Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Leiharbeit in Frankreich
Mehr Lohn, doch weniger Sicherheit

9/2017

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Arbeitsverhältnisse, bei denen der oder die Lohnabhängige durch den jeweiligen Arbeitgeber gewerbsmäßig an Fremdfirmen überlassen oder „verliehen“ werden, heißen im Französischen travail temporaire (Zeitarbeit) oder travail intérimaire (ungefähr: vorläufige Arbeit). In der Hauptstadt Paris etwa reihen sich die Agenturen für Leiharbeit, oder agences d’intérim, vor allem im zehnten Bezirk in der Nähe des Nord- und des Ostbahnhofs dicht aneinander.

Wäre es nach den Linksparteien gegangen, dann würde diese Form abhängiger Arbeit heute nicht existieren. Seit ihrer Einführung in Frankreich im Jahr 1972 – ein Gesetz vom 3. Januar jenes Jahres beinhaltete ihrer Legalisierung - zählte es zu den historischen Versprechen sowohl der Sozialistischen als auch der Kommunistischen Partei, ihr Verbot herbeizuführen. Dies forderten damals auch die wichtigsten Gewerkschaften mit ihren Dachverbänden CGT und CFDT, die die Überlassungs-Unternehmen als „Sklavenhändler“ bezeichneten. Zehn Jahre später, nachdem einige Monate zuvor eine Linksregierung unter François Mitterrand und Pierre Mauroy ins Amt gekommen war, kam es zu einer gesetzlichen Reform der Leiharbeit. Ihre Abschaffung unterblieb jedoch.

Der gesetzliche Rahmen blieb seitdem im Wesentlichen derselbe. Einige Änderungen, die an den Gesetzesgrundlagen – derzeit Artikel L. 1251-1 fortfolgende im Arbeitsgesetzbuch oder Code du travail – vorgenommen wurden, ließen das Grundgerüst bestehen. Seit 2005 können Leiharbeitsverträge auch für eine Periode abgeschlossen werden, die länger ausfällt als die Überlassung an ein Fremdunternehmen. Der oder die Lohnabhängige kann mit der Leiharbeitsfirma einen befristeten oder auch unbefristeten Arbeitsvertrag – unabhängig von den Überlassungsperioden - eingehen. Während dessen Laufzeit liegt es am Leiharbeitsunternehmen, seine Arbeitskraft bei Dritten unterzubringen.

Betreffend die Arbeits- und die Vergütungsbedingungen gilt das Prinzip der generellen Gleichbehandlung mit so genannten Stamm-ArbeitnehmerInnen. Die Regel ist dabei wesentlich strenger für die Arbeitgeber als in Deutschland, wo etwa das Equal pay-Prinzip durch entgegen lautende Tarifverträge unterlaufen werden kann und, je nach Vorliegen eines Firmen- oder Flächentarifs, erst nach neun oder sechzehn Monaten wirklich greift. Eine solche Abdingbarkeit besteht in Frankreich nicht.

Ebenso trifft dies auf die Höchstüberlassungsdauer zu. In Deutschland beträgt diese achtzehn Monate, kann jedoch ebenfalls durch einen Tarifvertrag ausgehebelt werden – wie im April 2017 mit der IG Metall, zugunsten einer Überlassungsperiode von bis zu vier Jahren. In Frankreich kann die gesetzliche Überlassungsdauer nicht modifiziert werden. Diese beträgt bei den meisten Leiharbeitsverträgen – eine eventuelle Verlängerung eingeschlossen – achtzehn Monate. Im Falle des Wartens auf eine dauerhafte Einstellung liegt sie jedoch bei nur neun Monaten. Bei einem Arbeitsverhältnis auf ausländischem Boden oder Erfüllung eines „besonderen Exportauftrag“ beträgt sie 24 Monate. Ferner muss ein konkreter gesetzlicher Rechtfertigungsgrund etwa durch die Ersetzung erkrankter Arbeitskräfte, „vorübergehend erhöhten Arbeitsanfall“ oder durch den saisonbedingten Charakter der Beschäftigung – etwa bei Ernteeinsätzen – vorliegen.

Eine Aneinanderkettung von Leiharbeitsverträgen wird theoretisch dadurch verhindert, dass nach Ablauf des Vertrags eine Sperre für die Dauer von einem Drittel der Überlassungsperiode besteht: Während ihrer kann auf derselben Stelle keine andere Leiharbeitskraft beschäftigt werden. Umgegangen wird dies in der Praxis jedoch dadurch, dass formell ständig erkrankte oder ausfallende Lohnabhängige irgendwo im Unternehmen ersetzt werden, was einen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund darstellt. Theoretisch erfolgt dadurch ein Einsatz nicht auf demselben, sondern auf verschiedenen Arbeitsplätzen.

