Über den Bruch mit der Linken?
 Die Achse der Abtrünnigen und Nicht- Abtrünnigen
Zum Buch von Marco Carini

von Anne Seeck

09-2012

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Marco Carini beschreibt in dem Buch „Die Achse der Abtrünnigen“ Biographien und Meinungsäußerungen von Ex- Kommunisten. Schriften von diesen wurden von der Gegenseite umfassend instrumentalisiert und für einen blinden Antikommunismus ausgeweidet.

Dabei gibt es in diesem Buch ein heilloses Durcheinander von Ex- Kommunisten, die eigentlich immer noch Kommunisten sind und sich zur kommunistischen Idee bekennen, wie Stefan Heym, und solchen, die ausgesprochene Antikommunisten geworden sind, wie Margarete Buber- Neumann, die 1949 das Buch „Als Gefangene bei Stalin und Hitler“ veröffentlichte und den Kommunismus als Gefahr darstellte. Sie setzte Stalinismus und Hitlerfaschismus im Sinne der Totalitarismustheorie gleich.

Renegaten sind also ins gegnerische Lager gewechselt oder haben nach einem „Dritten Weg“ eines Reformsozialismus gesucht.

Die Befürworter eines Dritten Weges waren zum Beispiel Gerhard Zwerenz, Ernst Bloch, Robert Havemann und Rudolf Bahro. Gerade die Schriften von Havemann und Bahro haben in den 80er Jahren Diskussionen und die Opposition in der DDR gestärkt, weil sie Perspektiven eröffneten.

Seit Mitte der 70er Jahre war damit auch die Ökologie- Debatte verknüpft. Heinz Brandt, Havemann und Bahro waren daran beteiligt. Sie greifen die ökologische Krise als existentielle Herausforderung für die Menschheit heraus und wollen den Wachstumszwang aushebeln.

Während Ernst Bloch und Heinz Brandt zu den Unterstützern der 68er Studentenbewegung gehörten, kritisieren Götz Aly und Klaus Rainer Röhl, die selbst Teil dieser Bewegung waren, diese im Rückblick. Für Klaus Rainer Röhl ist der Sozialismus selbst der Fehler, nichts sei positiv an 68. In seinem Buch „Unser Kampf“ setzt Götz Aly die 68er Studentenbewegung und die nationalsozialistische Bewegung gleich. Auch die Generation der Kinder der 68er, hier vertreten durch Richard David Precht und Jan Fleischhauer, ziehen Parallelen zwischen den NS-Tätern und einem Teil der Linken, so Fleischhauer. Die Verbrechen Stalins und Maos seien dagegen für viele Jugendliche der 68er Generation nur Kollateralschäden auf dem Weg zur Weltrevolution gewesen, so Precht. Klaus Rainer Röhl wettert am meisten gegen die „sexuelle Revolution“ und den „Femi- Faschismus“.

Nach 1989 setzt die Debatte über den Umgang mit den Tätern des DDR- Unrechts ein. Giordano ist dabei Meister der Gleichsetzung der DDR mit der NS- Vergangenheit. Nicht viel anders bewertet Henryk M. Broder das Ganze. Wolf Biermann stellt mehrfach Personen des öffentlichen Lebens bloß. Alle drei treten in die erste Reihe der Ankläger.

Biermann, Broder und Giordano greifen auch in friedenspolitische Debatten ein, kritisieren die Einseitigkeit der Friedensbewegung und befürworten militärische Einsätze. Kriegsgegner werden von Biermann zum Beispiel als „Hurra- Pazifisten“ bezeichnet.

Broder und Giordano bezeichnen jegliche Kritik am Staat Israel als Antisemitismus und versuchen damit Kritiker Israels einzuschüchtern. Bei der Islamkritik stehen sie dagegen an vorderster Front. Für Giordano ist der Islam das Problem. Broder hat mit seinem Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ eine Kampfschrift gegen den Islam und Islamismus vorgelegt. Zu Sarrazin sagt Giordano: „Sarrazin beschreibt die Wirklichkeit so, wie sie ist, und nicht, wie seit vielen Jahren von der politischen Korrektheit dargestellt.“ Broder bezeichnet den Umgang mit Sarrazin als Hexenjagd. Für Biermann hat Sarrazin einige Wahrheiten gesagt und Klaus Rainer Röhl hat Sarrazin am entschiedensten verteidigt.  

