Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Rechtsextreme zum neuen Nahostkonflikt und zum Asyl für irakische christliche Flüchtlinge

09-2014

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Marine Le Pen rechtfertigt die Gewalt der rechtsextremen „Jüdischen Verteidigungsliga“ (LDJ), während ihr Vizepräsident und Lebensgefährte den Anhänger/inne/n beider Streitparteien – der israelischen und der palästinensischen Seite – rät, doch lieber in den Nahen Osten zu gehen und sich dort auszutoben. Dies sind nur zwei der neuesten, mehr oder minder spektakulären Reaktionen aus der französischen extremen Rechten auf die Proteste und Polemiken, die (auch) in Frankreich rund um die jüngste mörderische Militäraktion der israelischen Armee im Gazastreifen aufflammten.

Arabisch-israelische Konflikte sind für die extreme Rechte in Frankreich stets ein heikles Feld, weil solche Auseinandersetzungen aus ihrer Sicht ideologisch überfrachtet sind: Soll man nun dem (antijüdischen) Antisemitismus den Vorrang geben, oder aber seinem antiarabischen Rassismus freien Lauf lassen? Eine echte Gratwanderung. In der Vergangenheit versuchte die extreme Rechte, oft beides unter einen Hut zu bekommen. Heute muss sie auch verstärkt auf ihr öffentliches Image achten, möchte sie doch nicht, dass eventuelle Skandale ihr den Weg zur politischen Macht(beteiligung) unbeabsichtigt verbauen. Am 31. Juli dieses Jahres hatte eine Umfrage ergeben, dass Marine Le Pen in den Wahlabsichten – „falls die Präsidentschaftswahl von 2017 am kommenden Sonntag stattfinden würde“ - nunmehr auf dem ersten Platz unter allen Bewerber/inne/n im ersten Durchgang landen würde. Als Präsidentschaftskandidatin erhielte die rechtsextreme Politikerin demnach 26 % der Stimmen, hinter ihr läge Nicolas Sarkozy mit 25 % der Stimmabsichten, und François Hollande oder (alternativ) dessen Premierminister Manuel Valls würde jeweils mit 17 % abgeschlagen auf dem dritten Platz landen1. Le Pen und Sarkozy trügen dann die Stichwahl unter sich aus. Solche Aussichten heißt es aus Sicht der extremen Rechten nicht zu gefährden.

Geschichtlicher Rückblick

Als Jean-Marie Le Pen im Jahr 1956 für die kleinbürgerliche „Steuerprotestbewegung“ von Pierre Poujade - die so genannten Poujadisten – im Alter von 27 Jahren als jüngster Abgeordneter ins französische Parlament gewählt wurde, beobachtete die US-Botschaft in Paris ihn sehr genau. In einem diplomatischen Telegramm nach Hause ans US-Außenministerium – der Inhalt der gesammelten Telegramme über die Analyse der französischen Politik jener Zeit wurde 40 Jahre später im Wochenmagazin Le Nouvel Observateur enthüllt – wurde er deutlich als „Bewunderer Nazideutschlands“ bezeichnet. Dennoch war der Jean-Marie Le Pen jener Jahre in Sachen Außenpolitik auch erkennbar pro-israelisch: Der Staat Israel überfiel im Oktober 1956 zusammen mit den alten Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich das Ägypten Gamal Abdal Nassers, das es gewagt hatte, den (bis dahin von britischem Kapital kontrollierten) Suezkanal zu nationalisieren. Zur selben Zeit vertraten Jean-Marie Le Pen und andere Rechtsextreme die Auffassung, der Staat Israel sei eine gute Sache – erlaube er doch einerseits, die Juden aus Europa loszuwerden, welche nun über eine neue „Heimstätte“ verfügten, und zugleich über einen Verbündeten in den Kolonialkriegen und Feldzügen gegen arabische Länder, vor allem im Algerienkrieg der Jahre 1954 bis 62, zu verfügen.

