„Wenn wir unsere Forderungen durchsetzen, stellen wir mehr in Frage“

Interview: Peter Nowak

09/10

trend
onlinezeitung

Siehe auch die Demoempfehlung von Peter Djordjevic

Guido Grüner (G.G.) ist Mitarbeiter der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) und Mitorganisator der bundesweiten Erwerbslosendemonstration „Krachschlagen statt Kohldampf schieben“, die am 10.Oktober in Oldenburg stattfindet.

1.) Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch Widerstand unter Erwerbslosen. Beginnt sich das zu ändern?

G.G.: Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System ist. Das war so seit Einführung zum 1.1.2005, das ist es heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder, Familien mit Kindern. Die Leistungen für Kinder wurden gegenüber der alten Sozialhilfe mit Hartz IV direkt gekürzt. Hiergegen regte sich schon lange Widerstand. Dieser brachte Erwerbslosen 2008 und 2009 erste Erfolge: Die Schulbeihilfe von 100 EUR jährlich zum 1.8. und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 EUR seit dem 1.7.09. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Die Leistungen müssen daher zum 1.1.2011 neu festgesetzt werden: realitätsgerecht und nachvollziehbar, wie die Richter formulierten.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir haben uns entschieden, einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens herauszugreifen, um an diesem deutlich zu machen, dass Hartz IV nicht geht, dass die Leistungen deutlich angehoben werden müssen.

Konkret gehen wir Anfang Oktober auf die Straße, da dann der Gesetzgebungsprozess wohl anlaufen wird. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die Regelsatzfestsetzung sollen bis Ende September 2010 ausgewertet vorliegen. Anfang Oktober starten dann die parlamentarischen Prozeduren. Wir wollen laut genug für alle unsere Forderungen verbreiten, wollen die Parlamentarier in eine Lage bringen, wo sie ihre Entscheidungen zu rechtfertigen haben.

2.) Was sind Ihre Forderungen?

G.G.: Ganz konkret fordern wir 80 EUR mehr für Ernährung. Denn mit dem knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen fürs Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren. Wir fordern 80 Euro mehr, also rund 200 Euro für Ernährung im Monat, da so zumindest der Kalorienbedarf eines Erwachsenen gesichert werden kann, der sich auch mal bewegt und sein Essen nicht nur von Billigstanbietern bezieht.

3.) Sind diese Forderungen nicht sehr bescheiden?

G.G.: Viele kritisieren uns, da wir “nur 80 Euro” fordern. Aber ich glaube, dass sie unsere Forderung noch nicht verstanden haben, sich vielleicht gar über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren sind.
Denn die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, die BRD soll verfestigt werden als Exportstandort mit einer immer mehr unter der Hungerknute oder Verarmungsängsten stehenden Arbeitnehmer. Und so lange die Leistungen für Erwerbslose - so wie es heute geschehen soll - von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet werden sollen, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck - ein Elend ohne Ende.

Diese Entwicklung wollen wir durchbrechen - wie schon mit der Forderung nach mehr Leistungen für Kinder in den letzten Jahren - durch die Forderung nach höherem Einkommen, die wir jedem anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können, durch ein Forderung, die wir durchsetzen wollen. Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage. Denn wir gehen damit über eine bloße ‘mehr Sozialhilfe-Forderung’ hinaus. Unsere Forderung legt den Finger in die Wunde der gesellschaftlich untragbaren Zustände der schikanösen und armseligen Arbeitsverhältnisse bei Discountern, oder z. B. bei den Lebensmittelproduzenten, seien sie hier oder in anderen Teilen der ganzen Welt.

4.) Wie ist die bisherige Resonanz?

G.G.: Gut! Im Internet haben viele unseren Aufruf sehr positiv aufgenommen und weiter verbreitet. Und in Oldenburg haben wir eine sehr breite Unterstützung, von unseren Milchbauern über zahlreiche Gewerkschaften, Sozialverbände und auch autonome Zusammenhänge bis hin zu einigen Parteigliederungen.

5.) Hat sich bei den Vorbereitungen die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Erwerbslosengruppen, beispielsweise der gewerkschaftlichen und der unabhängigen Gruppen verbessert?