Die „Renegaten“ der ersten Generation- Abwenden vom Stalinismus

Zum Beispiel Wolfgang Leonhard

Er ist der Sohn von Susanne Leonhard, die in der Sowjetunion zu zwölf Jahren Lagerhaft verurteilt wird und diese zum Großteil in Workuta verbringt. Sie verteidigt auch nach ihren Lagererfahrungen die sozialistische Idee. Sie hält den Stalinismus für eine Pervertierung des Sozialismus.

„Nach der Zwangstrennung von seiner Mutter im Jahr 1936 wird der damals 15- Jährige in der Sowjetunion systematisch zum Parteikader geschult, nach Ende des Hitler-Regimes gehört er bis 1949 der 'Gruppe Ulbricht' an, der linientreuen Moskauer Vorhut in der Sowjetischen Besatzungszone in Deutschland, und damit auch dem zentralen Apparat der SED- Führung.“ Sein Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ beschreibt die Zeit von Juni 1939, als er mit seiner Mutter von Stockholm nach Moskau übersiedelt, bis April 1949 als er nach Belgrad flieht, weshalb er wegen „parteifeindlichen Verhaltens“ aus der SED ausgeschlossen wird. Wolfgang Leonhard beschreibt seinen Bruch mit dem Stalinismus. Er grenzt sich jedoch nicht von kommunistischen Utopien ab. Allerdings erklärt er der ZEIT im Jahre 2007, dass er mit den Grünen und dem progressiven Flügel der FDP sympathisiere. 2011 befindet er „Gegenwärtig scheint mir die Linke viel zu dogmatisch und die SPD zu langweilig.“

Die „Renegaten“ der zweiten Generation

Alfred Kantorowicz wird im Westen nicht gerade mit ausgebreiteten Armen empfangen. 1958 wird ihm die Anerkennung als politisch verfolgter Flüchtling und Verfolgter des NS- Regimes versagt. Bis zum Lebensende weigert er sich strikt, sich von der Linken loszusagen.

Gerhard Zwerenz wird wegen parteischädigender Äußerungen aus der SED ausgeschlossen und flieht 1957 in die BRD, um der eigenen Inhaftierung zu entgehen. Er setzte auf eine innere Reformierung der DDR, mit der Idee des Sozialismus brach er nicht. 1994 kandidierte er als Parteiloser für die PDS und zieht in den Bundestag ein. 2009 ruft er zur Wahl der Linkspartei auf.

Robert Havemann wurde 1964 in der DDR mit einem Berufsverbot bestraft. 1976 erhält er einen Hausarrest, der erst zweieinhalb Jahre später aufgehoben wird. Er arbeitete mit der Friedensbewegung zusammen. Er hat die DDR bis zu seinem Tod 1982 nicht verlassen.

Ernst Bloch´s Biographie nimmt eine politische Wendung, als er die Erstarrung des Marxismus und die Niederschlagung des Ungarn- Aufstandes kritisiert. Noch in dieser Zeit verweist er auf seine einstige Verteidigung der Moskauer Säuberungen. 1961 bleibt er im Westen. Er bleibt Marxist, distanziert sich aber zunehmend von den Verbrechen des Stalinismus. Im Westen engagierte er sich gegen die Notstandsgesetze, gegen Berufsverbote usw. Auf seinem Grabstein steht: „Denken heißt überschreiten!“

Stefan Heym beantragt nach der Emigration 1953 Asyl in der DDR. Das Leben in der DDR ist für ihn ein Drahtseilakt zwischen Anpassung und Auflehnung. 1956 beginnen die Konflikte zwischen Heym und der Staatsführung. Sein Roman über den Aufstand 1953 kann erst 1974 in der BRD veröffentlicht werden. 1965 erhält er in der DDR Publikationsverbot. 1976 unterschreibt er den Brief gegen die Ausbürgerung Biermanns und der Konflikt verhärtet sich. 1979 wird er aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, weil er den Roman Collin in der BRD veröffentlicht. Damit wird ihm die Existenzgrundlage entzogen. 1989 beteiligt sich Heym an Montagsdemonstrationen, am 4.11.1989 redet er auf der Kundgebung am Alex. Heym will eine reformierte DDR und wird einer der schärfsten Kritiker des Vereinigungsprozesses. Er kandidiert für die PDS und wird Alterspräsident im Bundestag. Nach einem Jahr legt er sein Mandat nieder.

Heinz Brandt wird 1964 aus dem Zuchthaus Bautzen entlassen und siedelt in die BRD über. Er unterstützt die Anliegen der 68er Revolte und ist mit Rudi Dutschke eng befreundet. Nach seiner Verrentung 1974 nimmt er an vielen Diskussionen der „Neuen Linken“ teil. Er wird Gründungsmitglied der Grünen und engagiert sich in der Friedens- und Anti- Atombewegung.

