Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National
Das Rennen um den Parteivorsitz ist angepfiffen
 

09/10

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Am 1. September fiel der Startschuss für den „offiziellen Wahlkampf“, also die parteiinterne Entscheidungsschlacht beim Front National (FN) um den Parteivorsitz. Der oder die künftige Vorsitzende der rechtsextremen Partei wird bei ihrem nächsten Kongress, am 15. und 16. Januar 2011 im westfranzösischen Tours, gewählt werden. Der „Wahlkampf“ dazu beginnt in den kommenden Tagen und Wochen mit Abstechern der Kandidaten in die französischen Départements (Verwaltungsbezirke). Vom 14. Dezember 2010 bis zum 08. Januar 11 werden die Parteimitglieder dann per Briefwahl abstimmen, und das Ergebnis wird auf dem Parteitag verkündet werden. 

Wie erwartet, standen am 1. September zwei Bewerber dazu in den Startlöchern: die 42jährige frühere Anwältin Marine Le Pen - Tochter des seit ihrer Gründung im Oktober 1972 an der Spitze der Partei stehenden Jean-Marie Le Pen - und der 60jährige frühere Juraprofessor Bruno Gollnisch. Die Universität Lyon-III hatte Gollnisch in letzterer Eigenschaft zwangspensioniert, nachdem er auf einer Pressekonferenz im Oktober 2004 den Holocaust relativiert und indirekt tendenziell in Frage gestellt hatte. Beide Bewerber sitzen als Abgeordnete im Europaparlament und bekleiden jeweils einen Posten als Vizepräsident oder Vizepräsidentin des FN.

Am 30. Juni war die Frist für eine Anmeldung als Kandidatin oder Kandidat für den Parteivorsitz abgelaufen. Um sich bewerben zu können, benötigte eine Person mindestens zwanzig Unterstützungsunterschriften von Bezirksvorsitzenden (secrétaires départementaux) des FN - und diese wiederum werden vom Parteichef, also bislang Jean-Marie Le Pen, direkt ein- oder abgesetzt. Der „Filter“ verhinderte also nicht nur potenzielle unliebsame Kandidaturen, sondern hätte potenziell sogar Bruno Gollnischs Bewerbung gefährden können - der Mann hatte jedenfalls im Spätfrühjahr noch Beschwerden darüber durchsickern lassen. Letztendlich unterschrieben 68 der Bezirksvorsitzenden für Marine Le Pen, und 30 für ihren Herausforderer Gollnisch. Sicherlich mit Rückendeckung auch durch Jean-Marie Le Pen, in dessen Augen eine Wahl mit nur einer Kandidatin kaum „echt“ ausgesehen hätte. Doch kann von etwaiger „Neutralität“ seinerseits keine Rede sein. 

Denn der Noch-Parteichef ist in dieser Frage, beim Rennen um seine eigene Nachfolge, alles andere als zurückhaltend. Pünktlich am 30. Juni, dem Anmeldeschluss für die Kandidaturen, erschien ein Interview des 82jährigen rechtsextremen Politikers in der Boulevardzeitung ,France Soir’. Darin sprach Jean-Marie Le Pen sich unverhohlen für seine Ablösung durch die eigene Tochter aus; Gollnisch, erklärte er im selben Atemzug, würde „einen guten Außenminister abgeben“. Seiner Tochter dagegen rechne er „ernsthafte Chancen“ aus, als Präsidentschaftskandidatin des FN im Jahr 2012 die Wahl zu gewinnen. Sie habe „die besten Qualitäten“ - „physische, mentale, psychologischen intellektuelle, ….“ - die er einzeln aufzählte. Bösartig fügte er hinzu, Gollnisch habe „das Problem, dass seine Freunde außerhalb des FN sind, weil sie ihn verlassen haben: Carl Lang, Bernard Antony, Jacques Bompard. Bruno möchte, wie er sagt, die ,Rückkehr zur Wiege’ der gesamten extremen Rechten organisieren.“ Die Angesprochenen sind frühere hochrangige Parteikader des FN - Lang war etwa Generalsekretär bis 2005, und Bompard war (und ist, aber ohne FN-Parteibuch) Bürgermeister im südfranzösischen Orange -, die eine programmatische „Aufweichung“ durch die „Modernisierungs“bemühungen Marine Le Pens beklagt hatten. Alle drei befinden sich heute in, jeweils unterschiedlichen, rechtsextremen Splitterparteien wie dem PdF (Parti de France) unter Vorsitz Carl Langs oder der Ligue du Sud. 