Im Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 ging eine deutliche Mehrheit der extremen Rechten in Frankreich auf diese Position über; nur eine kleine Minderheit unter Pierre Sidos (er gründete im November 1968 die offen faschistische Kadergruppe L'Oeuvre francaise und behielt bis im Januar 2012 ihren Vorsitz inne) und um die Wochenzeitung Rivarol verweigerte sich dieser Neupositionierung. Diese Strömung blieb bei hart antisemitischen Positionen und warf der neuen Mainstream innerhalb der extremen Rechten vor, er sei „dabei, sich an das System zu verkaufen“. Zu ihr zählte auch der in den siebziger Jahren amtierende, 1978 bei einem Attentat getötete FN-Kader und zeitweilige Chefideologe François Duprat. Duprat war ein bekennender Faschist und kam in Frankreich als Erster auf die Idee, den Geschichtsrevisionismus – es gab bereits ein notorisches Holocaustleugnertum seit den fünfziger Jahren – mit dem Thema „Besatzung/Befreiung Palästinas“ zusammenzuziehen, um so dem Auschwitzleugnertum die Aura einer vermeintlichen Unterstützerposition für Befreiungsnationalismus zu verleihen. Die geschichtsrevisionistische Doxa sollte auf diese Art nicht als Verteidigung des NS-Regimes - und damit der früheren Besatzungsmacht in Frankreich - erscheinen und dadurch moralisch anstößig wirken, sondern sollte im Gegenteil als Unterstützung für ein besetztes Volk (dem gegenüber Israel seine Existenz und seine Politik durch eine angebliche Geschichtslüge rechtfertige) dargestellt werden. Jean-Marie Le Pen jedoch positionierte sich damals anders. Der rechtsextreme „Volkstribun“, der Ende der fünfziger Jahre ein Auge infolge einer Erkrankung eingebüßt hatte, trug die 1960er und 1970er Jahre hindurch seine berühmte Augenbinde; inzwischen wurde diese durch ein Glasauge ersetzte. Infolge dessen verglich Jean-Marie Le Pen sich damals gern und oft mit Moshe Dayan, dem israelischen General und „Helden“ des Sechs-Tage-Kriegs. In den achtziger Jahren forderte Le Pen u.a. lautstark die Schließung des PLO-Büros in Paris, des Vorläufers der heutigen Palästinensischen Vertretung, als einziger französischer Spitzenpolitiker.

Jean-Marie Le Pens Positionen kamen jedoch 1987 ins Wanken. Am 13. Februar jenes Jahres war er in New York, im dortigen Astoria-Hotel, mit einzelnen Vertretern des Jüdischen Weltkongresses zusammengetroffen. Eingefädelt hatte das Treffen Jacques Torcyner, Repräsentant der israelischen Herut-Partei (Vorläuferin des rechtsnationalistischen Likud-Blocks) in den USA. Das Treffen endete für Jean-Marie Le Pen positiv: Er wurde zu seinen außenpolitischen – damals ausgesprochen USA-freundlichen und „pro-westlichen“ - Positionen beglückwünscht, und Teilnehmer verglichen ihn mit dem israelischen Rechten und Militaristen Ariel Sharon. Da der Mann zugleich die feste Überzeugung hegte, die Juden auf der Welt steckten irgendwie unter einer Decke und verfolgten (auf undurchschaubare Weise) alle zusammen organisierte Interessen – ein klassischer Topos des verschwörungstheoretisch argumentierenden Antisemitismus – glaubte er nun, mit „mächtigen Interessen“ vorläufig seinen Frieden gemacht zu haben. Nun könne ihm also wenig zustoßen, da er die Oberhäupter der Weltverschwörung quasi in der Tasche habe.

Doch genau sieben Monate später, am 13. September 1987, bekannte Le Pen sich in einem TV-Interview allzu offen zu den Thesen der Geschichtsrevisionisten (aka Holocaustleugner). Und stellte die historische Existenz der Gaskammern ziemlich unverblümt in Frage, bevor er diese angeblich offene historische Frage nach einem Streitgespräch mit den ihn interviewenden Journalisten kurzerhand als point de détail, als „Nebenumstand in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ abtat. Daraufhin brach in Frankreich ein Entrüstungssturm aus. Und auf internationaler Ebene brachen imfolge dieser so genannten „Detail-Affäre“ einige Kontakte ab: Die Einladung der britischen Konservativen - Tories – an Jean-Marie Le Pen zur Teilnahme an ihrem Parteitag in Blackpool im Oktober 1987 wurde zurückgezogen und annulliert. Und auch die Pläne Jean-Marie Le Pens, vor der Präsidentschaftswahl vom April 1988 nach Israel zu reisen und sich dort wie viele Altnazis sozusagen einen „Persilschein“ abzuholen, wurden durchkreuzt, denn der FN-Chef wurde dort zur unerwünschten Person erklärt.