Erich Loest wird 1957 aus der SED ausgeschlossen und verhaftet. Bis 1964 sitzt er im Zuchthaus Bautzen. 1981 siedelt er in die BRD über, weil er überwacht wird. Er widmete sich der zweiten Schuld, die in der Verdrängung der ersten besteht. In der DDR wurde die Bevölkerung zu „Mitsiegern“ erklärt. Erich Loest reflektiert seine eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus und bekennt sich zur Mitschuld. Diese Aufarbeitung bei einem SED- Mitglied ist in der DDR unerwünscht. Nach der Wende bezeichnet er sich als „rot-grüner Wechselbalg“ und ruft 1998 zur Wahl der Grünen auf.

Rudolf Bahro ist bis zu Chruschtschows Stalin- Demaskierung glühender Anhänger Stalins. Als er dann mit den Aufständischen in Ungarn und Polen sympathisiert, wird er zwei Jahre bespitzelt. 1967 gerät er wieder in Konflikt mit der Staatsmacht, als er ein nicht genehmigtes Theaterstück von Volker Braun abdruckt. Als er auch noch einen kritischen Brief an Walter Ulbricht schreibt, ist er seine Arbeit los. Von 1967-77 arbeitet er in Industriebetrieben und vertraut seine Gedanken einem Manuskript an, das später sein bekanntes Buch „Die Alternative“ wird und 1977 im Westen veröffentlicht wird. Einen Tag nach dem Vorabdruck wird er verhaftet und zu acht Jahren verurteilt. Im Oktober 1979 wird er wegen des internationalen Druckes amnestiert und in die BRD abgeschoben. Hier beteiligt er sich an der Gründung der Grünen. Schließlich wird ihm vorgeworfen, esoterische Elemente in seinen Gedankengebäude einzubauen, er wolle eine Ökodiktatur.

Ralph Giordano

1957 bricht Giordano mit der SED bzw. KPD. Er macht Erfahrungen mit der Zensur der Partei und kritisiert den sozialistischen Realismus. 1961 erscheint das Buch „Die Partei hat immer recht“. Er wendet sich vom Sozialismus ab und rückt später weit nach rechts.

Wolf Biermann

Wolf Biermann wird 1976 nach einem Konzert in Köln aus der DDR ausgebürgert, seit 1963 hatte er in der DDR bereits Auftrittsverbote. Gegen seine Ausbürgerung gibt es massive Proteste. Es folgen Berufsverbote, Verhaftungen und Ausbürgerungen von Künstlern. Damals äußert Biermann, er komme vom Regen in die Jauche und sei nun ein Linker in der BRD. Erst in den 90er Jahren distanziert er sich vom Kommunismus. 2000 wird er Kulturkorrespondent bei der Welt.  

Die Abtrünnigen aus dem roten Jahrzehnt

Klaus Rainer Röhl

Er war Mitbegründer und lange Zeit Herausgeber von Konkret. 1968 wird seine Ehe mit Ulrike Meinhof geschieden, mit der er zwei Kinder hat und die entführt werden. Im Herbst 1973 wird er von der Redaktion von Konkret vom Hof gejagt. Danach beginnt seine Abrechnung mit der Linken. Bereits 1974 legt er die Abrechnung „Fünf Finger sind keine Faust“ vor, 1994 „Linke Lebenslügen“, zu der ihm Helmut Kohl gratuliert. 1987 wählt er für seine Promotion Ernst Nolte aus, der den Historikerstreit ausgelöst hat. 1975 tritt er der SPD bei, 1995 der FDP, dort engagiert er sich im nationalliberalen Flügel. 1994 bezeichnet er sich als „wertkonservativ“.

