Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Jahrbuch des Inst. für Marxist. Studien und Forschungen
ZUR POLITISCHEN ÖKONOMIE DER MIETWOHNUNG

von Winfried Schwarz

09-2012

trend
onlinezeitung

1. Das  Fiasko des  Mietwohnungsbaus
2. Ökonomische Formbestimmung: nicht nur Ware, sondern Kapital

3. Der hohe Fremdkapitalanteil bei der Finanzierung

4. Wohnungskapital, Bankkapital und  die "Kostenmiete"

5. Der Ausgleich anfänglicher Unterverwertung durch spätere  Zusatzgewinne. Ein  Modellbeispiel

6. Warum der  Markt für  eigene Wohnungen  nicht stagniert

7. Ungleiche Mietzahlungskraft als  Hemmnis rein privat-kapitalistischer Wohnungsversorgung und  die historische Notwendigkeit des Staatseingriffs

8.  Die staatsmonopolistische  Regulierung des  Wohnungssektors von 1917 bis heute

9. Fazit

1. Das Fiasko des Mietwohnungsbaus

Daß  sich   der  Wohnungsbau  von  seinem  Nachkriegsrekord  1973 (714 000 Fertigstellungen)  auf  sein  bisheriges  Nachkriegstief 1979 (357 000) halbiert hat 1), liegt nicht am mangelnden Bau von Eigentümerwohnungen, also  Ein- und  Zweifamilienhäusern  (Eigenheimen) und  Eigentumswohnungen. Die Zahl der jährlich erstellten Eigenheime schwankt  seit 1962  konstant  zwischen  200  und  250 Tausend -  mit zunehmender  Tendenz seit  1975. 2)  Gleichzeitig wächst das Neubauvolumen von Eigentumswohnungen - mitgetragen von der staatlichen Förderung des "selbstgenutzten Wohnungseigentums" 3) -  u.a. in  exotischen Formen  von auf Steuereinsparung ausge richteten sogenannten Bauherrenmodellen 4).  Der öffentlich  geförderte oder  freifinanzierte  Mietwohnungsbau ist dagegen  statistisch zu einer Restgröße verkümmert. Vom Höhepunkt der  Nachkriegskonjunktur 1973 mit 411 000 Fertigstellungen in "Mehrfamilienhäusern" 5) ist der Geschoßwohnungsbau auf ganze  97 000 im  Jahre 1979  abgesackt. 6) Bei dem zunehmenden Trend zu Eigentumswohnungen in  Mehrfamilienhäusern 7)  sind  somit  wahrscheinlich nicht einmal 50 000 wirkliche Mietwohnungen entstanden  8), die  im übrigen  kaum hinreichen  dürften, die realen Abgänge  vom Bestand zu kompensieren. 9) Es soll im Folgenden anhand einer theoretischen Vertiefung in die ökonomischen Unterschiede  zwischen Miet-  und  Eigentümerwohnung  geprüft werden, ob im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Mietwohnungsbau  ohne staatliche Intervention überhaupt noch eine Chance hat oder ob das staatlich unbeeinflußte private Kapital zur  Lösung der  Wohnungsfrage grundsätzlich unfähig geworden       ist.

2. Ökonomische Formbestimmung: nicht nur Ware, sondern Kapital

Die politische  Forderung, daß die Wohnung nicht länger Ware sein darf 10),  zielt auf  deren Herauslösung aus dem System von Markt und Profit.  Indessen liegt  hier strenggenommen eine kategoriale Verkürzung vor.  Die allgemeine  Bestimmung  Ware  trifft  gerade nicht die Besonderheit der Mietwohnung, indem sie über den ökonomisch folgenreichen Unterschied zwischen Miet- und Eigentümerwohnung hinweggeht.  Gegenüber der  selbstgenutzten Eigenwohnung ist die (fremdgenutzte)  Mietwohnung für  ihren Eigentümer  nicht nur einfache Ware,  sondern wesentlich  Kapital -  stoffliches Mittel zur Verwertung  von Wert. 

F. Engels  verwies 1872 als erster öf fentlich darauf,  daß es  sich beim  Mietverhältnis "nicht  darum handelt, dem  Eigentümer das  Haus abzukaufen, sondern nur dessen Nießbrauch für eine bestimmte Zeit" 11). Die Mietzahlung ist kein Ratenkauf 12).  In Anlehnung  an Engels  und an Marx, der bereits sieben Jahre  vorher gegen  Proudhon die  Verleihung eines Hauses als "abgeleitete" Form des Verleihens von zinstragendem Geldkapital bestimmt  hatte 13), haben Brede, Kohaupt und Kujath 1975 mit  der Definition  der Mietwohnung als "zinstragendes Kapital in Wa renform" und  der Wohnungsvermietung  als "Prozeß der Kapitalverwertung" 14) den hierzulande bisher fortgeschrittensten theoretischen Erklärungsansatz mit den Kategorien der marxistischen politischen Ökonomie geliefert.

Das Vermieten  kommt  dem  Verleihen  von  zinstragendem  Kapital gleich, insoweit  der Vermieter  für die  zeitweilige Überlassung von Wohnraum regelmäßig eine Geldsumme erhält, die insgesamt eine maximale Verwertung des in Form einer Wohnung angelegten Kapitals garantieren soll.  Die Miete  ist ihrem  ökonomischen Inhalt nach hauptsächlich der  Zins auf  das für  die Wohnung  vorgeschossene Geldkapital, welches  dem Vermieter  in Form der in der Miete mitenthaltenen Abschreibungen  analog der Tilgung portionsweise zurückfließt. Trotz  des relativ  niedrigen Anteils von Bodenkosten an den  Gesamtkosten für  eine Wohnung  (10-20 v.H.)  ist es zwar nicht exakt,  die anders bestimmte Bodenrente ebenfalls unter die Zinsform zu  subsumieren -  als "Zins  auf für Gebäude und Grundstück angewandtes  Kapital". Darauf  haben  Brede  u.a.  übrigens selbst hingewiesen  15). Aber  im wesentlichen  ist die Wohnungsmiete ein  Kapitalzins. Vermietung  ist daher  Kapitalverwertung, auch wenn  dabei kein  Mehrwert entsteht,  sondern bereits produzierte und verteilte Werte nur neuverteilt werden.

Aus der  Formbestimmung der  Mietwohnung als Kapital ergibt sich, da Kapital  gleichgültig gegen  seine stoffliche Gestalt ist, daß eine Investition im Mietwohnungsbau oder -kauf nur dann vorgenommen wird,  wenn sie im Verhältnis zu anderen Anlagesphären mindestens durchschnittliche Verwertung gewährleistet. Die allgemeinen Kapitalverwertungsbedingungen sind daher auch die Rahmenbedingungen des  Mietwohnungsbaus. Wenn  heute aber  ein  nahezu  totaler Stillstand in diesem Bereich festzustellen ist, muß dies mit Faktoren zusammenhängen,  welche den durch Kosten- und Ertragsbedingungen definierten  Verwertungsspielraum zusätzlich  einengen und Investitionen nicht mehr gewinnträchtig genug erscheinen lassen.

3. Der hohe Fremdkapitalanteil bei der Finanzierung

Eine Besonderheit  des Wohnungssektors,  die sowohl  für das Ein- und Zweifamilienhaus  als auch für das Mehrfamilienhaus zutrifft, hängt mit  der Eigenschaft von Wohngebäude und Grundstück als Immobilie sowie  mit der  relativ langen Nutzungsdauer des Gebäudes (ca. 100 Jahre) zusammen. Die im Vergleich zu einer industriellen Investition recht  hohe Anlagesicherheit  von Immobilien  16) erleichtert dem Bauinvestor den Zugang zu Bankkrediten. Die Verleiher zinstragenden Kapitals - in der Regel "Realkreditinstitute" -  gewähren auf der Basis dinglicher Absicherung sogenannte Hypothekarkredite mit  einer auf  der Langfristigkeit  der Wohnungskapitalbindung gründenden  überdurchschnittlich langen Laufzeit bis zu 30 Jahren. Hypothekenkredite decken, überblickt man grob das allgemeine Finanzierungsschema  in diesem Jahrhundert, normalerweise über 80 Prozent der Gesamtinvestition. Dabei werden mit der erststelligen Hypothek  zwischen 40  und 60 Prozent der Kosten finanziert. Die  etwas risikoreichere zweitstellige Hypothek deckt den übrigen Kreditraum;  rund 20  Prozent sind  Eigenkapital  -  auch "Restfinanzierung" genannt.  Die Tilgung  beträgt anfangs gewöhnlich 1-2%  der Kreditsumme. Auch wenn Zins und Tilgung nicht, wie      heute üblich, in festen jährlichen Beträgen (Annuitäten) zusammen rückgezahlt würden, wodurch der jährliche Tilgungsanteil progressiv ansteigt und der Zinsanteil progressiv sinkt, 'würde im Laufe der Abzahlung die Zinsbelastung infolge der stufenweisen Reduzierung der geliehenen Summe abnehmen. Bei Annuitätsdarlehen ist der Kredit nach 25 bis 30 Jahren zurückgezahlt.

