Organizing 
K
ein Zaubermittel aber manchmal brauchbar


von Peter Nowak

09/10

trend
onlinezeitung

Wie sollen Gewerkschaften auf Bedeutungsverlust und Mitgliederschwund reagieren? Bei der Beantwortung dieser Frage spielt das in den USA entwickelte Organizing-Konzept auch in Deutschland zunehmend eine größere Rolle. Jetzt hat der Hamburger Publizist Peter Birke ein gut lesbares Buch zum Stand der Organizing-Debatte aus einer kritisch-solidarischen Perspektive geschrieben. Birke hat als Druckerlehrling seine ersten Gewerkschaftserfahrungen bei der Jugendgruppe der IG-Druck und Papier gemacht und ist heute verdi-Mitglied. Als Aktivist verschiedener sozialer Bewegungen hat er sich oft an der Politik der Gewerkschaft gerieben. Er wünscht sich eine kämpferische, basisorientierte Gewerkschaft und ist sich darin mit vielen Organizern einig, die ihre politischen Organisationserfahrungen in sozialen Initiativen gesammelt haben. Doch Birke warnt vor Illusionen. „Organizing ist kein Zaubertrank“.

Am Beispiel der US-Dienstleistungsgewerkschaft SEIU zeigt er, wie es nicht laufen soll. Die SEIU war Vorreiterin beim Organizing und hat damit auch viele Gewerkschafter in Deutschland inspiriert. Im Streit, ob beim Organizing die Mitgliedergewinnung oder die kämpferische inhaltliche Positionierung im Vordergrund stehen soll, hat sich die SEIU mittlerweile gespalten.

Auch Misserfolge nicht verschwiegen

„Mir geht es vor allem darum, auszuloten, wo und inwiefern in Organizing-Projekten bislang wichtige Erfahrungen gemacht worden sind, die für eine kollektive Organisierung im betrieblichen Alltag bedeutend sind und aufgehoben werden sollten“, beschreibt Birke das Anliegen seines Buches. Bei der Beschreibung verschiedener gewerkschaftlicher Kampagnen in Deutschland, die unter den Organizing-Begriff gefasst werden können, wird er diesen Anspruch gerecht. Denn er benennt nicht nur die Erfolge sondern auch die Flops bei Organizing-Projekten.

So habe die Lidl-Kampagne ein großes Medieninteresse gefunden, sei aber unter den Mitarbeitern nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Manche Verkäuferin sah sich durch die Kampagne in eine Opferrolle gedrängt. Birke beschreibt auch, wie Mitarbeiter des Callcenters Tectum gemeinsam mit ihren Chefs unter dem Motto “Wir sind keine Sklaven“ gegen verdi demonstrierten. Die Gewerkschaft hatte versucht, die Tectum-Mitarbeiter gegen ihre prekären Arbeitsverhältnisse zu organisieren versucht und dabei auch das Bild des Sklaven gebraucht, das schlecht ankam.
Als gelungene Organizing-Kampagnen beschreibt Birke die Interventionen beim Klinikum Hannover und bei Putzkräften in verschiedenen Hochschulen. Ein Kriterium für den Erfolg ist für ihn nicht in erster Linie die Mitgliederzahl bei den Gewerkschaften sondern die Stärkung des Selbstbewusstseins der Mitarbeiter. Sie können so lernen, ihre eigenen Interessen zu vertreten.

Birke hat in dem Buch seine eigenen Fragen und Zweifel immer mit benennt. Es ist allen zu empfohlen, die sich über die Zukunft der Gewerkschaften oder die eigene Organisierung Gedanken machen. Allerdings hätte der Autor etwas ausführlicher auf einzelne Organisationprojekte und ihre Grenzen an konkreten Beispielen eingehen können. Es war wahrscheinlich der begrenzte Platz, der ihn daran hinderte. So war in der Zeitung analyse und kritik ein sehr kritisches Resümee von zwei Organizern abgedruckt, die in der IG-Bau tätig waren und die eine sehr grundsätzliche Kritik äußerten.. Darauf geht Birke ebenso wenig ein, wie auf kritische Beiträge zur Organizingdebatte(1), wie sie auch auf Trend veröffentlicht waren. Dadurch kann sich der Autor dann als Pionier einer kritischen Betrachtung des Organizing vorstellen. Eine leider übliche aber zumindest unter Linken nicht empfehlenswerte Methodel
 

1) siehe z.B. Never Work Alone

Peter Birke
Die große Wut und die kleinen Schritte
Gewerkschaftliches Organizing zwischen Protest und Projekt
 
Verlag Assoziation A | Berlin 2010 | ISBN 978-3-935936-86-6 | 192 Seiten 12.80 € /