"Bildungsstreik" in Argentinien

von Stefan Schneider, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)

09/10

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Argentinien erlebt die größten Bildungsproteste seit Jahren. Am Montag gingen mehr als 5.000 SchülerInnen und Studierende in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires auf die Straße, um gegen die miserable Situation im argentinischen Bildungssystem zu protestieren. Die Demonstration zum städtischen Bildungsministerium, die sowohl die städtische wie der nationale Regierung für die Bildungsmisere verantwortlich machte, stellte den bisherigen Höhepunkt der seit Wochen andauernden Proteste dar.

Begonnen hatten die Proteste vor mehr als drei Wochen mit der gleichzeitigen Besetzung von 25 Oberschulen in der Hauptstadt. Damit wollten die SchülerInnen gegen die massive Unterfinanzierung des Bildungssystems protestieren, was sich unter anderem im Fehlen von Zuschüssen für Schulmaterialien und Mittagessen, vor allem aber im maroden Zustand der Schulgebäude ausdrückt. In den baufälligen Gebäuden liegen elektrische Kabel frei, fällt Putz von den Decken und fallen ständig Licht und Heizung aus, was insbesondere im härtesten Winter, den Argentinien seit Jahrzehnten erlebte, eine unzumutbare Situation darstellte.

Der Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, und der zuständige Bildungsminister, Esteban Bullrich (beide von der neoliberalen PRO), mussten unter dem Druck der Proteste zusagen, einen Bauplan für die besetzten Schulen aufzustellen. Gleichzeitig drohten sie jedoch mit schwarzen Listen für diejenigen SchülerInnen, die sich an den Protesten beteiligt haben.

Während die Proteste der SchülerInnen weitergingen, um ein Ende der schwarzen Listen und die Absetzung von Macri und seiner Regierung zu verlangen, schlossen sich die Studierenden an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Buenos Aires (UBA) am vergangenen Dienstag den Protesten an, nachdem in der Eingangshalle des Fakultätsgebäudes in der Avenida M.T. De Alvear eine Glaskonstruktion, die von der Decke hing, einstürzte und nur durch Zufall niemanden verletzte. Nachdem der Dekan der Fakultät, Ruben Sergio Caletti, ein Parteigänger der Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, jegliche Verantwortung für den Unfall ablehnte, besetzten die Studierenden nach einer Vollversammlung die Fakultät. Am darauffolgenden Tag schlossen sich auch die Studierenden an den beiden anderen Standorten der Fakultät der Besetzung an.

Nach einer von SchülerInnen und Studierenden gemeinsam koordinierten Serie von Straßenbesetzungen an fünf Punkten der Hauptstadt fand am Donnerstag schließlich eine Vollversammlung von 1.300 Studierenden der Sozialwissenschaften statt, deren Hauptforderungen die Errichtung eines einheitlichen Fakultätsgebäudes statt der bisherigen drei Sitze, die Beendigung aller strafrechtlichen Maßnahmen gegen SchülerInnen und Studierende und die Erhöhung der Mittel für Stipendien und der Gehälter der Dozierenden waren. Der Generalsekretär des „Centro de Estudiantes“ (Studierendenzentrums) der Sozialwissenschaften, Patricio del Corro, machte auf die Kontinuität der Forderungen im Hinblick auf frühere Studierendenproteste aufmerksam: „Wir fordern ein einheitliches Fakultätsgebäude, weil die Regierung seit der Gründung der sozialwissenschaftlichen Fakultät versucht, die Studierenden an der politisch aktivsten Fakultät des Landes zu spalten. Ein einheitliches Gebäude, welches die Studierenden sozial und politisch zusammenschweißen würde, fordern wir schon seit zwölf Jahren.“

Nach der gemeinsamen Demonstration, an der sich auch LehrerInnen, Dozierende und andere Angestellte im Bildungssystem beteiligten, werden schon weitere Proteste geplant. So ist am kommenden Freitag eine gemeinsame Vollversammlung von SchülerInnen und Studierenden geplant, die in Verbindung mit LehrerInnen, Dozierenden und ArbeiterInnen einen gemeinsamen, demokratischen Plan für das weitere Vorgehen ausarbeiten soll. Del Corro: „Die nächsten Schritte bestehen jetzt darin, die Koordination zwischen SchülerInnen und Studierenden auszubauen. Die gemeinsame Vollversammlung wird eine politische Dynamik schaffen, mit der wir uns offensiv der Regierung entgegenstellen können, die Hunderte Millionen Euros für die Zahlung von Auslandsschulden ausgibt, aber kein Geld für das Bildungssystem übrig hat.“
 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), http://www.revolution.de.com , wo er erstveröffentlicht wurde.

Blog zu den Bildungsprotesten von der trotzkistischen Partei der sozialistischen ArbeiterInnen (PTS): http://www.tvpts.tv/estudiantesenlucha/