Unterschiedliche Ansätze

Tatsächlich setzt Gollnisch längerfristig auf eine andere Strategie als Marine Le Pen: Er möchte zuerst den harten Kern der ideologisch gefestigten „nationalen Rechten“ sammeln, und zu diesem Zwecke tatsächlich die an den Rand der Partei oder hinaus gedrängten Altkader wieder zurückgewinnen. Marine Le Pen setzt dagegen auf ein Profil; das die ideologische Handschrift nicht so unmittelbar und klar erkennen lässt - um sich zu bemühen, entlang der vorhandenen gesellschaftlichen Widerspruchspotenziale die französische Innenpolitik zu polarisieren und Anhänger zu sammeln. Die Unterschiede lassen sich etwa bei der Bewertung der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den dementsprechend gesetzten Symbolen erkennen. Bruno Gollnisch, der ein guter Japankenner ist, hatte zusammen mit dem Parteichef die Reise in den asiatischen Inselstaat vom 12. bis 18. August organisiert - der FN war, neben anderen rechtsextremen Parteien aus Europa, durch eine japanische rechtsextreme Gruppe eingeladen worden. Aus diesem Anlass besuchten Jean-Marie Le Pen und Gollnisch auch den umstrittenen Yasukuni-Schrein, an dem auch 1945 zum Tode verurteilter japanischer Kriegsverbrecher gedacht wird. Marine Le Pen blieb dieser Reise fern. Allgemein ist sie dafür bekannt, dass sie nichts davon hält, unverkennbare Sympathien für den historischen Faschismus - oder, im japanischen Fall, die „Achsenmächte“ - hervorzukehren: Die „verlorenen Schlachten von gestern“ noch einmal zu schlagen, sei nur Zeitverschwendung. Entsprechend hatte sie sich im Januar 2005 sogar explizit distanziert, als ihr Vater in der altfaschistischen Zeitung ‚Rivarol’ die nazideutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg verharmlost hatte. (Vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd0105/t390105.html

Gollnisch war in den letzten Augusttagen auch zur Stelle, als es darum ging, einen der berüchtigten Aussprüche des Chefs zu verteidigen. Die Webseite Dailymotion hatte Ende August 10 eine bislang übersehene Passage in einem Dokumentarfilm über Jean-Marie Le Pen, der erstmals im April 2010 ausgestrahlt worden war, veröffentlicht. Darin hört man den alternden Parteichef sagen, er habe vor Jahren deshalb ein Landhaus gekauft, dass „meine Kinder lieber Kühe statt Araber sehen“. .Letztere bevölkerten angeblich die Städte. Es war Gollnisch, der den Ausspruch sogleich verteidigte; ss sei doch nur ein Scherz gewesen, erklärte er anlässlich eines Interviews, um hinzuzufügen: „Wir haben das Recht, zu meinen, dass Frankreich kein Aufnahmeland für alle Araber, für alle Roma, für alle Guatemalteken, für alle Schweden ist.“ Die Tochter, Marine Le Pen, meldete sich auch dieses Mal nicht zu Wort. 

Aktuelles Klima günstig für Marine Le Pen 

Stattdessen surft sie lieber auf der aktuellen Welle in der öffentlichen Meinung, die Präsident Nicolas Sarkozy seit Ende Juli 10 mit seiner Ausrufung eines „nationalen Krieges gegen die Kriminalität“ losgetreten hat. Zu seiner regelrechten Kampagne zählen markige Sprüche insbesondere über „Ausländerkriminalität“ sowie über einen angeblichen Zusammenhang zwischen Straftaten, Einwanderung und ungerechtfertigten Einbürgerungen - denen jetzt durch die Ausbürgerung von kriminellen sowie polygam lebenden Franzosen (mit doppelter Staatsbürgerschaft) begegnet werden solle. Begleitet wird die Kampagne ebenfalls durch massenhafte Abschiebungen von Roma - die seit dem EU-Beitritt der südosteuropäischen Länder auch europäische Bürger sind - nach Rumänien und Bulgarien, die inzwischen durch den Europarat, die EU-Kommission in Brüssel sowie den UN-Expertenausschuss zur Diskriminierungsbekämpfung scharf kritisiert worden sind. 

