Schönhuber reloaded

von
Mapec

09/10

trend
onlinezeitung

Der letzte Weltkrieg war noch nicht ganz zu Ende, da erblickte Thilo Sarrazin das Licht der Welt bzw. schaute als unschuldiges Kind in den erbärmlichen Dreck und das unbeschreiblich Antimenschliche, das das „tausendjährige Reich“ schon nach gut einem Dutzend Jahren hinterlassen hatte. Später wurde Thilo Mitglied der SPD und Funktionsträger der Deutschen Bundesbank an allerhöchster Stelle. Doch das reichte ihm nicht. Kurz vor Erreichen des Rentenalters machte er im Jahr 2009 und verstärkt 2010 von sich reden. Und zwar mit Parolen, die verraten, dass er aus dem Elend des in seinem Geburtsjahr endlich zusammengebombten Regimes nicht viel lernen wollte. Bestenfalls wollte er sich bestimmter Ressentiments aus dieser Zeit bedienen. Denn mit einer Mischung aus Sozialrassismus und purem Unsinn empfahl sich das SPD-Mitglied für ein Parteiausschlussverfahren, das aber bis heute nicht erfolgt ist. Sarrazin schwadronierte über „Kopftuchmädchen“ und Muslime, die mittels dieser die (arische?) Bevölkerung überschwemmen und das intellektuelle Niveau senken würden; von Integrationsunwilligkeit allerorten (und natürlich nur bei Muslimen); von zu vielen dummen Kindern aus der Unterschicht statt schlauen aus Oberakademikerkreisen; von einem jüdischen Gen (!) und was des inhumanen Unsinns mehr ist.

Wie meist liegt auch den unappetitlichen Ausführungen Sarrazins ein wahrer Kern zugrunde: Schwierigkeiten zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen. Hier konkret: Die unterschiedlichen Interessen von sozial abgehängten und längst zu Überflüssigen erklärten Schichten im Gegensatz zu den so genannten und oft selbst ernannten Leistungsträgern der Gesellschaft. Und unter den Abgehängten befinden sich überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund aus Ländern, die dem muslimischen Raum zugeordnet werden, wodurch auf der Erscheinungsebene der Muslim als der Inbegriff des Problems dasteht.

Fakt ist: Die Zuwanderer wurden in den Jahren des Wirtschaftsbooms nach Deutschland geholt. Und zwar als Ware. Als Ware Arbeitskraft. Und diese Form der Ware hat einige besondere Eigenheiten. Zum Einen – und daher wurde die Zufuhr aus dem Ausland so dringend benötigt – sorgt sie für die Vermehrung des Werts eines Produktes. Zum zweiten kann sie sich selbst reproduzieren, also den eigenen Nachwuchs zeugen (was sonst nur die Nutzviecher in der Landwirtschaft tun). Zum dritten aber existiert die Ware Arbeitskraft ausschließlich in der Form Mensch. Das heißt aber auch, dass sie menschliche Gefühle hat, Bedürfnisse etc. Und dass sie z.B. gerne ihre eigene Familie um sich weiß, wodurch bald nicht mehr nur die reinen Träger der Ware Arbeitskraft, sondern auch Frauen und Kinder nach Deutschland kamen. Und dann kamen in den Zuwandererfamilien auch Kinder ohne deutschen Pass direkt hier in der BRD zur Welt. Dazu gesellten sich noch einige Flüchtlinge, die durch die internationalen Verwerfungen – das heißt: durch ungleiche Verteilung des Reichtums, durch Diktatur, Krieg, Hunger, Naturkatastrophen etc. – zu uns flohen, meist in der irrigen Meinung, eine Demokratie würde doch Verfolgte und Not leidende selbstverständlich aufnehmen. (Aber diesen Zahn hat man nun den Asylsuchenden gezogen: Deutschland ist dicht. Nur jene, die vor Jahren schon das Glück hatten, hereinzukommen und nicht abgeschoben zu werden, leben noch hier.)

