trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Vorlesung zur Philosophie vor Studenten in Prishtina

Für die Redaktion Agron Sadiku am 15.08.2014

09-2014

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Vor einiger Zeit hielt Max Brym einige Vorlesung zu den Grundfragen der Philosophie an der Universität in Prishtina. Herr Brym hat uns den Text zur Verfügung gestellt. Wir dokumentieren den ersten Teil des Textes, nicht so sehr weil wir ihn für ein philosophisches Meisterwerk halten, sondern weil viele Fragen der dialektisch materialistischen Philosophie angewandt und unterlegt wurden durch Beispiele aus Kosova.

Dokumentation Teil 1 von 5

Zu den Grundfragen der Philosophie von Max Brym

Hallo liebe Leute ich hoffe ihr seid schon alle wach und wir können uns mit einem scheinbar etwas abstrakt klingenden Thema befassen. Zuerst möchte ich die Frage stellen was ist eigentlich Philosophie. Der klassischen Definition zufolge ist die Philosophie,“ die Wissenschaft der Wissenschaften“ oder wörtlich „ Liebe zur Weisheit“. Die Philosophie ist keine einzelne Fachwissenschaft wie Mathematik, Physik, oder Medizin. In der Mathematik gibt es bekanntlich keinen Streit wenn das Ergebnis stimmt. In der Philosophie hingegen dominiert der Streit, die Differenz, der Kampf unterschiedlicher Weltanschauungen. Die Philosophie versucht aus den konkreten Ergebnissen der Einzelwissenschaften eine umfassende Gesamtschau der Dinge auch Weltanschauung genannt zu formen. Grundlegend gibt es zwei elementare  philosophische Strömung. Erstens die Materialisten und zweitens die Idealisten. Eine vulgäre Vorstellung könnte jetzt zur Meinung gelangen, dass die  einen am fressen, saufen und sonst was interessiert sind und die anderen über Ideale verfügen. Darum geht es aber nicht. Die beiden philosophischen Grundströmungen teilen sich an der Frage ob das Bewusstsein das Sein bestimmt, oder umgekehrt das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.

