Bündnis fordert politische
Konsequenzen nach der Demonstration „Freiheit statt Angst
2009“: Intransparentes Polizeihandeln und Einschränkungen
der Versammlungsfreiheit in Berlin müssen beendet werden.
Forderungskatalog zur Vermeidung von Polizeiübergriffen und
für mehr Transparenz der Polizeiarbeit vorgestellt. Bündnis
kündigt rechtliche Schritte gegen die Einschränkung seiner
Versammlungsfreiheit an.
Als Organisatoren der
diesjährigen Datenschutz-Demonstration haben wir in der
vergangenen Woche den Ablauf der Demonstration „Freiheit statt
Angst“ sowie die begleitenden Polizeieinsätze ausgewertet. An
der friedlich verlaufenden Demonstration am 12. September in
Berlin nahmen über 20.000 Menschen teil, darunter zahlreiche
Abgeordnete, Gewerkschafter, Künstler und Rechtsanwälte. Zu der
Demonstration hatten 167 Organisationen aufgerufen, darunter
zahlreiche Gewerkschaften und Parteien; auf der Rednerliste
standen u.a. der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte
und der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di. Somit war klar: Von
diesem Bündnis ging keine Gefahr aus.
Umso bestürzter müssen wir zur
Kenntnis nehmen, dass der geplante friedliche Protest gegen
Überwachungstendenzen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von
der Berliner Versammlungsbehörde und der Polizei behindert
wurde. Wie bereits in den Medien berichtet, kam es am Rande der
friedlich verlaufenden Demonstration zu gewaltsamen Übergriffen
beteiligter Polizisten. Darüber hinaus mussten wir uns im
Vorfeld und während der Demonstration zahlreichen
Einschränkungen unseres Versammlungsrechts unterwerfen, die wir
für nicht hinnehmbar halten. So waren wir gezwungen, die
geplante Route der Demonstration zu ändern; begründet wurde dies
mit einer Gefahrenprognose der Berliner Polizei, die für uns
weder nachvollziehbar noch angemessen erscheint. Wir halten es
einer demokratischen, offenen Gesellschaft für unwürdig, wenn
die Polizei darüber entscheidet, in welchen Bereichen einer
Stadt öffentlich protestiert werden darf. Ebenso mussten wir
erleben, wie zahlreiche Teilnehmer ohne konkreten Anlass einer
polizeilichen Kontrolle unterzogen wurden, und Polizisten mit
der Beschlagnahme von Flugblättern, Plakaten und Broschüren
drohten – obwohl diese weder Gewaltbereitschaft erkennen ließen
noch persönliche Angriffe enthielten.
Wohl wissend, dass wir mit
unseren Erfahrungen nicht allein stehen, und in der Überzeugung,
dass die Erhaltung unserer Versammlungsfreiheit als einem Stück
„ungebändigter Demokratie“ ein zentraler Stellenwert in unserer
Gesellschaft zukommt, stellen wir daher folgende Forderungen:
1.Eine umfassende und
lückenlose Aufklärung und Ahndung der polizeilichen
Gewaltanwendung bei zwei Festnahmen am Rande der
Demonstration: Die von uns inzwischen an die
Staatsanwaltschaft übergebenen Videoaufnahmen widersprechen
der polizeilichen Darstellung des Geschehens, wonach die
Festgenommenen sich polizeilichen Maßnahmen widersetzt hätten.
In einem Fall (Radfahrer) besteht der Verdacht, dass durch den
Einsatz ein kritischer Beobachter des Polizeieinsatzes
bestraft werden sollte, der das Verhalten einzelner Polizisten
und deren Dienstnummern dokumentieren wollte. Wir bewerten es
dabei als sehr bedenklich, dass keiner der auf dem bekannten
Videomaterial zu sehenden Polizeibeamten sich für den von
seinen Kollegen angegriffenen Demonstranten eingesetzt zu
haben scheint. Die zweite Festnahme (eines Fahrzeugführers)
ist aus unserer Sicht insbes. deshalb unverhältnismäßig, da
vorab bereits die Personalien des Betroffenen festgestellt
wurden und ein weiterer Zugriff nach unserer Einschätzung
nicht notwendig war.
