Frankfurt/Main,
25.8.2015
Sigmar Gabriel, mit einem Tross von
Journalisten und Kapitalvertretern in Sachsen unterwegs, musste wohl
auch mal einen Anschlagsort sehen und fuhr am 24.8.2015 nach
Heidenau. Da hatte der rassistische Mob schon zwei Tage lang gewütet.
Die Polizei, von den Nazis attackiert, hatte Antifaschist*innen
krankenhausreif geschlagen, was die meisten Medien zu erwähnen
vergaßen. Waren ja nur Linke.
Monate zu spät kam Gabriel, aber zwei Tage vor Merkel. Das zählt im
edlen Wettbewerb staatstragender Parteikonkurrenz und bei der Pflege
des Image des deutschen "Standorts".
War Gabriel empathisch mit den angegriffenen, um ihr Leben
fürchtenden Flüchtlingen? Ich habe nichts davon gelesen. Will er die
Abschaffung des Asylrechts (unter Mitwirkung der SPD 1992 faktisch
aus dem Grundgesetz entfernt) rückgängig machen, weil er sich endlich
dafür schämt? Nein. Will er Roma in Deutschland zu einem glücklichen
Leben verhelfen? Niemals! Alles "Westbalkan", wo immer dieses Land
liegt. Hat er sich je klar und deutlich gegen Rassismus gestellt?
Nein.
Der ach so deutsche Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Gabriel
fährt nach Heidenau und sagt wörtlich:
"Man darf diesen Typen, die
sich hier in den letzten Tagen ausgebreitet haben, keinen Millimeter
Raum geben. In Wahrheit sind es die undeutschesten Typen, die ich mir
vorstellen kann."
"Undeutsch" sagt er deutsche Vizekanzler. Eine Aussage in jeder
Hinsicht so furchtbar dumm, reaktionär, nationalistisch und
ahistorisch.
Die Nazis verwendeten den Begriff "undeutsch" gegen ihre zur
Vernichtung vorgesehenen "Volksfeinde". Der Begriff ist kein
Spielzeug für Politiker*innen, denen zum mörderischen Rassismus wenig
und wenn dann zu spät was einfällt. Der Begriff steht nicht zur
freien Verfügung und Umdeutung, auch nicht für einen ach so deutschen
Vizekanzler und Sozialdemokraten.
Wer "undeutsch"-sein als Schimpfwort verwendet, unterstellt, dass
"deutsch"-sein etwas Positives ist. Das lässt auf eine,
möglicherweise verborgene, deutschnationale Position schließen. Wie
kommt so ein nationalistischer Schrott in des Vizekanzlers Kopf?
Rassist*innen, Antisemit*innen und Nazis sind "undeutsch"? Echt?
Quatsch. Gegenteil. Sie sind sehr sehr deutsch. Mörderischer
Rassismus ist ein fester Bestandteil der Geschichte des deutschen
Reichs und Deutschlands. Dafür muss man aber die deutsche Geschichte
kennen.
Mörderische Rassist*innen werden seit kurzem nicht mehr "besorgte
Bürger" genannt. Gut. Statt dessen nennen staatstragende
Politiker*innen, manche Medien und die Polizei sie jetzt aber
"Asylkritiker". 1933 galten Bücher von Brecht und Seghers, von den
Mann-Brüdern und Kästner und vielen mehr als "undeutsch". Vermutlich
handelte es sich bei denjenigen, die ihre Werke ins Feuer warfen, um
"Literaturkritiker«? Zum Vorlauf der gegenwärtigen Ereignisse gehört
der vergiftete Begriff "Israelkritik", der für kein anderes Land der
Welt vergleichbar existiert.
Die Fähigkeit zur radikalen, aufklärerischen Kritik gilt unter
gebildeten Menschen weltweit als Schatz, Praxis des Verstandes und
notwendige Voraussetzung eines verwirklichten Humanismus. Aber wenn
der nationale Deutsche ausnahmsweise einmal das Wort "Kritik"
verwendet, müssen die "Kritisierten" offensichtlich um ihr Leben
fürchten.
Die SPD-nahen Medien Frankfurter Rundschau und taz waren fast
zärtlich zu Sigmar Gabriel und "redigierten" seine Aussage, sorgten
dafür, dass die peinlich-dumme "undeutsche" Botschaft nicht zu weit
reiste. Die Frankfurter Rundschau (25.8.2015) schrieb: "Pack" habe
Gabriel gesagt. "Undeutsch" fehlt. Die taz, die kürzlich noch mit
drei unkritischen Nachrufen zu Egon Bahr auffiel, schrieb über
Gabriel in Heidenau: "Auch Sigmar Gabriel zeigte Verständnis. Die
Regierung müsse die Sorgen der eigenen (!) Bevölkerung ernst nehmen.
Der Staat dürfe gegenüber den Nazis keinen Millimeter zurückweichen.
Und dann nennt er sie "Pack". "Undeutsch" fehlt. Nur das Neue
Deutschland (25.8.2015) bringt das Zitat, wenn auch eingebettet in
eine Erklärung.
Die vollständige Aussage von Gabriel hörte ich am 24.8.2015 nur
zweimal in den TV-Abendnachrichten von ARD und ZDF, dann nicht mehr.
Im WDR-Fernsehen wurde sie gleich geschnitten.
Mein Rat an Sigmar Gabriel: Halt die Klappe bis Du denken kannst!
P.S.: "Das sind Leute aus dem Rand der Gesellschaft…" hat Gabriel zum
"Pack" auch gesagt. Das wird Thilo Sarrazin & Co. schwer kränken.
Editorische
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