Theoretisch und praktisch nicht ausreichend – ökologisches Relaunch der MLPD

Eine Antwort von Frank Braun, Köln/Hannover, und Jürgen Suttner, Siegen

09-2014

trend
onlinezeitung

Liebe GenossInnen der MLPD,
lieber Stefan Engel,

Es kann nicht sein, dass die Umwelt zerstört wird und der Mensch weiter existiert“, deshalb soll es richtig sein, so Eure Ansicht, politisch auf eine Leitformel wie 'Einheit von Mensch und Natur' zu orientieren ?

Nein, diese Schlußfolgerung ist aus mehreren Gründen falsch.

Es wird auch umgekehrt kein Schuh daraus: 'Umwelt' resp. 'Natur' braucht nicht die Spezies 'Mensch'. Insofern 'Mensch' eben selbst Teil von 'Natur' ist, fragen wir uns, wie denn in Eurer Leitformel jene dialektischen Antipoden zu bestimmen sind, die einerseits eine Einheit bilden und andererseits einander in Widerspruch stehen. Dazu kommt noch Eure begriffliche Unschärfe: Mal ist es 'Umwelt', mal 'Natur' und mal sind es die 'Lebensgrundlagen' der Menschen. Daneben stört uns an 'Einheit von …' vor allem die weltanschauliche und, darauf aufbauend, die politische Dimension, die Ihr so zum Ausdruck bringt.

Beim Gründungsprozeß der Grünen in den ausgehenden 1970er Jahren, wirkte eine Gruppe um einen gewissen Baldur Springmann(1), der, ausgestattet mit einer opulenten völkischen und rassistischen Lebensbiographie, ideologisch auch auf 'Partner Erde' oder eben 'Einheit von Mensch und Natur' setzte. Natürlich meinen wir nicht, daß die MLPD, um im Bild zu bleiben, Springmanns Ackerfurche neu kultivieren möchte. Wenn aber eine Gruppe von bekennenden Marxisten-Leninisten solch ein zentrales Leitbild für politisch richtig hält, wir selbst tun es nicht, müßte sie schon formulieren: „Für die dialektische Einheit und den dialektischen Widerspruch zwischen Mensch und Natur!“ Aber wer braucht schon so eine abstrakte Formel als agitatorische Leitlinie ?

Warum Ihr in Eurem Antwortschreiben mit einem längeren Lenin-Zitat aufwartet und so tut, als würde dort Eure Leitformel bestätigt, können wir uns nicht erklären. Gerne geben auch wir dieses Zitat hier noch einmal wieder. Lenin schreibt also:

„(...) nicht die Natur und das Reich des Menschen richten sich nach den Prinzipien, sondern die Prinzipien sind nur insoweit richtig, als sie mit Natur und Geschichte stimmen. Das ist die einzige materialistische Auffassung der Sache (…) hier handelt es sich (...) um den Gegensatz von Materialismus und Idealismus, um den Unterschied der beiden philosophischen Grundlinien.“ (2)

Mit Verlaub, wir selbst sehen uns als Marxisten und Leninisten, entdecken aber weder an der eben zitierten Textstelle, bei der es Lenin um idealistische Überhöhung philosophischer Auffassungen geht, noch irgendwo anders im einschlägigen Schriftgut dieser weltanschaulichen Richtung eine Leitformel der Art 'Einheit von ...' - auch nicht ideell ! (3)

Marxisten und Leninisten waren doch stets diejenigen, die romantischen Vorstellungen, als gäbe es jenseits des Sturzes der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und der Aufhebung jeglicher Klassen einen Weg zu so etwas wie 'Einheit von ...' als idealistische Vorstellung kritisiert haben.

Liebe GenossInnen,

im weiteren Text Eurer Antwort bemüht Ihr Euch, Eure Auffassung eines gerade stattfindenden „Übergangs von einer chronischen globalen Umweltkrise in die globale Umweltkatastrophe“ gegen unsere Formulierung „ökologisches Desaster“ zu setzen. Ihr schreibt auch, diese Entwicklung sei im Unterschied zu den frühen 1980er Jahre heute „gesetzmäßig“.

