Die Bewegung der Empörten in Spanien ist reich an Lehren.
Sie bringt die zunehmende Kampfbereitschaft der
Ausgebeuteten gegenüber der unaufhörlichen Verschlechterung
der Lebensbedingungen und das Voranschreiten des Nachdenkens
über « wie kann man kämpfen, wie kann man sich gemeinsam
gegen die Wirtschaftskrise und die Angriffe des Kapitals
wehren ? » zum Vorschein. Diese Bewegung hat auch in anderen
Ländern Europas Wurzeln geschlagen, insbesondere in
Griechenland, aber auch in anderen Teilen der Welt, bis hin
nach Israel und Chile.
Und die letzten Ereignisse Ende Juli haben die Tiefe dieser
gesellschaftlichen Unzufriedenheit und die Reifung des
Arbeiterbewusstseins bestätigt. Während die internationalen
Medien die Demonstrationen in Madrid vom Sommer dieses
Jahres weitgehend ausgeblendet und stattdessen immer wieder
berichtet haben, dass die Zeltlager abgebrochen werden und
die Bewegung jetzt absterbe, haben die Mitglieder der IKS
vor Ort dagegen feststellen können, dass Zehntausende
Empörte, die sich auf den Straßen sammelten, von dem Willen
beseelt waren, den Kampf fortzusetzen, weil sie wissen, dass
die Krise noch viel härter zuschlagen und der Kampf
notwendigerweise wieder aufflammen wird. Aber vor allem die
Qualität der Diskussion über das wahre Wesen der
bürgerlichen Demokratie, die Falle des Reformismus, die
Sabotage der Bewegung durch Democracia Real Ya » (DRY), die
Wichtigkeit der Debatte in den Versammlungen… haben unsere
Mitglieder geradezu enthusiastisch werden lassen. Sie haben
einen Bericht über ihre Intervention für die Mitglieder
unserer Organisation angefertigt, um darüber zu informieren,
was sie gesehen und erlebt hatten. Wir veröffentlichen
diesen Bericht im Anschluss nahezu ungekürzt ; dies ist auch
der Grund dafür, dass der Stil manchmal ein wenig
telegraphisch und notizenartig ist.
Zu den Versammlungen in Madrid im Juli
Freitag 22. Juli : Die ersten Demonstrationsumzüge
kommen aus den Arbeitervierteln der Vororte Madrids im
Zentrum an. Zahlreichen Zeugenaussagen zufolge haben diese
Umzüge wiederum größere Versammlungen ausgelöst, die Leute
waren sehr froh, auf andere zu treffen und sich
zusammenzuschließen ; man umarmte sich, sang und diskutierte
lebhaft.
Samstag, 23. Juli : Der Platz Puerta del Sol war
voll, auch die Nebenstraßen. Vielleicht waren ca. 10.000
Leute zusammengekommen ; viel mehr als die Medien geschätzt
hatten, die von Hunderten von Empörten sprachen. Wir waren
anwesend und haben die Beilage unserer Presse verteilt (1).
Es gab eine große Aufnahmebereitschaft. Um uns bildeten sich
kleine Trauben von Menschen. Es fiel sofort ins Auge, wie
groß die Lust ist zu reden, dass die Leute sich spontan
äußern wollen, gegen den Kapitalismus Stellung beziehen und
für die Versammlungen als dem wichtigsten Werkzeug
eintreten. Die Vollversammlung fing nach 22.00 h an, sie
befasste sich ausschließlich mit der Berichterstattung über
die Märsche. Es gab sehr ergreifende Momente, denn die Leute
waren sehr enthusiastisch, fast alle sprachen von
Revolution, prangerten das System radikal an (um auf die
Wurzeln der Dinge zu sprechen zu kommen, wie ein Redner
meinte).
Sonntag, 24. Juli : Morgens fanden im Retiro-Park
Themenversammlungen statt : internationale Koordination,
nationale Koordination, politische Aktion,
Kommunikationsmittel… In der internationalen Koordination
waren Leute aus Italien, Griechenland, Tunesien, Frankreich
und auch junge spanische Migranten erschienen. Man schlug
vor, zu einem europäischen Aktionstag der Empörten
aufzurufen, aber es gab auch zwei Wortmeldungen, die gleich
von einem „Weltaktionstag“ sprachen, in dem man sich „gegen
die Kürzungen der Sozialbudgets weltweit“ richten sollte.