G.G.: Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort wurde zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kinderkampagne oder zur Ämterbegleitung “Keiner muss allein zum Amt” angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Zu diesem Erfolg hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke geschlagen zur sog. “Triade”, der Forderung 500 Euro Regelleistung, 10 EUR Mindeststundenlohn und 30 Stunden höchste Wochenarbeitszeit. Denn die Forderung 80 Euro mehr für Ernährung greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf.

Es spielte dabei - das sei hier aus Sicht der ALSO ausdrücklich betont - keine Rolle, ob die Erwerbslosenzusammenhänge den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen, oder eher der neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind.

6.) Wie sehen Sie das Verhältnis von dezentralen Aktionen wie Zahltag und einer überregionalen Demo?

G.G.: Je eher sich Menschen im Alltag wehren, darin Erfahrungen und Erfolge sammeln, desto eher trauen sie sich, für ihre Forderungen auch öffentlich offensiv aufzutreten. Und je eher wir in zentrale Aktionen selbstbewusst und unverkennbar unsere Vorstellungen von einer gerechten Welt vorbringen können, umso besser können wir uns der zahlreichen Ungerechtigkeiten und Demütigungen des Alltages erwehren. Zentrale und dezentrale Erfolge könnten sich gegenseitig verstärken. Wir sollten das verstehen und beides nicht destruktiv gegeneinander stellen. Auch sollten wir lernen, uns über unsere Strategien und Handlungsziele auszutauschen und zu verständigen. Dazu geben gute Aktionen die nötige Kraft und Ausdauer, z. B. der Zahltag oder das gemeinsame Krach schlagen in Oldenburg.

7.) Seht Ihr die Demo im Kontext der anderen Herbstaktionen gegen die Krise, die für die nächsten Wochen geplant sind?

G.G.: Krach schlagen statt Kohldampf schieben am 10. Oktober ist die zentrale Demonstration, bei der die Auseinandersetzung um das Existenzminimum von Millionen Menschen, nicht nur in der BRD, ganz direkt zum Thema gemacht und mit einer konkreten Forderung versehen wird.

Die Bankenblockade greift die Auswüchse eines Wirtschaftssystems an, in dem die privat angeeigneten Profite unvorstellbaren Ausmaßes in immer waghalsigeren Geschäfte nochmals vermehrt werden sollen - und wenn das nicht klappt, diejenigen dafür zahlen sollen, die vom Gewinn nichts gehabt hätten.

Es gibt genug und gute Gründe, beide Protestaktionen zu unterstützen. Ob das im wahren Leben immer so passiert, kann ich nicht überblicken. Dass es die Kräfte einer Bewegung überfordert, will ich nicht hoffen. Klar ist, dass für beides die volle Konzentration der Aktiven erforderlich sein wird.

Auch bei den Zielen sind sich beide Aktionen ähnlich: sowohl mit einer drastischen Anhebung der Regelsätze wie auch der konsequenten gesellschaftlichen Kontrolle der Geldmärkte hätten wir einen erheblichen Erfolg gegen eine immer mehr in Besitzende und Nichtbesitzende gespaltene Gesellschaft errungen. Gleiches gilt für die Abwehr des sog. “Sparpaketes”.

Von einer gerechten Welt wären wir zwar immer noch weit entfernt, wenn wir bei allem erfolgreich wären, hätte aber unsere Ausgangslage verbessert.

8.) Sind über die Demo hinaus weitere Erwerbslosenaktionen geplant?

G.G.: Wir wollen mit dem “Krach schlagen” ein Beispiel setzen dafür, unseren Anliegen Gehör zu verschaffen. Das wird umso wichtiger, als Politiker sich heute scheinbar jeder Rechtfertigung und Debatte entziehen wollen. Und die diesjährige Auseinandersetzung um die Höhe der Regelleistung fängt im Oktober erst an.

Armut und Elend werden in der BRD unsichtbar gemacht. Wenn wir auffällig werden, wollen sie uns in die kriminalistische oder psychiatrische Schublade stecken. Da machen wir nicht weiter mit.

Wir stehen auf, wollen daran arbeiten, dass dies Menschen immer und überall tun, wo unsere gemeinsamen Anliegen unter den Teppich gekehrt werden sollen. Überall wo Vertreter der vorherrschenden Politik in diesem Herbst auftreten, können wir ihnen mit unseren Forderungen laut entgegen treten.

 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten das Interview von Peter Nowak

Mehr zur Demo am 10.10.2010: http://www.also-zentrum.de/allgemein/index.htm