Am Beispiel
des beginnenden Mietkampfes im MV hat sich eindeutig
gezeigt, daß die SPD nicht die Interessenvertretung der
Arbeiter und Werktätigen ist, es als systemstützende
Partei gar nicht sein kann und wir uns von dieser Partei
nichts erhoffen können. Heute vertritt die SPD - SPD
als Partei Ist nicht in jedem Fall gleichzusetzen mit
SPD-Mitgliedern in unserem Staat die
Machtinteressen des Kapitals. Der Mieterschutzbund
war eine Gründung von SPD-Mitgliedern, und das sagt
bereits alles über den Rahmen, der dieser Gruppe
gesteckt war. So behauptete der MSB: «Es ist keine
breite Basis für einen Mietstreik vorhanden.» Diese
Behauptung hatte eine reine Alibifunktion für den MSB,
um so seine Inaktivität zu rechtfertigen. Zu keiner Zeit
hat er zielstrebige Untersuchungen geführt, um ein Bild
von der wirklichen Kampfbereitschaft der Mieter zu
erlangen. Im Protokoll der Sitzung vom 19.10.1972 ist
festgehalten, daß eine Mieterin offen fragte: «Wieso
wird hier in dieser Versammlung behauptet, die Mieter
des MV seien nicht zu einem Mietstreik bereit?»
Tatsache war, daß viele Mieter aktionsfreudig waren
und daß sie gegen die Belastung ständiger Mieterhöhungen
kämpfen wollten.
(Am 20. 9.1972 Mieterversammlung von 500 Mietern.
3000 Mieter hängten Laken und Tücher als Zeichen des
Protests gegen die Mieterhöhungen aus dem Fenster, 3000
Unterschriften unter eine Protestresolution(1), 600
Mieter in 173 Autos bei einem Protest-Autokorso zum
Rathaus Schöneberg.)
Diese breite und bisher einmalig dastehende
Solidarität wurde durch den MSB verunsichert,
zurückgepfiffen und zerstört. Kämpferische Mitglieder
wurden durch zweifelhafte Praktiken einfach
ausgeschlossen.
Ich beteiligte mich an der Untersuchungsarbeit der
inzwischen gegründeten «Mieterinitiative» (MI) und
machte Vorschläge zur Weiterführung des Mietkampfes.
Daruf hin bekam ich einen Brief des MSB-Vorstandes,
in dem ich aufgefordert wurde, Stellung zu nehmen. Es
wäre Mißtrauen entstanden innerhalb des MSB, ich würde
die Arbeit hintertreiben. Ich sollte dazu Stellung
nehmen und gleichzeitig erklären, wie ich zu «einer
maoistischen Gruppe» stünde.
Als ich folgende Stellungnahme vorlas, äußerte sich
ein SPD-Mitglied: «Wer solche Meinungen vertritt, der
schmeißt auch Bomben!»
Stellungnahme zum
Ausschluß-Antrag vom 21.11.1972 Das
Schreiben des Mieterschutzbundes Märkisches
Viertel e. V. vom 14.11. d. J. habe ich
erhalten.
Allerdings sind die dort angeführten Gründe,
diezu dem Ausschlußführen sollen, derart
fadenscheinig, daß eine detaillierte Stellungnahme
meinerseits unumgänglich erscheint.
Jeder weiß, daß ich zu den Aktiven der «ersten
Stunde» gehörte, als es darum ging, im Interesse
der Mieter des MV die Protestaktionen des
Mieterschutzbundes zu organisieren, und daß ich
ohne Rücksicht auf meine karg bemessene Zeit jede
Anstrengung unternahm, um den Erfolg zu sichern.
Das tat ich, ohne bereits Mitglied des MSB zu
sein, habe aber vergeblich nach denen gesucht, die
auf Grund ihrer Mitgliedschaft die erste
Verpflichtung zu dieser Arbeit gehabt hätten.
Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber weil
vom MSB kein Konzept für die Weiterführung des
Kampfes nach Handtuchaktion und
Autokorso erarbeitet worden war, fehlt bis
heute eine entsprechende Reaktion von Senat und
GeSoBau. Der MSB erlag einer Selbsttäuschung, als
er auf die Einsichtigkeit der oben genannten
Institutionen baute. Der Vorschlag des Ersten
Vorsitzenden des MSB, in der Woche nach dem
Autokorso sofort um die Gesprächsbereitschaft der
GeSoBau nachzusuchen, war illusionär, wie die
spätere Entwicklung gezeigt hat. Bis heute ist die
Wohnungsbaugesellschaft nicht bereit, mit uns
Mietern zu sprechen.
Andrerseits muß man zu der Überlegung kommen,
daß der MSB offenbar gar nicht gewillt ist,
schärfere Maßnahmen gegen die Verschlechterung
unserer Lebensbedingungen zu ergreifen.
Das erklärt sich daraus, daß die Wahlen vor der
Tür standen und der MSB eine SPD-Gründung ist.
Selbstverständlich konnten Genossen ihrereigenen
Partei nicht in den Rücken fallen mit Aktionen,
die, gegen den Senat gerichtet, gleichzeitig die
Partei treffen mußten. Bekanntlich regiert bei uns
ein SPD-Senat. Es galt also Parteiinteressen zu
wahren, und darum wurden alle weitergehenden
Forderungen (Mietstreik) von der Führung des MSB
zerredet, als «Abenteurertum» bezeichnet und
schließlich entgegen einem Be-schluß des
gebildeten Aktionsausschusses abgelehnt.
Wenn man bedenkt, daß die neue
Heizkostenpauschale im Dezember bereitss neue
Belastungen für uns bringt und im Januar die
Mieten wieder steigen, sollte man die
Dringlichkeit neuer Kampfaktionen unbedingt in den
Vordergrund aller Überlegungen stellen.
Statt dessen wird vom ersten Vorsitzenden so
argumentiert (Zitat aus Märkblätter,
Informationsschrift der SPD-Abteilungen im MV):
«Es kann nicht Aufgabe des MSB sein, den Mieter in
Situationen zu bringen (gemeint ist der
Mietstreik), die seine Existenz bedrohen können.
Es gilt vielmehr, durch gezielte Aktionen, die in
der Zukunft zu entwickeln sind, zu versuchen, den
Maßnahmen gegen den Mieter zu begegnen. Für den
Mieterschutzbund heißt das: Es wird in Zukunft
nur noch Beschlüsse seiner Mitglieder geben
können, auch in den Aktionsgruppen.»
Zu obigem Zitat ist zu sagen: Die Existenz der
Mieter wird zunächst einmal von der ständig
steigenden Miete bedroht, und der MSB hat eine
grundsätzliche Vorbedingung zur Durchsetzung von
Kampfzielen nie zum Gegenstand seiner
Öffentlichkeitsarbeit gemacht, er hat versäumt,
den Mietern klarzumachen, daß unsere einzige Waffe
die Solidarität ist. Nur sie kann uns zum Ziel
bringen, und nur sie kann uns vor Angriffen und
Repressalien schützen. Im Gegensatz zu dieser
Notwendigkeit beruft sich der MSB stets nur auf
das Gesetz. Sicher wissen wir, daß es der
Wohnungsbaugesellschaft immer möglich sein wird,
die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen nachzuweisen,
dann mußten wir eben dafür kämpfen, daß dieses
unsoziale Mietpreissystem geändert wird.
Allerdings wäre auch das nur Stückwerk, und
niemals kann dadurch unsere Lage grundlegend
geändert werden. Nur durch die Lüge der
Reformfähigkeit unseres Gesellschaftssystems
konnte die SPD in der Vergangenheit so viele
Anhänger gewinnen. Diese Theorie zu unterstützen
heißt gleichzeitig die arbeitenden Menschen in
einer gefährlichen Illusion lassen, die jede echte
Initiative abwürgt. Richtig ist dagegen, daß es so
lange keine soziale Gerechtigkeit geben
kann, wie die Produktionsmittel nicht in der Hand
derjenigen sind, die damit alle Werke und somit
das Volksvermögen schaffen. Nur auf der Basis
dieser Erkenntnis könnte die Arbeit des MSB zum
Wohle aller sein.