2.Geeignete Maßnahmen, um ein
Mindestmaß an Transparenz und Verlässlichkeit der
polizeilichen Einsatzpraxis zu gewährleisten: Eine
individuelle Kennzeichnung von PolizistInnen ist ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Für jede Bürgerin und jeden
Bürger ist es eine unumgängliche Mindestanforderung an die
Träger des staatlichen Gewaltmonopols, dass ihr Handeln
transparent und individuell zurechenbar bleibt. Die
individuelle Verantwortlichkeit für polizeiliches Handeln darf
nicht hinter Helmen und in einer uniformierten Masse
verschwinden. Genau dies ist aber die derzeitige Situation:
Jedes Jahr werden allein im Land Berlin mehrere hundert
Strafanträge gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt
gestellt, von denen 99% ergebnislos eingestellt werden. Meist
geschieht dies aus Mangel an Beweisen, und das, obwohl i.d.R.
mehr als eine Beamte/ein Beamter beteiligt sind. Auf jedem
Verwaltungsbescheid bis hin zum „Knöllchen“ für Falschparker
werden die verantwortliche Behörde und zuständige Mitarbeiter
benannt. Wenn dagegen polizeiliche Zwangsmaßnahmen angewandt
werden, soll dies nicht möglich sein? Eine vom Berliner
Polizeipräsidenten in Auftrag gegebene Untersuchung (Rogall
2008) hat gezeigt, dass jeder Zwölfte der untersuchten
Polizeiübergriffe durch eine individuelle Kennzeichnung
wahrscheinlich hätte aufgeklärt werden können. Für uns Grund
genug, der seit Jahrzehnten erhobenen Forderung nach einer
individuellen Kennzeichnungspflicht endlich nachzukommen.
3.Wir sehen einen dringenden
Handlungsbedarf, damit bei künftigen Demonstrationen
Medienvertreter und unabhängige Demonstrationsbeobachter
ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können. Die öffentliche
Kontrolle des polizeilichen Handelns bei Demonstrationen ist
derzeit nicht gewährleistet. So mussten wir erleben, dass
Demonstrationsbeobachter ohne eigenes Verschulden von der
Polizei festgesetzt wurden, andere unter der Androhung einer
Beschlagnahme zum Löschen ihrer Bilder gezwungen wurden.
Derartige Einschränkungen einer öffentlichen Kontrolle des
Geschehens sind für uns nicht hinnehmbar. Wir erwarten von der
Führung der Berliner Polizei und der zuständigen
Senatsverwaltung geeignete Vorschläge, wie die Transparenz von
Polizeieinsätzen verbessert werden kann. Für Gespräche hierzu
stehen wir gern zur Verfügung.
Eine unabhängige öffentliche
Begleitung von Polizeieinsätzen scheint uns um so dringender
geboten, als das auf den jetzt veröffentlichen Videodokumenten
erkennbare Verhalten der beteiligten Beamten der
Beweissicherungseinheiten, deren Kameras in den entscheidenden
Situationen nur auf Demonstranten ausgerichtet oder
ausgeschalten waren, ein mangelndes Fehler- und
Kontrollbewusstsein innerhalb der Berliner
Bereitschaftspolizei erkennen lässt.
4.Wir fordern den Senat von
Berlin auf, eine unabhängige, nach wissenschaftlichen
Kriterien vorzunehmende Untersuchung in Auftrag zu geben, die
das Ausmaß und mögliche Ursachen derartiger Polizeiübergriffe
bei der Berliner Polizei erforscht. Insbesondere sollte eine
solche Untersuchung mögliche Häufungen von Anzeigen resp.
Übergriffen in bestimmten Einsatzhundertschaften der Berliner
Polizei nachgehen.
5.Über akute
Konfliktsituationen hinaus halten wir eine unabhängige
Kontrolle der Polizei für dringend geboten: Wie in
vergleichbaren Fällen können wir auch diesmal leider nicht
damit rechnen, dass an dem Geschehen beteiligte Polizisten
gegen ihre Kolleginnen und Kollegen aussagen werden. Wir sind
uns der besonderen Belastungen von Bereitschaftspolizisten
bewusst, die das mögliche Fehlverhalten ihrer Kolleginnen und
Kollegen beobachten und zur Anzeige bringen sollten. Sie haben
die Wahl zwischen der Gefahr des Mobbings und der eigenen,
nachträglichen Strafverfolgung. Die dadurch begünstigte „Mauer
des Schweigens“ könnte durch eine unabhängige Kontrollstelle
überwunden werden, in der weitgehende Kontrollbefugnisse mit
einer Vertrauensstellung verbunden sind. Eine unabhängige
Kontrolle der Polizeiarbeit fordern nicht nur Menschen- und
Bürgerrechtsorganisationen seit Jahren, auch internationale
Gremien wie der Menschenrechtsbeauftragte des Europarates oder
der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen haben dies
wiederholt angemahnt, um die offensichtlichen Kontrolldefizite
bei der deutschen Polizei zu beheben.
Ansprechpartner für
Presseanfragen:
- padeluun (FOEBUD), Tel: 0521 –
65566
- Sven Lüders (Humanistische
Union), Tel. 0152 / 0183 1627
Editorische
Anmerkungen
Den Text erielten wir von den
HerausgeberInnen.
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