Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Presseskandal oder Staatsaffäre?
Zwei Journalist(inn)en werden mitten in Paris wegen „Erpressung“ gegen den marokkanischen Monarchen festgenommen....

09/2015

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Das ist kein Journalismus mehr, das ist Gangstertum!“, schrieb der prominente marokkanischstämmige Autor Tahar Ben Jelloun, der in Frankreich schriftstellerisch tätig ist, am Abend des 30. August 15 in einer Onlinezeitung in Marokko. „Wir sind in eine Falle gelockt worden!“ verteidigen sich dagegen die solcherart Angegriffen, der französische Journalist Eric Laurent und seine Kollegin Catherine Graciet, in verschiedenen Medien ihres Landes. Was ist passiert, dass derart laute Töne angeschlagen werden?

Am 27. August dieses Jahres wurden die beiden Medienschaffenden, auf dem Bücher- respektive Zeitungsmarkt keine Unbekannten, am Ausgang eines Pariser Luxushotels (Le Royal Monceau) durch französische Beamte verhaftet und in zweitägigen Polizeigewahrsam genommen. Seitdem läuft ein Strafverfahren gegen sie, unter dem Vorwurf der „Erpressung“. Das – nicht gerade als unbedarft geltende, geschweige denn untadelige - Opfer dieser Straftat soll angeblich das marokkanische Königshaus geworden sein. Begangen wurde sie demnach, folgt man den Ermittlern, durch die Drohung mit einem empfindlichen Übel, in Gestalt der Veröffentlichung eines Enthüllungsbuchs, um auf diese Weise Gelder zu erpressen.

In dem Zusammenhang stellen sich allerdings noch offene Fragen , die etwa ihr Anwalt William Bourdon zu Recht aufwirft (vgl. zu seiner Argumentation bspw. http://www.jeuneafrique.com ).

Etwa kennt das französische Strafrecht einen doppelten Tatbestand der Erpressung: die extorsion des fonds, welche auf der Androhung von Gewaltanwendung beruht, und den – mit anderen Mitteln erfolgenden – chantage (Anm.: männlich). Beide setzen allerdings voraus, dass ein Bereicherungsinteresse vorliegt, was hier auch tatsächlich der Fall sein dürfte; aber auch, dass das angedrohte Übel selbst rechtswidrig ist. Wer nur androht, ein ihm oder ihr zustehendes Recht wahrzunehmen, beispielsweise bei Ausbleiben einer gerechtfertigten Entschädigung eine Strafanzeige zu stellen, handelt nicht „erpresserisch“ in diesem Sinne. Worin allerdings in diesem Falle das rechtswidrige, strafwürdige Mittel liegen soll, mit welchem gedroht wurde, ist nicht ersichtlich. Es wird vielmehr der Anschein erweckt, als handelten die französische Polizei und Justiz hier in vorauseilendem Gehorsam für die Interessen eines monarchisch-mafiösen Regimes, wie es in Marokko herrscht. Was allerdings nicht zum ersten Mal festzustellen wäre. Denkwürdig bleibt das spurlose Verschwinden des damaligen marokkanischen Oppositionsführers Mehdi Ben Barka im Jahr 1965 mitten in Paris, auf dem Boulevard Saint-Germain. Als er zum letzten Mal gesehen wurde, nahmen französische Polizisten ihn mit, aber auch marokkanische Nachrichtendienstler waren am Ort des Geschehens zugegen. Ben Barka tauchte nie wieder auf, der französische Justizapparat verschleppte über Jahrzehnte sämtliche Ermittlungen. Die „Staatsräson“ und zwischenstaatliche Beziehungen gingen, und gehen?, offenkundig über alles oder jedenfalls über Leichen.