«Ein Mietstreik erst in 1/2 Jahren (ein
MSB/SPD-Mitglied) kommt zu spät, bis dahin werden
sehr viele Mieter ihre Wohnung im MV verloren
haben, weil der Mietpreis unerschwinglich geworden
sein wird. Ich möchte nicht unterstellen, daß hier
bewußt mitgeholfen wird, die schon zu beobachtende
Taktik der GeSoBau, sozial schwache Mieter aus dem
Stadtteil umzusetzen, unterstützt wird, bei der
langatmigen Verzögerungstaktik des MSB liegt ein
solcher Gedanke aber durchaus im Bereich des
Möglichen.
Wenn ich mich zum losen Verband der
Mieterinitiative zugehörig fühle, so deshalb,
weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, daß
endlose Palaver unfruchtbar sind, und weil ich
nicht zu den Leuten gehöre, die sich dies oder
jenes «leisten» können, sondern den Mietstreik als
einzig wirksame Waffe betrachte. ,
Mir ist auch völlig gleichgültig, wenn der MSB
hocherfreut ist, recht viele SPD-Genossen als
Mitglieder aufnehmen zu können.
Parteizugehörigkeit ist mir in diesem Zusammenhang
äußerst unwichtig, ich stelle allein die Frage:
«Wer arbeitet im Interesse der Mieter, vorrangig
im Interesse der sozial schwachen Mieter?»
Die Arbeit, die ich innerhalb der
Mieterinitiative leiste, ist genau das, was
ich vom MSB erwartet hätte. Aufklärung der
Bevölkerung, Information und Aktivierung statt
Beschwichtigung und Verunsicherung. Unsere
Flugblätter und unsere Hausbesuche füllen genau
diese Lücke. Weder diffamieren wir darin den MSB,
noch läuft unsere Arbeit konträr zu
Mieterinteressen. Was also wirft man mir oder
meiner Gruppe wirklich vor? Meine Aktivität zur
Verbesserung unserer Situation? Meine Solidarität
gehört allen Menschen, deren Lage sich ständig
verschlechtert, nicht zuletzt durch die steigenden
Mieten.
Wer mir dieses Recht bestreitet, dem sage ich
klar und offen, daß ich mit ihm niemals
zusammenarbeiten kann. Wer immer beweist, daß er
meinen Kampf unterstützt, und zwar mittaten, der
kann auf mich zählen.
Damit will ich es bewenden lassen. Ich hoffe,
daß meine Ausführungen innerhalb des MSB zu neuen
Denkanstößen führen.
Irene Rakowitz |
Obwohl ich den Willen zeigte, weiter mitzuarbeiten
auf der Basis neuer Vorschläge, wurde mein
Ausschlußverfahren und das von zwei weiteren
MI-Mitgliedern sofort beschlossen und vollzogen.
Forderung des Mieterschutzbundes: Mietpreisstop
Diese Forderung ist mit dem Wesen der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung nicht zu
vereinbaren und daher als Kampfziel illusionär. Im
Kapitalismus ist die Wohnung zur Handelsware geworden,
andererseits ist sie für den Menschen ein Grundbedürfnis
und nicht verzichtbar. Demzufolge ist also die Ware
Wohnung ein Profitobjekt ersten Ranges.
Da das Kapital niemals freiwillig auf
Profitsteigerung verzichten kann, ergibt sich aus dieser
einfachen Überlegung die Unsinnigkeit der Forderung nach
Mietpreisstop.
Forderung der Mieter-lnitiative:
Organisierter Mietstreik
Der organisierte Mietstreik, die Verweigerung der
Mietzahlung durch eine geschlossene Gruppe von Mietern,
ist das Druckmittel, das sich über die Vermieter hinaus
direkt an den Gesetzgeber richtet. Er kann so zu einer
Änderung der Gesetze über die Mietpreisbildung gezwungen
werden. Das erfordert aber große, feste Solidarität
einer breiten Bevölkerungsschicht. Außerdem müssen sich
die Streikenden darüber klar sein, mit diesem Schritt
bereits die Grenze zur Illegalität zu
überschreiten, denn nach unserer geltenden
Rechtsprechung besteht die Pflicht zur Mietzahlung.
