Der Bruch ist eine Tatsache
Hier und Jetzt: Gleichheit - Würde - Solidarität
Direkte Demokratie überall!
Kongress der Direkten Aktion und
Direkten Demokratie - Aristoteles Universität Thessaloniki
5./6./7. September - Internationale Messe Thessaloniki 2011
Die Bewegung der besetzten Plätze, die sich
nach den Ereignissen in Nordafrika und in der Folge in Spanien,
auch in Griechenland entwickelte, brachte das zeitgemäße
politische Subjekt hervor. Mit seinem Erscheinen begann es neue
Maßstäbe im zivilgesellschaftlichen Umgang und ökonomischen
Antagonismus zu setzen, der uns durch die alte Welt der
Ausbeutung und Unterdrückung aufgezwungen wird. In letzter Zeit
haben wir in Griechenland auf Grund der Anwesenheit der Troika
aus EU, IWF und EZB viele Mobilisierungen, aller möglichen
Parteien und gewerkschaftlicher Organisationen erlebt. Dabei
wurde deutlich, je traditioneller die Bevölkerung auf die Straße
mobilisiert wurde, desto mehr blieb sie diesen Mobilisierungen
fern.
Schon lange zuvor war sichtbar geworden,
dass auch die gesamte alte Welt des "Widerstands" an ihre
Grenzen gelangt ist. Der Angriff der Herrschenden erfolgte
derart überfallartig und allumfassend, dass zwischen Drohungen
(Kredit oder Untergang) und Ausweglosigkeit (IWF oder Chaos)
keinerlei Verhandlungsmöglichkeit für die hauptamtlichen
Vertreter der Ausgebeuteten bestand.
Die spontanen Platzbesetzungen der
Bevölkerung spitzten die Krise noch zu. Sie verwandelte die
Wirtschaftskrise innerhalb kürzester Zeit in eine politische und
letztendlich in eine Staatskrise. Dem repräsentativen System,
als der Gesamtheit gesellschaftlicher Organisation die alles
durchdringt - den Bildungsbereich, den Öffentlichen Dienst,
politische und gewerkschaftliche Aktivitäten usw. - wurde ein
tödlicher Stoß versetzt. Die Menschen auf den besetzten Plätzen
forderten direkte Demokratie, Gleichberechtigung, Solidarität
und Würde.
Das Thema ist nun auf dem Tisch und ein
Punkt erreicht, an dem nichts weitergehen wird wie bisher, ohne
eine nachhaltige Lösung für diese, von den besetzen Plätzen
aufgeworfene Forderung. Der Bruch ist eine Tatsache, auch wenn
viele Miesmacher der alten Welt - auch auf den besetzten Plätzen
- versucht haben, ihn innerhalb des eigenen begrenzten Horizonts
umzudefinieren. Dieser Bruch wurde vor allem gegenüber zwei
Adressaten vollzogen. Zum einen, den politischen Parteien und
zum anderen, ihren gewerkschaftlichen Fortsätzen in ihrer
Gesamtheit. Die Forderung der besetzten Plätze nach Teilhabe
einer/s jeden als Individuum, auf einfache, zwanglose und
ursprüngliche Art, machte all die Formationen politischer
Plattformen und organisatorischer Formelkompromisse der diversen
Spezialisten zu einem zentralen Thema auf den Plätzen. Dieses
Mal jedoch nicht als rettende Planke oder hoffnungsvoller
Ausweg, sondern als Angeklagte. Angeklagt der ständigen
Verbrechen, die sie im Namen und auf Kosten der Unterdrückten
begangen haben und noch immer begehen.
Der Alternativvorschlag im Rampenlicht
Für uns, die wir von Anfang an in der
Bewegung aktiv sind, ist eindeutig klar, dass es nicht mehr
reicht die Herrschenden anzuklagen und in der Verweigerung der
alten Welt zu verharren. Wir empfinden es als Verpflichtung hier
und jetzt den Grundstein für Neues zu legen, einen
Alternativvorschlag, der das Radikalste, den Atem der Freiheit
der besetzten Plätze, beinhaltet. Aus diesem Grund und im
Vorfeld der Internationalen Messe Thessaloníkis am 10.
