Fast hätte man denken können, es gibt schon
im Spätkapitalismus etwas Fortschritt. Die Hotelreinigungskraft
Nafissatou Diallo, die ihr Überleben mit den Putzen mondäner
Suiten bestreiten musste, konnte einen mächtigen IWF-Chef
wegen sexueller Belästigung anzeigen und sie wurde gehört. Das
Bild, wo diese Charaktermaske auf dem Weg zum Gericht, war
ein Vorschein einer Zeit nach der Revolution. Eine mächtige
Stütze des Systems begann zu realisieren, dass die Zeit der
Straflosigkeit vorbei sein könnte. Doch, spätestens jetzt ist
dieser Traum aus. Eine Frau mit geringen Einkommen und falscher
Hautfarbe, kann nicht gegen eine der Stützen des Systems
Gerechtigkeit einklagen.
Dass das Verfahren gegen Strauss-Kahn
eingestellt wird, kam nicht überraschend. Schon wenige Tage
nach seiner Inhaftierung, begann die Kampagne der
Staatsapparate, die Anklägerin zur Schuldigen zu stempeln.
Dabei wurden alle Register gezogen. Da es zu viele Indizien gab,
die ihre Version der versuchten Vergewaltigung bestätigten,
verlegte sich ein Team von Prominentenanwälten millionenschwer
honoriert, auf die Vita von Nafissatou Diallo. Sie habe bei
ihrer Einbürgerung falsche Angaben gemacht, zudem noch Kontakt
mit einen Mann, der sich im Gefängnis befindet, lauteten die
Hauptvorwürfe. Besonders perfide, in einem System, in dem
Menschen nichtweißer Hautfarbe überdurchschnittlich oft im
Gefängnis landen, muss sich eine Frau mit nichtweißer Hautfarbe
gegen den Vorwurf wehren, mit einem Gefängnisinsassen Kontakt zu
haben und über den sexuellen Angriff gesprochen zu haben.
Letztlich waren die Botschaften der
Anklage klar, die Frau sei zu arm und unbedeutend, um sich an
eine Stütze des Systems wie Strauss-Kahn heranzuwagen. Wenn
du arm bist, wenn du Einwanderin bist, dann musst du sexuelle
Belästigungen hinnehmen. Wenn du Glück hast, bezahlt dich der
Täter, wenn du Pech hast, nicht mal das. Aber weil du die
falsche Hautfarbe und die falsche Klassenzugehörigkeit hast,
ist du keinen Anspruch auf eine juristische Verfolgung von
sexueller Belästigung. Diese Lesart wurde jetzt durch die
Einstellung der Anklage bestätigt. Dabei wurde völlig
ausgeblendet, dass die Indizien im konkreten Tatvorwurf gegen
Strauss-Kahn zugenommen haben. Nach der Anklage haben auch
andere Frauen ihr Schweigen gebrochen und detailliert bekundet,
ebenfalls sexuellen Angriffen des IWF-Chefs ausgesetzt gewesen
zu sein. Das couragierte Vorgehen von Nafissatou Diallo hatte
ihnen Mut gemacht.
Kapitalismus mit feudalistischen Zügen
Jetzt sind wir wieder angekommen im realen
Kapitalismus 2011. Die Blütenträume einer Gerechtigkeit für eine
Reinigungskraft sind schnell verwelkt. Stattdessen sind wir mit
einer kapitalistischen Realität mit feudalistischen Zügen. Die
zeigten sich schon darin, dass Nafissatou Diallo häufig als
Zimmermädchen bezeichnet wurde. Dass sind eindeutig Anklänge aus
feudalistischen Erzählungen, wo es Mädchen und Buben gab, die
weitgehend rechtlos waren und sich gegen die sexuellen Angriffe
ihrer Herren nicht wehren konnten.
Von wegen, vor dem Gesetz sind alle
gleich. Nie wurde deutlicher, dass Gerechtigkeit und auch der
Schutz vor sexueller Gewalt eine Klassenfrage ist. Schon vor
mehr als 30 Jahren hatte die Aktivistin Angela Davis in einem
Buch die Verknüpfung von Patriarchat, Rassismus und
Kapitalismus gut herausgearbeitet. Ihr Fazit lautete, die drei
antagonistischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse
müssen eigenständig aber gemeinsam bekämpft werden. Diese
Konsequenz einer allumfassenden Befreiung ist in der
Zwischenzeit verloren gegangen. Eine eher mittelständisch
orientiere feministische Bewegung versuchte, die Rechte der
Frauen im hier und jetzt zu verankern. Das ist ein
verständliches Ziel, doch in New York zeigen sich die Grenzen
dieses Konzepts. Wenn frau die falsche Hausfarbe, die falsche
Herkunft und den falschen Kontostand hast, kann sie von dieser
Gerechtigkeit nur träumen. Vielleicht werden darauf wieder mehr
Menschen, die Konsequenzen ziehen, wie sie Angela Davis einst
formulierte. Erst wenn wir im Kampf gegen Kapitalismus,
Rassismus und Patriarchat voran kommen, könne sich erfüllen,
was sich beim Gang von Strauss-Kahn zur Anklagebehörde
andeutete. Dann wäre die Zeit der Straflosigkeit auch sie alle
vorbei und auch für Nafissatou Diallo gäbe es Gerechtigkeit.
Genau von dieser Tatsache wollen alle die
Kommentator_innen ablehnen, die die Entscheidung als Sieg des
Rechtsstaats feinern. Von Freitag über junge Welt bis zur
Tageszeitung hieß es, eine andere Entscheidung sei nicht möglich
gewesen und allein, dass Nafissatou Diallo den Fall zur Anzeige
brachte, sei ein Erfolg. Da wird die Kampagne gegen die Frau und
die Tatsache, dass sie offensichtlich nicht Recht bekommen hat,
einfach unterschlagen. Damit wird auch der patriarchale
Charakter der staatlichen Institutionen, wie der Justiz
deutlich. Das Urteil hat so einmal deutlich gemacht, dass es
eine Illusion, in den bestehenden Institutionen Folgen von
kapitalistischer, rassischer und patrarchaler Unterdrückung und
Ausbetung zur Verantwortung ziehen zu können.
Editorische Hinweise
Den Text erhielten wir vom
Autor für diese Ausgabe.