Es ist Samstagvormittag,der
30.9.72. Am Wilhelmsruher
Damm/Ecke Treuenbrietzner Staße herrscht reges Leben und
Treiben. Eine lange Autoschlange
steht da und man ist eifrig bei der Sache mitgebrachte
Transparente, bemalt mit unseren bekannten und vorher
abgestimmten Forderungen und Parolen anzubringen.
Der geplante Autokorso ist Höhepunkt der
berechtigten Empörung der MV-Bewohner über erhöhte
Nachforderungen von Heizungskosten und über die letzte
Mieterhöhung .Vorausgegangen waren viele bekannte
Aktivitäten der MV-Bürger zusammen mit dem
Mieterschutzbund, der lange Zeit
vergeblich versuchte,
mit den zuständigen Stellen (Wohnungsbaugesellschaften
und Senat) ins Gespräch zu
kommen. An dieser Stelle wäre es
vielleicht angebracht,den Leuten
eine sportliche Anerkennung auszusprechen,
die in mühsamer Kleinarbeit bei den umfangreichen
Vorbereitungen halfen und eine Menge Freizeit opferten.
Inzwischen läuft alles auf
Hochtouren. Es kommen ständig
neue Autos hinzu. Mitfahrer helfen,
die Tranparente
anzubringen.Eine angespannte Erwartung
ist zu spüren, als gegen
11 Uhr die Polizei anrückt, Es ist ein ziemlich
großes Aufgebot von Motorrädern
und Wagen.
Die Polizisten fangen an, den
Verkehr zu ordnen, aber man hat
auch das dumpfe Gefühl, daß sie gleich damit beginnen,
jedes Auto zu kontrollieren,
um vielleicht die Wagenkolonne etwas zu
reduzieren. Inzwischen hat man
sich formiert. Per Megapfon wird,
noch schnell durchgegeben,in welchen Autos
noch freie Plätze sind und wie der Kurs ist.
Letzteres geht leider im allgemeinen Tohuwabohu
etwas unter. Nach dem Zeichen zum
Aufbruch setzt sich der Korso in Bewegung. Voran ein
Polizeiwagen,dann folgt ein Lautsprecherwagen und es
geht los im 20km-Ternpo. Zuerst
geht die Fahrt durch das MV.
Irgendeiner fängt an zu hupen,
und im Nu pflanzt sich das
Hupkonzert fort. Man spürt mit einem Male die große
Solidarität einer Gemeinschaft,
die bereit ist, für ihre und die
Sache ihrer Mitbewohner zu
streiten, sich offen zu bekennen.
Hinter vielen Fenstern wird es lebendig.
Man läuft auf die Straße und schaut, aber es gibt
auch viele, die so tun,
als ginge sie das alles nichts an.
Inzwischen haben sich noch einige Wagen
angeschlossen und wir sind jetzt bestimmt ein
beachtlicher Zug (wie sich später
herausstellte waren es 153 Wagen,
alle sehr gut besetzt). Mittlerweile sind wir im Wedding
und immer noch hupen viele ab und zu trotz drohender
Gebärden der Polizisten. Einer steht sogar später da und
gibt sämtliche Autonummern per Funk weiter. Die Reaktion
der Passanten auf unser Autokorso ist sehr verschieden.
Einige zeigen Sympathie. Einzelne ältere Leute,
wahrscheinlich mehr durch unser Hupkonzert
aufgeschreckt, deuten sich an die Stirn. Die Mehrheit
der Passanten ist zwar aufmerksam geworden, zeigt jedoch
keine erkennbare Reaktion. Nach dem Willen der Polizei
werden wir durch möglichst verkehrsarme Straßen geleitet
bis hin zum Schöneberger Rathaus, vor dem man unsren
Forderungen pfonetisch Nachdruck verleiht: Mitpreisstop,
Rücknahme der erhöhten Heizungkostennachforderung,
Anerkennung von Mieterräten!
Das
Schöneberger Rathaus ist durch Sperrgitter abgeschirmt.
Wir werden von noch mehr Polizisten umringt.
Vorsitzender des Mieterschutzbundes e.V. Horst Buckbesch
überreicht einen offenen Brief an Senatsdirektor
ud Pressesprecher des Senats Ziegler. In
ironischen Ton gratuliert er zu Innensenator Neubauers
Geburtstag. Im Rathaus findet nämlich gerade aus diesem
Grunde eine Feier statt. Während drinnen mit Sekt
angestoßen wird, man dem Senator Neubauer einen
silbernen Helm überreicht und feuchtfröhliche Reden
hält, stehen wir, die Mieter aus dem MV draußen und
müssen feststellen, daß sich für unsere Sorgen und Nöte
keiner interessiert.
Jetzt
erscheint auf der Szene ein Passant, der ein kleines
Kind bei sich hat. Aufgrund eines unserer Transparente
mit der Forderung nach Mieterräten (die demokratische
Mitbestimmung genauso praktizieren sollen wie z.B
.Betriebsräte) geht dieser in die Luft und beginnt wild
und voller Maß zu schimpfen. Zu nächst nimmt keiner ihn
ernst, jedoch er wird immer ausfälliger, wir hören ihn
"Kommunistenschweine" und ähnliches am laufenden Band
schreien. Man versucht den Typ zu beruhigen, aber
umsonst. Es fehlt nicht viel und der Kerl bekommt....
(hier bricht der Text ab -
red. trend)
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