Die Bodenreform - eine exemplarische Aufbaumaßnahme
Leseauszug aus: Drei Jahre Wiederaufbau in Deutschland

von Max Fechner

09/2015

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Die Betrachtung der konkreten Aufbaumaßnahmen in den zurückliegen­den drei Jahren zeigt klar, in welchen Teilen Deutschlands neue fortschritt­liche und demokratische Wege beschritten wurden und wo die Interessen der in- und ausländischen Reaktion dem deutschen Volke aufgezwungen werden sollen. Dafür einige Beispiele:

Die Bodenreform

Durch die im Herbst 1945 durchgeführte demokratische Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone wurde der feudale Großgrundbesitz als ein Hauptträger des deutschen Militarismus wirtschaftlich entmachtet. Rund drei Millionen Hektar Land mit 1 972 000 ha landwirtschaftlicher An­baufläche wurden an landlose Siedlungsbewerber, landarme Bauern, Um­siedler und landwirtschaftliche Arbeiter als Eigentum vergeben. Unter den 472 000 Personen mit 1,679 Millionen Familienangehörigen, die in den Ge­nuß der Landzuteilung gelangten, befinden sich allein 204 000 Neubauern. Ueber 10 000 Betriebe der Großgrundbesitzer und Kriegsverbrecher wurden aufgeteilt und verschwanden aus dem Dorfe. Durch die Bodenreform hat sich die soziale Struktur der Landbevölkerung und des Dorfes grundlegend geändert. Der bäuerliche Besitz in Größe von 5—20 Hektar überwiegt mit 48,5 Prozent des gesamten Bodens, während er früher noch nicht ein Drittel des Bodens ausmachte. Dieses große Reformwerk wurde von demo­kratisch zusammengesetzten Bodenreformkommissionen durchgeführt, in denen über 50 000 Personen, darunter die Vertreter der demokratischen Blockparteien, arbeiteten.

In Westdeutschland wurde die Bodenreform bisher nicht durchgeführt. Auch der Beschluß der vier Außenminister auf der Moskauer Konferenz im März 1947, die Bodenreform auch in den drei anderen Zonen bis zum 31. 12. 1947 zu beenden, hat daran nichts geändert. In der britischen Zone ist bis auf Schleswig-Holstein noch in keinem Lande das Gesetz der Boden­reform verabschiedet. Dagegen wurde der Gesetzentwurf des Landwirt­schaftsministers Arp, der eine konsequente Enteignung allen Großgrund­besitzes über 100 ha vorsah, von der britischen Besatzungsmacht abgelehnt. Der Minister mußte gehen. Dafür bietet die von dem britischen Befehls­haber ohne Anhören der demokratischen Organisationen am 4. 9. 1947 er­lassene Verordnung über Bodenreform den Großgrundbesitzern die Mög­lichkeit, den Boden, der über 150 ha oder über dem Einheitswert von 200 000 RM liegt, an ihre Familienangehörigen oder an die Großgrund­besitzer aufzuteilen, die aus der Ostzone geflüchtet sind.

In der amerikanischen Zone wurde am 31. 12. 1947 die sogenannte Bodenreform beendet und 34 000 ha von 360 Großgütern der Verwaltung des bayerischen Ernährungsministeriums unterstellt. Das bedeutet, daß bei einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von rund vier Millionen Hektar in Bayern 0,25 Prozent für die Umsiedler freigegeben wurden. Bei einer Fläche von fünf ha können noch nicht einmal 7000 Neubauern Arbeit und Brot finden. Der freiwillig abgegebene Boden muß den Großgrundbesitzern von den Steuerzahlern bezahlt werden.

Die Reaktion in Westdeutschland versucht, die Bodenreform mit dem Argument zu hintertreiben, daß bei dem geringen Großgrundbesitz in diesen Teilen Deutschlands eine Aufteilung überflüssig sei. Tatsächlich gibt es nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung von 1939 in den drei west­lichen Besatzungszonen insgesamt 14 501 Betriebe über 100 ha mit über sechs Millionen Hektar Land. Rechnet man den Waldbestand, Wiesen und die je 100 ha für die alten Besitzer ab, so verbleiben noch rund 1,3 Millionen Hektar Land, auf denen eine Viertelmillion Neubauern eine neue Heimat finden kann. Ebenso wie der Nazismus, der die 17 Millionen Hektar des feudalen Großgrundbesitzes unangetastet ließ und deshalb den berechtigten Anspruch der landarmen Bauern auf Boden mit Hilfe der lügnerischen Lebensraumtheorie für seinen räuberischen Krieg nach Osten benutzte, mit der gleichen Methode lenkt die Reaktion im Westen den Anspruch der Mil­lionen Umsiedler an die Großgrundbesitzer durch die provokatorische Hetze gegen die Ostvölker ab.

