Die feministische Ästhetik des Widerstands
Ein beeindruckendes Buch über drei Kommunistinnen soll hier allen Leser_innen empfohlen werden.

von
Peter Nowak

09/11

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In den 70er Jahren sorgte das Monumentalwerk von Peter Weiss „Ästhetik des Widerstand“ für großes Aufsehen. Lesegruppen gründeten sich, die das Buch studierten. Ausgangspunkt waren drei junge Kommunisten, die sich unmittelbar vor der Machtübertragung des NS vor dem Pergamonaltar in Berlin getroffen haben. Sie debattierten über Kunst und Politik. Durch die Jahre des Widerstands, des NS-Terrors, des stalinistischen Schreckens sollten diese beiden Themenfelder in dem Buch erhalten bleiben.

Jetzt hat der in Zürich geborene und in der Schweiz lehrende Robert Cohen im Rotbuch-Verlag die feministische Variante der Ästhetik des Widerstands herausgegeben. Das Buch beginnt am 11. April 1928 in Berlin. Die Zeitungen sind an diesem Tag voll von Meldungen einer mutigen jungen Frau, die später als Olgaria Benario weltweit Schlagzeiten machen sollte. An diesen Tag befreite sie den kommunistischen Funktionär Otto Braun in Moabit bei einem Gerichtstermin aus dem Gefängnis und floh mit ihm nach Moskau.  Die Aktion war das Thema in linken Cafes. Auch die angehende Juristin Ruth Rewald und die kommunistische Aktivistin Maria Greßhöner,  die bald den Namen Osten annehmen sollte, freuten sich über den gelungene Coup. Rewald schlägt am Ende ihres Gesprächs vor, einen Verein der frechen  Frauen zu gründen und Benario zur Mitarbeit zu bitten.

Wenige Jahre später  sind alle drei Frauen von den Nazis aus Deutschland vertrieben und kämpfen an den unterschiedlichen Fronten in aller Welt für die Emanzipation der Menschen und gegen den sich ausbreitenden Nazismus und Faschismus. Benario wird m Auftrag der Kommunistischen Internationale in Brasilien einer sich gerade bildenden linken Bewegung Hilfestellung geben. Doch der erhoffte Aufstand gelingt nicht, Benario und viele ihrer Mitstreiter_innen werden verfolgt, viele sofort erschossen. Benario, über die mittlerweile die Weltpresse berichtete, entgeht diesem Schicksal zunächst. Doch  trotz einer internationalen Kampagne, kann sie der Auslieferung nach Nazideutschland nicht entgehen. Allerdings gib ihr die Geburt einer Tochter noch einen Aufschub, bevor sie ins Konzentrationslager Bernburg deportiert und ermordet wird. Auch Ruth Rewald, die über das Saarland nach Frankreich auswandert, kann den Nazis nicht entkommen. Sie und auch ihre Tochter werden von den deutschen Besatzungsbehörden und ihren französischen Helfern  aufgespürt und in die Vernichtung transportiert. Osten, die aus ganz armen Verhältnissen stammt und mit ihrem

kommunistischen Engagement auch ihre persönliche Emanzipation verbindet, wird derweil in der Sowjetunion und in Spanien gegen den Nazismus ankämpfen, der mittlerweile von Sieg zu Sieg eilt. Später wird sie wie so viele Opfer der stalinistischen Konterrevolution. 

