Arbeitsverhältnisse, bei denen der oder die
Lohnabhängige durch den jeweiligen Arbeitgeber
gewerbsmäßig an Fremdfirmen überlassen oder
„verliehen“ werden, heißen im Französischen
travail temporaire (Zeitarbeit) oder
travail intérimaire (ungefähr: vorläufige
Arbeit). In der Hauptstadt Paris etwa reihen sich
die Agenturen für Leiharbeit, oder agences
d’intérim, vor allem im zehnten Bezirk in
der Nähe des Nord- und des Ostbahnhofs dicht
aneinander.
Wäre es nach den
Linksparteien gegangen, dann würde diese Form
abhängiger Arbeit heute nicht existieren. Seit
ihrer Einführung in Frankreich im Jahr 1972 – ein
Gesetz vom 3. Januar jenes Jahres beinhaltete ihrer
Legalisierung - zählte es zu den historischen
Versprechen sowohl der Sozialistischen als auch der
Kommunistischen Partei, ihr Verbot herbeizuführen.
Dies forderten damals auch die wichtigsten
Gewerkschaften mit ihren Dachverbänden CGT und
CFDT, die die Überlassungs-Unternehmen als
„Sklavenhändler“ bezeichneten. Zehn Jahre später,
nachdem einige Monate zuvor eine Linksregierung
unter François Mitterrand und Pierre Mauroy ins Amt
gekommen war, kam es zu einer gesetzlichen Reform
der Leiharbeit. Ihre Abschaffung unterblieb jedoch.
Der gesetzliche Rahmen blieb seitdem im
Wesentlichen derselbe. Einige Änderungen, die an
den Gesetzesgrundlagen – derzeit Artikel L. 1251-1
fortfolgende im Arbeitsgesetzbuch oder Code
du travail – vorgenommen wurden, ließen das
Grundgerüst bestehen. Seit 2005 können
Leiharbeitsverträge auch für eine Periode
abgeschlossen werden, die länger ausfällt als die
Überlassung an ein Fremdunternehmen. Der oder die
Lohnabhängige kann mit der Leiharbeitsfirma einen
befristeten oder auch unbefristeten Arbeitsvertrag
– unabhängig von den Überlassungsperioden -
eingehen. Während dessen Laufzeit liegt es am
Leiharbeitsunternehmen, seine Arbeitskraft bei
Dritten unterzubringen.
Betreffend die Arbeits- und die
Vergütungsbedingungen gilt das Prinzip der
generellen Gleichbehandlung mit so genannten
Stamm-ArbeitnehmerInnen. Die Regel ist dabei
wesentlich strenger für die Arbeitgeber als in
Deutschland, wo etwa das Equal pay-Prinzip
durch entgegen lautende Tarifverträge unterlaufen
werden kann und, je nach Vorliegen eines Firmen-
oder Flächentarifs, erst nach neun oder sechzehn
Monaten wirklich greift. Eine solche Abdingbarkeit
besteht in Frankreich nicht.
Ebenso trifft dies
auf die Höchstüberlassungsdauer zu. In Deutschland
beträgt diese achtzehn Monate, kann jedoch
ebenfalls durch einen Tarifvertrag ausgehebelt
werden – wie im April 2017 mit der IG Metall,
zugunsten einer Überlassungsperiode von bis zu vier
Jahren. In Frankreich kann die gesetzliche
Überlassungsdauer nicht modifiziert werden. Diese
beträgt bei den meisten Leiharbeitsverträgen – eine
eventuelle Verlängerung eingeschlossen – achtzehn
Monate. Im Falle des Wartens auf eine dauerhafte
Einstellung liegt sie jedoch bei nur neun Monaten.
Bei einem Arbeitsverhältnis auf ausländischem Boden
oder Erfüllung eines „besonderen Exportauftrag“
beträgt sie 24 Monate. Ferner muss ein konkreter
gesetzlicher Rechtfertigungsgrund etwa durch die
Ersetzung erkrankter Arbeitskräfte, „vorübergehend
erhöhten Arbeitsanfall“ oder durch den
saisonbedingten Charakter der Beschäftigung – etwa
bei Ernteeinsätzen – vorliegen.
Eine
Aneinanderkettung von Leiharbeitsverträgen wird
theoretisch dadurch verhindert, dass nach Ablauf
des Vertrags eine Sperre für die Dauer von einem
Drittel der Überlassungsperiode besteht: Während
ihrer kann auf derselben Stelle keine andere
Leiharbeitskraft beschäftigt werden. Umgegangen
wird dies in der Praxis jedoch dadurch, dass
formell ständig erkrankte oder ausfallende
Lohnabhängige irgendwo im Unternehmen ersetzt
werden, was einen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund
darstellt. Theoretisch erfolgt dadurch ein Einsatz
nicht auf demselben, sondern auf verschiedenen
Arbeitsplätzen.