Strikter Antikommunismus ist für Röhl die Voraussetzung für glaubwürdigen Antifaschismus. An der 1968- Bewegung ist für ihn „nichts“ positiv. „Drei Bastarde“ seien aus dieser Bewegung hervorgegangen: „die Drogenapostel, die Terroristen und der Feminismus“, die „in den nächsten Jahrzehnten ihre menschenfeindliche Wirkung entfalteten“. Zudem arbeitet er sich an der antiautoritären Erziehung ab. Sein Fazit lautet: „Die ganze antiautoritäre Bewegung, heute zumindest in Teilbereichen als positiv bewertet, ist selber eine Lebenslüge. Die Lebenslüge einer Generation.“ Folgen seien „das Blockwartsystem der politischen Korrektheit“, ein ausgeprägter „deutscher Selbsthass“ und eine „multikulturelle Null- Identität“. Wenn Röhl über den Feminismus schreibt, wird sein Tonfall deftig. Der radikale Feminismus sei eine grausame, im Grunde rassistische Apartheidslehre“. Mit der Männerfeindlichkeit sei der Feminismus heute so prüde „wie ein Verein victorianischer Betschwestern“. Er zieht einen Vergleich zwischen radikalfeministischen Manifesten und Hitlers „Mein Kampf“ und redet vom „Femi- Faschismus“. Zum Thema Kindermissbrauch hat Röhl nur Polemik übrig. Seine Töchter beschuldigen ihn 2010 des sexuellen Missbrauchs zwischen 1970 und 1973, was Röhl bestreitet. Röhl verteidigt 2011 Thilo Sarrazin entschieden, der hätte das „wichtige Thema der mangelnden Integration von Migranten“ aufgebracht. Die Lufthoheit sei durch das Volk wieder zurückerobert.

Henryk M. Broder

1946 in einer polnisch-jüdischen Familie geboren, die 1958 nach Köln umsiedelt, startet er Ende der sechziger eine journalistisch- publizistische Laufbahn in Blättern mit linker Ausrichtung. Er bricht 1976 mit der Linken, aufgrund antisemistischer Tendenzen in dieser. Auslöser ist die Entführung von Entebbe, wo die Flugzeugentführer der „Revolutionären Zellen“ Juden „selektieren“. Nach der Befreiung der Geiseln hätten Linke gegen die „Verletzung der Souveränität Ugandas“ protestiert. 1981 geht Broder nach Israel und 1986 rechnet er mit dem Buch „Der ewige Antisemit“ mit Strömungen der Linken ab. 2008 sagt Broder „Wenn man sich auf etwas bis jetzt felsenfest verlassen konnte, dann war es der saubere Gutmenschen- Antisemistismus der Linken, verkleidet als Antizionismus“. Ab Mitte der neunziger Jahre publiziert Broder im Spiegel, seit 2011 in der Welt. Er betreibt mit anderen das Netzwerk „Die Achse des Guten“. Broder tritt was die DDR- Aufarbeitung betrifft, in die erste Reihe der Ankläger. Stefan Heym bezeichnet er als „Schnellvergeber und -vergesser“ und fordert von ihm „das Eingeständnis, dass er zu denjenigen gehörte, die sich aus den Privilegienkammern des Systems bedienten“. An der Friedensbewegung kritisiert er die Einseitigkeit und befürwortet Kriege. Kriegsgegner werden verunglimpft. Gerechtfertigt werden die Irakkriege mit dem Schutz Israels. Broder setzt Israelkritik und Antisemistismus gleich. So sollen die Kritiker des Staates Israel eingeschüchtert werden. Wer jemand als Antisemit bezeichnet und das durchsetzen kann, hat den Israelkritiker aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Während Broder Kritik an Israel nicht zuläßt, steht er bei der Islamkritik an erster Stelle. „Broder ist einer der prominentesten Vertreter der islamophoben Szene in Deutschland“ schreibt Bettina Marx. Seine Kampfschrift gegen den Islam heißt „Hurra, wir kapitulieren“. Sarrazin steht Broder inhaltlich zur Seite. „Diejenigen, die über Sarrazin herfallen, tun es nicht, weil er mit seinen Thesen danebenliegt, sondern weil er im Prinzip recht hat.“ Er geißelt den Umgang mit Sarrazin, das sei der erste Fall von Hexenjagd seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Deutschland.

Götz Aly

2008 erscheint sein Werk „Unser Kampf 1968- ein irritierter Blick zurück“, wo er sich als Renegat entpuppt. Er läßt kein gutes Haar an den studentischen Protestformen, und zieht Parallelen zur Studentenbewegung von 1933.

Jan Fleischhauer

Jan Fleischhauer, Spiegel- Autor, kennt anscheinend nur die Dominanz der Linken. Seine Jugend unter Linken hat der verwöhnte Sohn angeblich nur unter Entbehrungen verbracht. In seinem Buch „Unter Linken“ berichtet er, wie er aus Versehen konservativ wurde. Auch als Journalist findet er sich von Linken umzingelt. Er zimmert ein Zerrbild der Linken zusammen. Linkssein sei Leitkultur und das Konservativsein sei bloße Abgrenzung vom linken Mainstream.