Der hohe Anteil von Fremdkapital bei der Wohnungsfinanzierung hat eine weitere  Ursache. Während  beim Erwerb  einer eigengenutzten Wohnung in  erster Linie  die quantitative  Beschränktheit seines Vermögens den künftigen Eigentümer dazu zwingt, zur Bezahlung des im Verhältnis  zu anderen  Konsumwaren sehr  hohen Preises fremde Mittel in  Anspruch zu nehmen, ist für einen künftigen Vermieter, der ja  absolut weit höhere Beträge für ein Mehrfamilienhaus aufzubringen hat,  das Umschlagstempo  seines eigenen  Kapitals  ein wichtiger Faktor  bei der  Investitionsentscheidung. Da die Investition Wohnung  überdurchschnittlich lange  Kapital bindet, weil das vorgeschossene  Gesamtkapital bei  einer Lebensdauer  von 100 Jahren normalerweise erst nach diesem Zeitraum wieder vollständig in Geldform  existiert und  selbst bei  einem erhöhten  Abschreibungssatz von 2 v.H. erst nach 50 Jahren zurückgeflossen ist, bedeutet dies  eine extrem lange Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals im  Verhältnis zu anderen Investitionen. In Zeiten ständiger  Inflation der Baupreise würde die Summe nach der Amortisation des   Gesamtkapitals nicht mehr annähernd hinreichen, ein neues Haus zu ersetzen. Je  geringer daher der Eigenkapitalanteil ist - z.B. 20  Prozent ", desto schneller ist die aus eigener Tasche vorgeschossene Summe  wieder in den Händen des Vermieters. Da die Abschreibungen auf das gesamte, nicht nur das eigene Baukapital berechnet werden, weil  ihr ökonomischer Inhalt Tilgung des in Wohnungsform  existierenden gesamten Leihkapitals ist, hat im vorliegenden Fall  bei einem  Abschreibungssatz von  2 v.H.  das Eigenkapital  schon nach zehn Jahren seine ursprüngliche Geldgestalt wieder.

Der überproportionale Anteil von Fremdkapital spielt zumindest in der Anfangsphase  der Vermietung  die bestimmende Rolle. Es hängt in erster  Linie vom  Zinssatz ab - von 7% (1967) bewegte er sich bis auf  10-14% (1980/81) ", welcher Anteil an der Brutto-Mietennahme für  den Wohnungseigentümer  noch übrig  bleibt, da  zuerst  einmal die Fremdkapitalzinsen gezahlt werden müssen. Zugleich bedeutet dies,  daß im  Maße der Tilgung der Kredite der Anteil des  Wohnungseigentümers an  der Miete  steigen muß, bis er nach vollständiger Rückerstattung  des Darlehens  Anspruch auf die gesamte  Miete hat  - die  er jetzt natürlich nicht senkt. Warum sollte er auch? Denn  Kredittilgungen, die  indirekt von den Mietern aufgebracht werden,  sind ja  nur oberflächlich  betrachtet den Zinsen vergleichbare sogenannte  Kapitalkosten. In  Wahrheit wird  durch die Darlehenstilgung sukzessive Fremdkapital in Eigenkapital verwandelt bzw.  dehnt sich  der Anteil des Eigenkapitals auf Kosten des geliehenen Fremdkapitals im Zeitablauf bis zu hundert Prozent  aus. Mit  zunehmender Tilgung  verschieben sich die Ansprüche auf die Miete zugunsten des Eigentümers, weil sich sein Kapitalanteil  zu seinen  Gunsten verschoben  hat. Für  den Mieter  ändert  sich nichts, obwohl er es ist, der mit seinen Mietzahlungen dem Eigentümer die  Umwandlung der Fremdkapital-belasteten Wohnung in eine real ihm  gehörige ermöglicht.  Da aber die Miete prinzipiell der erzielbare Zins auf das gesamte vorgeschossene Kapital ist, haben Zusammensetzung und  Eigentumsverschiebungen hinsichtlich der Kapitalbestandteile mit der Miethöhe absolut nichts zu schaffen.

4. Wohnungskapital, Bankkapital und die "Kostenmiete"

Es sind demnach bei der Mietwohnung - und auch das hat Brede herausgearbeitet 17) - im Grunde zwei selbständige Kapitalkreisläufe  zwar miteinander  verflochten, aber dennoch vollständig verschieden. Der grundlegende vollzieht sich im Geschäft zwischen Vermieter und  Mieter, wo  in Warenform  existierendes Leihkapital über die Mieten  die gesamte Lebensdauer der Wohnung lang verzinst und  über die  Abschreibungen getilgt wird. Der zweite Kreislauf tritt  nur hinzu,  wenn der Bauherr nicht gänzlich eigenes Kapital investiert -  was aber die Regel ist: Dann borgt der Eigentümer Kapital von  einem Geldverleiher und zahlt ihm seinerseits Zinsen und  Tilgungen, die  er grundsätzlich aus der Miete aus dem ersten Geschäft zu  begleichen hat. Beide Kreisläufe sind ihrer Natur nach völlig verschieden. Zwischen Vermieter und Mieter erfolgt die Kapitalverzinsung über  die auf dem Wohnungsmarkt erzielbare Miete. Zwischen Vermieter  und Bank verläuft das Geschäft unter den Konditionen des  allgemeinen Kapitalmarktes  - zu Zinssatz und Laufzeit 18),  die mit den Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt unmittelbar nichts zu tun haben.

Die Rolle  des Bankkapitals für den Wohnungsbau ist kaum zu überschätzen. Dies  soll hier nicht nur betont werden, weil jahrelang  die Bodenfrage unberechtigterweise im Vordergrund der politischen Diskussion gestanden hat. Von den Konditionen des kostenbildenden "zweiten Kapitalkreislaufs"  hängt es  im wesentlichen ab, ob der  erste Kreislauf  insgesamt gewinnbringend verlaufen kann, ob also Wohnungen überhaupt gebaut werden können oder nicht.

In diesem  Zusammenhang muß  kurz die sogenannte Kostenmiete problematisiert werden,  wie sie  als Höchstmiete für öffentlich geförderte Wohnungen verlangt "werden darf 19). In jeder Miete bilden -  zumindest in  den ersten  Jahren - den Hauptteil die sogenannten Kapitalkosten (rund 75%) neben den Abschreibungen auf die Gebäudenutzung (bei  1% jährlich:  rd. 10%) und den sonstigen Bewirtschaftungskosten (rd. 15%). Als Kapitalkosten zählen die Zinsen für  Fremdkapital, aber auch die - bei öffentlicher Förderung  auf 4 v.H. begrenzten - Zinsen auf das Eigenkapital. Der ökonomische  Unsinn, die  Eigenkapitalzinsen  als  Kosten  anzusetzen, springt unmittelbar  in die  Augen. Aber  auch Fremdkapitalkosten sind nicht  durch den  Wohnungsbau real verursacht, sondern gehen nur aus  seinen Finanzierungsbedingungen hervor. Ein Haus, das zu hundert Prozent  mit Eigenmitteln gebaut ist, oder ein beliebiges Gebäude nach der Rückzahlung  der  Kredite  erfordern  überhaupt keine Zins- und Tilgungszahlungen (mehr). Im Normalfall  der Fremdfinanzierung  erscheinen die  Zinsen  dem borgenden Eigentümer  zwar als  Kosten, weil  sie von ihm bezahlt werden müssen.  Ihrer ökonomischen  Natur nach  sind  aber  weder Fremd- noch  Eigenkapitalzinsen etwas  anderes als die jeweiligen  Portionen am Gesamtmietzins, welche Hauseigentümer und Bank unter sich teilen  - wobei  die verleihende  Bank ihren Teil zuerst erhält. Ökonomisch  widersinnig wird es, wenn Hauseigentümer versuchen, ihre  Tilgungsleistungen ebenfalls als Kosten zu berechnen; denn Tilgungen  werden zwar  ebenfalls an  einen Gläubiger  abgeführt, sie  vergrößern aber - wie erwähnt - die Eigenkapitalquote des Wohnungseigentümers  am Gesamtkapital  und damit  seinen  Anspruch auf Mieteinnahmen. 20)

5. Der Ausgleich anfänglicher Unterverwertung durch spätere Zusatzgewinne. Ein Modellbeispiel

Der überdurchschnittliche  Fremdkapitalanteil im  Mietwohnungsgeschäft bewirkt hohe "Zinsempfindlichkeit" - besonders spürbar bei sehr hohen Zinssätzen und steigenden Wohnungsbaukosten (letzteres wegen der  damit wachsenden Kreditsummen). 21) Der Kapitalanleger muß unter  Umständen sogar  damit rechnen,  daß er  in den ersten  Jahren der  Vermietung auf  dem Markt  nicht einmal eine Miethöhe  durchsetzen kann,  die alle  seine Kosten  im vorgenannten  Sinne deckt. Solche  "Ertragsdefizite", die vom Verzicht auf Eigenkapitalverwertung, auf Abschreibungen oder andere Teile der Unterhaltungskosten, insbesondere  Instandhaltungskosten, bis zu "negati     ven Erlösen" hinreichen, sind reale Tatbestände gerade angesichts  aktuell hoher Kapitalmarktzinsen im Verhältnis zur durchsetzbaren Marktmiete.

Eine Kapitalinvestition darf indessen nicht nur von ihrer aktuellen Rentabilität  - in  der Anfangsphase  - her beurteilt werden, sondern vom  Standpunkt der Gesamtrentabilität. Und hier zeigt es sich, daß mietwohnungsspezifische  Anfangs-Unterverwertung  von mehreren Jahren  (Verlustzone), die eine industrielle Investition in der  Regel unmöglich machen würde, aufgrund der langen Verwertungsdauer der  Wohnung in  Kauf genommen  werden kann,  weil sie durch spätere Gewinne ausgeglichen und übertroffen wird.

