Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Tourismus und Gentrifizierung in Berlin

von
Andrej Holm

09-2012

trend
onlinezeitung

Die von einigen linken Gruppen formulierte Kritik am Hass auf Touristen ist richtig. Doch die linken Kampagnen gegen das Touristen-Bashing folgen in ihrer Argumentation oft einer verkürzten Analyse der Stadtentwicklung und versäumen es, sich mit den Initiativen gegen Gentrifizierung in der Stadt zu solidarisieren.

Wenn die Berliner Gruppe »Andere Zustände ermöglichen« (AZE) mit der Kampagne »Spot the Touri« den Pöbeleien gegen Touristen, den Alltagsmeckereien über die nicht enden wollenden Straßenpartys in der Nachbarschaft und den fragwürdigen Preis- und Ausschankpraktiken einzelner gastronomischer Einrichtungen einen fremdenfeindlichen Kern unterstellen, dann haben sie recht. Allerdings drängt sich beim Lesen ihrer Texte der Verdacht auf, dass es auch nur darum geht – recht zu haben.

So wird das Thema der selbstgewählten Auseinandersetzung überhöht: »In der gegenwärtigen Diskussion um Stadt wird den Tourist*innen eine zentrale Rolle zugeschrieben«, schreibt die Gruppe im Text zu ihrer Kampagne. Welche Diskussion damit gemeint sein könnte, wird nicht weiter ausgeführt. Die Hinweise der Autorinnen und Autoren auf die Veranstaltung einer Bezirksgruppe der Grünen vergangenes Jahr und einen Halbsatz in einem linksradikalen Aufruf zum 1. Mai jedenfalls belegen die angeblich »zentrale Rolle« des Themas nicht überzeugend. Ein Blick in die lo­kalen Medien zeigt, dass das Thema Tourismus vor allem im Zusammenhang mit steigenden Übernachtungszahlen und den Diskussionen um eine sogenannten »City-Tax« aufgegriffen wird. In der Berliner Zeitung zum Beispiel wird nur in etwa einem Dutzend Artikeln der Zusammenhang von Tourismus, Verdrängung und Mietsteigerungen überhaupt benannt – 13mal im Kontext der Ferienwohnungsproblematik, einmal am Beispiel von Bewohnern mit einer medizinisch attestierten Lärmempfindlichkeit. Eine »zentrale Rolle« spielt das Thema offensichtlich nicht.

Auch ein Blick in die Veröffentlichungen und Websites der stadtpolitischen Initiativen und Mieterorganisationen in der Stadt bestätigt, dass es keine relevanten Texte und Beiträge gibt, die dem Tourismus eine zentrale Rolle bei der Stadtentwicklung zuschreiben. Stattdessen findet man dort eine Auseinandersetzung mit den Strukturen der Tourismusindustrie in Berlin.

Doch auch an diesem Punkt verwundert die selektive Wahrnehmung der Gruppe ein wenig. In der Einladung zu einer Veranstaltung vergangene Woche in Neukölln heißt es: »Selbstverständlich gehört das Phänomen des Tourismus als Teil kapitalistischer Kulturindustrie kritisch betrachtet. Doch darum geht es im herrschenden Diskurs leider nicht.« Das liest sich so, als ob hier endlich jemand die wirklich wichtigen Aspekte eines Themas ansprechen würde. Doch erstaunt werden alle Interessierten feststellen, dass es genau diese Diskussion schon seit geraumer Zeit gibt. Das mit einer Auflage von etwa 25 000 Exemplaren erscheinende Mieterecho der Berliner Mietergemeinschaft hat sich in den vergangenen Monaten gleich zweimal ausführlich dem Thema gewidmet. Im Oktober 2011 (Mieter­echo Nr. 350) wurde in einem Schwerpunktheft eine eigene Studie über Ferienwohnungen in Berlin vorgelegt und im Mai dieses Jahres (Mieter­echo Nr. 354) folgte ein Schwerpunkt über staatliche und private Marketingstrategien zugunsten der Tourismusindustrie.

Auch die Berliner Gruppe Kritische Geographie – die Teil der International Critical Geography Group (ICGG) ist – hat Tourismus zum Themenschwerpunkt erhoben. Neben einer Workshop-Reihe zur »politischen Ökonomie der Touristification« bietet sie seit März vergangenen Jahres in dem eigens zum Thema eingerichteten Blog (http://touristification.wordpress.com) eine gut sortierte Pressemappe, eine umfangreiche Literaturliste und eine Reihe von eigenen Artikeln an. Thematisiert werden hier sowohl die Verwertungs- als auch die stadtpolitischen Marketingstrategien – also ungefähr das, was wir uns unter einer kritischen Auseinandersetzung mit der »kapitalistischen Kulturindustrie« vorstellen können.

Nicht die Hetze gegen Touristen, sondern der Tourismus ist ein Thema in den Diskussionen der stadtpolitischen Initiativen und Mieterorgani­sationen. In Bezug auf die derzeit populäre Kritik an der Tourismuskritik stellt sich also vor allem die Frage nach inhaltlicher Auseinandersetzung jenseits der Provokation. So richtig es ist, fremdenfeindliche, ressentimenthafte und stigmatisierende Tendenzen in stadtpolitischen Debatten zu kritisieren, so wenig hilfreich erscheint es, Diskussionen auszublenden, die bereits seit geraumer Zeit stattfinden. Eine Kritik, die linke Positionen stärken will, müsste diese laufenden Initiativen und Mobilisierungen zumindest aufgreifen.