Am 15. August veröffentlichte die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ dazu eine Titelgeschichte unter der Überschrift: „Übersteigerte Sicherheitskampagne: Die extreme Rechte möchte ernten, was Monsieur Sarkozy sät.“ Journalisten der Zeitung hatten zuvor mehrere Bezirkssekretäre der rechtsextremen Partei (in Lille und Calais, Melun bei Paris, in Colmar, Annecy und Perpignan) zur neuen Politik Sarkozys befragt. Ausnahmslos reklamierten sie die politische „Vaterschaft“ der seit kurzem regierungsoffiziell vorgetragenen Thesen für sich und jubelten, dass Präsident Sarkozy sich als - ihrer Wortwahl zufolge - „Eisbrecher“ oder „Tabustürzer“ zu ihren Gunsten betätige. Inhaltlich lägen die jüngsten Vorschläge der regierenden Konservativen voll auf ihrer Linie, aber bei der Umsetzung seien Sarkozys Leute nie und nimmer glaubwürdig; allein schon, weil EU-Recht und internationale Menschenrechtsabkommen sie in ihrem Handeln einschränkten. Auf Dauer werde der FN dadurch nur begünstigt, und man könne ihn nun nicht länger als rassistische oder faschistische Partei in die Ecke stellen. Soweit die Auffassung, die durch die rechtsextremen Parteifunktionäre gegenüber der Zeitung vertreten wurde. 

Eine Umfrage, die am 26. August durch die konservative Tageszeitung ‚Le Figaro’ publiziert wurde, jedoch aus verschiedenen Gründen methodisch umstritten ist, schien da wie gerufen zu kommen. Ihr Ergebnis platzierte Marine Le Pen an zweiter Stelle der politischen Persönlichkeiten beim hitzig diskutierten Thema „Sicherheit“. Die Umfrage wurde vom Institut ‚OpinionWay’ erstellt, das Patrick Buisson gehört - einem der Hauptberater von Präsident Nicolas Sarkozy für das „öffentliche Meinungsklima“, der früher Chefredakteur der rechtsextremen Wochenzeitung ‚Minute’ war und lange Jahr zwischen Jean-Marie Le Pen und den Konservativen stand.

Sofern die Umfrage als zuverlässig gelten darf, stufen demnach 28 Prozent der Befragten den Präsident und früheren Innenminister Nicolas Sarkozy als diejenige Person ein, der sie „am meisten vertrauen, um die Unsicherheit bekämpfen“. An zweiter Stelle folgt ihr zufolge Marine Le Pen mit positiven Umfragewerten von 21 Prozent. Auf dem dritten Platz stünde (mit 19 Prozent) der eventuelle sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat - und derzeitige Direktor des Internationalen Währungsfonds - Dominique Strauss-Kahn, und an vierter Stelle der amtierende Innenminister Brice Hortefeux (17 Prozent). Mehrfachnennungen waren möglich. 

Noch bemerkenswerter ist, dass fast 25 Prozent der Anhänger und Sympathisanten der Regierungspartei UMP demnach erklären, bei diesem Thema der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen zu vertrauen. Umgekehrt nennen demnach nur 15 Prozent der Anhänger des FN Nicolas Sarkozy. Allerdings bleibt unklar, wie repräsentativ diese Umfrage in Wirklichkeit ist. An einigen zentralen Punkten widersprechen ihr jedenfalls die Ergebnisse anderer Befragungen: Der zitierten Umfrage von OpinionWay zufolge stimmen zwei Drittel der Befragten den Abschiebungen von Roma vorbehaltlos zu. Hingegen zeichnete eine Umfrage, die am Tag zuvor durch die gemäßigte Boulevardzeitung ,Le Parisien’ publizierte, ein viel stärker nuanciertes Bild: Ihr zufolge war die Öffentlichkeit gespalten, 48 Prozent sprachen sich für und 42 Prozent gegen diese Abschiebungen aus. 

