Kommentar zum Zeitgeschehen
Hartz IV: 9 Euro mehr

von Manfred Müller

09-2013

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"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Westerwelle (FDP) 2010

"Durch die hohe soziale Absicherung bei uns ist offensichtlich zu wenig Leidensdruck vorhanden", Haderthauer (CSU) 2011

„Die Arbeitslosenzahl ist deutlich gesunken. Es wäre insofern nicht klug, Hartz IV zu erhöhen, weil man dann den Anreiz wegnimmt, im ersten Arbeitsmarkt aus eigener Kraft den Lebensunterhalt zu verdienen.“ von der Leyen (CDU) 2013

Was die Vertreterinnen und Vertreter der derzeitigen Regierungskoalition hier zu verschiedenen Zeiten zum Besten gegeben haben, entspringt ihrer verqueren politischen Ideologie. Diese geht nach wie vor von dem Glaubenssatz aus: "Es gibt genug Arbeitsplätze!" und daraus folgt: "Wer keinen Arbeitsplatz hat, ist zu faul sich einen zu suchen.

Keine selbst gefälschte Statistik, die das Gegenteil belegt, würde sie davon abhalten, diesen Glaubenssatz gebetsmühlenartig immer wieder abzuspulen. Die logische Folge aus dieser politischen Haltung wäre, den Regelsatz zu kürzen.

Das geschieht auch seit Jahren!

Teils offen, teils verdeckt, in homöopathischen Dosen, verbunden mit gelegentlichen "Stresstests".

  • Gestrichen wurde der "Armutsgewöhnungs"-Zuschlag (§ 24 SGB II) beim Wechsel vom Arbeitslosengeld zu Hartz IV, durch den der finanzielle Absturz von ehedem besser verdienenden Erwerbslosen über den Zeitraum von zwei Jahren mit zunächst maximal 160 € im 1. Jahr und 80 € im 2.Jahr abgemildert werden sollte.
  • Gestrichen wurde ebenso der Beitrag zur Rentenversicherung von zunächst 80 € pro Monat, dann auf 40 €, nun komplett.

Im "Regelsatz" waren schon immer alle Aufwendungen zu niedrig angesetzt oder nicht berücksichtigt.

Das hatte zur Folge, dass sich immer mehr Betroffene zunächst ihr evtl. verbliebenes Schonvermögen aufzuzehren hatten. Wenn dann allerdings die Waschmaschine kaputt ging oder die horrende Stromrechnung nicht mehr aufgebracht werden konnte, folgte der Bittgang zum Jobcenter um nach einem Darlehen nachzufragen. Nach Aussagen der BA betrug die Summe ausgereichter Darlehen im Jahre 2011 bereits 5 Mio Euro pro Monat! (SZ v.25.06.2012).Seit 2011 muss dann ein solches Darlehen mit monatlich 10 % des Regelsatz getilgt werden.

Besonders in Ballungsgebieten sind Leistungsberechtigte von "nicht anerkannten Kosten der Unterkunft" betroffen. In einer Großstadt, wie Köln, werden diese im Jahre 2012 mit 8,4 Mio Euro ausgewiesen, d.h. das Geld für die überteuerte Mieten muss ebenfalls aus dem Regelsatz  Angehörige verschiedener Kölner Erwerbslosen Initiativen proben "spätrömische Dekadenz" vor dem Parteitag der FDPbestritten werden.  Wer dann zu den 1 Million Menschen gehörte, die sich aus nichtigem Anlass gesetzeswidrigen Sanktionen ausgesetzt war, konnte sich schon einmal nach Pfandflaschen umsehen.

Natürlich liefen Betroffene und die wenigen, mit Ihnen politisch Verbündeten, von Anfang an gegen diese Regelungen Sturm. Die Hoffnungen die manche auf "Recht und Gesetz" hegten, wurden spätestens 2010 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgericht enttäuscht. Hier wurde festgestellt, dass die Regelsätze nicht "evident unzureichend" seien. Allerdings wurde das "Verfahren" zur ihrer Festsetzung als "verfassungswidrig" eingestuft und dem Gesetzgeber aufgegeben, dies zu ändern. Was er dann auch tat. Mit dem Ergebnis, dass die Regelsätze gekürzt hätten werden müssen! Die Kunst bestand darin, dass tief in die Trickkiste statistischer Methoden griff, um den Regelsatz klein zu rechnen. Bekannt wurde, dass nun "Alkohol und Tabak" nicht mehr berücksichtig würden. Weniger bekannt ist, dass andere "nicht existenzsichernde" Ausgaben, wie Auto, Garten, Uhren, Haustiere natürlich auch nicht berücksichtigt werden.

Für die "Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher2 wiederum ist zu berücksichtigen ist, dass die Erhöhung der Regelsätze seit acht Jahren regelmäßig den tatsächlichen Preissteigerungsraten hinterher hinken. Schlussendlich sei darauf hingewiesen, dass auch der Regelsatz ein Bruttobetrag ist. Ungefähr 40 € fließen dem Staat vermittels der Mehrwertsteuer wieder zu.

Das ganze "System Hartz IV" hat zur Folge, dass die Betroffenen wirtschaftlich an die Wand gedrückt, ruiniert, gesellschaftlich ausgegrenzt und damit vereinzelt werden. Die denkbar ungünstigste Vorrausetzung gemeinsamen Widerstands. Der jüngste "Stresstest" in dieser Hinsicht erfolgte Anfang des Monats in Bremen, wo einfach wegen der Umstellung von Software die Leistungen nicht überwiesen wurden. Ich glaube, in anderen Ländern Europas hätten die Betroffenen anders reagiert.

Die Festsetzung des Regelsatz für "Hartz IV" ist ein politischer Akt …

In der Vergangenheit war es ein Willkürakt. Unvergessen bleibt die ARD-Dokumentation: "Auf der Suche nach Peter Hartz", in der dieser bestätigte, dass ursprünglich der Regelsatz bei 511 € liegen sollte. Das war im Jahre 2004. Er ging damals davon aus, dass die Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe zusammengelegt werden sollte und nicht umgekehrt. Was politisch entschieden wurde war, dass der Sozialhilfesatz, -erhöht um eine Pauschale der "Sonderbedarfe"-, auf den Regelsatz von 345 € festgelegt wurde.

Nun gehöre ich nicht zu den Menschen, die glauben, dass Hartz IV „ abgewählt“ werden könnte. Jedoch war die LINKE, -bzw. deren ehemalige Quellpartei PDS nicht nur die einzige im Bundestag vertretene Partei-, die die Hartz IV–Gesetzgebung von Anfang an abgelehnt hat, sondern die auch ihre Möglichkeiten nutzt, auf allen politischen Ebenen Missstände aufzudecken und anzuprangern. Dabei wurde sie von vielen Erwerbslosen und ihren örtlichen Initiativen unterstützt. In diesem Sinne "wirkt" sie nach wie vor und ist ein verlässlicher Bündnispartner für Erwerbslose. Ihre Forderung nach Erhöhung des Eckregelsatz auf 500 € ist richtig, die Einführung einer repressionsfreien Grundsicherung von 1050 € muss im zweiten Schritt erkämpft werden.

Alles Gründe, am 22.09.2013 die LINKE zu wählen!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Kommentar vom Autor für diese Ausgabe. "Kommentare zum Zeitgeschehen" geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder, sondern dienen der Debatte zwischen verschiedenen Positionen.