Ein Jahr Aufruf für ein Sanktionsmoratorium
Das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium zieht eine positive Bilanz und ruft zur Unterstützung auf

von
Anne Seeck

7-8/10

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Vor einem Jahr ging ein breites Bündnis aus Erwerbsloseninitiativen, Wissenschaftlern und Politikern an die Öffentlichkeit. Sie riefen dazu auf, die rechtswidrigen Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher auszusetzen. Einer der Erstunterzeichner des Moratoriums war Heiner Geißler, der damals fragte: “Gibt es das in dieser Republik?”. Am 13. August luden nun Experten und Aktivisten des Bündnises für ein Sanktionsmoratorium ins Haus der Demokratie ein. Ziel sei eine parlamentarische Gesetzesänderung, aber auch viele kleine Schritte wären wichtig. Denn noch immer gibt es Sanktionen

Die Argen und Jobcenter sanktionieren, wenn Erwerbslose zum Beispiel nicht zum Meldetermin erscheinen oder eine Maßnahme nicht antreten. Sanktionen seien also “Strafen ohne Gerichtsverfahren”. Im Jahre 2009 gab es bundesweit 730 000 Sanktionen, im ersten Quartal 2010 bereits 187 000. So bekam eine Frau eine Sanktion von 30%, weil sie in einem Bewerbungsgespräch gesagt hatte: “Sieben Euro pro Stunde für diesen schweren Lagerjob, da kann ich meine Familie gar nicht ernähren”. Damit hätte sie den Arbeitgeber abgeschreckt.

Es gehe also nicht nur um kleine Nachbesserungen, sondern um ein Umdenken in einer Gesellschaft, in der es immer weniger existenzsichernde Arbeit gibt.

Prof Dr. Franz Seghers von der Uni Marburg sprach von einem “umprogrammierten Sozialstaat, der den Widerwillen der Erwerbslosen zu brechen sucht”. Das soziale Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum werde mißachtet, dem Recht eine “Pflicht zur Gegenleistung” entgegengesetzt. Der Staat habe aber nicht das Recht, den Bürger zu einer Änderung seines Verhaltens zu zwingen. Interviews mit Sanktionierten ergaben, dass Sanktionen keine Verhaltensänderung bewirken würden, so die Ergebnisse zweier Studien der Sozialwissenschaftlerin Anne Armes. Es trete das “Gegenteil einer Aktivierung” auf, nämlich eine “lähmende Wirkung”. Oftmals spielten belastende Lebensereignisse und psychische Krisen bei jenen eine Rolle, die sanktioniert werden. Aber auch ein “Anspruch an die Arbeit”. Die Folge sei, dass die Sanktionierten in noch größerer Not seien, noch stärker kontrolliert und ausgeschlossen werden.

Prof. Dr. Helga Spindler von der Uni Diusburg-Essen betonte, dass das Bündnis einiges erreicht hätte. 20 000 Unterschriften wurden gesammelt. Es gab kreative Aktivitäten vor Ort. Und vor allem erreichte man ein kritisches Nachdenken bei vielen Experten und gute Diskussionen bei den Aktivisten. Das Thema wurde in die Medien und ins Internet gebracht.

Es seien erste Erfolge zu sehen. So gäbe es eine verfassungsrechtliche Diskussion zu den Totalsanktionen von unter 25jährigen. Auch werden nicht mehr jene Erwerbslose sanktioniert, die sich weigern, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.

Podiumsgäste aus Politik, Gewerkschaften und der Kirche zeigten erfreuliche Beispiele auf. Die Lübecker Bürgerschaft und der Sozialausschuss beschäftigen sich mit dem Sanktionsmoratorium, so ein Mitglied von Bündnis 90/Grüne. Eine Verdi-Vertreterin berichtete über die Erwerbslosenarbeit, in der sie auch mit Mitarbeitern der Argen diskutieren.
Ein Pfarrer aus Gelsenkirchen erzählte, viele Menschen wären erstaunt, dass “so etwas bei uns möglich sei. Der Staat dürfe doch niemanden ins Elend stürzen”.

Zum Abschluß warb Michael Bättig von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg um Unterstützung. Es sei ein Riesenerfolg, dass inzwischen viel über Sanktionen diskutiert werde. Wichtig sei es, auch weiterhin Informationen zu sammeln. Dabei käme oft Erstaunliches ans Licht. So haben Behörden Spielräume, mit Sanktionen umzugehen. Man könne auch in Beiräte und Sozialausschüsse intervenieren. Am besten sei es, mit Betroffenen zu diskutieren und konkrete Beispiele zu benennen. Man erreiche die Betroffenen durch unabhängige Sozialberatungen vor Ort. Auch Aktionen hätten eine Wirkung, so besuchten sie in Oldenburg Sozialschnüffler zu Hause. “Wir müssen uns die Radikalität bewahren”, betont Bättig.

Die Arbeitshilfe zur Unterstützung des Sanktionsmoratoriums unter:
http://www.sanktionsmoratorium.de/

Editorische Anmerkungen

Die Autorin stellte uns Ihren Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.