Eine ähnliche Wirkung hatte nochmals die „Carpentras-Affäre“, also der Skandal um die Schändung des jüdischen Friedhofs im südfranzösischen Städtchen Carpentras, die mutmaßlich rund um den 8. Mai 1990 begangen und in der Nacht zum 10. Mai entdeckt wurde. Sie ließ damals Hunderttausende Menschen gegen Antisemitismus und die extreme Rechte in Paris und anderswo auf die Straße gehen, Jean-Marie Le Pen wurde auf Transparenten mit der Aufschrift „Le Pen – die Worte, Carpentras – die Tat“ einer Mitschuld bezichtigt. Dagegen hat sich der alte FN-Chef zwar stets verwahrt und diese Episode als traumatisierend, sich selbst dabei als Opfer einer Verschwörung erlebt (welch letztere bis an die Staatsspitze heranreiche, da Präsident François Mitterrand damals persönlich an der zentralen Pariser Demonstration teilnahm). Da die Täter damals zunächst nicht gefasst werden konnten, brüsteten der FN und sein damaliger Chef sich in der Pose des unschuldigen doch verfolgten Opfers. Sie verbreiteten eine Reihe von Verschwörungstheorien rund um die Affäre und organisierten am 11. November 1995 den so genannten „Zug der Wahrheit“, einen Sonderzug von Paris nach Carpentras zwecks landesweiter Mobilisierung. Im darauffolgenden Jahr, Ende Juli 1996, stellte sich jedoch einer der seinerzeitigen Täter der Polizei in Avignon. Es stellte sich heraus, dass die Schuldigen fünf Naziskins waren, von denen einer verstorben war – und jener, der sich selbst stellte, war inzwischen zum Buddhismus und zur strikten Gewaltlosigkeit konvertiert. Die Täter, die später verurteilt wurden, zählten zwar nicht unmittelbar zum FN, sondern zum Umfeld der mittlerweile aufgelösten Neonazi-Splitterpartei PFNE. Der Hauptgeständige legte jedoch auch dar, er sei mit den Ideen des Front National aufgewachsen und sei durch diese politisiert worden, auch wenn sie ihm nur als Durchlauferhitzer gedient hätten, auf dem Weg zum Bedürfnis nach härterer Aktion.

Seit diesen beiden für ihn mehr oder minder traumatisierenden Einschnitten; der „Detail-Affäre“ 1987 und dem Carpentras-Skandal 1990, suchte Jean-Marie Le Pen eher die Nähe zu diversen arabischen Nationalisten. Er verklärte Saddam Hussein geradezu – ihn besuchte er im Oktober 1990 und im Mai/Juni 1996 - und knüpfte auch Kontakte zum iranischen Regime; beim Fußball-WM-Spiel der USA gegen den Iran, im Juni 1998 in Lyon, saß er auf der Ehrentribüne der iranischen Seite.

Aufgrund der Stellung der Mehrheit der großen rechtsextremen Wahlparteien in Westeuropa – die seit den 2000er Jahren meist die muslimische Einwanderung als Hauptfeind definieren, und die Positionierung gegenüber Israel dem unterordnen bzw. ins Positive drehen wie der belgische Vlaams Belang und erst recht Geert Wilders in den Niederlanden – versuchte seine Tochter Marine Le Pen, diesen Kurs zu korrigieren. Sie betrieb eine Wiederannäherung an einen Teil der jüdischen Organisationen in Frankreich, die jedoch meist auf Abstand blieben (bis auf den Rechtsaußenflügel des jüdischen Dachverbands CRIF um den Anwalt Gilles-William Goldnadel, der die Ausrichtung des FN „positiv“, d.h. Pro-israelisch zu beeinflussen versucht) und suchte die Nähe zu Positionen der israelischen Rechten. Dieser Kurs ist seit ihrem Antritt als Parteivorsitzende im Januar 2011 dominierend. Ihr Lebensgefährte Louis Aliot ist überdies der Auffassung und festen Überzeugung, „allein der Vorwurf des Antisemitismus“ - aus seiner Sicht natürlich ungerechtfertigt – sei es, der die einzige wirksame Sperrvorrichtung der von ihm so genannten Systemparteien gegen einen größeren Erfolg des FN bilde: „Wenn Sie diesen Riegel aufsprengen, dann geben Sie allem Anderen freien Lauf.“2 Allerdings gibt es noch eine rege Minderheit, etwa um Christian Bouchet, Kader des FN in Nantes, der eher für eine Nähe zum syrischen und zum iranischen Regime eintritt.

