Sahra Wagenknechts Renditevorstellung
Vom konservativen zum reaktionären Bourgeoissozialismus

Kurze Doppelkritik von Richard Albrecht

09/2018

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I. Als ich diesertage ein Sommerinterview von Frau Doktor Sahra Wagenknecht nachlas, dachte ich auch an das, was der Dramatiker Carl Zuckmayer (1967) in einer seiner autobiographischen Rückschauen wehmütig als Lange Wege erinnerte. Um dem bekannten Aufschrei („Aussm Kontext gerissen“) zu begegnen, zitiere ich die Gesamtaussage Wagenknechts im Interview mit der Berliner Zeitung zur ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen in Ganzdeutschland[1].

Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, sagte dieser Zeitung zu den neusten Daten über die ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilungen in Ganzdeutschland:

Die regionale und tiefe Spaltung beim Wertpapiervermögen zeigt das eklatante Versagen der letzten Bundesregierungen bei der Schaffung gleicher Lebensverhältnisse und einer gerechten Verteilung des Reichtums. In Merkels Niedriglohnparadies Deutschland hat sogar jeder zweite Bürger kein Vermögen mehr und kann nichts ansparen, geschweige denn in Aktien investieren. Es ist nicht verwunderlich, dass überdurchschnittlich viele dieser ärmeren Menschen in strukturschwachen Regionen wie dem Saarland oder einigen ostdeutschen Bundesländern zu finden sind. […] Wir brauchen eine solide und soziale Politik in Deutschland und Europa, die seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle wieder möglich macht."

Nun ist weder Wagenknechts Für-alle-Formel noch ihre Zuwendung zum Leitkonzept Wohlstand für alle des CSU-Ideologen, Spitzenpolitikers, Alt-BRD-Wirtschaftsministers und -Bundeskanzlers Ludwig Erhardt vorgestern vom Himmel gefallen. Sondern ebenso bekannt wie ihre begrenzten Kenntnisse grundökonomischer und wirtschaftgeschichtlicher Zusammenhänge. Schon vor Jahren hieß es zusammenfassend zum Wagenknecht´schen Konzept Freiheit statt Kapitalismus (das Buch erschien 2011): „Schlußendlich propagiert SW eine nichtmonopolisierte Marktwirtschaft in Form Schumpeter´schen Sozialismus. Mit Euckens oder Müller-Armacks Modell des Neo- oder Ordoliberalismus oder Erhards ´Sozialer Marktwirtschaft´ kann das schon deshalb nicht zusammengehen, weil deren Wirtschaftleitbilder hauptsächlich entwickelt und praktiziert wurden, um sozialistische Bestrebungen zu hintertreiben.“[2]

Der Kern der neusten Wagenknecht´schen Forderung lautet: „Wir brauchen […] seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle.“

Das als politische Spitzenlinke derzeit zu fordern ist nicht nur der erneute Versuch, die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal zu lösen. Auch muß niemand in Wirtschaftswissenschaften promoviert haben, um die Unsinnigkeit dieser Aussage zu erkennen: Denn seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle sind im kapitalistischen System als Widerspruch in sich nicht möglich und im sozialistischen System nicht nötig.

Wagenknechts Forderung ist im Wortsinn politisch das, was wissenschaftliche Sozialisten seit Marx und Engels konservativen oder Bourgeoissozialismus nennen.

Auch deshalb fiel mir spontan zur Schöpferin oder Demiurgin der aktuellen Forderung nach seriösen und risikolosen Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle das alte Lied vom langen Weg, hier von radikal links über Mitte links nach Mitte rechts ein. Dieser verlief von der Kommunistischen Plattform in der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) über den Abgeordnetenstatus im Europaparlament (2004-2009) und in der Partei Die Linke (PDL) im Deutschen Bundestag (seit 2009), dort zuletzt (seit 2015) Fraktionsvorsitzende und dazu aktuell Initiatorin und Sprecherin der Netzinitiative #Aufstehen