Da die  Zinszahlung für Fremdkapital mit fortschreitender Tilgung  tendenziell gegen  Null sinkt, so daß nach Rückzahlung des Darlehens nur  noch Abschreibungs- und sonstige Bewirtschaftungskosten entstehen (letztere  allerdings bei  Inflation steigend), während die Marktmiete stabil bleibt oder, wie heutzutage, kontinuierlich  ansteigt, muß  früher oder später - je nach Dynamik der gegenlaufenden Kosten-  und Erlöstendenzen  - notwendig der Punkt eintreten, wo  Gewinne entstehen  und bleiben  (Gewinnzone). Aus diesem Grund kann die Mietwohnungsinvestition - im Zeitablauf betrachtet - durchaus  die in  sonstigen Bereichen übliche Kapitalverzinsung  (als Richtsatz:  die Rendite  festverzinslicher Wertpapiere), 22)  aufs einzelne  Jahr berechnet,  abwerfen und übertreffen. Aktuell nicht realisierbare Kosten werden wegen zurückgehender Zinslasten aufgrund fortschreitender  Kredittilgung überkompensiert, aus Anfangsverlusten werden allmählich Überschüsse. An einem Zahlenbeispiel will  ich die  Zusammenhänge verdeutlichen:

Eine 75-qm-Wohnung innerhalb  eines Mehrfamilienhauses werde mit anteiligen Gesamtkosten von  125 000 DM  erstellt, wovon auf Grundstückskosten 25 000 DM entfallen.  Die gegenwärtige  durchsetzbare Marktmiete sei 8 DM pro qm im Monat. Da  in diesem Fall die jährlichen Mieteinnahmen 7 200 DM betragen, entsteht  gegenüber den laufenden Aufwendungen von 10 000  DM ein Verlust von 2 800 DM im ersten Jahr.
      
       Finanzierung:
       Hypothekendarlehen   100 000 DM  8%   Zins
       davon 1. Hypothek      50 000 DM   7,5% Zins
                 2. Hypothek     50 000 DM   8,5% Zins
       Eigenkapital               25 000 DM
      
       Summe der effektiven laufenden Aufwendungen:
      
                           total im 1. Jahr   je qm pro Monat
      
       Fremdkapitalzinsen            8 000         8,88
       1%-Abschreibungen auf
       Gebäudewert                     1 000         1,11
       sonst. Bewirtschaftungs-
       kosten:                              1 000         1,11
                                                  --------------------
                                              10 000         11,10
      

Kostenentwicklung im Zeitablauf

Das Fremdkapital  sei wie  üblich zu  einer festen Jahresleistung für Zins  plus Tilgung  (Annuität)  aufgenommen:  Die  jährlichen  9 000 DM  Zahlungen an  die Bank  setzen sich  im ersten Jahr aus  8 000 DM Zinsen und 1 000 DM Tilgung zusammen. Aufgrund der Zinsdegression - weil die Zinsen auf abnehmende Schulden bezogen werden -  sinken die Zinskosten, und die Tilgungen steigen. Bei konstantem Zinssatz  und fester  Jahresleistung von  9 000 DM machen     die Darlehens-Zinszahlungen,  die im  ersten Jahr 8 000 DM betragen, im 15. Jahr noch 6 000 DM, im 20. Jahr 4 500 DM aus und können im 30. Jahr vollständig eingestellt werden.

Während die  Kapitalkosten nominell  von 8,88  DM/qm/Monat im Anfangsjahr bis  auf Null im 30. Jahr allmählich sinken und die Abschreibungen durch den Jahresansatz  von 1% der reinen Baukosten mit 1,11  DM/qm/Monat stabil bleiben, ist für den dritten Kostenbestandteil, die  sonstigen Bewirtschaftungskosten, Preisstabilität nicht  garantiert. Zusammengesetzt  aus Betriebskosten  (hier mit 4,30  DM/qm/Jahr angesetzt), Instandhaltungskosten (mit einem      Ansatz von  6,90 DM/qm/Jahr) und einer jährlichen Verwaltungspauschale von 180 DM für die Wohnung, sei für die Summe von 1 000 DM  für die  75-qm-Wohnung eine  jährliche Steigerungsrate von 5 v.H. angenommen. Die anteiligen monatlichen Quadratmeterkosten steigen in 15  Jahren von 1,11 auf 2,20 und haben sich nach 30 Jahren auf 4,57 DM vervierfacht. Insgesamt bewegen sich die monatlichen Quadratmeterkosten von  11,10 DM im 1. Jahr über 10,60 DM im 10. und  9,11 DM  im 20.,  auf das Minimum von 5,68 DM im 30. Jahr, um danach mit dem Anstieg der Bewirtschaftungsausgaben allmählich wieder anzuwachsen.

Erlösentwicklung im Zeitablauf

Unter der Bedingung einer konstanten Miete von 8 DM/qm/Monat wäre ein Überschuß  über die  laufenden Kosten erst im 24. Jahr zu erzielen, wo die Kosten auf 7,99 DM gesunken sind. Eine Investition unter solchen  Bedingungen wäre  unrentabel. Und  hier zeigt sich  die enorme  Bedeutung ständiger Mieterhöhungen für die Rentabilität kapitalistischen Mietwohnungsbaus, der unter hoher Fremdkapitalbelastung steht:  Setzt man  eine konstante  jährliche Steigerungsrate der Miete von 5 v.H. an, wird bereits im Laufe des siebenten Jahres  die Kostenentwicklung ein- und überholt. Im achten  Jahr ist  der Quadratmeter-Erlös  11,24 DM,  die laufenden Kosten sind auf  10,76 DM gesunken. Damit hat die "Gewinnzone" begonnen.

Unter gleichbleibenden  Umständen, d.h.  5 v.H.  Mietanstieg, ist  das Verhältnis  Mieteinnahmen/Kosten für  den Quadratmeter im 15. Jahr schon  auf 15,83  : 10,04,  im 20.  Jahr bereits auf 20,21 :   9,11 und  im 25.  Jahr gar  schon 25,80  : 7,64  gestiegen. Diese enormen Spätgewinne  machen die  Anfangsverluste tragbar  - unter  der Bedingung,  daß sich  alle Erlös-  und Kostenfaktoren wie beschrieben weiterverhalten.   Grafisch lassen  sich leicht die investitionsfördernden und investitionshemmenden Variablen ablesen 23):


Typische Kosten-Erlös-Kurven bei einer Mietwohnung ohne öffentliche Förderung - auf Grundlage des Textbeispiels

Unter der angenommenen Entwicklung von Miete und laufenden Kosten verläuft die  Mietkurve M  vom siebenten Jahr an ständig und progressiv zunehmend über der Kostenkurve lK und ermöglicht dem Vermieter kontinuierlich  wachsende Überschüsse über seine laufenden  Ausgaben (Gewinnzone).  Bis zum  siebenten Vermietungsjahr konnte der Vermieter  mit den  Einnahmen gerade die Zinsen bezahlen, die Abschreibungen konnte er nicht realisieren, die sonstigen Bewirtschaftungskosten nur  auf dem  Niveau  der Betriebskosten.

Zweitens konnte er bis dahin die Ausweitung seines Eigenkapitals, die Kreditierung von knapp 9 000 Mark, noch nicht aus Mieteinnahmen finanzieren, sondern mußte sie aus eigener Tasche vollziehen.Es zeigt  sich, daß  unter normalen Umständen eine Investition in eine Mietwohnung  durchaus konkurrenzfähig mit anderen Kapitalanlageformen sein kann. Voraussetzung ist allerdings eine bestimmte Dynamik sowie  absolute Höhe  der gegeneinanderlaufenden Entwicklungen von  Kosten und  Mieteinnahmen; sie  entscheiden über  die Rentabilität und  damit Durchführung  einer  Mietwohnungsinvestition.

Bei   g e g e b e n e r  M i e t e n t w i c k l u n g  tritt die Gewinnzone und  damit die  Investitionsbereitschaft  umso  früher ein, je  niedriger die  Kosten, das sind hauptsächlich die Zinsen  für das  Fremdkapital, liegen - und umgekehrt: Je höher der Hypothekenzins für  den Eigentümer,  desto länger währen die Anfangsverluste und umso niedriger ist der Investitionsreiz.

 Bei   g e g e b e n e r   K o s t e n h ö h e    u n d    -e n t w i c k l u n g   hängt das  frühere oder  spätere Eintreten  von Überschüssen prinzipiell  vom absoluten  Niveau der  Anfangsmiete und auf  dieser Grundlage  von der Dynamik der Mieterhöhungen ab. Niedrige Mietsteigerungsrate  - ein  Abflachen der  Kurve  M  mit verzögertem Schneiden  der Kostenkurve - wirkt notwendig investitionshemmend auf  den Mietwohnungsbau.  Die durchsetzbare  Marktmiete ist ihrerseits determiniert durch die objektive Zahlungsfähigkeit der  Mieter.

Damit ist klar, daß die Entwicklung der Einkommen im  Zeitablauf großen  Einfluß auf  die Dynamik der Marktmiete ausübt.  Erst von  dieser Grundkonstellation aus ist die staatliche Intervention auf dem Mietwohnungssektor zu beurteilen. Dazu später.