Richard David Precht

Er wird antiautoritär erzogen und hat anscheinend eine „entbehrungsreiche“ Jugend, wie er in seinem autobiographischen Roman „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ berichtet. Dabei hat er den Bildungsweg eines Sohnes bildungsnaher, linksintellektueller Eltern. Abitur, Zivildienst, Studium, Promotion. Mit zwei weiteren Büchern wird er Bestsellerautor.  

„Wer in der Jugend kein Kommunist war, hat kein Herz, wer es im Alter noch ist, kein Hirn.“, so beginnt Carini das Buch. Das könnte der programmatische Titel des politischen Renegatentums sein. Links gestartet, weiter rechts gelandet. Was sind die Gründe für den Bruch mit der Linken? Was haben die Linken von gestern uns heute noch zu sagen? So fragt Carini.

Dabei sind die Motive sehr unterschiedlich und auch die biographischen und politischen Lebenswege. Ein Bruch mit der Linken aufgrund des Stalinismus ist sehr verständlich. Aber muß man deshalb Antikommunist werden? Auch eine Desillusionierung nach 89 ist sehr verständlich. Aber muß man deshalb Zyniker werden, weil man keine Alternative mehr sieht? Muß man deshalb nach rechts abdriften?

Und was mich an dem Buch irritiert hat, nicht alle haben mit der Linken wirklich gebrochen, wie z.B. Gerhard Zwerenz und Stefan Heym. Sie sind keine Abtrünnigen. Und das Leben kann sehr kompliziert sein. Das wird an den Biographien in dem Buch sehr deutlich. Sie waren „Kinder ihrer Zeit“. Ernst Bloch war Stalinist, später begleitet er die antiautoritäre Studentenrevolte im Westen. Das Buch läßt einiges offen und stiftet Verwirrung. Er regt aber auch an, „Renegaten“literatur zu lesen, so zum Beispiel:

Rudolf Bahro, Die Alternative, Köln/Frankfurt 1980
Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder, 1955
Stefan Heym, Fünf Tage im Juni
Ralph Giordano, Die Partei hat immer Recht, Köln 1961
Robert Havemann, Ein deutscher Kommunist, 1978

Hier eine Kurzrezension im ak 572:

Über den albernen Titel - »Die Achse der Abtrünnigen« - ließe sich noch hinwegsehen. Ärgerlich ist die Unterzeile »Über den Bruch mit der Linken«. Denn zu den 15 »Abtrünnigen«, die der taz-Redakteur Marco Carini in seinem neuen Buch vorstellt, zählt er allen Ernstes auch Linke wie Gerhard Zwerenz, Robert Havemann, Ernst Bloch und Stefan Heym. Ihnen den »Bruch mit der Linken« zu unterstellen, grenzt an Rufmord - Renegaten und Verräter waren sie allenfalls aus der Sicht derjenigen, die sie zu kritisieren gewagt hatten: die Kader des autoritären Staatssozialismus in der DDR. Während Herbert Wehner, der vielleicht prominenteste deutsche Renegat, fehlt, würdigt Carini neben dem unvermeidlichen Henryk M. Broder auch zwei jüngere Wichtigtuer: den Philosophen Richard David Precht und den Spiegel-Autor Jan Fleischhauer. Letzterer ist ein Jugendfreund Carinis, der heute aus der Abrechnung mit seinem sozialdemokratischen Elternhaus und einigen linken Lehrern ein Geschäft macht. Er lehnt das ab, was Carini, arg willkürlich, als »aktuellen Kern linker Weltanschauung« definiert: den »Anspruch auf Verteilungsgerechtigkeit und ... auf eine unbedingte Chancengleichheit für alle Individuen«. Im zweiten Teil wird das Buch besser. Hier geht es um deutsche Debatten - u.a. über 1968, die DDR, Interventionskriege, den Islam, Sarrazin - und den Part, den Ex-Linke wie Broder, Götz Aly, Wolf Biermann oder Ralph Giordano dabei spielen. / Jens Renner

Und ein Mitschnitt von der Buchvorstellung bei den Linken Buchtagen: http://www.freie-radios.net/49329
Interessant vor allem Thomas Ebermanns Ausführungen über die „Unfreiheit des Intellektuellen“.

Marco Carini
Die Achse der Abtrünnigen
Über den Bruch mit der Linken


Rotbuch Verlag Berlin 2012


ISBN 978-3-86789-148-6
288 Seiten
12,5 x 21,0 cm
brosch.
14,95 €