Beschreibung des Stalinismus 

Während die drei frechen Frauen so die schlimmste Reaktion mit Millionen Menschen aufzuhalten versuchen, passieren in Moskau Dinge, die sie und viele andere sich nicht erklären können. Trotzki wird kaltgestellt, viele seiner Mitarbeiter_innen, darunter Bolschewist_innen der ersten Stunde, werden als Verräter_innen und Spione diffamiert, verurteilt, verbannt und hingerichtet. Cohen gelingt die Unbegreiflichkeiten  des Phänomens, das wir Stalinismus  zu bezeichnen gelernt haben, so eindringlich zu beschreiben, wie vor ihm nur Peter Weiss und  vor einigen Jahren Bini Adamczak   in ihren Büchlein „gestern morgen. über die einsamkeit kommunistischer gespenster und die rekonstruktion der zukunft“ . Allen drei Büchern ist gemeinsam,  dass die Leser_innen die Trauer spüren, die die Verfasser_innen befällt, wenn sie daran denken, was durch den „Stalinismus“ zerstört wurde, nicht weniger, als   eine weltweite Emanzipationsbewegung und das ihre Erneuerung nur gelingen kann, wenn die mit einbezogen werden, die als Kommunist_innen von den eigenen Genoss_innen verfolgt, gequält und ermordet wurden. Cohen beschreibt sehr gut, wie auch die überzeugtesten Kommunist_innen oft nicht wahrhaben wollten, was auf einmal mitten in der kommunistischen Weltbewegung entstanden ist. Denn es war nicht einfach ein  Kampf, einer      der zu Macht gekommenen Bürokratie gegen die da unten. Schließlich waren selbst die höchste Funktionäre nicht vor den Verfolgungen verschont geblieben, am Ende sogar Jagoda nicht, der Chef des sowjetischen Unterdrückungsapparates. Cohen zeigt auch, wie viele überzeugte Kommunist_innen immer wieder Gründe finden wollten, warum die Verhaftungen und die Massenrepression ihre Richtigkeit haben.  Sie konnten und wollten nicht wahrhaben, dass die Konterrevolution hinter ihren Rücken schon wieder Machtpositionen erobert hat. Denn wie sollten sie da noch kämpfen gegen den Nazismus, wenn der Feind schon in den eigenen Reihen stand? Cohen gelingt es, die Folgen dieses Phänomens zu beschreiben für den Lebensalltag von Tausenden von Kommunist_innen überall auf der Welt. Er verzichtet auf jeden Triumphalismus und lässt der Trauer Platz, auch für die Genoss_innen, die Teil des stalinistischen   Systems waren. Was sich paradox anhört, wird sich beim Lesen des Buches  aufklären. Die Scheidung in Täter_innen und Opfer ist eben nicht so leicht, wo der überzeugteste Verfechter der Parteilinie Opfer werden konnte. Cohen unterscheidet sich wie Peter Weiss wohltuend und von den Biermanns und ihren Epigonen, die jede Gelegenheit nutzen, um unter dem Label des Kampfs gegen den Stalinismus die herrschende Weltordnung zu lobpreisen.  

Exkurs  -  der Stalinismus und die DDR 

Das Buch sollten auch jene linken DDR-Oppositionellen lesen,    die ausgerechnet den 13. August, den nationalen Mauergedenktag dazu nutzten, gegen die einzige witzige Antwort, eine junge –Welt-Satire zu wettern. So berechtigt eine Kritik an vielen  Artikeln gerade zum Nahen Osten in der Zeitung ist, diese Satire hat getroffen. Warum aber gerade diese Satire zum Rundumschlag gegen alte und neue Stalinist_innen genutzt wurde, ist rätselhaft. Zumal das Problem der DDR-Opposition doch  die Mauer war, die  war allen Deutschnationalisten ein Gräuel. Für DDR-Oppositionelle war doch DDR-Bürokratie und Stasi das Problem und der Fall der Mauer. Dann, das hatten weitblickende DDR-Oppositionelle schon 1989 erkannt, würde auch jede Grundlage für einen wirklichen Sozialismus in der DDR wegfallen. So hatte das Wort von Bärbel Bohley, die  Maueröffnung ist die letzte Rache der SED-Gerontokratie an der DDR-Revolution seine Berechtigung. Um so unverständlicher, dass manche der DDR-Linken 22 Jahre später davon nichts mehr wissen wollen. Was das mit dem Buch „Exil der frechen Frauen“ zu tun ha? Cohen schreibt die Biographie vieler seiner Protagonist_innen weiter. Viele auch der Opfer des Stalinismus   lebten später in der DDR, waren in der SED, verteidigten, dass was sich dort entwickelte und wussten doch immer vom Schrecken und Terror der Eigenen. Auch Otto Braun, den Benario befreit hatte,  wurde ein Wissenschaftler und starb in den 70er Jahren in der DDR. Es waren ja diejenigen, die sich subjektiv als Kommunist_innen verstanden,  von den eigenen verfolgt und wenn sie Glück hatten, noch zu Lebzeiten rehabilitiert wurden, die sich meist weiter für ihre Ideale einsetzten. Sie wollten oft nicht wahrhaben, dass das Phänomen, das wir Stalinismus zu bezeichnen gelernt haben, die gesamte Bewegung zerstörte. Bücher, wie das „Exil der frechen Frauen“ können einen wichtigen Beispiel für eine Rekonstruktion einer linken Bewegung leisten, die sich nicht triumphalistisch über den Stalinismus erhebt, sondern sich bewusst wird, dass das was damals geschehen ist. von den eigenen    Leuten an den eigenen Leuten verübt wurde und damit auch von uns an uns.

Robert Cohen,
Exil der frechen Frauen


Roman,  Berlin, 2010
624 Seiten
Rotbuch-Verlag
24,90 €
 ISBN 978-3-86789-057-1