Daß Finanzierungsbedingungen  im  Investitionszeitpunkt  und  Ertragserwartungen hinsichtlich der Zukunft über eine Investitionsrealisierung entscheiden,  ist nichts für den "Wohnungsbau Spezifisches. Somit  könnte das Vorstehende trivial sein, weil es für jede Kapitalanlage  gilt. Allerdings darf man zunächst einmal  nicht den Produktionsprozeß der Wohnung durch den Baukapitalisten mit ihrem  (ungleich längeren)  Vermietungsprozeß durch  den Wohnungseigentümer verwechseln:  Ersterer produziert  Ware - wie der industrielle Kapitalist  - zum  unmittelbaren Verkauf, der zweite verleiht langfristig  zinstragendes Kapital  und braucht nicht so scharf zwischen aktuellen Marktpreisen und Beschaffungskosten des Produkts zu  kalkulieren. Es  spielt hier  also der ökonomische Formunterschied zwischen  Warenkapital und  zinstragendem Kapital eine  Rolle. Das soll nicht  heißen,  daß  es  außerhalb  der      Wohnungsvermietung keine  Anfangsverluste durch hohe fremdfinanzierte  Investitionen gäbe, wie z.B. bei großen Industrieanlagen  oder  bei  unterirdischer  Rohstoffprospektion. Aber die essentielle Angewiesenheit  auf laufenden  Anstieg der Marktpreise bzw. Marktmieten und auf Senkung der laufenden Kosten existiert  außer   bei  reinen  Spekulationsgeschäften  nur  beim Mietwohnungskapital.  24) Gleichwohl  soll  die  Differenz  zum  gewöhnlichen zinstragenden  Geldkapital nicht  geleugnet  werden, die nicht nur in der unterschiedlichen stofflichen Gestalt liegt, denn Geld  wird von  Anfang an  rentabel ausgeliehen - gegen hohe Sicherheiten und niemals so langfristig wie eine Wohnung.

6. Warum der Markt für eigene Wohnungen nicht stagniert

Aus dem Dargelegten geht hervor, daß die Investitionsbereitschaft  im Mietwohnungsbau  im wesentlichen durch die abschätzbare Spanne zwischen Fremdkapitalkosten und mietzahlungsfähiger Nachfrage determiniert ist.  Daraus erhält  man zunächst einmal ein wichtiges  Erklärungsmoment dafür, weshalb Bau und Absatz von Eigentümerwohnungen im Unterschied zum Mietwohnungsbau konstante und steigende  Fertigstellungsziffern aufweisen.  Wer eine Eigentümerwohnung erwirbt, um  sie selber  zu beziehen,  kauft eine  Ware  ihres  Gebrauchswerts (Wohnen)  wegen. Er bezahlt ihren Wert (daß er damit den Mehrwert  der Baufirma realisiert und Warenkapital in Geldkapital für  den Hersteller  verwandelt, tut  nichts zur Sache) und  konsumiert durch das Wohnen ihren Gebrauchswert.

Der Eigentümer  der selbstgenutzten Wohnung steht nicht unter dem  Zwang, sein  eingesetztes Geld vermehren zu müssen. Sein Erwerbsverhalten hängt  nicht  von  Kapital-Verwertungschancen  auf  dem  Markt ab,  sondern er  verausgabt Geld, um zu wohnen. Von anderen  Waren -  etwa einem PKW - unterscheidet sich die Ware Eigentümer wohnung in dieser Hinsicht nur quantitativ, durch den verhältnismäßig hohen  Preis. Für die verleihende Bank macht es zwar keinen Unterschied, ob  ihr Darlehen  für Miet- oder Eigentümerwohnungen geborgt wird  und ob  sie Zinsen  vom Eigentümer einer Miet- oder  Eigentümerwohnung einstreicht.  Für ihr  - dinglich gesichertes - Leihkapital will  sie Verzinsung;  und ob  sie aus Mieteinnahmen oder aus  dem Einkommen eines Eigenheimbesitzers realisiert wird, spielt für  die Bank keine Rolle. Dagegen wirkt sich die Zinslast auf den  Mietwohnungseigentümer stärker aus als auf den Eigenheimer. Letzterer  wird von der hohen Zinsbelastung durch Fremdkapital zwar  ebenfalls betroffen,  aber er  muß erstens  nicht Überschüsse darüber  erzielen und  ist zweitens  mit der Aussicht auf  ein nach  Tilgung lastenfreies,  gänzlich ihm  gehöriges Haus (in   Verbindung mit der vorherrschenden Eigentümerideologie - auch unabhängig von  aller staatlichen  finanziellen Eigentumsförderung) bereit, jahrelang  in  Unterordnung  seiner  Lebensführung  unter jenen Gebrauchszweck so hohe Lasten in  Kauf zu nehmen, die ein Wohnungskapitalist nicht tragen würde.   Der Markt für Wohnungseigentum funktioniert also gerade  deshalb,  weil  die Eigentümerwohnung nicht  Kapitalanlage ist, sondern einfache Ware für ihren Käufer - weil die Verwertungsgesetze der kapitalistischen   Wirtschaft für die Anschaffung der Eigentümerwohnung gerade nicht gelten. Besonders in  den letzten  Jahren hat  sich die  staatliche Wohnbauförderung auf  die  Förderung  der  Eigentümerwohnung  konzentriert. Über  drei Viertel  aller staatlichen Finanzmaßnahmen von
rund 20  Milliarden (1980)  - sowohl  positive Ausgaben  als auch steuerliche Einnahmeverzichte  - kommen nach Berechnungen der Eigentumsbildung zugute.  Hier spielen  Bausparförderung,  die  Abschreibungsgesetzgebung und  die Subventionierung  der Zinslasten
eine hervorragende  Rolle. Es  ist jedoch  davor zu  warnen,  die staatliche Eigentumsförderung  als einziges  Erklärungsmoment für
den Eigentümertrend auf dem Wohnungsmarkt heranzuziehen. In Wahrheit ist  unter den gegenwärtigen Verwertungsbedingungen im Mietwohnungsbau die staatliche Eigentumsförderung das einfachste Mittel, hohe Fertigstellungsergebnisse zu erreichen, indem ein ohnehin bestehender Prozeß unterstützt wird - auf Kosten der Mietwohnungsförderung, wo viel mehr Mittel aufgebracht werden müßten und ein objektiver  Trend nicht  einfach forciert, sondern zur Umkehr gebracht werden müßte. 25)

7. Ungleiche Mietzahlungskraft als Hemmnis rein privatkapitalistischer Wohnungsversorgung und die  historische Notwendigkeit des Staatseingriffs

Wenn auch  aus dem Bisherigen folgt, daß eine Mietwohnung prinzipiell die gleichen Chancen hat, eine durchschnittliche Verzinsung
des eingesetzten  Kapitals zu erzielen und daß ein rein privatkapitalistischer Mietwohnungsbau möglich ist, so sind nun doch Ein-
schränkungen zu berücksichtigen, welche den pivatkapitalistischen  Lösungsweg der  Wohnungsfrage immer wieder behindern. Als Hemmnis durchschnittlicher Verwertung  tritt dem Mietwohnungskapital nämlich die  von den ungleichen kapitalistischen Verteilungsverhältnissen (der  "Kehrseite" der  ungleichen  Produktionsverhältnisse 26) bestimmte Differenzierung der Mietzahlungsfähigkeit entgegen, welche den  Wohnungsmarkt in  verschiedene, mehr oder weniger undurchlässige Teilmärkte  für die  verschiedenen  Einkommens-  und Nachfragegruppen zerspaltet 27). Rein kapitalistischer Mietwohnungsbau kann - das zeigt wenigstens
dieses Jahrhundert  - am  leichtesten die zahlungskräftigeren Bevölkerungsschichten versorgen,  die sich Marktmieten leisten können, welche dem Wohnungskapitalisten à la longue eine angemessene Rendite garantieren.  Der staatliche Eingriff beginnt, sobald die
Einkommensschichten von  der städtischen  Arbeiterklasse  abwärts mit Wohnraum  versorgt sein müssen, der ihre Arbeitsfähigkeit für
das Gesamtkapital  bzw. dessen bestimmende Fraktionen nicht durch gesundheitliche und finanzielle Überbelastung untergräbt.
Rein theoretisch  ist die  Versorgung auch der unteren und untersten Einkommensgruppen  auf rein privatkapitalistischem Weg nicht ausgeschlossen, selbst durch Neubau. Durch Baukosten, die sich an niedriger Zahlungsfähigkeit orientieren, ist es durchaus denkbar
Wohnungen mit erheblichen Einschränkungen beim Gebrauchswert rentabel anzubieten.  Ohne Innentoilette, ohne Bad, ohne Zentralhei-
zung, ohne  Warmwasser bei  gleichzeitiger Verminderung  der Wohnungsgrößen und  durch weitere  Sparmaßnahmen beim  Bau- und Wohnungskomfort könnten  solche  studentenheimähnlichen  Unterkünfte für die sogenannten "breiten Schichten des Volkes" selbst im Neubau durch kapitalistische Wohnungsvermieter dem Mietwohnungsmarkt zugeführt werden.Entweder auf  diese Weise 28) oder auf dem alternativen Weg der Vervielfachung der Mietbelastung 29) wäre etwa für die 50,7 Prozent der bundesdeutschen Haushalte mit einem Nettoeinkommen unter  1 800 DM monatlich (1978) der Bezug einer Neubauwohnung weitgehend möglich.