Um es gleich vorweg zu nehmen, wir bestehen keineswegs auf unserem Begriff „ökologisches Desaster“, vielleicht gibt es einen bessseren. Wir sagen damit nur, einen grünen Kapitalismus als einem weltweit erfolgversprechenden Reformmodell wird und kann es nicht geben. Und es sind die Kräfte, die bereit und fähig wären, den herrschenden Kapitalismus ernsthaft zu attackieren, nämlich die ArbeiterInnenklassen im Bündnis mit den unterdrückten Völker und Nationen, noch viel zu schwach und daher es ist nicht ausgemacht, daß eine globale Umweltkatastrophe vermieden werden kann. Ist das nicht ein Desaster ? Wir glauben schon.

Anlaß zur Sorge ? Ja. Anlaß aufzugeben ? Nein, denn wir haben Chancen allein schon deshalb, weil der Kapitalismus neben seiner Unfähigkeit, nachhaltig die Lebensgrundlagen der Gattung Mensch wenigstens zu erhalten, geschweige denn sie verbessern zu können, auch sonst genügend Schwächen zeigt.

In Eurer Publikation 'Katastrophenalarm' unternehmt Ihr den Versuch einer Analyse dessen, was sich über die letzten 30-40 Jahren auf der Erscheinungsebene in der ökologischen Frage von der 'Krise zur Katastrophe' so getan hat. Wir haben schon in unserer Besprechung von 'Katastrophenalarm' auf systematische Fehler in Eurer Argumentation hingewiesen.(4) Ihr gebt Euch in Eurem Antwortschreiben auf unser Kritikpapier eine gute Note: Im Gegensatz zu uns, wollt Ihr in ökologischer Hinsicht eine konkrete Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus vorgenommen haben, wir hätten dagegen dergleichen nicht zu bieten.

Da haben wir Einwände. In 'Katastrophenalarm' wie in Eurem Antwortschreiben fokussiert Ihr auf 'Überakkumulation' als dem wesentlichen Faktor, der die Kapitalistenklassen der führenden imperialistischen Staaten zu sehr rigorosen Methoden der Profitsteigerung drängt und diese finden ihre Auswirkungen u.a. in fortlaufender Umweltzerstörung, in ein geradezu ökonomischen Zwang, einer Gesetzmäßigkeit der Zerstörung lebensnotwendiger Naturressourcen.

Mit Verlaub, Eure Darlegungen diesbezüglich hat zu viel an Behauptung und zu wenig an Begründung. Wegen Überakkumulation und verschärfter innerimperialistischer Konkurrenz eine Gesetzmäßigkeit von Umweltzerstörung herleiten zu wollen, ist u.E. nicht möglich. Diese Phänomene erhöhen zwar den Verwertungsdruck auf die großen Kapitalien, weil die benötigten Naturstoffe im Abnehmen begriffen sind. Aber eine Aussage über Verlaufsformen des tendenziellen Falls der Profitrate und damit tatsächlich über den gesetzmäßigen Krisencharakter kann nur getroffen werden, wenn das Kapitalverhältnis - konstantes vs. variables Kaptal - untersucht wird. Die Entwicklung der Produktivkräfte beschert uns den Rückgang der menschlichen Arbeitskraft als dem Teil des Kapitalverhältnisses, aus dessen Ausbeutung allein das Mehrprodukt und damit eine Profitrate realisiert werden kann. Dieser Umstand vor allem macht das Gesetzmäßige aus. Das ist auch das Dilemma der Kapitalistenklassen aller Länder.

Behaupten wir damit, wie Ihr uns per vorgeblichem Zitat unterstellt:„Der Kapitalismus war schon immer so und es hat sich nichts Wesentliches geändert !“ Nein. Der Satz stammt gar nicht von uns, den habt Ihr uns untergeschoben. Wir schrieben in unserem Kritikpapier: „Der Zwang zur quantitativen Steigerung der Naturzerstörung schlägt allerdings im Moment in eine neue Qualität um (...)“ (5).

Darauf kamen wir deswegen, weil nachweisbar alle Waren produzierenden Gesellschaften vor uns Produktionsverhältnisse eingegangen waren, die mehr oder weniger umweltzerstörerisch waren. Und wir behaupten, speziell der Kapitalismus war und ist in seinem Wesen immer schon umweltzerstörerisch. Er konnte aber die Umwelt nur partiell zerstören, weil die früher die Produktivkräfte nicht so weit entwickelt waren. Das Kapital konnte sogar einige Umweltschäden beseitigen, wenn diese die eigene Produktion zu sehr beeinträchtigte.