Bei den nichtdeutschen Arbeitskräften (und auch denen unter ihnen, die für die Arbeit gar nicht mehr benötigt werden) kommt dann gelegentlich noch dazu, dass sie die die eigenen Bedürfnisse leugnende oder zumindest zurückstellende Leistungsbereitschaft (für den Betrieb, den Standort, die Nation) nicht teilen; und damit auch nicht die extreme Bildungsbereitschaft, die “in diesem unserem Lande” (Kohl) verordnet wird. Es mögen ihnen oftmals andere Sachen wichtiger sein. Sachen, die sich der ordentliche Einheimische schon lange verbietet (auch das macht die Zugewanderten suspekt: dass sie sich angeblich oder tatsächlich gönnen, was der Deutsche sich verkneift: Lärm, Lust, Frohsinn, Freizeit, Freiheit …). Das aber macht sie in den Augen von Sarrazin und sehr vielen Anderen zu untauglichen Arbeitskräften. Aufgrund der auch ohne sie sehr hohen Zahl an Arbeitslosen werden sie darüber hinaus nicht einmal als Druckmittel benötigt, um den Preis der Arbeitskraft zu senken. Sie werden so zu Überflüssigen, zu einer Form der Ware, die nicht benötigt wird, so wie ein kaputtes Auto oder eine überalterte Fabrikanlage eben auch nutzlos sind und verschrottet werden müssen, so wie Zuchtschweine geschlachtet werden, wenn der Preis für das Schweinefleisch zu tief fällt.

Nun können Menschen nicht einfach verschrottet oder geschlachtet werden. Das erlauben die Gesetzte (noch) nicht. Und so müssen andere Mittel her: Ideologisch wird der Boden durch Aussagen und Publikationen von Sarrazin und anderen bereitet, um den Unerwünschten und Unangepassten immer weniger materielle, kulturelle und gesundheitliche Unterstützung gewähren zu müssen, wodurch sie zumindest nicht mehr so alt werden. Gleichzeitig sorgt diese Vorform der Pogromstimmung für eine steigende Auswanderungsbereitschaft der einst Zugewanderten. Und weiterhin werden mit solchen Äußerungen Ausweisungen vorbereitet. Man wird sich gerne der Unnützen entledigen, die man – da keine EU-Europäer – noch rauswerfen kann. Für die Unnützen mit deutschem Pass oder EU-Zugehörigkeit soll das Leben dann wenigstens so unangenehm wie möglich werden, damit sie jede auch noch so unwürdige Arbeit annehmen; ja, es ist sogar wieder an Arbeitshäuser zu denken, in denen ganz offen Zwangsarbeit verrichtet wird. Und sage niemand, dies wäre nicht schon angedacht worden! Denn es geht letztendlich nicht um die Muslime. Die werden – weil derzeit gesellschaftlich leicht angreifbar – zwar ins Fadenkreuz genommen. Gemeint sind aber alle, die die Verwertungskriterien nicht erfüllen können oder wollen.

Sarrazin aber will offensichtlich jene Lücke füllen, die rechts außen unbesetzt ist, seit Franz Schönhuber die REPs (Die Republikaner) verlassen hat: Der medienwirksame Rechtspopulist mit dem rassistischen Weltbild, der fähig ist, eine Partei nach Zuschnitt von Haiders Freiheitlichen zu führen. Das könnte auch der Grund sein, warum Sarrazin ausgerechnet jetzt auf der Bildfläche erscheint: Noch bis zur Rente bei der Bundesbank bleiben und die finanzielle Absicherung mitnehmen, dann eine neue Betätigung als Anführer einer Sarrazin-Partei finden und damit auch öffentlichen Ruhm ernten, der ihm bisher versagt blieb, obwohl er sich doch sicherlich zu den Leistungs- und Machtträgern zählt. Männer im fortgeschrittenen Alter neigen offensichtlich dazu, der Welt noch ein historisch sichtbares Zeichen ihrer Anwesenheit hinterlassen zu wollen. Dass Sarrazin – wie der SPDler Schönhuber – aus der sozialdemokratischen Ecke kommt, das wird der SPD, die ja auch den antisozialen Gerhard Schröder nicht raus geworfen hat, wieder nicht wirklich zu denken geben. Dass er Schönhuber dennoch nicht mal den Steigbügel halten kann, das ist auch klar.

Wer nun behauptet, mit diesen Zeilen würden real existierende Probleme wie muslimischer Fanatismus oder patriarchalisches Gehabe bzw. frauenfeindliche Einstellungen in stark traditionell denkenden Zuwandererfamilien geleugnet, dem/der sei nur kurz geantwortet: Darum geht es in diesem Beitrag nicht, das wäre Themaverfehlung; und: dazu gibt es andere gute Veröffentlichungen. Mit solchen muslimkritischen Behauptungen soll zudem allzu oft nur die Kritik am Rassismus ausgehebelt werden; not now.

WIKIPEDIA-LINKS:

Sarrazin: http://de.wikipedia.org/wiki/Thilo_Sarrazin
Haider: http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B6rg_Haider
Schönhuber: http://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6nhuber
Die Republikaner: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Republikaner
Freiheitliche - FPÖ: http://de.wikipedia.org/wiki/FP%C3%96

UND
Anmerkungen zu Islam, Islamismus und antiislamischer Rassismus

 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung. Erstveröffentlicht wurde er auf dessen BLOG:  http://mapec.blogsport.de/