Es schadet  nichts, sich  diese fatale Konsequenz der totalen Unterordnung der Wohnungsversorgung unter das reine Kapitalverhält-
nis bewußt  zu machen,  zumal heute  die Fraktionen der Haus- und Grundeigentümer, der unternehmerischen Wohnungswirtschaft und der mit Wohnungsbaufinanzierung  beschäftigten Banken durch wohnungswissenschaftliche wie  politische Sprachrohre  immer unverhüllter solche Lösungsmethoden  zur Belebung des Mietwohnungsbaus anstreben. Der  zweite Weg, der von ihnen favorisiert wird (die subjektive "Zahlungsbereitschaft" erhöhen bei unangetasteter Verteilung der objektiven  Zahlungskraft), steht allerdings nicht nur im Interessengegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung, sondern - und das übersehen die  Ideologen des  "Rückzugs des  Staats" (womit nicht die Aufhebung  von Steuervorteilen,  sondern die  Abschaffung von Kündigungs- und  Miethöhenschutzgesetzen gemeint ist) - selbst im Widerspruch zu den meisten anderen Kapitalfraktionen. Diese sind, soweit sie  mit Konsumgüterabsatz zu tun haben, keineswegs an einer Verschiebung  der Massennachfrage zugunsten der Wohnungswirtschaft interessiert, und in ihrer allgemeinen Eigenschaft als Kapitalisten zwecks Erzielung relativen Mehrwerts ohnehin skeptisch gegenüber drastischen Mietsteigerungen, die auf die Lohnansprüche oder die  Reproduktionsfähigkeit der Arbeiterklasse durchschlagen könnten. 30)

Die Verwertungsinteressen  des  Mietwohnungskapitals  realisieren sich genausowenig  wie die anderer Kapitale außerhalb konkret-hi-
storischer Bedingungen.  In diesem  Fall heißt dies, daß sich das Anspruchsniveau gegenüber  einer Wohnung  auf der Grundlage fort-
schreitender Produktivkraftentwicklung  gesetzmäßig ebenso erhöht hat wie die Bedürfnisse bezüglich anderer Bestandteile des Repro-
duktionsfonds der  menschlichen Arbeitskraft. Obgleich die realen Wohnbedingungen zu  jedem beliebigen  Zeitpunkt entsprechend  der
Ungleichheit der  sozialen Klassenstruktur  weit auseinanderklaffen, ist  doch jeweils  unter dem  Einfluß historisch-moralischer Faktoren (Marx)  unabhängig vom  individuellen Einkommen eine gewisse Mindestnorm  für menschliches  Wohnen gegeben, deren Unterbietung genauso hartnäckigen Widerstand hervorrufen müßte wie andere einschneidende  Angriffe auf das bestehende Reproduktionsniveau der Bevölkerung.

In den  von der bürgerliche Ökonomie entwickelten Kategorien ausgedrückt: Die  Einkommenselastizität der  Nachfrage nach Wohnflä-
Wohnkomfort  etc.  bleibt  mit  sinkendem  Einkommen  nicht gleich, sondern tendiert gegen Null. 31) Wenn es heute um Wohnun-
gen für  die breiten  Kreise der  Bevölkerung geht,  dann  stehen nicht mehr  einfache Schlafgelegenheiten  oder bloßer Witterungs-
schutz zur  Debatte. 32) Das Mietwohnungskapital ist auch seitens unterer Einkommensschichten  mit ständig wachsenden Mindestanforderungen an die Wohnverhältnisse konfrontiert und kann nicht mehr den oben  erwähnten Lösungsweg  der "Billigbauweise" einschlagen. Da ihm nur der andere Ausweg bleibt, Wohnungen mit einem gewissen Mindeststandard zu vermarkten, verwickelt es sich sofort in einen systemimmanenten Widerspruch:  Die Kosten für die fraglichen Wohnungen sind derart hoch, daß eine renditesichernde Miete aufgrund der prinzipiellen  Begrenztheit der  Zahlungsfähigkeit der Massen von den oft zitierten "breiten Kreisen des Volkes" gar nicht aufgebracht werden  kann. Renditesicherung  des Mietwohnungskapitals unter den  Bedingungen ungleicher  Verteilung von  Einkommen  und Zahlungsfähigkeit ist  daher der  wirkliche innere  Grund für die seit 1917  einsetzende staatliche  Intervention auf dem Wohnungsmarkt. Und zwar handelt der Staat nicht aus sozialer Fürsorge für die Bevölkerung  und auch  nicht in erster Linie den Hauseigentümern zuliebe, sondern als Agent des Gesamtkapitals, dem es um die Aufrechterhaltung der mehrwertschaffenden Arbeitskraft geht.

8. Die staatsmonopolistische Regulierung des Wohnungssektors von 1917 bis heute

Ein historischer  Rückblick zeigt,  daß bereits  seit dem  ersten Weltkrieg der  Wohnungssektor ohne  staatliche Intervention nicht
mehr funktionierte.  Während vor  1914 jährlich  zwischen 175 und 200 Tausend  Wohnungen durch  ausschließlich  private  Investoren
rentierlich finanziert  wurden 33) - unter dem Hauptmotiv der Altersvorsorge 34)  für das  mittlere und  gehobene Bürgertum, aber mit den Folgen kaum zu beschreibender Wohnungsnot für die städtische Arbeiterklasse  ", war  die Bautätigkeit  im Kriege und nach dem Krieg  auf fast  Null gesunken.  Während der wirtschaftlichen Krisenlage hielten  sich die  traditionellen  Investoren  zurück, zumal im  Wohnungsbau die schnell inflationär anwachsenden Baukosten und  die hohen  Hypothekenzinsen infolge staatlicher Mietbegrenzung rentablen  Neubau kaum  mehr zuließen. Diese Mietenregulierung, deren  Anfänge bis  1914 zurückreichen, bildet überhaupt den ersten ökonomischen Eingriff des Staates in die Wohnungswirtschaft, wofür die kriegs- und nachkriegsbedingte Wohnungsnot eher Anstoß einer  überfälligen Maßnahme  war als  Ursache 35).  Schon lange bildeten hohe Mietbelastung zusammen mit untragbaren hygienischen Verhältnissen  in  den  überbelegten  Mietwohnungen  eine schwere Gefährdung des Arbeitskräftepotentials.

1922 wurde die "gesetzliche Miete" auf der Grundlage der 1914 bestehenden Miete  (Friedensmiete) fixiert,  womit erreicht  wurde, daß das  Mietenniveau trotz  einiger Zuschläge  bis 1936 nie mehr als 25  v.H. über  die Vorkriegshöhe  stieg. 36) Um ein niedriges Lohnniveau für die Rüstungsproduktion aufrechterhalten zu können,  wurde 1936 sogar ein Mietpreisstopp gegen einsetzende Mietsteigerungen erlassen.  Erst ab 1950 setzte eine staatliche "Lockerung" ein, bis  schließlich das  Bundesmietengesetz von 1955 gesetzlich;zulässige Mieten" auf den Altbaubestand eingrenzte und im Neubau Mietpreisbindungen nur  für die  öffentlich geförderten Wohnungen beibehielt. In den sechziger und siebziger Jahren wurden die Bindungen für Altbaumieten sukzessive abgeschafft. Die private  Investitionszurückhaltung nach  dem ersten Weltkrieg zwang den  Staat dazu, sich nach der Regulierung der Miethöhe nun
auch in  die Finanzierung  des Wohnungsbaus einzuschalten. In der ersten Periode,  der sogenannten  Hauszinssteuerära von  1924 bis
1931, wurden  knapp zwei  Millionen Wohnungen errichtet, davon 80 Prozent mit  Unterstützung öffentlicher  Mittel. Die  Mittel  beschaffte sich  der Staat  vorwiegend aus der sog. Hauszinssteuer: Da sich  infolge der Inflation die Hauseigentümer von alten Hypo-
theken hatten  leicht entschulden  können, war ihnen ein Extragewinn entstanden,  den der  Staat in  Form einer Steuer leicht abschöpfen konnte,  ohne die  Rendite der Hauseigentümer allzustark zu beeinträchtigen. 37)

Nach der  Weltwirtschaftskrise wurde  die Wohnungsbauförderung in Form der  Hauszinssteuerdarlehen reduziert. An ihre Stelle traten
- allerdings  in  vermindertem  Umfang  -  seit  1932  sogenannte Reichsbaudarlehen. Neben  dieser Form  der Kredithilfe  wurde der sonstige Wohnungsbau  mit sogenannten  Reichsbürgschaften  unterstützt; der  Staat übernahm gegenüber dem Gläubiger, in der Regel
einer Bank, die Garantie für die zweite Hypothek und erleichterte somit die Kreditaufnahmen. 38)

Nach dem  Kriege, in  dem auf  dem heutigen Bundesgebiet ca. 2,25 Millionen Wohnungen vernichtet worden waren, konnte das Wohnungselend zunächst  überhaupt nur  durch den Staat vermindert werden. Neben dem faschistischen Mietstopp verdeutlicht nichts klarer die staatsmonopolistische Behandlung der Wohnungsfrage als die amtliche Begründung  des I.  Wohnungsbaugesetzes von 1950, welches den Sozialen Wohnungsbau regelte: "Die beengten Wohnverhältnisse mindern, physisch  und psychisch, die Arbeitsleistung. Ihre nachhaltige Steigerung ist daher unabdingbare Voraussetzung für eine Gesundung der deutschen Wirtschaft". 39)