Das Hauptinteresse des Arbeitgebers, auf Leiharbeitskräfte zurückzugreifen, liegt nicht in unmittelbarer Kostenersparnis. Er kann das Equal pay-Prinzip theoretisch nicht umgeben und schuldet dem oder der Lohnabhängigen ferner eine „Prekaritäts-Entschädigung“ in Höhe von zehn Prozent des Gesamtlohns beim Auslaufen des Vertrags. Ferner ist es dem Arbeitgeber grundsätzlich verboten, im Arbeitskampffall Leiharbeitskräfte einzusetzen, um streikendes Personal zu ersetzen.

Das Interesse des Arbeitgebers liegt real vor allem darin, dass Leiharbeitskräfte über keine gesicherte berufliche Perspektive verfügen und deswegen – obwohl sie über das Streikrecht verfügen – nicht aufmucken werden; sondern alles tun, um eine eventuell Festanstellung nicht zu gefährden.

In der Praxis kommt es immer wieder zu „Missbräuchen“, die in einer Reihe von Fällen auch gerichtlich sanktioniert wurden. Ein „guter Kunde“ für die Arbeitsgerichte ist etwa die französische Post: Dieses im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Unternehmen wurde etwa seit 1996 immer wieder wegen illegalen Rückgriffs auf Leiharbeitskräfte zwecks Bekämpfung von Streikausfall verurteilt. Zuletzt im Mai 2017 in Nantes, im Hinblick auf einen Arbeitskampf von 2013. Verurteilt wegen Missbrauchs von Leiharbeitsverträgen, die in Serie hintereinandergeschaltet wurden, wurden auch größere Automobilkonzerne, wie PSA Peugeot-Citröen im Jahr 2004. Ferner wurden die drei französischen – und weltweiten – Branchenführer Manpower, Adecco und Vedior 2009 wegen illegaler Absprachen zu Geldbußen verdonnert, Manpower musste etwa 42 Millionen Euro berappen.

Frankreich gilt als „Vizeweltmeister“, was den Umfang seiner Leiharbeitsunternehmen betrifft. Zum Jahresende 2016 betrug die Zahl der Leiharbeitskräfte zwischen 700.000 und 750.000 und lag bei etwa 3,5 Prozent der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung. Die wichtigsten betroffenen Sektoren sind die Automobilbranche, Transportfirmen, der Bausektor sowie im Bereich des öffentlichen Diensts das Krankenhauswesen. Das Durchschnittsalter von Leiharbeitskräften war mit 27 Jahren ziemlich jung.

In Krisenzeiten werden vor allem die Leiharbeitskräfte als „Puffer“ benutzt, um das Stammpersonal vor Entlassungen zu schützen, indem den Erstgenannten zuvor gekündigt wird. So ging in der letzten akuten Rezessionsphase die Gesamtzahl der Leiharbeitskräfte zwischen Anfang 2008 und März 2009 um 35 Prozent zurück.

In näherer Zukunft könnte allerdings der Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge oder CDD (Contrat à durée déterminée) für die Arbeitgeber attraktiver werden, als Leiharbeitsverträge einzugehen. Bislang ähneln sich die Grundregeln für beide „Gattungen“ von prekären Arbeitsverträgen, die gesetzlichen Abschlussmotive waren etwa gleich gelagert. Doch im Laufe der derzeit anlaufenden Arbeitsrechts-„Reform“ soll es den Branchen ermöglicht werden, bei den befristeten Verträgen vom Gesetz abzuweichen und ihren Abschluss zu erleichtern. So soll von den gesetzlich vorgeschriebenen Sachgründen für die Befristung abgewichen werden können, und die Sperre für ein Drittel der Beschäftigungsperiode nach Auslaufen eines Vertrags soll aufgehoben werden können. Dadurch werden befristete Arbeitsverträge attraktiver gemacht, was auf Kosten der Leiharbeitsbranche gehen könnte – sofern diese nicht später ebenfalls im kapitalfreundlichen Sinne „reformiert“ wird.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Er ist die LANGfassung eines Artikels, welcher gekürzt am Montag, den 11. September 17 in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ publiziert wurde.