Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Organisierung und Behinderung der Mieter
Das Dilemma des SPD-Mieterschutzbundes 1971-72

von Irene Rakowitz

09-2013

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Am Beispiel des beginnenden Mietkampfes im MV hat sich eindeutig gezeigt, daß die SPD nicht die Interessenvertretung der Arbeiter und Werktätigen ist, es als systemstützende Partei gar nicht sein kann und wir uns von dieser Partei nichts erhoffen können.

Heute vertritt die SPD - SPD als Partei Ist nicht in jedem Fall gleichzusetzen mit SPD-Mitgliedern in unserem Staat die Machtinteressen des Kapitals. Der Mieterschutzbund war eine Gründung von SPD-Mitgliedern, und das sagt bereits alles über den Rahmen, der dieser Gruppe gesteckt war. So behauptete der MSB: «Es ist keine breite Basis für einen Mietstreik vorhanden.» Diese Behauptung hatte eine reine Alibifunktion für den MSB, um so seine Inaktivität zu rechtfertigen. Zu keiner Zeit hat er zielstrebige Untersuchungen geführt, um ein Bild von der wirklichen Kampfbereitschaft der Mieter zu erlangen. Im Protokoll der Sitzung vom 19.10.1972 ist festgehalten, daß eine Mieterin offen fragte: «Wieso wird hier in dieser Versammlung behauptet, die Mieter des MV seien nicht zu einem Mietstreik bereit?»

Tatsache war, daß viele Mieter aktionsfreudig waren und daß sie gegen die Belastung ständiger Mieterhöhungen kämpfen wollten.

(Am 20. 9.1972 Mieterversammlung von 500 Mietern. 3000 Mieter hängten Laken und Tücher als Zeichen des Protests gegen die Mieterhöhungen aus dem Fenster, 3000 Unterschriften unter eine Protestresolution(1), 600 Mieter in 173 Autos bei einem Protest-Autokorso zum Rathaus Schöneberg.)

Diese breite und bisher einmalig dastehende Solidarität wurde durch den MSB verunsichert, zurückgepfiffen und zerstört. Kämpferische Mitglieder wurden durch zweifelhafte Praktiken einfach ausgeschlossen.

Ich beteiligte mich an der Untersuchungsarbeit der inzwischen gegründeten «Mieterinitiative» (MI) und machte Vorschläge zur Weiterführung des Mietkampfes.

Daruf hin bekam ich einen Brief des MSB-Vorstandes, in dem ich aufgefordert wurde, Stellung zu nehmen. Es wäre Mißtrauen entstanden innerhalb des MSB, ich würde die Arbeit hintertreiben. Ich sollte dazu Stellung nehmen und gleichzeitig erklären, wie ich zu «einer maoistischen Gruppe» stünde.

Als ich folgende Stellungnahme vorlas, äußerte sich ein SPD-Mitglied: «Wer solche Meinungen vertritt, der schmeißt auch Bomben!»

Stellungnahme zum Ausschluß-Antrag vom 21.11.1972

Das Schreiben des Mieterschutzbundes Märkisches Viertel e. V. vom 14.11. d. J. habe ich erhalten.

Allerdings sind die dort angeführten Gründe, diezu dem Ausschlußführen sollen, derart fadenscheinig, daß eine detaillierte Stellungnahme meinerseits unumgänglich erscheint.

Jeder weiß, daß ich zu den Aktiven der «ersten Stunde» gehörte, als es darum ging, im Interesse der Mieter des MV die Protestaktionen des Mieterschutzbundes zu organisieren, und daß ich ohne Rücksicht auf meine karg bemessene Zeit jede Anstrengung unternahm, um den Erfolg zu sichern. Das tat ich, ohne bereits Mitglied des MSB zu sein, habe aber vergeblich nach denen gesucht, die auf Grund ihrer Mitgliedschaft die erste Verpflichtung zu dieser Arbeit gehabt hätten.

Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber weil vom MSB kein Konzept für die Weiterführung des Kampfes nach Handtuchaktion und Autokorso erarbeitet worden war, fehlt bis heute eine entsprechende Reaktion von Senat und GeSoBau. Der MSB erlag einer Selbsttäuschung, als er auf die Einsichtigkeit der oben genannten Institutionen baute. Der Vorschlag des Ersten Vorsitzenden des MSB, in der Woche nach dem Autokorso sofort um die Gesprächsbereitschaft der GeSoBau nachzusuchen, war illusionär, wie die spätere Entwicklung gezeigt hat. Bis heute ist die Wohnungsbaugesellschaft nicht bereit, mit uns Mietern zu sprechen.

Andrerseits muß man zu der Überlegung kommen, daß der MSB offenbar gar nicht gewillt ist, schärfere Maßnahmen gegen die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen zu ergreifen.

Das erklärt sich daraus, daß die Wahlen vor der Tür standen und der MSB eine SPD-Gründung ist. Selbstverständlich konnten Genossen ihrereigenen Partei nicht in den Rücken fallen mit Aktionen, die, gegen den Senat gerichtet, gleichzeitig die Partei treffen mußten. Bekanntlich regiert bei uns ein SPD-Senat. Es galt also Parteiinteressen zu wahren, und darum wurden alle weitergehenden Forderungen (Mietstreik) von der Führung des MSB zerredet, als «Abenteurertum» bezeichnet und schließlich entgegen einem Be-schluß des gebildeten Aktionsausschusses abgelehnt.

Wenn man bedenkt, daß die neue Heizkostenpauschale im Dezember bereitss neue Belastungen für uns bringt und im Januar die Mieten wieder steigen, sollte man die Dringlichkeit neuer Kampfaktionen unbedingt in den Vordergrund aller Überlegungen stellen.

Statt dessen wird vom ersten Vorsitzenden so argumentiert (Zitat aus Märkblätter, Informationsschrift der SPD-Abteilungen im MV): «Es kann nicht Aufgabe des MSB sein, den Mieter in Situationen zu bringen (gemeint ist der Mietstreik), die seine Existenz bedrohen können. Es gilt vielmehr, durch gezielte Aktionen, die in der Zukunft zu entwickeln sind, zu versuchen, den Maßnahmen gegen den Mieter zu begegnen. Für den Mieterschutzbund heißt das: Es wird in Zukunft nur noch Beschlüsse seiner Mitglieder geben können, auch in den Aktionsgruppen.»

Zu obigem Zitat ist zu sagen: Die Existenz der Mieter wird zunächst einmal von der ständig steigenden Miete bedroht, und der MSB hat eine grundsätzliche Vorbedingung zur Durchsetzung von Kampfzielen nie zum Gegenstand seiner Öffentlichkeitsarbeit gemacht, er hat versäumt, den Mietern klarzumachen, daß unsere einzige Waffe die Solidarität ist. Nur sie kann uns zum Ziel bringen, und nur sie kann uns vor Angriffen und Repressalien schützen. Im Gegensatz zu dieser Notwendigkeit beruft sich der MSB stets nur auf das Gesetz. Sicher wissen wir, daß es der Wohnungsbaugesellschaft immer möglich sein wird, die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen nachzuweisen, dann mußten wir eben dafür kämpfen, daß dieses unsoziale Mietpreissystem geändert wird. Allerdings wäre auch das nur Stückwerk, und niemals kann dadurch unsere Lage grundlegend geändert werden. Nur durch die Lüge der Reformfähigkeit unseres Gesellschaftssystems konnte die SPD in der Vergangenheit so viele Anhänger gewinnen. Diese Theorie zu unterstützen heißt gleichzeitig die arbeitenden Menschen in einer gefährlichen Illusion lassen, die jede echte Initiative abwürgt. Richtig ist dagegen, daß es so lange keine soziale Gerechtigkeit geben kann, wie die Produktionsmittel nicht in der Hand derjenigen sind, die damit alle Werke und somit das Volksvermögen schaffen. Nur auf der Basis dieser Erkenntnis könnte die Arbeit des MSB zum Wohle aller sein.