Schwerer Stand für Gollnisch 

Noch ist Marine Le Pen im Augenblick nicht wirklich im Wahlkampf, um höhere politische Weihen anzustreben, sondern steht bislang allein innerparteilich im Wettbewerb. Ab der zweiten Septemberwoche und bis im Dezember dieses Jahres möchte sie fünfzig französische Verwaltungsbezirke (von insgesamt 100) aufsuchen, um die Parteimitglieder des FN davon zu überzeugen, für sie abzustimmen. In weiteren fünfzig Bezirken möchte sie ihre Mitarbeiter ausschwärmen lassen. Gollnisch seinerseits beginnt seinen „Wahlkampf“ in der zweiten Septemberwoche im Département Maine-et-Loire. Ansonsten hat er jedoch, laut Aussagen seiner innerparteilichen Gegner, kaum Abstecher quer über das Staatsgebiet auf dem Programm stehen. Ein „(Rede-)Duell“ zwischen den beiden Bewerbern um den Spitzenposten lehnte Marine Le Pen ihm ab: „Es wäre schädlich für die Bewegung, unsere Divergenzen nach auben zu tragen.“ 

Nicht eingeladen worden war Gollnisch während der letzten Augustwoche anlässlich der frankreichweiten „Sommeruniversität“ der Parteijugend FNJ, wie er sich kurz vor ihrem Stattfinden denn auch öffentlich beschwerte. Die Veranstaltung, die in Cormont im Département Pas-de-Calais (in der Nähe der belgischen Grenze) und damit in der Hochburg Marine Le Pens bei den letzten Regionalparlamentswahlen stattfand, war mit dem Sommerfest der regionalen Sektion des FN verkoppelt. Von Donnerstag bis Samstag, d.h. am 26., 27. und 28. August, fand dort besagte „Sommerakademie“ unter Ausschluss der Medien statt. Dazu tagten - je nach den voneinander abweichenden Angaben - 40 bis circa 100 Mitglieder des Jugendverbands FNJ, der als „noch in Konvaleszenz befindlich“ beschrieben wird und soeben aus einer fast tödlichen Krise (infolge des Verlusts an Mitgliedern und Aktivisten) heraustritt. Am Rande kam es zu Streit unter anderem mit katholischen Fundamentalisten, die sich über das Ausbleiben einer Sonntagsmesse, zu viel Alkohol und zu wenig „Gemeinschaftsgeist“ beklagten - aber in Wirklichkeit auch deswegen herummosern dürften, weil sie eher Bruno Gollnisch unterstützen.

Letzterer hatte keine Einladung erhalten. Als dies auch in der Presse publik wurde, versicherte FNJ-Chef David Racheline dann, falls Gollnisch kommen könne, dann sei das „kein Problem“. Gollnisch zog es dann aber vor, dennoch fernzubleiben, während seine jugendlichen Anhänger (Les jeunes avec Gollnisch) sich darüber beschwerten, die Anhänger Marine Le Pens monopolisierten und instrumentalisierten den Jugendverband. Dafür, und für die anschwellenden „persönlichen Angriffe“ auf ihrer Webseite, sind die ,Jeunes avec Gollnisch’ - oder (angeblich) „jungen Leute für Gollnisch“ - inzwischen ins Visier der Parteispitze geraten. Jean-Marie Le Pen persönlich hat angekündigt, aufgrund ihrer „nicht abreißenden Attacken“ würden sie vor den disziplinarischen Ausschuss des FN geladen und müssten mit Partei-Disziplinarstrafen rechnen. Vgl. auch http://www.france-amerique.com 