Das Förderungssystem  des Sozialen  Wohnungsbaus bestimmte hauptsächlich die  Bautätigkeit bis  1956. Für das Mietwohnungskapital stellte es  sich so  dar, daß  der Staat  den für  den  Teilmarkt "verminderte Mietzahlungskraft"  bauenden Unternehmen  - überwiegend gemeinnützigen  - zu einer angemessenen Rendite verhalf, indem er  ihnen durch  Übernahme der zweiten Hypothek mit öffentlichen Darlehen  die Kapitalkosten dauerhaft auf die erste Hypothek aus privatem  Fremdkapital beschränkte. 40) Die Mietsenkung ergab sich keineswegs  aus der  Rolle des  Staates als Bauherr - wie in den sozialistischen Ländern üblich bzw. wie ansatzweise in Österreich 1923-1934  praktiziert -  , sondern  als Mitfinancier,  der seine Berechtigung  zu Miethöhenauflagen  gegenüber dem borgenden Bauherrn aus  dem Verzicht  auf den  marktüblichen  Zinssatz  für staatliches Leihkapital herleitet. Dieses Hinzutreten  von staatlich entwertetem Kapital zum eigenen und geborgten  Privatkapital wurde  und wird neoliberal gerne als an sich  nicht marktkonforme  Übergangsmaßnahme für  die Zeit des katastrophenbedingten Mangels  an privatem Kapital interpretiert. Aber was  ist Privatkapital-Mangel  anderes als  der Umstand, daß aufgrund der niedrigen Mietzahlungskraft die Verwertungsbedingungen   günstiger sind als im Wohnungssektor? Mit  den durch den allgemeinen Wirtschaftsaufschwung bedingten relativ schnellen Einkommenszuwächsen wurde auch für privates Kapital der  Mietwohnungsbau attraktiver  - und es ergab sich die Möglichkeit,- die  allgemeinen Interessen des Monopolkapitals mit den besonderen der Wohnungswirtschaft in Einklang zu bringen. Unter der  Losung  "Überführung  in  die  soziale  Marktwirtschaft" 'wurde von 1956 an erstens das staatliche Förderungssystem verändert und  nahm zweitens  die andere  Rechtsform des Mietwohnungsbaus, der sogenannte freifinanzierte, erheblich an Bedeutung zu. Das neue  Förderungssystem, das auf eine zeitliche Befristung der Mietminderung hinauslief,  bestand aus  einem Rückzug staatlichen Kapitals von  der Konkurrenz mit dem inzwischen anlagefreudig ge wordenen Privatkapital. Der Staat verlieh anteilmäßig immer weniger direkte  Finanzierungsdarlehen (absolut  sind bis heute diese Mittel seit  1956 auf  rund 4  Milliarden DM eingefroren) 41) und
vergab stattdessen verstärkt auf 12 - 15 Jahre begrenzte Darlehen und/oder Zuschüsse zur Deckung der Fremdkapitalkosten. Diese Form der Aufwandssubventionen  bringt zwar  in den ersten 12-15 Jahren für Mieter und Vermieter den gleichen Effekt wie zuvor: Verminderung der Belastung durch die Kapitalkosten, die der Staat nunmehr durch periodische  Zuschüsse auf Sozialmieten-Niveau heruntersubventioniert. Für  die verleihende Hypothekenbank macht es dagegen einen beträchtlichen  Unterschied, ob sie wie früher nur zum Teil an der  Baufinanzierung beteiligt  ist oder, wie nunmehr, sämtliches Leihkapital  stellt, welches - und das ist der staatsmonopolistische Kern  der Sache  - seine Verzinsung durch die öffentlichen Zins-  und Tilgungssubventionen  an den Bauherrn fast unverhüllt durch  den Staat  abgesichert bekommt. Das in der Regel als Mischsystem praktizierte  neue Förderungssystem ist in erster Linie eine staatliche Garantierung von Bankprofit.

Die Gleichgültigkeit  des Mieters  gegenüber  der  Förderungsform schwindet spätestens dann, wenn deren degressive Handhabung spür-
bar wird.  Wenn es auch aufgrund der Kostenstruktur bei der Mietwohnung mit ihrer spezifischen Anfangs-Unterverwertung ökonomisch sinnvoll erscheinen  mag, die  Förderung auf  die Anfangsphase zu konzentrieren, so doch nur, wenn der Abbau der laufenden staatli-
chen Hilfen  nicht schneller  vollzogen wird,  als der  Abbau der laufenden Verpflichtungen  gegenüber der  Bank. In Konsequenz des progressiven Abbaus  der Aufwandssubventionen  innerhalb  von  15 Jahren stellt  sich, worauf  Voigt empirisch eingegangen ist 42), das Problem  der Nachsubventionierung;  denn nach  Beendigung der Zuschüsse müßte  die Miete, um Durchschnittsrendite zu erreichen, nahezu auf  das Niveau der Marktmiete ansteigen, wodurch aber das Soziale Mietwohnungskapital  die Grenze  der Zahlungskraft seiner
Sozialmieter überschritte.  Dies ist  nicht die  einzige  absurde Folge des  Fördersystems. Zwar  kann der  Staat mit  der gleichen Förderungssumme durch  den niedrigeren  Jahresaufwand pro Wohnung mehr Wohnungen fördern bei Zins- als bei Baudarlehen. Doch Experten haben  errechnet 43), daß bei zwei baulich gleichen Wohnungen im Förderungszeitraum  von 12-15 Jahren insgesamt mehr staatliche Mittel für  Zinszuschüsse verbraucht  werden, als  bei einmaliger Teil- oder  gar Totalfinanzierung durch ein staatliches Baudarlehen, wobei  aber im  ersten Fall  die Miete mit dem Abbau der öffentlichen Hilfen  periodisch bis  auf  Marktniveau  steigt  (auf 14,15 DM/qm  im 16. Jahr im Zahlenbeispiel), während sie im zweiten Fall  dauerhaft auf Anfangsniveau (4,13 DM/qm) bleibt. In der
Demagogie dient  aber gerade  diese "Mieten-Verzerrung"  zwischen den im  alten System geförderten mietstabilen Sozialwohnungen und den  teureren   jüngerer  Baujahrgänge  als  Argument  nicht  zur Rückkehr  zum   früheren  System,   sondern  zur   nachträglichen
Einbeziehung  der   alten  Baujahrgänge   in  die   systematische Mieterhöhung  -   der  sozialen   "Gerechtigkeit"  gegenüber  den
jüngeren Sozialmietern wegen. 44)

Insgesamt sind von 1950 bis 1980 knapp zehn Millionen Mietwohnungen entstanden,  davon etwas  mehr als  fünf Millionen freifinan-
zierte und  4'/2 Millionen öffentlich geförderte. Würde man die 5 Millionen freifinanzierten Mietwohnungen näher auf ihre Finanzierungsbedingungen untersuchen,  würden sie doch stark an Glanz als Zeugnisse der Leistungsfähigkeit privaten Unternehmertums verlieren. Selbst von "sonstigen Unternehmen" oder Lebensversicherungen abgesehen, deren  Bauherrenschaft nicht  dem  unmittelbaren  Wohnungsprofit gilt,  sondern im  Rahmen der  gesamten Unternehmensstrategie gesehen  werden muß,  wurde praktisch keine Mietwohnung als rein  privatkapitalistisches Profitprojekt  im Sinne des Verzichts auf  jegliche staatliche  Unterstützung errichtet. Im Vordergrund stehen  dabei steuerliche  Vergünstigungen für Bauherren oder Wohnungskäufer,  insbesondere erhöhte Abschreibungen, welche durch Verrechnung  mit Einkommen  aus anderen Quellen die Verwertung speziell  in der  Anfangsphase verbessern.  45) Trotzdem ist die staatliche  Hilfe  kein  Wesensmerkmal  des  freifinanzierten Mietwohnungsbaus. Zu  fragen wäre  beim Fazit auch, worauf dessen Erfolge in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre beruhten.