Unterschiedliche Positionen an der Parteispitze

Zu Beginn des jüngsten militärischen Konflikts um Gaza, welcher am 08. Juli 14 offen ausbrach, bezog zuerst Jean-Marie Le Pen Stellung und kritisierte die israelischen Angriffe relativ scharf3. Dabei kam er zwar – für dieses Mal - ohne offen antisemitische Auslassungen aus, doch aufgrund der Affäre um sein jüngstes antisemitisches Wortspiel vom Juni 2014 (über die „Ofenladung“, die er aus kritischen Künstlern und besonders dem jüdischen Sänger und Schauspieler Patrick Bruel zu machen gedenke) ist er in Teilen der Partei heute diskreditiert. Ihm wird vorgeworfen, zum Hindernis für den Erfolgskurs der Partei durch ihre angestrebte ,dédiabolisation' („Entdämonisierung“) geworden zu sein.

Und jene Teile der Partei, die – wie Marine Le Pens Lebensgefährte und Vizechef Louis Aliot – eher mit der OAS sympathisieren, jener 1961/62 gegen Frankreichs Rückzug aus dem kolonisierten Algerien mordenden und bombenden rechten Terrororganisation, sehen zum Nahen Osten die Dinge ohnehin anders. Beim Umfeld der OAS, die auf einer Art europäischer Siedlerbewegung in Nordafrika darstellte, hat man seit langem großes Verständnis für Siedlerverbände und militante Rechte in Israel. Zumal ein Teil der früheren Algerienfranzosen, die mit der Entkolonialisierung 1962 Nordafrika verließen, jüdischen Glaubens war, wie auch die Großmutter Louis Aliots, dessen Familie ebenfalls aus Algerien aussiedelte.

Auch wenn die mehrheitliche christliche Siedlerbevölkerung die nordafrikanischen Juden lang Zeit diskriminierte und es während der Dreyfus-Affäre in den 1890er eine antijüdische Massenbewegung gab – vier von sechs Abgeordneten Algeriens im französischen Parlament, die damals ausschließlich die weiße Siedlerbevölkerung vertraten, waren Repräsentanten der Ligue antisémitique um Edouard Drumont -: Die französische Staatsmacht achtete doch darauf, im kolonisierten Algerien die jüdische Bevölkerung gegenüber der erdrückenden Mehrheit der einheimischen Araber und Berber zu privilegieren. Unter anderem, um die unterworfene Bevölkerung zu spalten, gewährte Frankreich im Oktober 1870 mit dem „Crémieux-Dekret“ den algerischen Juden die volle französische Staatsbürgerschaft, die in dem auf konfessionellen Kriterien fußenden Apartheid-System im „französischen Algerien“ der breiten Masse der algerischen (arabisch-berberischen) Bevölkerung vorenthalten blieb. Die Mehrheit der im damaligen Algerien lebenden Juden waren keine frisch Zugewanderten, sondern Einheimische – es gab vor Ankunft des Islam im 7. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung bereits ein entwickeltes Judentum im heutigen Algerien, und später kamen die ab 1492 aus Spanien vertriebenen und in Nordafrika sowie dem Osmanischen Reich aufgenommenen Juden noch hinzu. Aber die (von ihnen selbst unverlangte) Privilegierung durch die Kolonialmacht löste die algerischen Juden gewollt oder ungewollt aus der übrigen einheimischen Bevölkerung heraus, isolierte die Bevölkerungsgruppen voneinander und ließ es schließlich vielen Angehörigen der jüdischen Mehrheit bei der Entkolonisierung angeraten scheinen, ihr Land mit vielen Europäer/inne/n zusammen zu verlassen. Rund 960,000 Angehörige der insgesamt 1,2 Millionen Menschen ausmachenden christlichen und jüdischen Bevölkerung - da Verhältnis zwischen Christen und Juden betrug circa Zehn zu Eins – siedelten bei der Unabhängigkeit aus Algerien aus, der Rest blieb, vorläufig oder auch längerfristig. Jene algerischen Juden, die zusammen mit den Europäern (an welche die Kolonialmacht sie zunehmend assimiliert und angenähert hatte) wurden dadurch der pro-kolonialen, nationalistischen Rechten in die Armee getrieben. Aus diesem Milieu stammt Louis Aliot.