Das Hauptinteresse des Arbeitgebers, auf
Leiharbeitskräfte zurückzugreifen, liegt nicht in
unmittelbarer Kostenersparnis. Er kann das
Equal pay-Prinzip theoretisch nicht umgeben
und schuldet dem oder der Lohnabhängigen ferner
eine „Prekaritäts-Entschädigung“ in Höhe von zehn
Prozent des Gesamtlohns beim Auslaufen des
Vertrags. Ferner ist es dem Arbeitgeber
grundsätzlich verboten, im Arbeitskampffall
Leiharbeitskräfte einzusetzen, um streikendes
Personal zu ersetzen.
Das Interesse des
Arbeitgebers liegt real vor allem darin, dass
Leiharbeitskräfte über keine gesicherte berufliche
Perspektive verfügen und deswegen – obwohl sie über
das Streikrecht verfügen – nicht aufmucken werden;
sondern alles tun, um eine eventuell Festanstellung
nicht zu gefährden.
In
der Praxis kommt es immer wieder zu „Missbräuchen“,
die in einer Reihe von Fällen auch gerichtlich
sanktioniert wurden. Ein „guter Kunde“ für die
Arbeitsgerichte ist etwa die französische Post:
Dieses im Besitz der öffentlichen Hand befindliche
Unternehmen wurde etwa seit 1996 immer wieder wegen
illegalen Rückgriffs auf Leiharbeitskräfte zwecks
Bekämpfung von Streikausfall verurteilt. Zuletzt im
Mai 2017 in Nantes, im Hinblick auf einen
Arbeitskampf von 2013. Verurteilt wegen Missbrauchs
von Leiharbeitsverträgen, die in Serie
hintereinandergeschaltet wurden, wurden auch größere
Automobilkonzerne, wie PSA Peugeot-Citröen im Jahr
2004. Ferner wurden die drei französischen – und
weltweiten – Branchenführer Manpower, Adecco und
Vedior 2009 wegen illegaler Absprachen zu Geldbußen
verdonnert, Manpower musste etwa 42 Millionen Euro
berappen.
Frankreich gilt als
„Vizeweltmeister“, was den Umfang seiner
Leiharbeitsunternehmen betrifft. Zum Jahresende
2016 betrug die Zahl der Leiharbeitskräfte zwischen
700.000 und 750.000 und lag bei etwa 3,5 Prozent
der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung. Die
wichtigsten betroffenen Sektoren sind die
Automobilbranche, Transportfirmen, der Bausektor
sowie im Bereich des öffentlichen Diensts das
Krankenhauswesen. Das Durchschnittsalter von
Leiharbeitskräften war mit 27 Jahren ziemlich jung.
In Krisenzeiten
werden vor allem die Leiharbeitskräfte als „Puffer“
benutzt, um das Stammpersonal vor Entlassungen zu
schützen, indem den Erstgenannten zuvor gekündigt
wird. So ging in der letzten akuten Rezessionsphase
die Gesamtzahl der Leiharbeitskräfte zwischen
Anfang 2008 und März 2009 um 35 Prozent zurück.
In
näherer Zukunft könnte allerdings der Rückgriff auf
befristete Arbeitsverträge oder CDD (Contrat
à durée déterminée) für die Arbeitgeber
attraktiver werden, als Leiharbeitsverträge
einzugehen. Bislang ähneln sich die Grundregeln für
beide „Gattungen“ von prekären Arbeitsverträgen,
die gesetzlichen Abschlussmotive waren etwa gleich
gelagert. Doch im Laufe der derzeit anlaufenden
Arbeitsrechts-„Reform“ soll es den Branchen
ermöglicht werden, bei den befristeten Verträgen
vom Gesetz abzuweichen und ihren Abschluss zu
erleichtern. So soll von den gesetzlich
vorgeschriebenen Sachgründen für die Befristung
abgewichen werden können, und die Sperre für ein
Drittel der Beschäftigungsperiode nach Auslaufen
eines Vertrags soll aufgehoben werden können.
Dadurch werden befristete Arbeitsverträge
attraktiver gemacht, was auf Kosten der
Leiharbeitsbranche gehen könnte – sofern diese
nicht später ebenfalls im kapitalfreundlichen Sinne
„reformiert“ wird.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Er ist die LANGfassung eines Artikels,
welcher gekürzt am Montag, den 11. September 17
in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’
publiziert wurde.
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