Einer von uns hat sich zu Wort gemeldet und den gemeinsamen
Nenner all der Probleme, vor denen wir stehen,
hervorgehoben. Ein anderer stellte die Initiative vor, die
in Valencia als ein „internationalistischer Tag der Debatte
über die 15M“ ins Auge gefasst wurde, zu dem Kollektive
nicht nur aus Spanien, sondern aus anderen Ländern
eingeladen werden sollen. (2). Diese Initiative wurde
explizit von dem Moderator der Versammlung unterstützt.
Jedoch wurde in der darauf folgenden Vollversammlung
manipuliert. Sie wurde ausschließlich ausgerichtet auf die
Berichte jeder „Themenversammlung“, womit freie
Wortmeldungen, die sich nicht auf diese Themen beschränkten,
verhindert wurden. Zudem waren die Berichte der
Berichterstatter viel zu lang. Der Bericht über das Komitee
der internationalen Koordination war an den Schluss gesetzt
worden, als schon viele Teilnehmer gegangen waren. Der
Berichterstatter, den wir zuvor nie im Komitee gesehen
hatten, sagte kein Wort von dem Vorschlag eines
internationalen Tages. Es war uns nicht möglich dort das
Wort zu ergreifen, um dies zu korrigieren.
Nachmittags fand die Demonstration statt, an der sich ca.
100.000 Personen beteiligten. Die Stimmung war sehr lebhaft;
wir haben viele Zeitungen verkaufen können und dabei viel
diskutiert. Einmal sperrte die Polizei den Paseo de la
Castellana ab. Aber die Demonstranten ließen sich in keine
Auseinandersetzung mit dieser locken, sondern umzingelten
sie stattdessen, indem sie sich in verschiedene Straßen
aufteilten und nachher wieder zusammenkamen. Das
Polizeiaufgebot erschien als völlig lächerlich, da es von
allen Seiten von Demonstranten umzingelt wurde, ohne die
Möglichkeit zu reagieren. (3).
Abends gab es eine große “Themenversammlung” zum Thema
“Staat und Wirtschaft”. Ein Katalane, der die Ideologie von
ATTAC im Brustton der Überzeugung verbreitete, fiel durch
einen sehr langen Redebeitrag von einer halben Stunde auf,
in dem er die Notwendigkeit eines „Systems von Kooperativen“
betonte, dass der Staat unter dem Gewicht der „Märkte
verschwinden“ werde und dass dabei auch die Nationen
„ausradiert“ würden. Er stellte den Staat und die Nation als
die heutigen „revolutionären Alternativen“ gegenüber dem
Kapitalismus dar. Revolutionär ist, den Staat und die Nation
zu verteidigen. Eine Reihe anderer Wortmeldungen, darunter
auch wir, haben diese Auffassung heftig verworfen.
Montag, 25. Juli:
Es fand ein Diskussionsforum über verschiedene Themen statt
: Ökologie, Feminismus, Politik, Genossenschaften… Wir
hatten geplant, einen Verkaufsstand für unsere Presse
mitzubringen und an einem Forum teilzunehmen. Wir haben das
Forum mit dem Thema „Für oder gegen eine neue Verfassung“
gewählt.
Eine Frau hat eine lange Einleitung gemacht. Sie sprach von
der Entwicklung der „repräsentativen“ Demokratie zu einer
„partizipierenden“ Demokratie, in welcher die
Vollversammlungen die Speerspitze wären. Überall sollte es
Vollversammlungen zu allen möglichen Themen geben: um die
Kandidaten der politischen Parteien zu wählen, die
Gewerkschaftsführer zu wählen, die Gemeindehaushalte… Ihr
zufolge würde dies „eine neue Ordnung, die aus Versammlungen
besteht, hervorbringen“. All das wurde als ein neuer Beitrag
zur „politischen Wissenschaft“ bezeichnet (sic).