Unschuldig an dem, was ihnen geschieht, sind Laurent und Graciet allerdings nicht. Denn so viel steht fest, weil sie selbst es einräumen: Beide trafen erstmals am 11. August einen Emissär des marokkanischen Regimes, den mit allen Wassern gewaschenen Wirtschaftsanwalt Hicham Naciri, der hauptberuflich für eine anglo-amerikanische Kanzlei tätig ist und mächtige Interessen wahrzunehmen versteht. Naciri fertigte einen Mitschnitt des Gesprächs auf seinem Mobiltelefon an, dessen Wortlaut am 30. August d.J. die Pariser Sonntagszeitung JDD veröffentlichte. Darin hört man Eric Laurent sagen: „Ich will drei.“ Gegenfrage: „Drei was? 3.000 Euro? Oder Dirham?“ Worauf der Journalist antwortet: „Ich will drei Millionen Euro.“ Was in dem Gespräch zuvor gesagt wurde, ist jedoch nicht zu hören. Inzwischen rÄumte die ermittelnde Polizeibehörde gegenüber der liberalen Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ ein, der Audiomitschnitt sei teilweise frisiert. Zwar fielen die fraglichen Worte unstreitig, doch seien, so die Ermittler, andere Passagen aus dem Mitschnitt entfernt worden. Es ist also sehr gut möglich, ja wahrscheinlich, dass Emissäre des Regimes zuerst die Rede aufs Geld brachten – und der Franzose und die Französin danach ihrerseits einwilligten. Am 27. August 15 sollte ein vereinbarter Folgetermin stattfinden. Aber dieses Mal lagen am vereinbarten Treffpunkt Polizisten auf der Lauer. Nach der Übergabe von 80.000 Euro „Anzahlung“ kam es zur Verhaftung.

Sowohl Laurent als Graciet räumen in der Öffentlichkeit ein, dass sie bereit gewesen seien, in Gegenleistung für die Zahlung auf die Veröffentlichung eines Buches mit kritischem Inhalt über das marokkanische Regime zu verzichten. Laurent spricht von einer „Versuchung“, in welche er geführt worden sei, und seine Kollegin klagt sich einer „Schwäche“ an. Allerdings versuchte Laurent in manchen Interviews – etwa bei RTL – auch, sich herauszureden, indem er behauptete, auch gute inhaltliche Gründe für den Verzicht auf dieses Buchprojekt gehabt zu haben: Es sei möglicherweise dazu geeignet gewesen, die marokkanische Monarchie zu „destabilisieren“ und dadurch wiederum Islamisten zu befördern. Ein Argument, das sich mit einem Vorwurf des marokkanischen Regimes trifft. Selbiges witterte hinter dem Buchprojekt seinerseits einen „Destabilisierungsversuchs“ zugunsten einer, namentlich nicht bezeichneten, „terroristischen Organisation“.

Dessen Erscheinen war für 2016 geplant, wurde jedoch am 31. August 15 nun durch den Verleger Le Seuil aus seinem Verlagsprogramm geworfen, weil er infolge der Affäre „keine Vertrauensbasis mehr“ mit den beiden AutorInnen sieht. Auf solche Weise eine Bereitschaft zu erklären, Informationen, welche für die internationale Öffentlichkeit interessant sein können, gegen Geld zu unterdrücken, ist unter dem Gesichtspunkt der journalistischen Ethik her hochgradig bedenklich. Eine Straftat ist es hingegen wohl kaum, denn weder die Veröffentlichung noch die Nichtpublikation eines Buches sind illegal.

Laurent und Graciet haben sich dabei jedoch im günstigsten Falle dämlich & dümmlich verhalten. Beide mussten ungefähr wissen, wie die marokkanische – angeblich „aufgeklärte“ – Despotie funktioniert. Eric Laurent hatte in den neunziger Jahren ein Buch zum faktischen Lobpreis des damaligen Königs Hassan II., des ungleich tyrannischer auftretenden Vaters und Vorgängers des heutigen Monarchen Mohammed IV., auf der Basis von Interviews mit ihm verfasst. Es fiel gänzlich unkritisch aus. Hingegen arbeitete Graciet in den 2000er Jahren längere Zeit für demokratisch ausgerichtete marokkanische Oppositionsmedien. Beide zusammen gaben 2012 ein Buch heraus, das die Mechanismen schildert, mit denen die marokkanische Königsfamilie sich wirtschaftliche Vorteile auf Kosten nahezu ihrer gesamten Bevölkerung verschafft. Das jetzige Buchvorhaben sollte dazu eine Fortsetzung darstellen.

Wird das geplante Werk, nachdem es nun vom Verlag gecancelet worden ist, im kommenden Jahr umsonst der interessierten Öffentlichkeit via Internet zur Verfügung gestellt worden, wie ein Leserbriefschreiber in Le Monde hofft? Diese Annahme dürfte wohl übertrieben optimistisch ausfallen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Bericht vom Autor für diese Ausgabe.

Eine gekürzte Fassung erschien am 10.9.2015  zuerst in der Rubrik ,Medien’ der WoZ (Wochenzeitung) in Zürich.