Neben der AZE gibt es die »Hipster Antifa Neukölln«, die eine ähnliche Kritik formuliert und sogar noch weiter geht. Offensichtlich sehr genervt von den touristenfeindlichen Graffiti, Aufklebern und Übergriffen in ihrer Nachbarschaft ruft sie zur »Aufwertung der Kieze« auf und kritisiert die Gentrifizierungskritik als »ideologisch überhöhte Kampagne, auf die unzählige linke Gruppen aufspringen«. In einem Interview mit der Jungle World formulierte sie ihre Kritik an den stadtpolitischen Initiativen: »Die Diskussion wird von Ressentiments bestimmt, die mit einer Kritik an den strukturellen Problemen nichts mehr zu tun haben, die im Kapitalismus herrschen. Das führt zu diversen Ekelhaftigkeiten, beispielsweise werden Personen als Verantwortliche abgestempelt.« (Jungle World 26/12) Auch hier werden die Unterstellungen gegen stadtpolitische Mobilisierungen mit der Dokumentation von Vorfällen und Ereignissen begründet, die gar keinen Bezug zu ihnen haben. So richtig es ist, sich über blöde Anmache, peinliche Parolen und fremdenfeindliche Kneipenwirte zu empören, so verkürzt ist es, die Gentrifizierungskritik dafür in Haftung zu nehmen.

Als Reaktion auf steigende Mieten und eine drohende Wohnungsnot haben sich in Berlin in den vergangenen vier Jahren mehr als 20 neue Stadtteil- und Mieterinitiativen gegründet, die sich in der Regel gegen Mietsteigerungen, Immobilienspekulation und staatliche Aufwertungsprogramme wenden. Wenn Fragen in Bezug auf den Tourismus dabei überhaupt thematisiert werden, dann ausschließlich im Zusammenhang mit immobilienwirtschaftlichen Strategien wie der Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen oder mit der Verdrängung von kleinen Läden durch kommerzielle touristische Strukturen. Diesen Gruppen Ressentiments und eine verkürzte Kapitalismuskritik vorzuwerfen, wäre absurd, denn in der Reichweite lokaler Initiativen ist die Auseinandersetzung mit den negativen Effekten der kapitalistischen Urbanisierung kaum vorstellbar, ohne Eigentümer, Investorengruppen, verantwortliche Politiker und ihre Strategien konkret zu benennen.

Die von der »Hipster Antifa« formulierte Provokation »Für die Aufwertung der Kieze – für mehr Bars, Soja-Latte, Wifi und Bio-Märkte« verweist nicht nur auf eine für linke Gruppen eigentlich untypische Klassenarroganz, sondern verstärkt die feuilletonistische Banalisierung des Gentrifizierungsbegriffs. So ist die scheinbar neutrale Forderung nach einer »Aufwertung« seit vielen Jahren die wichtigste Legitimation der Stadtplaner, um Verdrängungsprozesse im Interesse der Immobilienverwertung öffentlich zu rechtfertigen.

Galt der Begriff Gentrifizierung lange Zeit als Tabu in stadtpolitischen Debatten, weil er mit den sozialen Kosten der Sanierungsprogramme verknüpft war, wird derzeit immer öfter versucht, ihn positiv zu deuten. Sanierungsträger, Senatsverwaltungen und Quartiersmanagement reagieren auf Kritik an ihren Programmen immer öfter mit der Frage: Hat hier irgendjemand etwas gegen die Aufwertung und die Verbesserung der Lebens- und Wohnbedingungen? Wie auf jede gute Legitimationsrhetorik gibt es eigentlich nur eine Antwort – schon die Frage ist falsch gestellt, denn nicht alle werden sich das Leben in den schönen, neuen Stadtteile leisten können. Aufwertung unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet nichts anderes als die Verdrängung all jener, die die steigenden Preise nicht zahlen können.

In der Provokation gibt es zudem eine problematische Verkürzung von Stadtteilentwicklungen auf lebensstilrelevante Einrichtungen (»Bars, Soja-Latte, Wifi und Bio-Märkte«), bei der die ökonomischen und vor allem immobilienwirtschaftlichen Grundlagen der kapitalistischen Stadt ausgeblendet werden. Wie in vielen Mainstream-Artikeln des überregionalen Feuilletons werden dabei soziale und politische Auseinandersetzungen in den Städten auf Fragen unterschiedlicher Lebensstile und Konsummuster reduziert.

Solch eine Banalisierung der Gentrifizierung verbaut nicht nur den Blick auf strukturelle Dimensionen der kapitalistischen Stadtentwicklung, sondern steht in seiner identitären Variante auch noch einer breiten sozialen Mobilisierung entgegen. Doch die derzeitige Situation in Berlin bietet einen Ausweg: Wer das schöne Leben nicht nur für »Tourists, Hipster, Schwaben« will, kann sich zusammen mit den zahlreichen Stadtteilgruppen dafür einsetzen, dass auch Hartz-IV-Familien und migrantische Mieter im sozialen Wohnungsbau und alle anderen Geringverdienenden in der Innenstadt wohnen bleiben können.

 

Editorische Hinweise
Wir spiegelten den Artikel von
Jungle World Nr. 33, 16. August 2012