Gesellschaft die immer nur auf den nächsten Geldgewinn schielt. Aber diese Gesellschaft entwickelt „nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter“ (Marx).

„Die Welt muss nicht nur klimafreundlicher, sondern auch gerechter werden. Es geht auch darum, die gesellschaftlichen Verhältnisse besser zu machen“, so Jasmin Gebhardt von der Jungen IG Metall. Damit hat sie sicherlich Recht. Aber innerhalb dieser auf Profitmaximierung basierenden Gesellschaft ist das leider nicht zu machen. Dabei ist die Lösung zum Greifen nahe: „Verkehrswende, Energiewende, Klimaschutz und Transformation der Industrie funktionieren nicht von alleine. Dafür braucht es einen Plan […]“. Sehr richtig! Aber dieser Plan muss eben ein Plan sein, der Marktverhältnisse überwindet und auf bedürfnisorientierte Produktion setzt. Ein rationaler Plan, der durch das Überwinden der Profitlogik die Basis legt für einen nachhaltigen und rationalem Umgang mit den endlichen Ressourcen der Natur. Für einen solchen Plan müsste sich allerdings tatsächlich die gesamte Gesellschaft umwälzen. Und eine solche Umwälzung kann nicht von oben oktroyiert werden, sondern muss sich von unten entwickeln. Für alle, die letzteres unterschreiben würden, müssten trotz aller Kritik sowohl ‚Fridays for Future‘ als auch die Entstehung der ‚Gelbwesten‘-Bewegung von höchstem Interesse sein. Denn wenn einmal mit den Dogmen eines wie auch immer gelenkten Marktes gebrochen wird, könnte ein Zusammenkommen der ökologischen Bewegungen mit den originär sozialen Bewegungen auf die alte Gesellschaft wirken wie das Zusammenspiel von Nitro und Glyzerin.

  • Zusendung durch die Autor*innen per Email am 13.8.2019

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