Die Versammlung hat sich durch diese “Entdeckung” nicht
beeindrucken lassen. Ein junger Mann sagte freimütig, dass
das Problem der Kapitalismus sei und dass es unmöglich wäre
diesen zu „reformieren“ oder zu „demokratisieren“. Ein
anderer sprach von Revolution und forderte dazu auf, auf die
Lehren Lenins hinsichtlich des Aufbaus einer revolutionären
Partei zurückzukommen. Dies erzürnte einen Anarchisten, der
zwar die Notwendigkeit der Zerstörung des Staates und den
Aufbau der Macht der Versammlungen (oder der Räte, wie er
meinte) betonte, aber auch meinte, Lenin habe eine Partei
ohne Arbeiter, nur mit Intellektuellen bilden wollen. In
einer anderen Wortmeldung wurde auch hervorgehoben, dass
eine revolutionäre Partei nötig sei, die sich aber nicht am
Wahlspektakel beteiligen dürfe, sondern „nur das Gesetz der
Versammlungen“ akzeptieren dürfe.
Andere Wortmeldungen verwarfen stark den Vorschlag einer
neuen Verfassung. „1978 haben sie uns getäuscht. Warum
sollten wir heute den gleichen Fehler begehen?“ Ein
Jugendlicher aus Ciudad Real sprach von „Doppelmacht“. Die
Macht der Versammlungen und die Macht dessen, „was man
Demokratie nennt“. Er fügte hinzu, wir bräuchten eine
„Strategie um zum Sieg der ersten beizutragen“. Eine junge
Frau meinte: „Man versucht Versammlungen und Verfassung
unter einen Hut zu bringen, aber das ist unmöglich. Die
Versammlungen haben nichts mit der Verfassung zu tun, sie
stehen in totalem Gegensatz zu ihnen.“ Manchmal gab es
Redebeiträge zur Verteidigung einer neuen Verfassung, aber
ein junger Mann, der anfangs einen langen Text zugunsten
eines „Projektes einer neuen Verfassung, das von einer
Gruppe aus Granada verfasst worden war“, vorlas, revidierte
seinen früheren Standpunkt in einem zweien Redebeitrag und
meinte, dass er nur der Sprecher der Gruppe gewesen sei,
dass er selbst die „Macht der Versammlungen“ bevorzuge. Den
Wortmeldungen zur Unmöglichkeit der Reformierung des
Kapitalismus spendete man Beifall; auch als betont wurde,
dass man nicht von Demokratie im Allgemeinen sprechen
sollte, sondern vom Staat. Einer unserer Genossen hatte sich
zu Wort gemeldet und präzisiert, dass der Staat das Organ
der herrschenden Klasse ist und dessen Unterdrückungsapparat
und Bürokratie darstellt, mit seinen Truppen, der Polizei,
den Gerichten und Gefängnissen. All dies werde durch seine
demokratische Fassade übertüncht: „Wir, die Ausgebeuteten,
wir verfügen nur über das Instrument der Versammlungen, um
uns zusammenzuschließen, um kollektiv zu denken und
gemeinsam zu entscheiden. Die Macht soll in die Hände der
Versammlungen gelegt werden, auch wenn es ein langer Kampf
sein wird. Dies ist keine Utopie, wenn man diesen Kampf
langfristig sieht.“ Mehrere Personen haben diese Wortmeldung
begrüßt.
Als er spürte, dass sich der Wind drehte, hat der Katalane,
der am Vorabend noch anders argumentiert hatte, eine
Kehrtwendung gemacht. Jetzt sprach er sich für „die Macht in
den Händen der Versammlungen“ und für eine „Weltregierung“
aus, und dass „wir in diesem Rahmen über genügend Kraft
verfügen würden, um eine neue Verfassung zu verabschieden“
(sic). Dies soll ein „marxistischer Diskurs“ sein?
Vielleicht, aber wenn dann der „Tendenz Groucho“ (4)!
Nachmittags sind wir nach Móstoles gefahren, einer
industrieller Vorort von Madrid, um zur Koordination der
Versammlungen des Südens zu gehen, die zur nationalen
Demonstration vom 19. Juni aufgerufen hatte. Sie trafen sich
in einem Raum eines sehr kämpferischen Kollektivs, das sich
am 15M beteiligt und dabei die Interessen der Arbeiterklasse
vertreten hatte. Ein Jugendlicher, der daran aktiv
mitgewirkt hatte, äußerte gegenüber uns seine große Freude
über die Bewegung des 15M und schilderte uns seine
Einschätzung: er verwarf die bürgerliche Demokratie, die
Manöver der Bewegung DRY, zu der er einige konkrete
Beispiele lieferte, er trat für eine revolutionäre
Perspektive ein, das Wiedererstarken des Proletariats,
warnte vor der Falle des Immediatismus und betonte die
Notwendigkeit einer Bewusstseinsentwicklung… Der Punkt, bei
dem er mit uns nicht einverstanden war, betraf die
Einschätzung Spaniens 1936, welche er als eine Revolution
der Selbstverwaltung sah. Er war sehr froh, uns getroffen zu
haben. Wir beschlossen, der Gruppe unsere Presse zu
schicken, und er wird dem Kollektiv den Vorschlag zur
Beteiligung an dem Treffen im Herbst in Valencia machen.
Einige Überlegungen
Diese 3 Tage waren eine sehr intensive Erfahrung, sie
haben uns eine sehr tiefgreifende Bewegung vor Augen
geführt.
Es scheint weiterhin eine sehr große Unzufriedenheit
vorzuherrschen, aber auch andere Aspekte sind sehr wichtig:
eine Lust zu diskutieren und Klärung herbeizuführen, ein
Drängen, zusammen zu sein, eine ständige Suche nach der
Aufnahme von Verbindungen…
Von Anfang an haben DRY und ihre Satelliten alles
unternommen, um die Bewegung durch eine Reihe von „konkreten
Forderungen“ zu fesseln – der berühmte Katalog
demokratischer Forderungen. Dagegen regt sich stummer
Widerstand unter einer großen Zahl von Leuten und heftiger
Widerstand seitens einer kleinen Minderheit.
Seitdem sind zwei Monate vergangen und die « Zusammenstöße
zwischen den Klassen » stehen immer noch nicht auf der
Tagesordnung5.. Bedeutet dies eine Schwäche? Stellt dies ein
Zeichen der Erschöpfung der Bewegung dar? Wenn wir zurück
auf die Gründe der Erschöpfung der Klassenbewegung während
der letzten Jahrzehnte blicken, kann man sehen, dass einer
der Gründe eine physische Niederlage war. Aber die häufigste
Niederlage war die ideologische Niederlage. In eine
Sackgasse gelockt, wurde die Klasse in einen Kampf
getrieben, der zu ihrer Auflösung führte, was wiederum eine
tiefgreifende Demoralisierung bewirkte. Aber das Versiegen
der Bewegung im Herbst 2010 in Frankreich war genauer
gesehen auf keine dieser beiden Ursachen zurückzuführen.
Dies ist hauptsächlich auf die Feststellung zurückzuführen,
dass die Regierung trotz der massiven Kämpfe nicht nachgab.
Die Arbeiterklasse hatte große Schwierigkeiten auch nur
ansatzweise die Vollversammlungen zu errichten, in denen man
den Gewerkschaften entgegentreten konnte. In Spanien sieht
man wiederum etwas „Neues“, das sicherlich einige
politisierte Minderheiten verunsichert, aber auch die
Herrschenden verwirrt: die Bewegung ist frontalen
Zusammenstößen ausgewichen und ist in ein Nachdenken
eingetreten, in dem Verbindungen, eine Solidarität aufgebaut
werden… Man könnte meinen, die Bewegung zieht es vor, die
unvermeidbaren Klassenzusammenstöße vorzubereiten, indem sie
„Kräfte sammelt“.
Einerseits entwickelt sich ein gewisses Bewusstsein für das
Ausmaß der Aufgaben und was unmittelbar auf dem Spiel steht.
(6). Aber man ist sich auch in einem gewissen Maße der
Schwäche der Arbeiterklasse bewusst hinsichtlich ihres
mangelnden Selbstvertrauens, der Notwendigkeit ihre
Klassenidentität wiederherzustellen, kurzum, hinsichtlich
der mangelnden Reife, um eine Antwort auf die eingeleiteten
schwerwiegenden Angriffe und Verschlechterungen unserer
Lebensbedingungen zu geben.