Am darauf folgenden Sonntag, den 29. August trafen dann rund 600 Parteigänger des FN aus der nordostfranzösischen Region ein, und mit ihnen als Stargäste Jean-Marie und Marine Le Pen. Es handelte sich um den einzigen Tag der diesjährigen Sommer-Sause des FN - aus finanziellen Gründen führte die Partei auch in diesem Jahr keine eigene „Sommeruniversität“ durch -, der presseöffentlich war. (Cormont, ein Dorf, das ansonsten 277 Einwohner zählt und bei den Regionalparlamentswahlen im März d.J. zu 28,81 % FN wählte, sah „seine Einwohnerzahl vorübergehend verdreifacht“, wie eine der Webseiten des rechtsextremen Partei - ,Nations Presse Info’ - triumphierend vermeldete. Das Treffen fand auf dem Bauernhof einer Parteifunktionärin, Monique Sgard, statt.) Der alternde Parteichef, der auch die Abschlussrede hielt, nahm seinen Aufenthalt in Cormont zum Anlass, um abermals für seine Tochter als künftige Vorsitzende zu werben: Diese trage „einen symbolträchtigen (Familien-)Namen“, erklärte er verschmitzt vor anwesenden Journalisten. 

Am Freitag, den 03. September gönnte Marine Le Pen sich dann einen triumphalen Auftritt vor 500 Anhänger/inne/n aus dem südostfranzösischen Département Var – der Bezirk um Toulon, eine langjährige Hochburg des FN –, die in dem Dorf Cuers versammelt waren. Dort spulte sie sehr „traditionelle“ Kernsätze der rechtsextremen Programmatik herunter: Todesstrafe für Schwerverbrecher, ,Préférence nationale’, d.h. Reservieren von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen (nur oder bevorzugt) für Staatsangehörige... Bereits in den Tagen zuvor hatte sie durch sehr „klassische“ Ausfälle in FN-Machart öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Etwa, als sie die linksliberale Ex-Untersuchungsrichterin Eva Joly – die voraussichtliche Präsidentschaftskandidatin der französischen Grünen und ihres in die bürgerliche Mitte erweiterten Bündnisses ,Europe Ecologie’ im Jahr 2012 – heftig angriff: Diese dürfe nicht zur Präsidentschaftswahl antreten, denn sie habe „keine wirkliche  Bindung zu Frankreich, nicht einmal jene der Geburt“. Ferner bezeichnete Marine Le Pen die frühere Richterin, die durch ihre Ermittlungen in politischen Korruptionsskandalen der neunziger Jahre höchst prominent wurde, als ,Sans patrie fixe’ („ohne festes Vaterland“, abgeleitet von ,sans domicile fixe’: „ohne festen Wohnsitz“, oder obdachlos). Die knapp 57jährige Eva Joly ist gebürtige Norwegerin, und kam vor nunmehr fast fünfzig Jahren als 18jährige nach Frankreich, wo sie heiratete. (Anm.[1]) Selbstverständlich hat sie die französische Staatsbürgerschaft, ohne welche sie gar nie zum Richteramt befähigt gewesen wäre, und erfüllt alle rechtlichen Voraussetzungen für eine Kandidatur. Aufgrund ihrer im Kampf gegen die politische Korruption errungenen Glaubwürdigkeit erscheint sie im aktuellen Kontext, geprägt durch heftige Bereicherungsskandale (u.a. die Bettencourt-Affäre), als gefährliche Konkurrentin von Marine Le Pen, die sich als „Sauberfrau“ zu profilieren sucht.  

Durch ihre Ausfälle gegen Eva Joly wirbt Marine Le Pen mit einem eher „klassisch“ rechtsextrem-nationalistischen Profil um die Mitgliedschaft des FN. Ähnlich gilt auch die Berufung von Dominique Jamet, seit Jahrzehnten „Urgestein“ des FN und Aktivist – ohne höheren Posten, wie Jean-Marie Le Pen vor einigen Monaten im Nachhinein bedauerte – in Montpellier, zum Vorsitzenden ihres Unterstützerkomitees als „Geste an die alte Garde“. 