Der Entwicklung des Kapitalismus zum Monopolkapitalismus, dann zum Imperialismus und der Dominanz des Finanzkapitals entsprach auch die der Produktivkräfte der Arbeit wie auch die entsprechenden Destruktivkräfte der heutigen Formen der Kapitalherrschaft. Dies hat aber das Wesen des Kapitals als Mensch und Natur zerstörendes System nicht aufgehoben, sondern es erst als globales System der Zerstörung von Mensch und Natur auf die Weltbühne gebracht. Diese Frage ist für uns von zentraler Bedeutung, weil sie für unseren Kampf grundsätzlich ist. Es paßt uns die verkürzende Kritik des MLPD-Autorenkollektivs an den heutigen Verhältnissen nicht!

Liebe GenossInnen,

Euch haben auch unsere Einlassungen zum Thema 'Naturproduktivität' nicht gefallen – die seien sogar unwissenschaftlich. Wir fragen zurück: War auch Marx „unwissenschaftlich“ als er in seinen Arbeiten immer wieder auf die Natur als Produktivkraft oder als 'Naturkräfte' kam oder z.B. die Frage nach der Fruchtbarkeit von Böden ansprach ?

Er hat dabei immer den Zusammenhang von menschlicher Arbeit mit der Naturproduktivität hergestellt. Wenn achtzig Prozent der Wälder auf der Erde von Menschen gepflanzt wurden, wie Ihr dazu als Gegenbeispiel anführen wollt, wenn diese also wesentlich Produkte menschlicher Arbeit seien, so ist dies gar kein Beleg dafür, dass es keinen Sinn mache oder sogar unwissenschaftlich sei, von Naturproduktivität zu sprechen. Gepflanzt wurden ja nicht Wälder, sondern es wurden Baumsetzlinge oder -samen ausgesät. Aus diesen Anpflanzungen wuchsen Bäume heran, also aus ihren inneren Potenzen, aus ihren inneren Widersprüchen heraus, aber sie können sich nicht ohne die äußeren Einflüsse (Boden, Wasser) zu einem System 'Wald' entfalten.(6) Diese Setzlinge treten also in einen Stoffwechselprozess mit der sie umgebenden Natur und werden über Jahrzehnte zu Bäumen. In dem Sinne produziert auch die Natur, aber sie produziert bloße Gebrauchswerte die gratis sind.(7) Ob diese Gebrauchswerte nun zur Gewinnung von Holzrohstoff genutzt wird oder nur zur Bindung von Kohlendioxid oder zu anderen nützlichen Ergebnissen, sei einmal unbeachtet. Allgemein gesagt, kann es ohne Naturproduktivität als einer Quelle des menschlichen Reichtums auch keine menschliche Produktivität geben. In dem Sinne sind beide, die Natur - innere wie äußere - und die gesellschaftliche Arbeit Grundlage menschlichen Lebens.

Denn tatsächlich verändert der Mensch die durch Naturproduktivität hervorgebrachten Naturstoffe durch Arbeit zu seinen Zwecken. Somit bedingt die Produktivität der menschlichen Arbeit die Naturproduktivität wie auch die Entfaltung der Naturproduktivität menschliche Arbeit voraussetzt.(8) Die Naturproduktivität wird somit zu einem Teil der menschlichen Produktivkraft. Durch die Entfaltung der Produktivkräfte der Arbeit wird auch die uns umgebende Natur immer tiefer in diese entfalteten Kräfte einbezogen, da ja die menschliche Produktivität nicht von der Natur losgelöst ist.

Der Kapitalismus betrachtet die Natur nur als ein riesiges Warenhaus von Rohstoffen, worin diese Rohstoffe der möglichst schnellen Kapitalverwertung dienen. Dabei untergräbt er entsprechend der weiter entfalteten Produktivkräfte auch immer stärker jegliche natürliche Lebensgrundlage der Menschen.

Wenn Ihr, liebe GenossInnen der MLPD, den Begriff Naturproduktivität aber als unwissenschaftlich verneint, dann bleibt Euch Natur nur als vergleichsweise eindimensionales Rohstofflager und das paßt sehr schön in Euer Modell einer 'Kreislaufwirtschaft' : Dort werden dann diese Rohstoffe immer wieder dem Produktions- und Verwertungsprozess zugeführt.

