Aufgrund der Aufrufe der
kurdischen Bewegung zum Boykott des Referendums zur
Verfassungsänderung blieb die Teilnahme im Durchschnitt in den
kurdischen Provinzen unter 50 Prozent. In etlichen Regionen
lag die Beteiligung am Boykott bei über 93% (z.B. Provinz
Hakkari). Dies geschah trotz massiver Repressalien,
Übergriffen, Betrugsversuchen und Bedrohungen durch Polizei,
Militär, CHP und AKP Funktionäre und Dorfschützer. Vielerorts,
wie in Diyarbakır feierten die Menschen den großen Erfolg des
Boykotts mit Feuerwerk und Kundgebungen unter Fahnen der
linken, prokurdischen Friedens und Demokratiepartei (BDP) und
von PKK und KCK Fahnen. Viele riefen, „Es lebe das freie,
autonome Kurdistan!“ Aufgrund von Wahlbetrugsversuchen und
Polizeiangriffen kam es auch heute wieder in etlichen
kurdischen Städten und in Istanbul zu heftigen Straßenkämpfen.
Am 12. September, dem Jahrestag
des Militärputsches 1980 fand das Referendum über die
Verfassungsänderungsvorschläge der religiös-neoliberal
geprägten Regierungspartei AKP statt. Die AKP stellte ihre
Verfassungsänderung als einen Gewinn für die Demokratisierung
der Türkei dar. Real bedeuten die Veränderungen der AKP jedoch
nur eine Erweiterung ihres Einflusses auf die kemalistisch
dominierte Justiz und das Militär und damit einen weiteren
Ausbau ihrer Machtbasis, weder die Anerkennung anderer
Identitäten als der Türkischen, noch die 10% Hürde für den
Einzug ins Parlament, noch das Recht auf eine andere Sprache
als der Türkischen soll in der Verfassung verankert werden.
Die Gegner des Entwurf der AKP, allen voran die kemalistische
Militärpartei CHP traten für den Erhalt der Putschverfassung
von 1980 ein, an deren Grundsätzen jedoch auch die AKP nichts
veränderte. Aufgrund dieser Situation konnte die kurdische
Bewegung nur die Konsequenz ziehen und zum Boykott aufrufen.
Schnell wurde aus dem Boykott eine inoffizielle Abstimmung
über das Modell der demokratischen Autonomie der kurdischen
Freiheitsbewegung und für eine wirkliche Änderung und
Demokratisierung der Verfassung.
HOHE BETEILIGUNG AM BOYKOTT IN DER KURDISCHEN REGION
In allein sechs Regionen ging die Beteiligung am Boykott über
50% hinaus, in zwei Kreisen war die Beteiligung bei 49% und in
10 Kreisen über 40%. Insbesondere in der Großstadt Diyarbakır,
die als Hauptstadt Kurdistans angesehen wird, lag die
Beteiligung am Boykott bei 70%, in der Großstadt Van bei 57%,
in Batman bei 63% und in der Region Hakkari bei mehr als 93%
um nur einige Beispiele zu nennen.
STAAT VERSUCHT MENSCHEN MIT ALLEN MITTELN AN DIE URNEN ZU
ZWINGEN
Nachdem in den letzten Tagen mehr als 136 Menschen die sich an
den Vorbereitungen des Boykotts beteiligten festgenommen
worden waren setzte sich die Repressionswelle mit massiven
Polizeiangriffen auf Boykottkundgebungen, Razzien in BDP Büros
und den Angriff eines Faschisten auf den BDP Abgeordneten Akin
Birdal, als er auf einer Boykottkundgebung in Bursa gesprochen
hatte, fort. Auch heute gingen die Einschüchterungsversuche
und Übergriffe auf die kurdische Bevölkerung weiter und es
zeigten sich ebenfalls in verschiedenen Städten
Wahlbetrugsversuche.
SCHWERE ÜBERGRIFFE DURCH DORFSCHÜTZER
In Kozluk wollten zwei Dorfschützer die Stimmen aller
Wähler_innen ebenfalls im staatlichen Interesse verwenden. Als
dies bekannt wurde kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der
Dorfbevölkerung und den Dorfschützern. Die Dorfschützer
schossen in die Luft und bedrohten die Dorfbevölkerung mit dem
Tode. Die Jandarma schaute bei diesen Auseinandersetzungen nur
zu. Die gleiche Praxis wurde an diesem Tag ebenfalls in der
Provinz Şemdinli angewandt.
Nachdem Vertreter der BDP dagegen protestierten, dass in einem
Ort im Kreis Cınar in der Provinz Diyarbakır, die Dorfschützer
für die ganze Bevölkerung abstimmen sollten, wurden sie von
diesen angegriffen. Dabei wurden mindestens zwei BDPler
verletzt.
In Şırnak kam es zu einem weitaus heftigeren Angriff durch
Dorfschützer. Die BDP Vertreter_innen wurden hier von den
Dorfschützern mit Messern und Schusswaffen angegriffen,
mindestens 15 kamen ins Krankenhaus.
EINSCHÜCHTERUNGSVERSUCHE VON STAAT, POLIZEI UND MILITÄR
In Idil bedrohten hohe Mitglieder des Militärs die Bevölkerung
an den Abstimmungen teilzunehmen, in Urfa und Batman fuhr die
Polizei sogar durch die Straßen und rief die Menschen zur
Beteiligung am Referendum auf.
Im Dorf Koca in der Provinz Mardin, drangen Soldaten in
mindestens 15 Gebäude ein und bedrohten die Bevölkerung „Nach
dem Gesetz sind Sie gezwungen ihre Stimme zu benutzen“, dann
wurden die Dorfbewohner_innen mit Zwang zu den Urnen gebracht
und zur Abstimmung genötigt. Ähnliche Maßnahmen wurden auch
aus anderen Regionen bekannt.
Der AKP Kreisvorsitzende von Lice zog durch verschiedene
Dörfer in der Region und bedrohte die Bevölkerung mit dem
Entzug der für kostenlose Gesundheitsversorgung notwendigen
„Grünen Karte.“
In Erzurum wurde die Bevölkerung
vom Gouverneur bedroht, dass ihnen die Wasserversorgung nicht
mehr gewährleistet und auch keine Straßen mehr gebaut würden.
BETRUGSVERSUCHE
In Urfa wählten dieselben Polizisten in mehreren Wahllokalen und
gaben so ihre Stimme mindestens doppelt ab.
In Muş und im Umkreis nahm ein großer Teil der Bevölkerung nicht
an der Abstimmung teil. Obwohl einigen Orts niemand zu den Urnen
gegangen war, wurden sie als voll präsentiert. Die Dunkelziffer
der Betrugsversuche dürfte weitaus höher liegen.
Quellen: ANF, DIHA, YUKSEKOVAHABERm HAKKARINEWS
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel
spiegelten wir von Indymedia.
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