«Ein Mietstreik erst in 1/2 Jahren (ein MSB/SPD-Mitglied) kommt zu spät, bis dahin werden sehr viele Mieter ihre Wohnung im MV verloren haben, weil der Mietpreis unerschwinglich geworden sein wird. Ich möchte nicht unterstellen, daß hier bewußt mitgeholfen wird, die schon zu beobachtende Taktik der GeSoBau, sozial schwache Mieter aus dem Stadtteil umzusetzen, unterstützt wird, bei der langatmigen Verzögerungstaktik des MSB liegt ein solcher Gedanke aber durchaus im Bereich des Möglichen.

Wenn ich mich zum losen Verband der Mieterinitiative zugehörig fühle, so deshalb, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, daß endlose Palaver unfruchtbar sind, und weil ich nicht zu den Leuten gehöre, die sich dies oder jenes «leisten» können, sondern den Mietstreik als einzig wirksame Waffe betrachte. ,

Mir ist auch völlig gleichgültig, wenn der MSB hocherfreut ist, recht viele SPD-Genossen als Mitglieder aufnehmen zu können. Parteizugehörigkeit ist mir in diesem Zusammenhang äußerst unwichtig, ich stelle allein die Frage: «Wer arbeitet im Interesse der Mieter, vorrangig im Interesse der sozial schwachen Mieter?»

Die Arbeit, die ich innerhalb der Mieterinitiative leiste, ist genau das, was ich vom MSB erwartet hätte. Aufklärung der Bevölkerung, Information und Aktivierung statt Beschwichtigung und Verunsicherung. Unsere Flugblätter und unsere Hausbesuche füllen genau diese Lücke. Weder diffamieren wir darin den MSB, noch läuft unsere Arbeit konträr zu Mieterinteressen. Was also wirft man mir oder meiner Gruppe wirklich vor? Meine Aktivität zur Verbesserung unserer Situation? Meine Solidarität gehört allen Menschen, deren Lage sich ständig verschlechtert, nicht zuletzt durch die steigenden Mieten.

Wer mir dieses Recht bestreitet, dem sage ich klar und offen, daß ich mit ihm niemals zusammenarbeiten kann. Wer immer beweist, daß er meinen Kampf unterstützt, und zwar mittaten, der kann auf mich zählen.

Damit will ich es bewenden lassen. Ich hoffe, daß meine Ausführungen innerhalb des MSB zu neuen Denkanstößen führen.

Irene Rakowitz

Obwohl ich den Willen zeigte, weiter mitzuarbeiten auf der Basis neuer Vorschläge, wurde mein Ausschlußverfahren und das von zwei weiteren MI-Mitgliedern sofort beschlossen und vollzogen.

Forderung des Mieterschutzbundes: Mietpreisstop

Diese Forderung ist mit dem Wesen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht zu vereinbaren und daher als Kampfziel illusionär. Im Kapitalismus ist die Wohnung zur Handelsware geworden, andererseits ist sie für den Menschen ein Grundbedürfnis und nicht verzichtbar. Demzufolge ist also die Ware Wohnung ein Profitobjekt ersten Ranges.

Da das Kapital niemals freiwillig auf Profitsteigerung verzichten kann, ergibt sich aus dieser einfachen Überlegung die Unsinnigkeit der Forderung nach Mietpreisstop.

Forderung der Mieter-lnitiative: Organisierter Mietstreik

Der organisierte Mietstreik, die Verweigerung der Mietzahlung durch eine geschlossene Gruppe von Mietern, ist das Druckmittel, das sich über die Vermieter hinaus direkt an den Gesetzgeber richtet. Er kann so zu einer Änderung der Gesetze über die Mietpreisbildung gezwungen werden. Das erfordert aber große, feste Solidarität einer breiten Bevölkerungsschicht. Außerdem müssen sich die Streikenden darüber klar sein, mit diesem Schritt bereits die Grenze zur Illegalität zu überschreiten, denn nach unserer geltenden Rechtsprechung besteht die Pflicht zur Mietzahlung. Andererseits aber wird jede Änderung der bestehenden Verhältnisse letztlich nur durch be-wußte Risikoübernahme zu erreichen sein. In diesem Falle stünde die Zwangsexmittierung streikender Mieter als Risiko im Raum, es würde aber gleichzeitig mit der wachsenden Zahl an solidarischen Mietern geringer.