In diesem Kontext ist diese « Ansammlung der Kräfte »
auch ein Ausdruck einer gewissen Hellsichtigkeit. Es handelt
sich sicherlich um eine notwendige und unvermeidbare Phase
in einer Situation, in der das Potential für gewaltige
Zusammenstöße zwischen den Klassen heranwächst. Die Bewegung
des 15M greift und entfaltet eine Reihe von Merkmalen auf,
die schon in einem embryonalen Zustand bei der Bewegung
gegen den CPE 2006 vorhanden waren: Vollversammlungen, das
Erscheinen einer neuen Generation, eine erhöhte Sensibilität
gegenüber ethischen und subjektiven Fragen, der Wille,
miteinander Verbindung aufzunehmen, einen bewussten Kampf zu
führen…
Wenn man mit etwas mehr Abstand auf die Tage in Madrid
schaut, fallen einem eine Reihe von Tatsachen ins Auge:
- man spricht ganz natürlich von „Revolution“ , weil das
Problem, vor dem man steht, „das System“ ist,
- „alle Macht den Versammlungen“ – bleibt nicht mehr eine
Forderung einer kleinen Minderheit, sondern wird immer mehr
verbreitet und sie gewinnt an Popularität (7).
- Der Drang hin zur „internationalen Ausdehnung“ der
Versammlungen ist spürbar, wie der immer populärer werdende
Vorschlag eines „weltweiten Tages der Versammlungen“
beweist.
Es stimmt, dass all das inmitten einer gewaltigen
Verwirrung stattfindet. Alles mögliche Gebräu wird in die
Flasche „Revolution“ gesteckt: Selbstverwaltung,
Genossenschaften, Verstaatlichung der Banken… Hinsichtlich
der Frage der Internationalisierung ist ein Gespräch
aufschlussreich, das wir mit einem Jugendlichen in Valencia
führten. Er warf uns vor, DRY zu hart kritisiert zu haben.
Er hielt uns den Vorschlag von DRY eines „europäischen
Aktionstages entgegen, der zu einem weltweiten Aktionstag“
werden könnte. Aber gleichzeitig fügte er hinzu: „Worin ich
ein Problem sehe, ist die inhaltliche Ausgestaltung dieser
Tages. Wenn das Ziel die Demokratie ist, warum gibt es
eigentlich kein Land mit einer wirklichen Demokratie?“
Das Proletariat leidet unter dem Gewicht der herrschenden
Ideologie. In den Vollversammlungen sind DRY und andere
bürgerliche Kräfte vorhanden (8), die von den Politikern und
Medien Rückendeckung erhalten. In der Arbeiterklasse
wiederum regen sich kommunistische Minderheiten, der
zahlenmäßiger Umfang und Einfluss immer noch schwach sind.
Könnte man unter diesen Bedingungen etwas anderes erwarten
als eine Debatte inmitten einer großen Verwirrung, um eine
Reihe von unterschiedlichsten Theorien und den unmöglichsten
Ideen und Vorschlägen….? Das Bewusstsein muss sich seinen
Weg bahnen inmitten dieser sehr chaotischen und
schwindelerregenden Situation.
Die proletarischen Kollektive
In den Versammlungen sehen wir, dass DRY – der Fangarm
des Staates in deren Reihen – auf einen schweigenden,
stummen Widerstand und eine immer aktiver werdende
Minderheit stößt. (9). Man muss die beiden unterscheiden :
die erste Gruppe, die wahrscheinlich größer ist als man
denkt, verhält sich passiv gegenüber den Vorschlägen von DRY,
man lässt sie walten, wagt nicht, ihnen die Zügel aus der
Hand zu reißen, aber es gibt einen diffusen Widerstand gegen
deren Vorschläge.