Bis jetzt hat Aliot es zwar nicht geschafft, Marine Le Pen ihren politischen Traum zu verwirklichen, in Israel empfangen zu werden; doch er selbst reiste im Dezember 2011 dort hin und suchte auch zwei Siedlungen im okkupierten Westjordanland auf4.

Aktuelle Gleichgewichtsübung

Aufgrund der doch eher schwankenden Positionierung hielt die Parteiführung sich jedenfalls mit offiziellen Parteinahmen zum jüngsten Konflikt zurück. Sie belässt es, jedenfalls nach außen hin, mit einer erklärten Neutralität unter dem Motto: Wir, wir kümmern uns vorrangig um französische Interessen, nicht um irgendwelche ausländischen Konflikte5. Dies wird kombiniert mit einer Abwehrhaltung gegen die Demonstrationen für die militärischen Angriffen ausgesetzten Palästinenser, die in Frankreich überwiegend durch Linke sowie Einwanderer und ihre Nachfahren getragen werden. Louis Aliot verwahrte sich in einer öffentlichen Äußerung etwa dagegen, „den Konflikt in unser Land importieren zu wollen“. Und er forderte die Anhänger/innen einer der beiden Streitparteien, „ich denke da besonders an die Pro-Palästinenser“, dazu auf, doch lieber aus Frankreich zu gehen und ihre Sache im Nahen Osten auszutragen6.

Doch nicht alle in den eigenen Reihen befolgen diese Aufforderung. Im Anschluss an die (verbotene, jedoch stattgefundene) Kundgebung für Gaza vom Samstag, den 26. Juli 14 in Paris wurden circa sechzig Personen festgenommen. Einige von ihnen Teilnehmer der Kundgebung, die versucht hatten, Ärger mit der Polizei anzufangen. Einige der zeitgleich Aufgegriffenen kamen jedoch nicht aus der Demonstration, sondern wurden ohne örtlichen Zusammenhang mit ihr weiter weg festgenommen, als sie eine Strafexpedition in den Pariser Stadtteil Marais – das alte jüdische Viertel – durchführen wollten. Nichts belegt bislang, dass es einen Zusammenhang zwischen ihren Plänen und der politischen Kundgebung gegeben hätte. Einer der Angeklagten, der aufgrund dieser geplanten Attacke (die sich mutmaßlich gegen jüdische Restaurants im Marais richten sollte) im Eilverfahren dem Gericht vorgeführte wurde, berief sich auf seine Nähe „zu den Ideen des Front National“. Bislang sind nur sein Vorname, Adrien, bekannt sowie sein Alter: 187. In einer Nachricht bei Twitter verkündete Jordan Bardella, der circa 23jährige neue Bezirkssekretär des FN im Département Seine-Saint-Denis (nördliche und nordöstliche Pariser Vorstädte), besagter Adrien sei „nicht Parteimitglied, aber Kandidat auf einer unserer Listen“ zu den Kommunalwahlen im März 2014 gewesen, „wie eine Million andere Franzosen auch“8.