II. Natürlich kenne auch ich das Wort Rendite. Auch wenn ich selbst anstatt von Renditen von Profiten spreche.

Das in den 1980er Jahren von Autor(inn)en der damaligen Berliner Akademie der Wissenschaften (der DDR) erarbeitete Etymologische Wörterbuch des Deutschen (dtv 1995³) kennt den Begriff Rendite nicht. Der Duden kennt ihn und spricht vom Ertrag einer Kapitalanlage. Gablers Wirtschaftslexikon verweist bei Rendite auf Rentabilität als Verhältnis einer Erfolgsgröße zum eingesetzten Kapital einer Rechnungsperiode. Die deutsch(sprachig)e Netzenzyklopädie Wikipedia bestimmt Rendite im Finanzwesen als der in Prozent eines Bezugswerts ausgedrückte Effektivzins, den ein Anleger bei Finanzprodukten oder ein Investor bei Investitionen innerhalb eines Jahres erzielt.[3] (Rendite meint rechnerisch den Quotienten des Verhältnisses von Gewinn zu investiertem Kapital: Würden 100 € am 1.1.2018 etwa bei einer Sparkasse oder Volksbank angelegt und erbrächten zum 31.12.2018 105 €, dann wäre der Effektivzins oder die Rendite 5:100 oder 5 Prozent.)

Das heißt: O h n e Kapital k e i n e Rendite. Das Entscheidende bei jeder Rendite ist Kapital. Und Kapital entsteht aus Mehrwert. Kapital ist "sich selbst verwertender Wert, Wert, der Wert gebiert."[4] Auch wenn es sich im Fall Wagenknecht nicht um weltweit anlagesuchendes großes Kapital, sondern um kleines ganzdeutsches Geldkapital handelt, so gibt es als Gemeinsamkeit diesen von Marx bündig herausgearbeiteten Charakter.

Im hier interessierenden Zusammenhang läßt sich Wagenknechts Kernaussage: Wir brauchen seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle als Anliegen derer, die genügend Geld haben, um es seriös und risikolos kapitalisieren zu lassen, verstehen. Wagenknechts kollektives Wir umfaßt hierzulande typischerweise Angehörige des oberen Teils der großen Mittelschicht: wirklich oder vermeintlich besser verdienende, auch wohlhabende und vermögende, Mittelschichtler.

Wenn es aber für diese Interessenten heuer und auch künftig jahrzehntelang in der Alt-Bundesrepublik des ´rheinischen Kapitalismus´ angebotene, als ´mündelsicher´ geltende, staatlich geförderte Geldanlageformen wie Kommunalobligationen oder (Bundes-) Schatzbriefe als seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle im finanzmarktbestimmten imperialen Kapitalismus dieser Neuen Einen Welt ökonomisch nicht mehr geben kann und nicht mehr geben wird, dann handelt es sich bei Wagenknechts politischer Forderung nicht mehr nur um konservativen, sondern um reaktionären Bourgeoissozialismus.

Fußnoten

[1] Interview Berliner Zeitung 3.8.2018: https://www.berliner-zeitung.de/politik/einkommen-und-vermoegen-osten-hinkt-westen-hinterher---keine-angleichung-in-sicht-31058162

[2] https://soziologieheute.wordpress.com/2011/05/28/sahra-wagenknecht/ [Wilma Ruth Albrecht: 280511]

[3] https://www.duden.de/suchen/dudenonline/rendite
https://de.wikipedia.org/wiki/Rendite
  https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/rentabilitaet-45028?redirectedfrom=Rendite

[4] Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses. Frankfurt/Main 1970 (Verlag Neue Kritik = Archiv sozialistischer Literatur 17): 84

Editorischer Hinweise:

Wir erhielten den Text vom Autor für die Ausgabe.

Dr. Richard Albrecht, PhD., Sozialwissenschaftler & Wissenschaftsjournalist. Leitkonzept The Utopian Paradigm (1991). Kolumnist des Linzer Fachmagazins soziologie heute; e-Post eingreifendes.denken@gmx.net