Die Bodenreform im Westen wurde bisher nicht durchgeführt, weil die bürgerlichen Parteien den Großgrundbesitz schützen, weil die Vertreter des Großgrundbesitzes in den Regierungen die Durchführung sabotieren und weil die Besatzungsmächte die Großgrundbesitzer im Verfolg ihrer imperia­listischen Politik brauchen. Dadurch ist eine Grundforderung für die Demo­kratisierung Deutschlands nicht erfüllt worden.

Aufbau der Landwirtschaft und Sicherung der Ernährung

Die schlechte Ernährungslage im Westen ist mit eine Folge der Sabotage der Bodenreform. Denn in den Westzonen gibt es ungefähr ebensoviel Ackerfläche je Kopf wie in der Ostzone. Auch die Behauptung, daß in Westdeutschland viel mehr Umsiedler leben, erklärt nicht die mangelhafte Versorgung der Bevölkerung. Nach dem Stand der Statistik vom 1.1. 1948 gab es in der sowjetisch besetzten Zone 4 333 000 Umsiedler, das heißt 40,6 Prozent aller Umsiedler in Deutschland. Zu der fehlenden Boden­reform kommen noch ein völlig ungenügendes Erfassungssystem und die Sabotage der Ablieferung durch den Großgrundbesitz hinzu. Es ist in den Westzonen noch nicht gelungen, die Ernährung der Bevölkerung durch einen geordneten Anbauplan und durch ein differenziertes Ablieferungssoll zu sichern. Das Speisekammergesetz und die Tatsache, daß über 1 1/2 Mil­lionen Schweine und viele hunderttausende Stück anderen Viehs der Er­fassung entgingen und auf den schwarzen Markt wanderten, Jeigen das Durcheinander in der Ernährungspolitik der Westzonen. Die übernommene lOOprozentige Erfassung des alten Reichsnährstandes, die obendrein noch bis vor kurzem durch diese nazistische Organisation erfolgte, hat völlig ver­sagt. Denn nicht mehr als 45 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte sind bei lOOprozentiger Abgabepflicht abgeliefert worden. Es ist kenn­zeichnend, daß man in den Westzonen dieses Jahr nach den Plänen arbeiten will, die in der sowjetisch besetzten Zone im vorigen Jahr durchgeführt wurden. Es ist offensichtlich, daß durch eine solche ungenügende Er­nährungswirtschaft die hungernde Bevölkerung für die angebliche Hilfe durch den Marshall-Plan gefügig gemacht werden soll.

Welche Entwicklung haben die Landwirtschaft und die Ernährungswirt-schaft in der sowjetisch besetzten Zone genommen? Die Umstellung auf einen festen Anbauplan und ein festes Ablieferungssoll hat zuerst Schwierigkeiten und Härten mit sich gebracht. Es fehlte anfangs an Erfahrung, an ein­gearbeiteten Kräften, der Mitarbeit der Bauern. 1946 wurde die Anbau­planung noch schematisch gehandhabt, so daß bisweilen der Anbau von Kulturen in Gebiete gelegt wurde, die dafür weniger geeignet waren. 1947 wurde nach Klima und Wachstumsgebieten geplant, das heißt der Hauptteil der Fruchtarten wurde in die klimatisch günstigen Gebiete gelegt. 1947 wurde mit einer Kanndifferenzierung gearbeitet, 1948 muß der Plan diffe­renziert aufgestellt werden. Dabei wird von der Leistungsfähigkeit des Betriebes ausgegangen, wobei Bodenklasse, Inventarbesitz, Entfernung des Ackers vom Hbf, Grünlandverhältnis, Kriegszerstörung, Arbeitskräfte usw. berücksichtigt werden. Dadurch wird erreicht, daß im Gegensatz zu der schematischen 100prozentigen Ablieferung in Westdeutschland der fleißige Bauer nicht bestraft wird, vielmehr verbleibt die Mehrerzeugung durch Mehraufwand dem Bauern als freie Spitze. Noch eine wesentliche Ver­besserung wurde in diesem Jahre durch die Berücksichtigung der Wunsch­planung der Bauern bei der Bedarfsplanung durch die Regierung erreicht.