Ganz klar gesagt heißt das: Kann ein Rechtsstaat, und einen solchen zu vertreten behauptet die Bundesregierung stets mit Nachdruck, zum Beispiel tausend oder mehr Mieter überhaupt exmittieren und wohin?

Das System und die Möglichkeiten seiner Veränderung

Wir müssen uns darüber klar sein, woher unsere Gesetze, die auch das Mietrecht regeln, kommen. Eindeutig ist festzustellen: Das kapitalistische System hat sich diese Gesetze geschaffen, um seinen Herrschaftsanspruch zu sichern und somit auch eine Handhabe und Durchsetzung seiner Profitinteressen zu haben. Nur wir, die wir diese Profite erarbeiten, können dafür sorgen, daß mit der Ausbeutung unserer Arbeitskraft Schluß gemacht wird.

Logische Schlußfolgerung: Das jetzige System muß zerstört werden, und zwar durch die arbeitende Bevölkerung, zu der auch die bündnisfähigen Teile aus der Intelligenz zählen. Sie muß durch eine neue gerechte Gesellschaftsordnung ersetzt werden, in der jeder Mensch nach seinen Interessen und Fähigkeiten arbeiten und leben kann. Vielen Menschen erscheint der Schritt dahin heute noch unmöglich oder zu risikoreich oder gar utopisch. Aber nichts ist unmachbar. Wir arbeitenden Menschen sind die Mehrheit, wir haben die Macht, die kleine Gruppe unserer Beherrscher hinwegzujagen und unser Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Hierzu gibt es zwei Wege, die als Etappen auf das gemeinsame Ziel notwendig sind. Einmal der lange Weg durch die Institutionen, das Aufrollen und Sichtbarmachen der Zusammenhänge von Kapital und Wirtschaft, um somit eine breite Basis für die notwendige Veränderung zu schaffen. Für diesen Weg brauchen wir aber das Bündnis mit allen fortschrittlich gesinnten Menschen (Arbeiter, Angestellte, Beamte und Intelligenz -wieweit Beamte überhaupt bündnisfähig sind, ist auch eine Frage des geltenden Beamtenrechts). Dann besteht auch noch die Problematik der Angestellten im

öffentlichen Dienst. Man sieht also, dieser Prozeß ist äußerst langwierig und wäre wohl nur über den Weg von Reformen zu erreichen. Reformen haben aber bisher noch nie unsere Lage verändert, sondern nur die Grenzen des Systems aufgezeigt. Daraus entwickelt sich notwendig derzweite Weg; radikaler zwar und schmerzhafter, aber konsequent und effektiver ist der revolutionäre Kampf. Er würde ausgehen von den Betrieben, wo die Arbeitshetze und der zunehmende Leistungsdruck die Arbeiter schließlich in die Offensive drängen, wo ihnen nur noch die Flucht nach vorne bleibt, wenn sie überleben wollen. Unterstützung wird ihnen aus dem Wohnbereich erwachsen, wo die psychische Verelendung wächst. Aus dem materiellen und aus dem seelischen Elend wird schließlich der Funke überspringen, der den Brand entfacht.

Fußnote

1) Diese 3000 Unterschriften - mit voller Adresse der Unterzeichner - verschwanden auf bisher noch ungeklärte Weise beim damaligen SPD-Vorsitzenden des MSB, der von seiner Partei unter Druck gesetzt war.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus: "Jetzt reden wir" Betroffene des Märkischen Viertels, hrg. von Johannes Beck u.a., Reinbek 1975, S. 146-153, OCR-Scan red. trend