Andererseits aber wird jede Änderung der bestehenden
Verhältnisse letztlich nur durch be-wußte
Risikoübernahme zu erreichen sein. In diesem Falle
stünde die Zwangsexmittierung streikender Mieter als
Risiko im Raum, es würde aber gleichzeitig mit der
wachsenden Zahl an solidarischen Mietern geringer.
Ganz klar gesagt heißt das: Kann ein Rechtsstaat, und
einen solchen zu vertreten behauptet die Bundesregierung
stets mit Nachdruck, zum Beispiel tausend oder mehr
Mieter überhaupt exmittieren und wohin?
Das System und die Möglichkeiten seiner
Veränderung
Wir müssen uns darüber klar sein, woher unsere
Gesetze, die auch das Mietrecht regeln, kommen.
Eindeutig ist festzustellen: Das kapitalistische System
hat sich diese Gesetze geschaffen, um seinen
Herrschaftsanspruch zu sichern und somit auch eine
Handhabe und Durchsetzung seiner Profitinteressen zu
haben. Nur wir, die wir diese Profite erarbeiten, können
dafür sorgen, daß mit der Ausbeutung unserer
Arbeitskraft Schluß gemacht wird.
Logische Schlußfolgerung: Das jetzige System muß
zerstört werden, und zwar durch die arbeitende
Bevölkerung, zu der auch die bündnisfähigen Teile aus
der Intelligenz zählen. Sie muß durch eine neue
gerechte Gesellschaftsordnung ersetzt werden, in der
jeder Mensch nach seinen Interessen und Fähigkeiten
arbeiten und leben kann. Vielen Menschen erscheint der
Schritt dahin heute noch unmöglich oder zu risikoreich
oder gar utopisch. Aber nichts ist unmachbar. Wir
arbeitenden Menschen sind die Mehrheit, wir haben die
Macht, die kleine Gruppe unserer Beherrscher
hinwegzujagen und unser Leben selbst in die Hand zu
nehmen.
Hierzu gibt es zwei Wege, die als Etappen auf das
gemeinsame Ziel notwendig sind. Einmal der lange Weg
durch die Institutionen, das Aufrollen und
Sichtbarmachen der Zusammenhänge von Kapital und
Wirtschaft, um somit eine breite Basis für die
notwendige Veränderung zu schaffen. Für diesen Weg
brauchen wir aber das Bündnis mit allen fortschrittlich
gesinnten Menschen (Arbeiter, Angestellte, Beamte und
Intelligenz -wieweit Beamte überhaupt bündnisfähig sind,
ist auch eine Frage des geltenden Beamtenrechts). Dann
besteht auch noch die Problematik der Angestellten im
öffentlichen Dienst. Man sieht also, dieser Prozeß
ist äußerst langwierig und wäre wohl nur über den Weg
von Reformen zu erreichen. Reformen haben aber bisher
noch nie unsere Lage verändert, sondern nur die Grenzen
des Systems aufgezeigt. Daraus entwickelt sich notwendig
derzweite Weg; radikaler zwar und schmerzhafter, aber
konsequent und effektiver ist der revolutionäre Kampf.
Er würde ausgehen von den Betrieben, wo die Arbeitshetze
und der zunehmende Leistungsdruck die Arbeiter
schließlich in die Offensive drängen, wo ihnen nur noch
die Flucht nach vorne bleibt, wenn sie überleben wollen.
Unterstützung wird ihnen aus dem Wohnbereich erwachsen,
wo die psychische Verelendung wächst. Aus dem
materiellen und aus dem seelischen Elend wird
schließlich der Funke überspringen, der den Brand
entfacht.
Fußnote
1) Diese 3000 Unterschriften - mit voller Adresse der
Unterzeichner - verschwanden auf bisher noch ungeklärte
Weise beim damaligen SPD-Vorsitzenden des MSB, der von
seiner Partei unter Druck gesetzt war.
Editorische Hinweise
Der Text wurde entnommen aus:
"Jetzt reden wir" Betroffene des
Märkischen Viertels, hrg. von Johannes Beck u.a.,
Reinbek 1975, S. 146-153, OCR-Scan red. trend
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