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Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor
Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher
produziert Verbrechen. Betrachtet man näher den Zusammenhang
dieses letztren Produktionszweigs mit dem Ganzen der
Gesellschaft, so wird man von vielen Vorurteilen zurückkommen.
Der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, sondern auch
das Kriminalrecht und damit auch den Professor, der
Vorlesungen über das Kriminalrecht hält, und zudem das
unvermeidliche Kompendium, worin dieser selbe Professor seine
Vorträge als „Ware" auf den allgemeinen Markt wirft. Damit
tritt Vermehrung des Nationalreichtums ein. Ganz abgesehn von
dem Privatgenuß, den, wie uns ein kompetenter Zeuge, Prof.
Röscher, [sagt,] das Manuskript des Kompendiums seinem Urheber
selbst gewährt.(1)
Der Verbrecher produziert
ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz, Schergen,
Richter, Henker, Geschworene usw.; und alle diese verschiednen
Gewerbszweige, die ebenso viele Kategorien der
gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bilden, entwickeln
verschiedne Fähigkeiten des
menschlichen Geistes, schaffen neue Bedürfnisse und neue
Weisen ihrer Befriedigung. Die Tortur allein hat zu den
sinnreichsten mechanischen Erfindungen Anlaß gegeben und in
der Produktion ihrer Werkzeuge eine Masse ehrsamer
Handwerksleute beschäftigt.
Der Verbrecher produziert einen
Eindruck, teils moralisch, teils tragisch, je nachdem, und
leistet so der Bewegung der moralischen
und ästhetischen Gefühle des Publikums einen .Dienst". Er
produziert nicht nur Kompendien über das Kriminalrecht, nicht
nur Strafgesetzbücher und damit Strafgesetzgeber, sondern auch
Kunst, schöne Literatur, Romane und sogar Tragödien, wie nicht
nur Müllners „Schuld" und Schillers "Räuber",
sondern selbst „Ödipus"
und "Richard der Dritte" beweisen. Der
Verbrecher unterbricht die Monotonie und Alltagssicherheit des
bürgerlichen Lebens. Er bewahrt es damit vor Stagnation und
ruft jene unruhige Spannung und Beweglichkeit hervor, ohne die
selbst der Stachel der Konkurrenz abstumpfen würde. Er gibt so
den produktiven Kräften einen Sporn. Während das Verbrechen
einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt
entzieht und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern
vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns
unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das
Verbrechen einen andern Teil derselben
Bevölkerung. Der Verbrecher tritt so als eine jener
natürlichen .Ausgleichungen" ein, die ein richtiges Niveau
herstellen und eine ganze Perspektive .nützlicher"
Beschäftigungszweige auftun.
Bis ins Detail können die Einwirkungen des Verbrechers auf
die Entwicklung der Produktivkraft nachgewiesen werden. Wären
Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es
keine Diebe gäbe? Wäre die Fabrikation von Banknoten zu ihrer
gegenwärtigen Vollendung gediehn, gäbe es keine || 183|
Falschmünzer? Hätte das Mikroskop seinen Weg in die
gewöhnliche kommerzielle Sphäre gefunden (siehe Babbage) ohne
Betrug im Handel? Verdankt die praktische Chemie nicht
ebensoviel der Warenfälschung und dem Bestreben, sie
aufzudecken, als dem ehrlichen Produktionseifer? Das
Verbrechen, durch die stets neuen Mittel des Angriffs auf das
Eigenrum, ruft stets neue Verteidigungsmittel ins Leben und
wirkt damit ganz so produktiv wie strikes auf Erfindung von
Maschinen. Und verläßt man die Sphäre des Privatverbrechens:
Ohne nationale Verbrechen, wäre je der Weltmarkt entstanden?
Ja, auch nur Nationen? Und ist der Baum der Sünde nicht
zugleich der Baum der Erkenntnis seit Adams Zeiten her?
Mandeville in seiner "Fable of the Bees"
(1705) hatte schon die Produktivität aller möglichen
Berufsweisen usw. bewiesen und überhaupt die Tendenz dieses
ganzen Arguments:
"Das, was wir in dieser Welt das
Böse nennen, das moralische so gut wie das natürliche,
ist das große Prinzip, das uns zu sozialen Geschöpfen macht,
die feste Basis, das Leben und die Stütze aller Gewerbe and
Beschäftigungen ohne Ausnahme; hier haben wir den wahren
Ursprung aller Künste und Wissenschaften zu suchen; und in dem
Moment, da das Böse aufhörte, müßte die Gesellschaft
verderben, wenn nicht gar gänzlich untergehen."
Nur war Mandeville natürlich unendlich kühner und ehrlicher
als die philisterhaften Apologeten der bürgerlichen
Gesellschaft. |V-183||
______________________
1) Der
vorstehende Satz findet (ich in der Handschrift quer am Rande
und ist von Marx zur Einfügung an diese Stelle bezeichnet
Editorische
Anmerkungen
MEW 26.1, Seite
363f
OCR-Scan red.
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