September, haben wir beschlossen einen großen dreitägigen
gesellschaftlichen Ratschlag mit drei Themenschwerpunkten zu
organisieren. Nicht um unsere Verweigerung zu theoretisieren,
sondern um jenen kollektiven Prozess zu beginnen, der es uns auf
gleichberechtigter, freiheitlicher Basis ermöglicht, direkte und
positive Lösungsansätze für erreichbare Ziele, für die "kleinen"
und "großen" Dinge, die unser Leben und unser Zusammenleben
betreffen, (wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich) zu
erzielen.
1. Themenschwerpunkt: Montag, 5.9.
Direkte Demokratie
Die direkte Demokratie kann der
zeitgemäße, radikale Ausweg aus dem verrotten System von Politik
und Parteien sein, wenn wir in der Lage sind das Offensichtliche
wahrzunehmen. Es handelt sich momentan weder um eine rein
ökonomische noch schlicht um eine politische sondern um eine
Systemkrise, die bis an die Grundfeste des Ausbeutungssystems
reicht. Der Vorschlag zur Umsetzung einer horizontalen
gesellschaftlichen Organisationsstruktur, deren Grundbestandteil
die direkte Demokratie ist, wird hier nicht gemacht um eine
weitere Kritik am Bestehenden zu formulieren, sondern um es zu
beseitigen.
Aus diesem Grund handelt es sich bei
direkter Demokratie nicht um eine "gute" Form der
Entscheidungsfindung und Umsetzung für klar bestimmte,
eingeschränkte Momente - in der Regel für "kleine" und "leicht"
zu lösende Fragen. Nein, direkte Demokratie betrifft die ganze
Bandbreite gesellschaftlicher Organisierung, sei es die
Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Bildung,
Energiegewinnung, oder Müllentsorgung, der öffentliche Raum, das
Funktionieren der Nachbarschaften, Gemeinden, Städte und
Metropolen.
Direkte Demokratie ist eine
Regierungsform, ist die horizontale soziale Beziehung, öffnet
antagonistische Räume gegenüber allem, was den Menschen die
Möglichkeit nimmt, selbst über das eigene Leben zu entscheiden.
Ohne Vermittler und Vertretungen jeglicher Couleur.
2. Themenschwerpunkt: Dienstag, 6.9.
Soziale & solidarische Wirtschaft
Als Gegenentwurf zu einer Gesellschaft in
der alles und jede/r zur Ware und in Geld aufgewogen wird,
können wir sofort damit beginnen Möglichkeiten anderer
Wirtschaftsformen aufzuspüren.
Einer Ökonomie ohne Zwischenhändler und
ohne zerstörerische Auswirkungen auf Mensch und Natur, außerhalb
der Logik von Kapitalakkumulation und allumfassendem
Profitstreben. Und somit Möglichkeiten direkt verwirklichbarer,
praktischer Lösungen, die den gesamten Wirtschaftskreislauf
betreffen - also Produktion, Energiegewinnung, Verteilung der
Produkte, Müll- und Abwasserentsorgung.
Voraussetzung ist die vollständige und
frontale Ablehnung der Konsumgesellschaft der schnellen Erträge,
die nicht das Wohlbefinden der Menschen sondern die
Gewinnerwartung der Wirtschaftselite ins Zentrum stellt (Zeit
ist Geld). Der Wahn von Konsum und "Entwicklung" war für die
Entwicklung der Gesellschaft mit drei wichtigen Folgen
verbunden:
a) Der Einverleibung der gesamten
Bevölkerung in die Logik der Warengesellschaft, die zu
kurzlebigen, in immer schnellerem Rhythmus auf einander
folgenden lifestyles (früher massenhaft, heute á la carte)
führte. Die Besonderheit dieser Art zu Leben ist, dass das
hergestellte Produkt aufgehört hat nützlich bei der
Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu sein, sondern es im
Gegenteil der Mensch ist, der nützlich für das Sein der Ware
ist.
b) Der Zerstörung der Landwirtschaft und
der Überausbeutung der natürlichen Ressourcen für die
Erfordernisse einer Art von "Entwicklung", deren Folgen in
unvorstellbaren ökologischen Katastrophen bestehen. Der
Störung der Nahrungskette und der Erzeugung unglaublicher
Müllberge auf Grund massenhafter künstlicher Erzeugung von
Wegwerfprodukten.
Der Produktionskreislauf verschiebt sich
immer mehr in eine Richtung, wo Müll nicht als Abfallprodukt
anfällt, sondern schon im Voraus produziert und verkauft wird.
Wenn wir dann noch den Energiebedarf zur
Aufrechterhaltung der Konsumgesellschaft hinzufügen, verstehen
wir, warum wir nicht mehr wissen wohin mit dem ganzen
produzierten Dreck, warum sich die Umgebung von Kraftwerken in
Wüsten verwandeln, warum Bodenschätze immer schneller zur
Neige gehen.
Darüber hinaus genügen
landwirtschaftliche Produkte nur noch scheinbar den
biologischen Bedürfnissen des menschlichen Organismus, da der
Großteil mehr "Schein" als "Sein" ist. Von den Hybriden, den
genmanipulierten Organismen, den Pflanzenschutzmitteln,
Düngern und Hormonen, zur Fettleibigkeit, Medikamenteneinnahme
und letztendlich auf den Operationstisch. Also vom
Teufelskreis der Ernährung zum Teufelskreis des
Gesundheitswesens.
c) Dem massenhaften Rückzug ins
Privatleben als nötiger Voraussetzung für die Ausbreitung der
Warengesellschaft. Um diesem Albtraum zu entfliehen eröffnen
sich andere Wege, Sollbruchstellen in der Entwicklung der
Märkte. Es ist die Wiederaneignung und die Rückbestimmung des
Produktionsprozesses und der Wirtschaft als nur einen Teil
menschlicher Aktivitäten und nicht als deren Sinn und Ziel. Es
ist die Schaffung kleiner, horizontaler Netzwerke, die den
kompletten Wirtschaftskreislauf durchziehen und auf eine
einfache und würdige Befriedigung unserer Bedürfnisse abzielt.
Es ist die Rückkehr zu unseren Grundbedürfnissen, das Zurück
zum Menschlichen.
Durch landwirtschaftlichen Anbau in
direkter Umgebung der Städte, der Verteilung der Produkte ohne
Zwischenhändler, der Verbindung von Landwirten und Konsumenten
in einem horizontalen Prozess, dem Austausch von Diensten,
Fähigkeiten und Waren, mit Umsonstläden, öffentlichen Küchen und
der Wiederaneignung des öffentlichen Raumes, kann es gelingen
ein Netz der Solidarität zu schaffen in dem jede und jeder
gleichberechtigt nach seinen und ihren Bedürfnissen
berücksichtigt wird.
Die Institution der besetzten Plätze macht
endgültig Schluss mit den von Interessen geleiteten "Lösungen"
der alten Welt und verschiebt die Frage der Organisierung und
der Befriedigung unserer Bedürfnisse auf eine horizontale Ebene.
Wenn es gesellschaftlichen Reichtum gibt, müssen auch alle
diesbezüglichen Fragen und Probleme durch die Gesellschaft, also
in gemeinsamen Verhandlungen, gelöst werden.
3. Themenschwerpunkt: Mittwoch, 7.9.
Verteidigung des gesellschaftlichen Reichtums
Da der Staatsapparat der Bevölkerung alle
öffentlichen und gesellschaftlichen Besitztümer unterschlug,
musste die Art der Produktion und Verteilung auf eine Weise
organisiert sein, welche die erforderliche Zustimmung der
Ausgebeuteten gewährleistete. Durch eine bestimmte
Steuergesetzgebung und indirekte Bezahlung gab der Staat einen
geringen Teil des produzierten Reichtums zurück, so dass die
Arbeitenden über Lohn, Rente und Sozialversicherung verfügten.
All das wird momentan nicht einfach beschnitten sondern gleich
ganz abgeschafft. Heute leben wir unter einem Regime des
Ausschlusses, dass all die kleinen, armseligen Bezüge
schnellstens den Erfordernissen des Marktes angepasst.
Der Staat entzieht sich einseitig seinen
Verpflichtungen zum Erhalt der Zustimmung der Bevölkerung und
tut alles dafür, die Gesetze des Marktes gegen diese
durchzusetzen. Die einzige noch lebendige staatliche Funktion,
die geblieben ist, ist die der Repression. Alles andere wird
verkauft, weil die Erfordernisse des Marktes es nicht nur
verlangen über alle Möglichkeiten menschlicher Aktivitäten zu
bestimmen, sondern darüber hinaus sogar noch über seine
biologischen Bedürfnisse. Die Schlinge zieht sich immer enger um
alles was im "Abkommen" zwischen Staat und Gesellschaft noch als
"Recht" übrig geblieben war. Die öffentlichen Verkehrsmittel,
die Energiegewinnung, die Telekommunikation, die
Wasserversorgung, unsere Bodenschätze, Küsten, Strände, das
Gesundheits- und Bildungssystem, alles zusammen wird von der
Müllabfuhr der Märkte zermahlen, um schließlich auf der Deponie
menschlicher Geringschätzung zu landen.
Letzter Schutzwall gegen diesen Angriff
sind alleine wir, sonst niemand. Wir können den Ausverkauf
gesellschaftlichen Reichtums stoppen, indem wir ihn dieses Mal
tatsächlich in gesellschaftlichen Besitz verwandeln, nicht nur
scheinbar, doch faktischer Staatsbesitz, wie bisher.
Wir können damit beginnen einige dieser
Beispiele zu erschaffen, die den Widerstand verbreitern. Indem
wir mit der Wiederaneignung der Wasserwerke Thessaloníkis
beginnen, und das Thema wer über unser Trinkwassers verfügt zu
einem Fall all derjenigen machen, die tatsächlich damit zu tun
haben. Den Arbeitern und Angestellten der Wasserwerke, den
BewohnerInnen der Gemeinden auf deren Grund sich die
Trinkwasserquellen befinden, und den Bürgern und
Verbraucherinnen Thessaloníkis.
Und indem wir den Konzerninteressen und
ihren Versuchen des Goldabbaus im Norden Chalkidikís praktisch
ein Ende setzen. Womit die BewohnerInnen der anliegenden
Gemeinden, als die direkt Betroffenen, endlich auch zu
Protagonisten der Entscheidung über ihre Umwelt und ihr Leben
werden.
"Unser Drang, kraftvoll und
gewaltfrei, wird jedes Hindernis hinwegfegen, dass sich der
grenzenlosen Sehnsucht nach Leben entgegenstellt, eine
Sehnsucht die unzählige Menschen hegen, die geboren und mit
jedem neuen Tag erneut geboren werden. Die Welt die wir
erbauen wird die Wurzeln der alten Welt kappen, die sich
selbst zerstört." R. Vaneghiem
In diesem Sinne laden wir euch zum
dreitägigen Treffen der direkten Demokratie und Vorschlägen der
direkten Aktion und ihrer Umsetzung, vom 5.-7.September 2011
nach Thessaloníki/Griechenland ein. Euer Beitrag zu diesem
Versuch ist mehr als wichtig.
Offenes Plenum für den "Kongress
der direkten Demokratie 2011"
Editorische Hinweise
Den Aufruf erhielten wir von unserer
LeserInnenschaft.