9. Fazit

These ist  - und  darauf hat auch Rosemann anhand der Rotterdamer Kommunalisierungsstrategie hingewiesen  46) -,  daß private Kapi-
talverwertung als  Motor  der  Wohnungsversorgung  zumindest  für niedrigere Einkommensgruppen zum Anachronismus geworden ist. Daraus folgt  die These,  daß die Erfolge des freifinanzierten Mietwohnungsbaus nach  dem Kriege  keine Regel,  sondern  historische Ausnahme in  einer bestimmten Phase der Akkumulation des Kapitals in der Bundesrepublik waren. Der kontinuierliche  und  breite  Bevölkerungskreise  erreichende Einkommensanstieg in den fünfziger und sechziger Jahren führte zu einer  geschichtlich  ungewöhnlich  hohen  Mietzahlungsfähigkeit, welche dem  freifinanzierten Mietwohnungsbau eine anderen Anlageformen vergleichbare Rendite sicherte. Es muß aber betont werden, daß sich  dieser Verwertungsprozeß  privaten Mietwohnungskapitals fast ausschließlich  auf dem  Teilmarkt  "mittlere  und  gehobene Mietzahlungskraft" vollzog, während die weniger zahlungskräftigen städtischen Bewohner  auf niedrige  Mieten in Sozialwohnungen und Altbauten angewiesen  blieben. 47)  Ob rein  privatkapitalistisch die Wohnungsfrage gelöst werden kann, ist daher gleichzeitig eine historische und eine klassen- und schichtspezifische Problemstellung. Da  kapitalistische Produktionsverhältnisse  notwendig  ungleiche Verteilungsverhältnisse  und ungleiche  Zahlungskraft erzeugen, kann  staatlich unbeeinflußtes  Privatkapital eine historisch angemessene  Wohnungsversorgung prinzipiell  nur  für  zahlungskräftigere Schichten  der Bevölkerung gewährleisten. Mit der vorläufigen Sättigung  auf diesem  Teilmarkt ging  die Produktion freifinanzierter Mietwohnungen 'wieder zurück. 48)

Man muß hier bedenken, daß mit Sättigung immer nur eine relative, auf das verfügbare Einkommen bezogene Sättigung gemeint ist. Dies gilt für den Mietwohnungsbau allgemein, auch in der staatlich abgestützten Privatkapital-Verwertung  "Sozialer  Wohnungsbau".  Da
die Mietwohnung  nicht einfach  Ware, sondern  wesentlich Kapital ist und darüberhinaus eine auf kontinuierliche Mieterhöhung ange-
wiesene Rentabilitätsstruktur  aufweist, ist es vor allem das Abflachen des  Einkommensanstiegs seit  1974, welches durch vermin       derten Mieterhöhungsspielraum  den Zeitpunkt  der Gewinnzone hinausschiebt bzw.  die Rendite  im Mietwohnungsbau  im Vergleich zu
Renditen anderer Kapitalanlagen verringert. Gerade deshalb sind sämtliche politischen Vorschläge zur Behebung der Wohnungsnot,  die auf  beschleunigten Mietanstieg  als Mittel zur Ankurbelung der Wohnungsproduktion hinauslaufen, von vornherein zum  Scheitern verurteilt:  Die Unterversorgung  mit Wohnraum ist eine  Unterversorgung mit  preiswertem Wohnraum. Sie betrifft die niedrigeren  Einkommensgruppen, die eine höhere Mietbelastung ohne wesentliche  Einbußen ihrer Reprodukionsfähigkeit nicht tragen können.  49) Und  was die höheren Einkommensschichten angeht, so werden  diese bei  forciertem Mietanstieg auf die "Eigentümerwohnung" ausweichen - ein Prozeß, der zur Zeit voll im Gange ist.

Das einzige,  was die  Misere auf  dem Mietwohnungssektor lindern könnte, wäre  augenblicklich verstärktes finanzielles staatskapitalistisches Engagement  zugunsten preiswerten  Mietwohnraums für die breiten  Schichten der Bevölkerung. Die öffentliche Förderung muß hier spürbar intensiviert werden. 50) Solange der Staat nicht eine Umkehr  seiner gegenwärtigen Wohnungspolitik einleitet - und es sieht  nicht danach  aus,- daß die privatmonopolistische Linie des staatsmonopolistischen  Kapitalismus in  absehbarer Zeit verlassen würde  ", so  lange wird  sich die  Lage auf dem Markt für preiswerten Wohnraum weiter verschärfen.

Anmerkungen

1) Wirtschaft und Statistik 10/1980, S. 677.
2) Ebd.

3) Deren Verstärkung  fordern u.a.  K.H. Biedenkopf und M. Miegel in: Wohnungsbau am Wendepunkt, Stuttgart 1980.

4) Zum Bauherrenmodell  siehe: Ruth Becker, Das Bauherrenmodell -  oder: den  Seinen gibt's der Herr im Schlaf, in: ARCH+ 54, Aachen 1980, S. 19-23.

5) Bautätigkeitsstatistik unterscheidet  nicht nach  dem Wohnverhältnis Eigentümer  - Mieter,  sondern ausschließlich nach baulichen Kriterien  "ein- und zwei" oder "drei und mehr" Wohnungen im Gebäude.

6) Wirtschaft und Statistik 10/1980, S. 677.
7) Der Zentralverband  gemeinnütziger Wohnungsunternehmen schätzt zur Zeit  "deutlich mehr  als die  Hälfte Eigentumswohnungen"  in
Mehrfamilienhäusern.   In:    Wohnungswirtschaftliches   Jahrbuch 1977/78, Hamburg 1979, S. 56.
8) Wenn man  dem Haus- und Grundeigentümer-Verband glaubt, werden rein privatkapitalistisch  Mietwohnungen überhaupt nicht mehr der Mieteinnahmen wegen gebaut: "Bauherrenmodelle sind zur Zeit neben den  Fonds- und  Versicherungsbauten die  wesentlichen Träger des Baues  freifinanzierter Mietwohnungen".  (Deutsche  Wohnungswirtschaft 9/1978, S. 206.)
9) Z.B. Rainer Neef (siehe unten) oder der Zentralverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen (a.a.O., S. 31) schätzen den jährli
chen Abgang aus dem gesamten Wohnungsbestand auf zwischen 100 000 und 150 000 Einheiten.
10) So der Titel eines 1974 erschienenen Sammelbands, herausgegeben von L. Wawrzyn/D. Krämer, Darmstadt/Neuwied.
11) Friedrich Engels,  Zur Wohnungsfrage,  in: Marx-Engels-Werke, Bd. 18, Berlin 1964, S. 217.
12) Vgl. dazu  die  Ausführungen  von  Joachim  Brech  in:  ders. (Hrsg.), Wohnen zur Miete, Weinheim und Basel 1981, S. 32.
13) "Gewisse Waren  können der Natur ihres Gebrauchwerts nach immer nur  als fixes Kapital verliehen werden, wie Häuser, Schiffe, Maschinen usw. Aber alles verliehene Kapital, welches immer seine Form, und  wie die  Rückzahlung durch die Natur seines Gebrauchs-
werts modifiziert  sein mag, ist immer nur eine besondre Form des Geldkapitals. Denn  was hier  verliehen wird,  ist immer eine bestimmte Geldsumme,  und auf  diese Summe  wird denn auch der Zins berechnet." Karl Marx, Das Kapital, Buch 3, Berlin 1964, S. 356.
14) H. Brede,  B. Kohaupt,  H.-J. Kujath, Ökonomische und politische Determinanten der Wohnungsversorgung, Frankfurt 1975.
15) Speziell in:  H. Brede,  B. Dietrich,  B. Kohaupt, Politische Ökonomie des Bodens und Wohnungsfrage, Frankfurt 1976, S. 26 ff.
16) Vgl. G.  Hoffmann, Grund  und Boden als Objekt der Kapitalanlage, in: Der langfristige Kredit, 16/17 - 1972, S. 532 ff. Aktuelles zur  Finanzierung und  Refinanzierung im  Wohnbausektor bei Rainer Neef, Kapitalistischer Wohnungsmarkt und die Krise des sozialen Wohnungsbaus, in: Soziale Welt, 2/1981, S. , 220 ff.
17) Brede  u.a.,  Ökonomische  und  politische  Determinanten..., a.a.O., S. 33 ff.
18) Über aktuelle  einschneidende Veränderungen  bei der Refinanzierung der  Hypothekenbanken siehe:  J.H.B. Heuer u.a., Lehrbuch
der Wohnungswirtschaft, Frankfurt 1979, S. 253 ff.
19) Gesetze zur  Berechnung der  Kostenmiete: Zweite Berechnungsverordnung; Neubaumietenverordnung  1970 und  Wohnungsbindungsgesetz. Die  drei Texte auf dem aktuellen Stand, in: C.H. Beck-Verlag, Mietgesetze,  München 1980,  S. 231 ff., S. 85 ff. u. S. 205ff.
20) Schade ist,  daß selbst  so scharfsinnige  Autoren wie Renate Petzinger und  Mario Riege  in ihrem  Buch "Die neue Wohnungsnot"
(Hamburg 1981)  auf den Schein der Oberfläche hereinfallen, indem sie  sowohl   Zinsen  als   auch  Tilgungen   unter  der   Rubrik
"Kapitalkosten" zusammenwerfen (a.a.O., S. 69 ff.).
21) Als Faustregel  kann man eine Zinserhöhung von 1 v.H. mit der Wirkung einer  Baukostenerhöhung um 10 v.H. gleichsetzen oder ei-
ner Erhöhung der qm-Kosten pro Monat um 1 DM.
22) Beide Formen  der Kapitalanlage stehen in eigentümlichem Konkurrenzverhältnis zueinander.  Niedriger Kapitalmarktzins fördert
Mietwohnungsbauinvestition doppelt:  weil die Kapitalkosten niedriger sind  und weil  die alternative Anlage in Wertpapiere nicht
so rentabel  ist. Hoher  Zinssatz  belastet  das  Wohnungskapital folglich doppelt.
23) Anhand empirischer  Daten über  den Baujahrgang 1965 hat Rudi Ulbrich 1978  eine in  der Anlage  ähnliche grafische Darstellung
durchgeführt. Siehe:  DIW-Wochenbericht 23/78,  Mieten und Kosten im freifinanzierten Wohnungsbau, Westberlin 1978, S. 229.
24) Es ist  - auch  dies haben Brede u.a. überzeugend herausgearbeitet -  ein und  dieselbe Finanzierungsstruktur, welche das Instrument Mietstopp  für Altbau  so wirksam, für Neubau dagegen im Rahmen kapitalistischer Bedingungen so ineffektiv werden läßt: Da
sich der  Althausbestand längst in der "Gewinnzone" befindet, beeinträchtigt ein  gesetzlicher Mietstopp  zwar seine  Verwertung, erlaubt aber  normalerweise dem  Eigentümer noch  ein  Einkommen. Selbst kapitalfreundliche  Regierungen -  wir hatten bisher keine anderen -  haben deshalb  von 1917  bis 1960  diese Maßnahme mehr oder weniger modifiziert angewandt. Privatwirtschaftlicher Neubau von Mietwohnungen  käme indessen  sofort zum  Erliegen, würde bei Kostenanstieg eine  Erhöhung der Marktmiete verhindert. Beim Alt-
bau handelt  es sich  um bereits  gebundenes Kapital, beim Neubau handelt es  sich um Kapital, das durch Wohnungsbauanlage eine angemessene Verzinsung gerade über steigende Mieten erwartet.
25) Dazu: Klaus  Neubeck, Eigentumsbildung  im  Wohnungsbau,  in: Joachim Brech (Hrsg.), Wohnen zur Miete, a.a.O., S. 111 ff.
26) Karl Marx,  Grundrisse der  Kritik der  politischen Ökonomie, Einleitung, Berlin 1953, S. 16.
27) Zur Kritik  der  sogenannten  "Filtering  theory"  oder  auch welche eine totale Durchlässigkeit der Wohnungs märkte von  unten nach  oben behauptet, vgl. Helmut Westphal, Die Filtering-Theorie des  Wohnungsmarktes, in:  Leviathan  4/78,  S. 536-557.
28) Daß so  etwas ernsthaft unter "Experten" diskutiert wird, dokumentiert das  "offizielle Organ  für die Mieter und Eigenwohner
gemeinnütziger Wohnungsunternehmen",  die Monatszeitschrift  "das dach" im  Juni 1981 unter dem Titel: "Mit weniger Komfort auskom-
men...". U.a.  wird m  der Expertenrunde  gefragt: "Muß denn ausnahmslos jedes  Zimmer  einer  Wohnung  sein  Fenster  haben?"...
Müssen denn  die Verkehrs- und Freiflächen zwischen den Wohnhäusern wirklich so groß sein?" Müssen "alle Räume einer Wohnung beheizbar sein?"  Wohlgemerkt -  hier diskutieren hochbetitelte und hochbezahlte Sachverständige,  wie man "die Ansprüche an die Qualität einer sozialen Neubauwohnung etwas zurückschrauben" könne.
29) Unter den verschiedenen regierungsamtlich erwogenen Varianten der "Staffelmiete",  des im  Mietvertrag eingebauten periodischen
Mietanstiegs, ragt  zur Zeit der Vorschlag von Prof. J.H.B. Heuer hervor: "Schon  bei Mieterhöhungs-Spielräumen  von etwa  8 bis 10      v.H. jährlich  (kann) ein für Wohnungsbau-Investoren angemessener Renditeausgleich über  die Zeit  erreicht werden".  Deutsche Wohnungswirtschaft, Heft 9/1979, S. 226.
30) Ich möchte nur darauf hinweisen, daß solche Bedarfsänderungen nicht ohne  schädigende Auswirkungen auf andere Wirtschaftszweige bleiben werden... Als andere Konsequenz bliebe nur übrig, daß die Gewerkschaften erhöhte  Lohnforderungen stellen, daß also die Automatik der Lohn-Preis-Spirale stärker in Gang gesetzt wird. Auch diese sollte nicht angestrebt werden". So warnt Oberstadtdirektor Dr. W. Kliemt in dem Sammelband "Wohnungsmarkt und Wohnungsbedarf - Beiträge  zur Marktforschung",  Band 62  der Untersuchungen des Instituts für  Siedlungs- und  Wohnungswesen an  der  Universität Münster, Köln-Braunsfeld 1966, S. 38.
31) In den  sechziger Jahren  sprach man direkt von einem "Gesetz des wachsenden  Wohnungsbedarfs" auch  bei  bürgerlichen  Wissenschaftlern. Berechnungen  aus den  Ergebnissen  der  1%-Wohnungsstichprobe von 1972 haben B. Bartholmai und Rudi Ulbrich über die Elastizitäten der  Wohnflächennachfrage bei schiedenen Haushalts typen vorgenommen.  Siehe: Zur  längerfristigen Entwicklung  der Wohnungsnachfrage - DIW-Wochenbericht 26/77, Westberlin 1977.

