Das war Mord!
Was am 29. August 1992 Jahren geschah.

von der Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative

09-2012

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Es ist heute vor 20 Jahren, es ist der 29. August 1992. Es ist ein gewittrig-heißer Tag. Auf dem Charlottenburger Spielplatz Pestalozzistraße, der an die Fritschestraße angrenzt, saßen am Abend zwei Grüppchen: Bei den Tischtennisplatten hielten sich vier Menschen mit Migrationsgeschichte auf, die aus Sri Lanka stammten. Sie studierten in Berlin, saßen gemütlich dort und unterhielten sich.

Auf dem Kinderspielplatz nebenan saßen auf einer Rundbank zwei wohnungslose Künstler, die dort Geburtstag feierten und sich aus diesem Anlass zutranken. Es waren Günter Schwannecke und Hagen Knuth. Eine entstammte Samstagabendstimmung liegt über dem Spielplatz.

Doch gegen halb zehn kommen zwei betrunkene Skinheads vorbei. Sie rufen den Menschen an der Tischtennisplatte entgegen, sie seien Ausländer und müssten verschwinden. Zwei Stunden später werden sie einen Wohnungslosen lebensgefährlich verletzt haben und den anderen ermordet haben.

Norman Zühlke und Hendrik Jähn, so heißen die beiden, hatten mit ihren Neonazifreunden schon am Nachmittag begonnen, sich am Lietzensee stark zu betrinken. Zwischen 16 und 18 Uhr trafen sie sich bei Norman Zühlke mit ihren Freund_innen Sch. (Jähns Freundin), H. und S. und betranken sich weiter, Bier und Wodka durcheinander. H. und Sch. gerieten über den Pitbull-Terrier von Sch. in starken Streit, bis Norman Zühlke H. auffordete zu gehen und S. mit H. die Wohnung verließ. Wieder floss Alkohol und Jähn und Zühlke hatten die Idee, S. eine Jalousie zurückzubringen, die in Zühlkes Wohnung stand. Sie nehmen den Hund von Sch. mit.

Etwa um halb zehn trafen die beiden am Spielplatz Pestalozzistraße ein und pöbelten die jungen Menschen an der Tischtennisplatte rassistisch an. Doch die Vier ließen sich nicht beeindrucken und Jähn und Zühlke zogen weiter zur Wohnung von S. Er nahm die Jalousie, wollte aber nicht wieder mit zurück, die beiden waren ihm schon zu betrunken. Auf dem Rückweg kamen sie erneut an dem Spielplatz vorbei und vor allem waren sie nun wütend über den Verlauf des Abends. Wieder schimpften sie die Vierergruppe an, „was tut ihr hier, was wollt ihr, ihr sollt verschwinden“. Schließlich drohten sie: „Ansonsten werden wir euch verprügeln!“

Kurz vor zehn waren die beiden Skinheads wieder in Zühlkes Wohnung, wo Sch. wartete. Sie erzählen Sch. aufgebracht, sie wären von Menschen mit Migrationsgeschichte angepöbelt worden. Norman Zühlke will nochmal zu ihnen hinuntergehen. Sch. verließ gegen 22 Uhr die Wohnung Zühlkes mit ihrem Hund, weil sie mit den beiden stark Alkoholisierten, Zühlke und Jähn, nichts mehr anzufangen wusste, die sich auch weiter betranken. Zühlke hatte bis zu diesem Zeitpunkt etwa 1 Flasche Wodka und 15 Flaschen Bier getrunken. Sie beschlossen, die Menschen mit Migrationsgeschichte zur Rede zu stellen, wofür auch immer. Norman Zühlke trug seinen Baseballschläger aus Aluminium mit einer Länge von einem Meter bei sich, um – wie das Gericht verharmlosend urteilte – „seinen Worten vor den zahlenmäßig überlegenen Ausländern Nachdruck zu verleihen“. Klartext: um ihnen mit dem Baseballschläger zu drohen und zuzuschlagen bis die Menschen mit Migrationsgeschichte verschwänden. Jähn will den Baseballschläger erst im Aufzug bemerkt haben.

Auf dem Spielplatz befinden sich nur noch Günter Schwannecke und Hagen Knuth sowie Joseph Lonappa-Lawrence und Kanesan Gegatheesmaran. Schwannecke und Knuth sind beide betrunken und wurden äußerlich als Wohnungslose zugeschrieben, sie saßen oder lagen dort auf einer Rundbank, während die beiden jungen Menschen noch immer bei den Tischtennisplatten waren. Dort wurden sie von Norman Zühlke und Hendrik Jähn aggressiv und nervös bedroht. Den Baseballschläger hielt Zühlke dabei gut sichtbar und schlenkerte bedrohlich mit ihm. Jähn und Zühlke schrien: „Ihr seid Ausländer, was habt ihr hier zu suchen? Wenn ihr nicht verschwindet, werden wir euch schlagen!“ Die beschimpften Jugendlichen versuchten die Skinheads zu beruhigen: „was haben wir euch getan, wo ist das Problem?“ Auch Günter Schwannecke und Hagen Knuth ist es längst zu bunt geworden und sie mischen sich ein: „Seid ruhig! Kommt doch her, wenn ihr was wollt!“ Sie protestiert gegen und kritisierten das Skinheadgegröhle und die rassistischen Sprüche. Etwa gegen elf Uhr flüchteten Lonappa-Lawrence und Gegatheesmaran wegen der bedrohlichen Lage vom Spielplatz, blieben aber an der Tankstelle an der Ecke stehen.