Dazu eine konkrete Frage: Hat Gott den Menschen geschaffen oder umgekehrt die Menschen Gott ? Je nach dem wie man diese Frage beantwortet ist man entweder Idealist oder Materialist. Der Materialist geht davon aus, dass Gott von den Menschen geschaffen und erfunden wurde. Diese Vorstellung hat eine elementare Logik. Die Geschichte der Religionen ihre Entwicklung und Dynamik. Die ersten uns bekannten Religionen waren so genannte Naturreligionen. Man glaubte an Feuergötter, Regengötter usw. Das war überhaupt kein Zufall , sondern ein Produkt der Hilflosigkeit. Die Menschen waren über Jahrhunderte der Natur relativ hilflos ausgeliefert. Erst mit einer höheren Entwicklung der Technik, der Produktivkräfte wurde Gott vermenschlicht. Heute können wir diese Entwicklung des Bewusstseins -in ihrer ursprünglichen Form- in Teilen der Gesellschaft aber immer noch erleben. In aller Regel sind die Leute vom Land religiöser als die  Menschen in der Stadt. Dies hat mit ihrer größeren Abhängigkeit, oder Hilflosigkeit gegenüber bestimmten Naturereignissen zu tun Ich habe kürzlich erlebt wie in einem Dorf in der Nähe von Prizren, Menschen aus der Moschee schritten, aus der Menge trat eine Frau hervor und erklärte mir:“ Wann hört nur endlich dieser verdammte Regen auf.“ Das Gesicht der Frau und ihres Mannes war abgearbeitet und traurig. Sie beteten gegen den Regen und für Sonne. Neben dem Regen beteten sie vielleicht noch gegen den hohen Zinssatz der Raiffeisenbank an. Wie ihr wisst nimmt die Raiffeisenbank hier 19 % Effektivzins für landwirtschaftliche Kredite. Die Religiosität der beiden Menschen war Hoffnung und Verzweiflung zugleich. Die Religion ist nichts weiter, um eine Formulierung von Marx zu benutzen, als der „Seufzer der bedrängten Kreatur sie ist das Opium des Volkes“. ( Zwischenruf- „Bitte beleidigen Sie nicht Allah“- Antwort: „Ich beleidige keinerlei Religion und keinen Gott; ich erkläre nur den Unterschied zwischen Materialismus und Idealismus. Für mich ist die Religion eine zu respektierende Privatangelegenheit“ – Zwischenrufe Beifall) Um euch den Unterschied zwischen materialistischen und idealistischen Denken zu vermitteln folgendes Beispiel:“ Kürzlich hörte ich in einem Café gegenüber der Universität, zwei Damen über die hohe Kriminalität in Kosova jammern. Die beiden Damen waren der Meinung dass die Kriminalität auf die negativen Charaktereigenschaften der Jugend heutzutage zurückzuführen sei . Das ist absolut idealistisches Denken, die hohe Kriminalität im Land hat eine objektiv klar feststellbare Ursache, die Masse der Jugendlichen ist ohne Geld und Arbeit aus genau diesem Grund kommen einige dazu Automaten zu knacken oder Diebstähle zu begehen. Wenn die Jugendlichen Arbeit ein vernünftiges Einkommen und genügend Geld hätten käme niemand von ihnen auf die Idee sich am Eigentum anderer zu vergreifen. Demzufolge hat die hohe Kriminalität in Kosova nicht die absolute Idee als Ursache, sondern die Ursache für diese negative Entwicklung besteht in der gesellschaftlichen Realität. An diesem einfachen Beispiel kann man klarzumachen ob jemand philosophischer Idealist oder Materialist ist. Der Idealist versucht die Phänomene vom Kopf her zu begreifen, der Materialist geht von der gesellschaftlichen Realität aus. Der Materialist geht prinzipiell davon aus, dass das Denken der Menschen von der gegebene Realität bestimmt wird. Niemand käme zum Beispiel Idee eine Brücke zu bauen wenn es nicht einen Fluss oder ein Tal gäbe. Niemand würde Schiffe bauen wenn es kein Meer oder Flüsse gäbe. Im alten Ägypten war bekanntlich wie ihr wisst, die Astronomie und die Mathematik hoch entwickelt. Idealistische bürgerliche Philosophen erklären dies ganz einfach mit der hohen Intelligenz der damaligen Menschen in Ägypten. Diese Erklärung, erklärt hingegen nichts. Im alten Ägypten waren die Menschen extrem abhängig vom Flusslauf des Nils. Es bestand -besonders im Interesse der Landwirtschaft-, das elementare Bedürfnis zu berechnen wann der Nil wenig und wann er viel Wasser führte. Die Astronomie und Mathematik waren von elementarer Bedeutung für die Entwicklung der Landwirtschaft und der gesamte altägyptischen Gesellschaft. Ihr seht also, dass nur eine materialistische Erklärung der Dinge im Stande ist, die Ursachen der Phänomene zu erklären. Der philosophische Idealist hingegen geht prinzipiell davon aus, dass alles“ der absoluten Idee“ ( Hegel) entspringt . Neben den objektiven Idealismus, gibt es noch als radikale Variante den subjektiven Idealismus . Der objektive Idealist erkennt neben der Idee noch bestimmte Realitäten außerhalb des Kopfes an. Der subjektive Idealist hingegen dementiert den Tisch vor mir und die Wand hinter mir. Er geht davon aus, dass der Tisch und die Mauer nur in meinem Kopf existiert . Über den radikalsten subjektiven Idealisten einem englischen Bischof amüsierte sich Friedrich Engels im vorletzten Jahrhundert. Dieser Bischof und subjektive Idealist wurde beim Verlassen seiner Kirche von einer herunterfallenden Dachschindel erschlagen. ( Gelächter) Es hat demzufolge etwas objektiv außerhalb seines Kopfes existiert. So jetzt machen wir eine Zigarettenpause.