Unterdessen erklärte jedoch Parteichefin Marine Le Pen am 1. August 14 ihr Verständnis für die gewalttätige, rechtsradikale „Jüdische Verteidigungsliga“ (LDJ), litten doch die französischen Juden besonders unter der verbreiteten „Unsicherheit“9. Diese müssten sich ja doch verteidigen können. Allerdings verkörpert die LDJ eben keinesfalls eine Abwehrreaktion auf vorausgegangene reale Bedrohungen, sondern sie bildet lediglich den französischen Ableger einer internationalen rassistischen Bewegung, die im Juni 1968 in New York unter dem Namen Jewish Defence League gegründet wurde. Diese kämpfte zu keinem Zeitpunkt etwa gegen nordamerikanische Neonazis und andere Antisemiten, welche es auch reichlich gab, sondern wurde zunächst zum Kampf gegen Aktivisten der Schwarzenbewegung aufgebaut. Überall in New York richtete die Bewegung damals Judo-Trainingssäle ein, um sich auf den Kampf mit der Schwarzenbewegung vorzubereiten. (Dies vor dem Hintergrund einer Art Opferkonkurrenz: Die nordamerikanischen Schwarzen hatten ihre eigene Unterdrückungsgeschichte und forderten ihre Anerkennung als Nachfahren von Opfer eines „Verbrechens gegen die Menschheit“, in Gestalt von mehreren Jahrhunderten Sklaverei.) Ferner machte die nordamerikanische Bewegung rund um den rechtsradikalen Rabbi Meir Kahane - den 1990 in New York ein Attentäter tötete - seit den frühen 1970er Jahren parallel zu außenpolitischen Kampagnen der US-Administration mobil, welche sich vordergründig um das Schicksal der sowjetischen Juden sorgte und dies als Einfallstor für generelle Propaganda gegen den gesamten Ostblock nutzte. Heute ist die Gruppierung in den USA vom FBI als terroristisch eingestuft worden, seit 2001 und infolge versuchter Bombenattentate auf Moscheen, und auch ihr Ableger in Israel selbst ist infolge rechtsterroristischer Aktivitäten verboten. Nicht so bislang ihr französisches Pendant. Laut dem Historiker Bernard Ravenel hielt Nicolas Sarkozy, in Absprache mit den konservativsten Kreisen des (2001 dramatisch nach rechts gerückten) jüdischen Dachverbands CRIF, im vergangenen Jahrzehnt als Innenminister und dann als Präsident, explizit seine schützende Hand über die Gruppierung. Am 30. Juli 14 hat nunmehr das französische Innenministerium unter Bernard Cazeneuve angekündigt, ihr Verbot endlich zu prüfen.

Rechte und Aufnahme für irakische Christ/inn/en

Ein anderes Thema ist derzeit die Debatte um die Aufnahme von Christ/inn/en aus dem Irak, die dort durch die Radikalislamisten des im Juni 2014 ausgerufenen „Kalifatsstaats“ bedroht und erpresst werden. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve kündigte an, ihnen als bedrohter Minderheit in Frankreich Aufnahme zu gewähren.

Die Solidaritätsinitiativen für Migranten und antirassistische Verbände bleiben jedoch bisher skeptisch: Warum nur Christen und nicht andere bedrohte Menschen aus dem Irak – derzeit könnte man besonders auch an die Yeziden denken, und natürlich an Atheist/inn/en -, fragen sie, und kritisieren zugleich den bislang nur sehr allgemeinen und unkonkretisierten Charakter von Cazeneuves wohlklingender Ankündigung10. Unterdessen forcierte die konservative Opposition eher eine Kampagne, um eine besondere Solidarität (ausdrücklich nur) mit den bedrohten Christen im Mittleren Osten einzufordern; aus ihrer Sicht auch ein probates Mittel, um ein Wiederanknüpfen an den „christlichen Charakter“ Europas oder des Abendlands gegen eine wachsende „islamische Bedrohung“ zu legitimieren. Eine Reihe konservativer Prominenter nahmen am Sonntag, den 28. Juli an der Kundgebung für die irakischen Christen vor der Kirche Notre-Dame in Paris teil.

Der Front National wiederum setzt sich gegenüber dieser Solidaritätskampagne nach rechts hin ab, um seine Anti-Zuwanderungs-Position festzuzementieren. Louis Aliot erklärte etwa, es sei eine besondere Solidarität mit den irakischen Cristen nötig – aber nicht ihre Aufnahme in Frankreich, wo man bereits überlastet sei und nun einmal „nicht alles Elend der Welt aufnehmen“ könne11. Parteichefin Marine Le Pen setzte dazu am folgenden Tag (31. Juli 14) nach und fügte hinzu: „Die Christen im Irak wollen bei sich zu Hause leben, in ihrem Land, das ist unsere Verantwortung.“ 12 Gemeint war natürlich: Und eben nicht, sie hierzulande aufzunehmen.

Anmerkungen

8Vgl. http://tweettunnel.com/J_Bardella ; Eintrag vom 29. Juli 14

 

Editorische Hinweise

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