Inzwischen schauen Zeug_innen vom Balkon der Pestalozzistraße 44a zu, gleich gegenüber. Die Wut der Skinheads Norman Zühlke und Hendrik Jähn hatte sich weiter gesteigert, weil ihre ursprünglichen Opfer fort waren. Sie suchten sich sofort neue. Sie gingen auf die wohnungslosen Künstler los und es gab einen Wortwechsel mit wenigen Sätzen zwischen den Skinheads und ihnen. Was genau gesagt wurde steht nicht fest, der enge Freund Schwanneckes, Karl-August-Holländer vermutete Jahre später, dass sich Schwannecke hier deutlich antifaschistisch geäußert hatte. Norman Zühlke hatte zu dieser Zeit einen Alkoholpegel von noch etwa 2,78 Promille. Er schlug sogleich auf die beiden Obdachlosen mit seinem Baseballschläger ein. Zuerst schlug er einmal auf Günter Schwanneckes linke Scheitelregion, sodass Schwannecke eine Stirnbeinfraktur erlitt, wodurch er umkippte. Infolge dessen schlug er auf die Bank oder den Steinboden mit dem Kopf auf, wodurch er sich eine weitere Schädeldachfraktur und eine ausgedehnte Blutung unter der rechtsseitigen harten Hirnhaut sowie eine Hirnprellungsblutung vom Stirnhirn zum Hinterhaupthirn mit einer vier mal sieben Zentimeter großen Blutungsmenge zuzog. Herndrik Jähn soll daraufhin Zühlke aufgefordert haben, damit aufzuhören und Zühlke schlug dann zweimal mit dem Baseballschläger Hagen Knuth auf den Kopf. Dadurch verletzte sich Knuth schwer: zwei Rissquetschwunden in der linken Scheitelregion und eine Schädeldachfraktur sowie ein schweres Hirntrauma. Beide Schläge waren für ihn akut lebensbedrohend. Norman Zühlkes hatte danach ein ganz mit Blut verschmiertes T-Shirt. Er und Jähn schauten sich anschließend erschrocken an und flüchteten.
Jähn rannte über die Tankstelle und die Kaiser-Friedrich-Straße in die Kantstraße (Richtung Westen), in die Fritschestraße, in die Pestalozzistraße und dann in seine Wohnung. Dort traf er gegen halb zwölf ein und seiner Freundin Sch. beichtete er aufgelöst von den Geschehnissen. Sch. schickte Hendrik Jähn zur Beruhigung ins Bett, anstatt etwa dass eine_r von beiden die Polizei oder den Krankenwagen gerufen hätte.

Norman Zühlke flüchtete mit dem Baseballschläger in der Hand über die Fritschestraße, in die Kantstraße (Richtung Osten) und begegnete dort Hendrik Jähn und einem späteren Gerichtszeugen. Gegen elf Uhr kam er am Postamt Kantstraße vorbei, er zog sich sein blutiges T-Shirt aus und warf es in einen Handkarren. Den Baseballschläger stellte er in den Hauseingang neben der Kantstraße 68, Er rannte weiter in Richtung Osten auf der Kantstraße, kehrte aber um und lief Richtung Westen, bog schließlich in die Windscheidstraße (Richtung Norden) ein. Dort nahm ihn ein Polizist fest.

Die beiden Täter kamen später gut weg: Hendrik Jähn wurde nicht einmal angeklagt, Norman Zühlke erhielt eine sechsjährige Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung.
Hagen Knuth und Günter Schwannecke wurden – beide bewusstlos – ins Krankenhaus Westend gebracht. Knuth wurde knapp gerettet und konnte nur dank ärztlicher Hilfe das Krankenhaus verlassen. Er verbrachte dort ganze zwölf Tage und litt noch viele Monate unter schweren Kopfschmerzen. Seine traumatischen Erlebnisse wurden jedoch sehr lange nicht behandelt, er fand als Zeuge vor Gericht kaum Worte.

Der Gesundheitszustand Günter Schwanneckes verschlechterte sich zunehmend. Auch eine schon bestehende Lebererkrankung begünstigte dies. Wegen der schweren Hirnverletzung erkrankte er im Krankenhaus noch an einer Lungenentzündung. Am 5. September 1992 verstarb Günter Schwannecke, und zwar eindeutig an der Schädelfraktur am Hinterkopf und an der Hirnprellungsblutung.

Auch heute - am 29. August 2012, war ein gewittrig-heißer Tag. 60 Menschen gedachten am Spielplatz Pestalozzistraße des Kunstmalers Günter Schwannecke und erinnerten an sein Leben.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Bericht vom Blog: Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative