Keine Gerechtigkeit für Nafissatou Diallo
Die Einstellung der Anklage gegen Strauss-Kahn zeigt an: Für Menschen   mit der falschen Hautfarbe und dem falschen Kontostand ist Gerechtigkeit ein Traum

von Peter Nowak

09/11

trend
onlinezeitung

Fast hätte man denken können, es gibt schon im Spätkapitalismus etwas Fortschritt. Die  Hotelreinigungskraft Nafissatou Diallo, die ihr Überleben mit den Putzen mondäner Suiten bestreiten musste, konnte   einen mächtigen IWF-Chef wegen sexueller Belästigung anzeigen und sie wurde gehört. Das Bild, wo    diese Charaktermaske auf dem Weg zum Gericht,  war ein Vorschein einer Zeit nach der Revolution.     Eine mächtige Stütze des Systems begann zu realisieren, dass die Zeit der Straflosigkeit  vorbei sein könnte. Doch, spätestens jetzt ist dieser Traum aus. Eine Frau mit geringen Einkommen und falscher Hautfarbe, kann  nicht gegen eine der Stützen des Systems   Gerechtigkeit einklagen.  

Dass das Verfahren gegen Strauss-Kahn eingestellt wird, kam nicht überraschend. Schon   wenige Tage nach seiner Inhaftierung, begann die Kampagne der Staatsapparate, die Anklägerin zur Schuldigen zu stempeln.  Dabei wurden alle Register gezogen. Da es zu viele Indizien gab, die   ihre Version der versuchten Vergewaltigung bestätigten, verlegte sich ein Team von Prominentenanwälten millionenschwer honoriert, auf die Vita  von Nafissatou Diallo. Sie habe  bei ihrer Einbürgerung falsche Angaben gemacht, zudem noch Kontakt mit einen  Mann, der sich im Gefängnis befindet, lauteten die Hauptvorwürfe. Besonders perfide, in  einem System, in dem Menschen nichtweißer Hautfarbe überdurchschnittlich oft im Gefängnis landen, muss sich eine Frau mit nichtweißer Hautfarbe gegen den Vorwurf wehren, mit einem Gefängnisinsassen Kontakt zu haben und über den sexuellen Angriff gesprochen zu haben.

Letztlich  waren die Botschaften der Anklage klar, die Frau sei zu arm und unbedeutend, um sich an eine Stütze des Systems wie Strauss-Kahn heranzuwagen.    Wenn du arm bist, wenn du Einwanderin   bist, dann musst du sexuelle Belästigungen hinnehmen. Wenn du Glück hast, bezahlt dich der Täter, wenn du Pech hast,      nicht mal das. Aber weil du die falsche Hautfarbe und die falsche    Klassenzugehörigkeit hast, ist du keinen Anspruch auf  eine juristische Verfolgung von sexueller Belästigung. Diese Lesart wurde jetzt durch die Einstellung der Anklage bestätigt. Dabei wurde völlig ausgeblendet, dass die Indizien im konkreten Tatvorwurf  gegen Strauss-Kahn zugenommen haben. Nach der Anklage haben auch andere Frauen ihr Schweigen gebrochen und detailliert bekundet, ebenfalls sexuellen Angriffen des IWF-Chefs ausgesetzt gewesen zu sein.  Das couragierte  Vorgehen von  Nafissatou Diallo hatte ihnen Mut gemacht.  

Kapitalismus mit feudalistischen Zügen 

Jetzt  sind wir wieder angekommen im realen Kapitalismus 2011. Die Blütenträume einer Gerechtigkeit für eine Reinigungskraft sind schnell verwelkt. Stattdessen sind wir mit einer kapitalistischen Realität  mit feudalistischen  Zügen. Die zeigten sich schon darin, dass  Nafissatou Diallo  häufig als Zimmermädchen bezeichnet wurde. Dass sind eindeutig Anklänge aus feudalistischen Erzählungen, wo es Mädchen und Buben gab, die weitgehend rechtlos waren und sich gegen die  sexuellen Angriffe ihrer Herren nicht wehren konnten.  

    Von wegen, vor dem Gesetz sind alle gleich. Nie wurde deutlicher, dass Gerechtigkeit und auch der Schutz vor sexueller Gewalt eine Klassenfrage ist. Schon vor mehr als 30 Jahren hatte die Aktivistin Angela Davis in einem Buch die Verknüpfung von Patriarchat, Rassismus und     Kapitalismus gut herausgearbeitet. Ihr Fazit lautete, die drei antagonistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse müssen eigenständig aber gemeinsam bekämpft werden. Diese Konsequenz einer allumfassenden Befreiung ist in der Zwischenzeit verloren gegangen. Eine eher mittelständisch orientiere feministische Bewegung versuchte, die Rechte   der Frauen im hier und jetzt zu verankern. Das ist ein verständliches Ziel, doch in New York zeigen sich die Grenzen dieses Konzepts. Wenn  frau die falsche Hausfarbe, die falsche Herkunft und den falschen Kontostand hast, kann sie von dieser Gerechtigkeit nur träumen. Vielleicht werden darauf wieder mehr Menschen, die Konsequenzen ziehen, wie sie  Angela Davis einst formulierte. Erst wenn wir im Kampf gegen Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat    voran kommen, könne sich erfüllen, was sich beim Gang von Strauss-Kahn zur Anklagebehörde andeutete. Dann wäre die Zeit der Straflosigkeit auch sie alle vorbei und auch für Nafissatou Diallo gäbe es Gerechtigkeit. 

Genau von dieser Tatsache wollen alle die Kommentator_innen ablehnen, die die Entscheidung als Sieg des Rechtsstaats feinern. Von Freitag über junge Welt bis zur Tageszeitung hieß es, eine andere Entscheidung sei nicht möglich gewesen und allein, dass Nafissatou Diallo den Fall zur Anzeige brachte, sei ein Erfolg. Da wird die Kampagne gegen die Frau und die Tatsache, dass sie offensichtlich nicht Recht bekommen hat, einfach unterschlagen. Damit wird auch der patriarchale Charakter der staatlichen Institutionen, wie der Justiz deutlich. Das Urteil hat so einmal deutlich gemacht, dass es eine Illusion, in den bestehenden Institutionen Folgen von kapitalistischer, rassischer und patrarchaler Unterdrückung und Ausbetung zur Verantwortung ziehen zu können.  

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.