Mit einem solchen Verständnis der Natur als Rohstofflager aber verkommt Euer „echter Sozialismus“ zu einem Denkmodell in der Art eines technokratischen Monsters, darin hat die durch menschliche Arbeit entfaltete Naturproduktivität kein Platz. Ganz anders Marx vor gut 150 Jahren: „(...) der ganze Geist der kapitalistischen Produktion, der auf den unmittelbaren nächsten Geldgewinn gerichtet ist, widerspricht der Agrikultur, die mit den gesamten ständigen Lebensbedingungen der sich verkettenden Menschengenerationen zu wirtschaften hat.“ (9) Diese damalige Feststellung gilt nicht nur für die Landwirtschaft, sondern gewiss für alle heutigen Produktionsprozesse.

Liebe GenossInnen,

wir haben uns in unserem Antwortschreiben hier wesentlich auf drei Elemente aus einem eher theoretischen Themenkreis Eures 'Katastrophenalarm' beschränkt. Es gäbe da unsererseits sicher noch mehr anzumerken. Indes halten wir an der Kritik an Euren Überlegungen aus unserem ersten Papiers (10) sowie aus unserer Buchbesprechung (11) fest. Wir schätzen zwar nach wir vor Eure jetzigen Anstrengungen in Sachen Ökologie, müssen aber davon ausgehen, daß Euer Relaunch auf diesem Gebiet theoretisch und praktisch nicht ausreichend durchdacht und entwickelt ist.

Unsere Anstrengungen richten wir auf ein stärkeres Engagement möglichst vieler KommunistInnen bzw. MarxistInnen-LeninistInnen in diesem Politikfeld und hoffen, daß sich u.a. darüber wieder etwas tut in Sachen Einheit der KommunistInnen auch in anderen Politikfeldern. Wie Ihr vielleicht wißt, legen wir auch großen Wert auf einen Dialog mit den ökologisch orientierten GenossInnen in der DKP (12) , den wir auch aktiv betreiben.

Wir finden es schade und schädlich, diesbezüglich immer bis zur jährlichen Luxemburg/Liebknecht/Lenin-Demo in Berlin oder zu den nächsten anstehenden Bundestags- oder Europaparlamentswahlen warten zu müssen, bis kommunistische Bündnisse oder solche mit starker kommunistischer bzw. marxistisch-leninistischer Beteiligung wenigstens einen Hauch gesellschaftlicher Bedeutung erlangen.

Solltet Ihr denn auch die Auseinandersetzung mit uns fortführen wollen - wir sind auch sozusagen zu 'nicht-öffentlichem' Meinungsaustausch bereit -, so laßt es uns wissen.

Mit solidarischen Grüßen

Frank Braun und Jürgen Suttner im August 2014
 

Anregungen und Kritik auch direkt an frank.braun@netcologne.de oder j-suttner@t-online.de

Fußnoten

2 siehe unter Lenin, Materialismus und Empirionkritizismus, Werke, Bd. 14, S. 32/33

3 Da hilft auch die penetrante Wiederholung dieser Formel nicht. In dem von Euch auf den Weg gebrachten Programmentwurf einer Initiative für eine Umweltgewerkschaft nennt Ihr 'Einheit von…' in den ersten drei Zeilen drei Mal.

4 vgl. unter 'MLPD - jetzt auch ökologisch aktiv' unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0814/t200814.html/

5 vgl. dazu unseren Beitrag „Das globale ökologische Desaster und die Marxisten-Leninisten“ unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0114/t100114.html/

6 vgl. dazu MaoZedong, AW I, S.368

7 vgl. dazu Marx/Engels, MEW Bd. 26.3, S.232

8 vgl. dazu Marx/Engels, Das Kapital III, MEW Bd. 25, S. 825

9 vgl. dazu Marx/Engels, Das Kapital III, MEW Bd. 25, S. 631

10 vgl. dazu unseren Beitrag „Das globale ökologische Desaster und die Marxisten-Leninisten“ unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0114/t100114.html/

11 vgl. dazu 'MLPD - jetzt auch ökologisch aktiv' unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0814/t200814.html/

12 vgl. dazu 'Das globale ökologische Desaster und die KommunistInnen ' unter http://www.trend.infopartisan.net/trd1213/t141213.html/

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von den Autoren zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.