Am folgenden Tag nach ihrem Auftritt in Cuers gönnte Marine Le Pen sich einen neuen kleinen Triumph beim „Nationalen Ratschlag“ des FN – einer Tagung der Spitzenfunktionäre, breitestes Gremium unterhalb der Kongress-Ebene -, das in der Nähe stattfand, im südostfranzösischen Saint-Laurent-du-Var. Ihr Rivale Bruno Gollnisch zog an jenem Samstag, den 04. September schon um  die Mittagszeit von dannen, mit der Begründung, er sei zu einer Hochzeit im Raum Lyon eingeladen. Auf diese Weise schien er einmal mehr durch Abwesenheit zu glänzen. „Wir wissen nicht, was er treibt“, höhnen seine innerparteilichen Kontrahenten dazu bereits - mit diesen Worten zitiert die Sonntagspresse vom o5. September einen, nicht namentlich näher genannten, Berater Jean-Marie Le Pens. Nebenbei kam der Sex Appeal kam anlässlich des Auftritts von Marine Le Pen, nach ihrem Sommerurlaub in Spanien braun gebrannt und eher ausgesprochen leicht bekleidet, in der Hitze Südostfrankreichs nicht zu kurz. Denn auch bei den Rechtsextremen zählen nicht ausschließlich ideologische Argumente. 

Ausblick

Dass Marine Le Pen letztendlich das Rennen um den Vorsitz gewinnt (sofern nicht der Auszählung der Briefwahl ohnehin ein bisschen nachgeholfen wird), ist aufgrund ihrer Außenwirkung wahrscheinlich. Auch Politiker der Regierungspartei UMP prognostizieren ihr potenziell bis zu zwanzig Prozent der Stimmen als Präsidentschaftskandidatin. In Umfragen steht sie derzeit - im Hinblick auf die Wahl des Staatsoberhaupts 2012 - bei 13 Prozent der Wahlabsichten, aber rechtsextreme Kandidaten werden meistens bei Befragungen unterschätzt (da nicht alle Sympathisanten ihr Wahlverhalten offen erklären). Jean-Marie Le Pen stand jedenfalls drei Vierteljahre vor der Präsidentschaftswahl 2002, bei welcher er mit 17 Prozent abschnitt, in Umfragen bei 11 Prozent. Und bei der letzten Präsidentschaftswahl 2007 sahen die Umfragen ihn ein Jahr zuvor bei 8 bis 9 Prozent, es wurden letztendlich 10,5 %.

Doch sind Parteimitglieder nicht wie die „einfachen“ Wähler, und ihr Stimmverhalten kann sich potenziell deutlich unterscheiden, wie der langjährige Beobachter der extremen Rechten Jean-Yves Camus analysiert. Bei den „einfachen“ Wählern ist vor allem Marine Le Pen populär, wesentlich stärker als der eher professoral wirkende Gollnisch: jünger, charismatisch, eine Frau. Und ferner trägt sie auch einen Familiennamen, der sich bislang als zugkräftig erwies. Aber unter den Parteimitgliedern könnte sich eine größere Anzahl befinden, die von ihr eine zu starke „Aufweichung“ der Programmatik, zu viel Ausrichtung auf die Medienöffentlichkeit und die Präsenz in Talkshows - wo sie tatsächlich fast Dauergast ist -, zu hohe Aufmerksamkeit auf die Form und die Verpackung befürchten. Wahrscheinlich kämpft Bruno Gollnisch letztendlich eher um „Platz“ denn um „Sieg“. Aber wie weit ihre Stimmergebnisse am Schluss auseinander liegen - das dürfte auch über das künftige Profil der rechtsextremen Partei mit entscheiden.

ANMERKUNGEN

[1] Nach dem Tod ihres - inzwischen von ihr getrennt lebenden - Ehemanns wünschte sie sich eine Zeit lang aus Frankreich zu entfernen und arbeitete in den Jahren 2002 bis 07 vorübergehend in Norwegen, wo sie Programme zur Korruptionsbekämpfung und zur Richterfortbildung auf diesem Gebiet entwickelte. Seit 2007 ist sie in Frankreich zurück und wurde dort politisch aktiv. Zunächst für die christdemokratisch-liberale Oppositionspartei MoDem (Mitte-Rechts-Oppositionskraft unter François Bayrou); ab 2009 dann für ,Europe Ecologie’, also das linksliberale Listenbündnis, um das die französischen Grünen sich in die politische Mitte hinein erweitern konnten.

 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.