An Stelle der früheren Halbjahresplanung gilt für 1948 die Jahresplanung, das heißt Herbst- und Frühjahrsplanung in einem Plan, wodurch der Bauer seine natürliche Fruchtfolge besser berücksichtigen und den Boden mehr ausnutzen kann. Die Durchführung des diesjährigen Anbauplans und die Frühjahrsbestellung haben gezeigt, daß sich die Verwaltung, die VdgB und die Bauern gut eingearbeitet haben und geeignete Mitarbeiter heran­gebildet worden sind. Die Differenzierung nach Bodenklassen, die Möglich­keit des Ausgleichs bei Abgabe anderer Produkte, die Nachprüfung von überhöhtem Ablieferungssoll, die Entwicklung der Nachbarhilfe und die freiwillige Haftung der Dorfgemeinde für unverschuldet in Rückstand ge­ratene Bauern, alle diese Maßnahmen zeigen eine ständige Verbesserung der Planung und Erfassung und rechtfertigen die Hoffnung, daß durch eine weitere Ertragssteigerung die Ernährungslage der Bevölkerung in der Ost­zone gewährleistet ist. Der Erfolg dieser planvoll gelenkten Landwirt­schaftspolitik zeigt sich bei der diesjährigen Frühjahrsbestellung der Sommerfrüchte. Sie war am 24. April 1947 nur mit 37 Prozent, in diesem Jahre aber mit 70,6 Prozent erfüllt. Es ist das Verdienst der ständig ver­besserten Landwirtschaftsplanung, daß in der Ostzone die Ernährung ge­sichert war und die Bevölkerung ohne Verschuldung von 1,5 Milliarden Dollar durch Einfuhr ausländischer Lebensmittel bei aller Knappheit nicht in Hungerkatastrophen gestürzt wurde, wie es in Westdeutschland der Fall ist.

Im Kampf um die Sicherung der Ernährung spielt die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe mit ihren Maschinen- und Traktorenausleih-stellen eine bedeutende Rolle. Das Anwachsen der VdgB von 370 000 Mit­gliedern am 21. 12. 1946 auf 515 000 Mitglieder am 1. 1. 1948 beweist, daß diese demokratische Massenorganisation die Interessen besonders der Neu­bauern vertritt. Mit ihren fast 4000 Maschinenausleihstationen und rund 90 000 landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten ist die VdgB den Klein-und Neubauern eine wesentliche Hilfe bei der Bestellung des Bodens.

Durch die Bodenreform und durch die Landwirtschaftsplanung ist in der sowjetisch besetzten Zone in den zurückliegenden drei Jahren ein Weg beschriften worden, der die zur Zeit mit 60 Prozent ihres Normalertrages arbeitende Landwirtschaft in den Stand setzt, in kurzer Zeit den Normal­ertrag zu bringen. Entscheidend ist, daß durch diese Maßnahmen die Er­nährung der Bevölkerung aus eigener Kraft gesichert werden wird und die Aussicht besteht, daß das Kartensystem aufgehoben werden kann. Nach Mitteilung der Deutschen Wirtschaftskommission wird bereits in diesem Jahre eine fühlbare Verbesserung der" Ernährung, besonders in der Kar­toffel- und Zuckerzuteilung, möglich sein. So hat sich der in der Ostzone eingeschlagene Weg als der richtige erwiesen. Er wird weiter beschriften.

Quelle: Max Fechner,  Drei Jahre Wiederaufbau, Neue Welt,
3. Jahrgang , Berlin Mai 1948, Nr. 9,  S. 32-35

Max Fechner (* 27. Juli 1892 in Rixdorf; † 13. September 1973 in Schöneiche) war Mitglied der SPD, im antifaschistischen Widerstand und Gründungsmitglied der SED, danach  bis zu seiner Amtsendhebung  1953 Minister für Justiz der DDR.