Dagegen führt eine Minderheit einen Kampf gegen die
demokratische, bürgerorientierte und reformistische Politik;
sie versucht dieser eine auf die Interessen der
Arbeiterklasse sich stützende Politik entgegenzusetzen, um
sich auf eine revolutionäre Perspektive des Kampfes gegen
den Kapitalismus auszurichten und die Macht der
Vollversammlungen.
Dieser Minderheit neigt dazu, sich in „Kollektiven“ zu
organisieren, die überall entstehen. Man bemüht sich, mehr
nachzudenken, insbesondere – soweit wir wissen – in
Valencia, Alicante oder Madrid, auch wenn diese „Kollektive“
im Augenblick noch sehr zerstreut und ohne größeren Kontakt
untereinander arbeiten und es ihnen noch nicht gelungen ist,
den lokalen Rahmen zu sprengen.
Anmerkungen
1) Die Beilage stützt sich auf den Artikel in
Weltrevolution Nr. 167 – auf unserer Webseite steht er
ungekürzt zur Verfügung.
2) In Valencia gibt es eine « Versammlung der Gleichen », in
der 5 Kollektive mit einer deutlichen anarchistischen
Zusammensetzung zusammenwirken. Ein Kollektiv von
Jugendlichen hat einen Debattentag zum15M für den Herbst
vorgeschlagen. Wir haben diesen Vorschlag unterstützt und
die Möglichkeit erwogen, dabei auch Leute aus anderen
Ländern einzuladen, dies traf auf Zustimmung. Es handelt
sich aus unserer Sicht um eine wichtige Initiative.
3) Die Sensibilität gegenüber der Repression und dem Willen,
sich dieser entgegenzusetzen, ist weiterhin stark in der
Bewegung vorhanden. Am 27. Juli, als vor dem Parlament
demonstriert wurde, hat die Polizei hart zugeschlagen und
die Demonstranten gewaltsam angegegriffen. Nachmittags gab
es eine Spontandemonstration mit mehr als 2000 Teilnehmern
im Stadtzentrum. Der Slogan dieser Demo lautete : « Wenn ihr
jemanden von uns angreift, greift ihr uns alle an ! »
4) Groucho Marx von den Marx Brothers sagte : « Dies sind
meine Prinzipien, wenn sie euch nicht gefallen, habe ich
noch andere in meiner Tasche »
5) Wie wir in dem Artikel zur Bewegung in Spanien aus
Weltrevolution Nr. 167 erklärten, standen die Zusammenstöße
zwischen den Klassen von Anfang an auf der Tagesordnung,
jedoch nicht sehr explizit oder direkt auf politischer oder
ökonomischer Ebene, sondern eher « subjektiv » : Entwicklung
des Bewusstseins, der Solidarität, Aufbau eines kollektiven
Gewebes der Aktionen.
6) Gewaltige Angriffe stehen für diesen Herbst an :
insbesondere im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich – mit
vielen Entlassungen.
7) In der Alcalá-Straße, ganz in der Nähe des Cortes (des
Parlementes) forderte eine Graffiti : “Die ganze Macht den
Versammlungen ». Der Versuch, diese Botschaft zu verbreiten,
hat die « Respektkommission » - eine Art innere Polizei der
DRY – auf den Plan gerufen, sie ist dagegen eingeschritten,
weil sie solch eine Forderung zu « gewalttätig » fand. Die
drei Jugendlichen, die diese Graffiti anbringen wollten,
wurden von ihnen umzingelt, aber eine Gruppe von
Demonstranten hat wiederum die Kommission umzingelt und sie
aufgefordert, die Jugendlichen ihre Meinung äußern zu
lassen.
8) Neben DRY gibt es IU (Vereinigte Linke- ein von den
Stalinisten gebildetes Bündnis) UPYD (eine liberale
Zentrumspartei), MPPC (eine republikanische Bewegung) sowie
mehrere Gruppen der Extremen Linken, darunter Trotzkisten.
9) In Valencia sind Graffitis aufgetaucht, « DRY sind nicht
unsere Repräsentanten », was eine Verwerfung des sehr weit
verbreiteten Spruches gegen die Politiker ist « Sie
repräsentieren uns nicht »
Editorische Hinweise
Den Text erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.
Der Text wurde bereits am
1. August 2011 verfasst und uns verspätet
zugesandt.