32) Dazu grundsätzlich:  IMSF (Hrsg.),  Qualifikations- und Werttendenz der Arbeitskraft heute, Theorie und Methode IV, Frankfurt 1980.
33) H. Wandersieb  u.a. (Hrsg.),  Handwörterbuch des Städtebaues, Wohnungs- und Siedlungswesens, Bd. I"III, Stuttgart 1959, S. 615.
34) Einen  sehr   interessanten  Beitrag  über  "konsumtive"  und "Profitorientierung" bei den kleinen Mietshausbesitzern heute hat
Detlef Ipsen verfaßt, in: ARCH + 54, Aachen 1980, S. 27 ff.
35) Dieter Häring,  Zur Geschichte und Wirkung staatlicher Interventionen im Wohnungssektor, Hamburg 1974, S. 102-111.
36) H. Wandersleb, a.a.O., S. 1074.
37) Peter-Christian Witt, Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer. Zur Regelung von Wohnungsbau und Wohnungsmarkt in der Weimarer  Republik, in:  Wohnen im  Wandel, hrsg.  von  Lutz. Niethammer, Wuppertal 1979, S. 385-407.
38) Wandersleb, a.a.O., S. 619.
39) zitiert nach Kursbuch 27, Mai 1972, S. 20.
40) Die Mittel  stammten nicht aus der Besteuerung der Hauseigentümer - bis auf die relativ untergeordnete sogenannte Hypotheken-
gewinnabgabe -, sondern aus dem Gesamtsteueraufkommen.
41) Siehe die  Tabelle bei  H.K. Schneider/R.  Kornemann, Soziale Wohnungsmarktwirtschaft, Bonn 1977, S. 21.
42) Wolfgang Voigt,  Nach der Demontage des sozialen Wohnungsbaus - Drückt  sich der Staat um die Nachsubvention, in ARCH + 42, Aachen 1978, S. 7-14.
43) Rainer Neef,  Kapitalistischer Wohnungsmarkt...,  a.a.O.,  S. 232-236.
44) Zum Gesamtproblem  des Sozialen  Wohnungsbaus vgl. die ausgezeichnete Analyse  von Wolfgang  Grüber: Sozialer  Wohnungsbau in der Bundesrepublik. Der Wohnungssektor zwischen Sozialpolitik und Kapitalinteresse, Reihe Stadtplan, Köln 1981.
45) Z.B. der  § 7  des EKStG.  Auch die  Befreiung von der Grundsteuer spielt eine größere Rolle.
46) So auf dem Kongreß "Wohnen" des Deutschen Werkbundes vom 10.- 14.  Juni   1981  in   Saarbrücken,  zu  dem  ein  hervorragendes "Lesebuch" erschienen  ist, welches eine Vielfalt von Ansätzen im Wohnungsbau und  Konzepten zur  Wohnraumerhaltung sichtbar werden läßt und demonstriert, daß demokratische Architekten, Stadtplaner und Wohnungswissenschaftler  nach Alternativen zur desolaten Wohnungspolitik der  Bundesregierung nicht  nur suchen,  sondern sie stellenweise schon praktizieren.
47) Der sogenannte  Sickereffekt, daß  die verlassenen  Wohnungen der Mittelschichten  für die  Einkommensschwächeren frei  würden,
stellte sich  bekanntlich nicht  ein. Wie denn auch, wo die durch Auszug freigewordenen Wohnungen ja nicht billiger wurden - im Ge-
genteil!
48) In der  Tat ist der Mietindex freifinanziener Neubauwohnungen von 1975  bis 1979  mit jahresdurchschnittlich 3,3% langsamer gestiegen als  der Preisindex  für die  gesamte Lebenshaltung aller Haushalte (4,2%)  oder gar der Preisindex für Neubauleistungen an
Mehrfamilienhäusern, der  im Jahresdurchschnitt  um 4,9% anstieg. Quellen: Deutscher  Bundestag, Wohngeld-  und Mietenbericht 1979, S. 23; Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik 1980, S. 477.
49) Neuere Daten  zu  den  Wohnverhältnissen  in:  IMSF  (Hrsg.),  Staatsmonopolistischer Kapitalismus  der Bundesrepublik  Deutschand in  Daten und Fakten, Arbeitsmaterialien des IMSF 12, Frankfurt 1981, S. 144 ff.
50) Das Verhältnis  zwischen kurzfristiger und langfristiger Perspektive bei  der Lösung der Wohnungsfrage ist entwickelt in: Für       eine demokratische  und soziale  Wohnungspolitik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung "Vorschläge der DKP (Entwurf), Düsseldorf 1981.

Editorische Hinweise

Quelle: Jahrbuch des Inst. für Marxist. Studien und Forschungen 04/1981

Wir spiegelten den Aufsatz von http://dearchiv.de .

Im Jahrbuch des Inst. für Marxist. Studien und Forschungen 06/1983 erschien "Eine Wortmeldung zum Aufsatz von W. Schwarz"  von Eva Haake und Matthias Lux, wo auf politökonomische Mängel in diesem Aufsatz hingewiesen wurde. Wir werden ihn in der Nr. 10/2012 von TREND veröffentlichen.