Schanzenfest - Wofür kämpfen wir eigentlich?
Versuch einer kritischen Reflexion

von
 "
hop"

09/09

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onlinezeitung

Zur Wahrnehmung des Autors

Ich bezeichne mich als linksextrem, das tun viele, und für jeden bedeutet der Begriff etwas Anderes. Für mich steht als politischer Inhalt die Umwälzung des weltweiten kapitalistischen Systems im Vordergrund – die Welt in der wir momentan Leben, baut auf ein System auf, in dem keine Form der Moral sondern das Streben nach Gewinn im Vordergrund der meisten entscheidenden Handlungen steht. Keynes beschreibt es ganz gut: „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden“. Ich stimme des Weiteren mit weiten Teilen der Linken darüber ein, dass viele der Probleme, mit denen sich die Linke beschäftigt, ohne Kapitalismus hinfällig oder zumindest nur in abgeschwächter Form vorhanden wären.

Die Durchsetzung des Schanzenfestes berührte meine Vorstellung von politischer Arbeit demnach nur am Rande – vor einigen Jahren habe ich die Veranstaltung allerdings noch als legitimes Exempel für selbstbestimmten Lifestyle gesehen, es diente als Symbol dafür, dass man auch ohne zentrale kapitalistische Organisation ein Fest auf die Beine stellen kann, an dem tausende Leute Spaß haben "könnten"*. Die Tatsache, dass spätestens ab 22 Uhr einige Leute vermummt vor der Flora stehen und gar nicht das Ziel haben in Ruhe zu feiern, sondern mit der Idee was zu erleben ein Feuer vor der Flora anzünden (jedenfalls habe ich stets einige Beschwerden darüber gehört, dass die „Bullen noch nicht mit den Waves da sind“) stimmte mich immer ebenso traurig, wie die Tatsache, dass in etwa zur gleichen Zeit Polizeitrupps anfangen auf dem Schulterblatt, im Schanzenpark auf und ab gehen, gelegentlich Leute beleidigen und schubsen, und somit ein entspanntes Fest unmöglich machen. Ich will nicht mit dem Finger zeigen, es erscheint mir allerdings bei einer kritischen Reflexion, als sei das typische Schanzenfest in den letzten Jahren vormittags und am Abend ein netter Ort zum Feiern und Nachts ein Happening zum randalieren geworden. Die Ausschreitungen wurden je nach politischer Gesinnung des Redners für ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit von mehr Law and Order sowie der Abschaffung der Flora, oder als Beispiel für den ungerechtfertigten Angriff der Polizei auf (nicht unbedingt linke) Freiräume aufgeführt.

*Man sollte allerdings nicht der Illusion verfallen, es handle sich beim Schanzenfest um ein unkapitalistisches Fest, vom Flohmarkt über den Cocktailstand bis zum Falaffelmenschen wird an jeder Ecke Wert geschöpft und ohne finanzielle Mittel ist man auch hier nur bedingt in der Lage am Fest teilzunehmen – aber das soll keine Kritik am Schanzenfest sein, sondern soll lediglich die Allgegenwart des Kapitalismus verdeutlichen


Das erste Schanzenfest 2009

Beim letzten Schanzenfest sah die Sache allerdings nicht mehr so typisch aus, das Schanzenfest lag ungewöhnlich früh im Jahr, als Folge war es um halb 10/10 Uhr noch nicht dunkel genug für das, sonst den Beginn des unnötigen Wasserwerfereinsatzes nach sich ziehenden, Feuers vor der Flora. Die Polizei fuhr trotzdem unbeirrt das Konzept „Deeskalation durch Stärke“ – das dieses Konzept eher das Gegenteil bewirkt ist sicherlich allen Schanzenfestbesuchern klar. Schnell flogen erste Flaschen, direkt waren die Wasserwerfer da – und doch war alles irgendwie anders als in den vorherigen Jahren, meiner subjektiven Wahrnehmung nach sind viel mehr Unbeteiligte (durch Polizei und Flaschen die ihr Ziel verfehlt haben) zu Schaden gekommen, war der Polizeieinsatz deutlich härter, gingen die Ausschreitungen länger und waren intensiver. Der Angriff auf die St. Pauli Fankneipe Jolly Roger, bei dem der Laden erst mit Reizgas geflutet und anschließend verriegelt wurde, sodass eine Flucht der in Panik geratenen Kneipenbesucher unmöglich war, und bei dem unter Anderem ein Journalist erheblich von der Polizei verletzt wurde, ist da nur die Spitze des Eisberges gewesen. Dieser Eindruck spiegelte sich dieses Jahr sogar in der Bürgerlichen Presse wieder, die dieses mal nicht ganz so unreflektiert die dpa Meldungen und Polizei-Pressemitteilungen übernommen hat, sondern auch das Vorgehen der Polizei an den Pranger gestellt hat. Auch die Organisatoren des Schanzenfestes, örtliche Restaurantbesitzer und Schanzenbewohner zeigten sich schockiert durch das total unverhältnismäßige Eingreifen der Polizei.
Man hatte was man brauchte um politischen Druck aufzubauen, man konnte sich als Märtyrer darstellen und hat als Reaktion einfach ein zweites Schanzenfest geplant und an die Politik appelliert dieses mal Appeasement-Politik zu fahren und sich endlich vom Schanzenfest fernzuhalten – cool!

Das zweite Schanzenfest 2009

Ich persönlich traf gegen 20 Uhr beim Schanzenfest ein und ich war positiv überrascht, ich habe damit gerechnet, dass bei 2000!, auf dem Heiligengeistfeld stationierten Polizeieinheiten in Bereitschaft , gerade nach den Erfahrungen des Vortages, spätestens ab Einsetzen der Dämmerung erste Barrikaden brennen – aber zu meinem Erstaunen ist von der Polizei nichts zu sehen, an jeder Straßenecke stehen Soundsystems, allerorts wird ausgelassen gefeiert, die Leute freuen sich auf den Straßen, in den Bars und auf den Dächern der Häuser des Schanzenviertels über einen gelungenen Abend.
Je weiter der Abend fortschritt, desto größer wurde der Anteil an Leuten bei denen sich Unmut breit machte, gegen 23:30 hat man, zumindest vor der Flora (wo allerdings auch wenig Musik zu hören war) eine relativ große Gruppe von ca. 150 – 200 vermummten Menschen ausmachen können – den Gesprächsfetzen die ich im Vorbeigehen aufschnappen konnte, war zu entnehmen, dass man verärgert über das „langweiligste Schanzenfest seit Jahren“ ist und das man sich Rächen will – es waren aber auch Stimmen zu hören die versucht haben, den Ärger zu bremsen und die erklärt haben, dass doch eigentlich alles optimal läuft. Als ein Bekannter dann eine halbe Stunde später begeistert erzählte, dass mal wieder die Haspa angegriffen, danach die Deutsche Bank auseinander genommen und im Anschluss der Penny demoliert werden sollen habe ich schon geahnt, das der Abend kaum friedlich ausgehen werden wird.

Meine Vermutung hat sich früher bestätigt als mir lieb war, zu dem Zeitpunkt, an dem die Polizei mit mehreren Hundertschaften und 5 Wasserwerfen ins Schulterblatt gefahren ist habe ich mich auf den Weg nach Hause gemacht – auf diesem Weg konnte ich meine Wut kaum zügeln, traurigerweise war es nicht die Wut über die Bullen die an mir nagte, im Gegenteil, mein Hass war getrieben von den lachenden, vergnügten Augen der Vermummten, die aus allen Richtungen an mir vorbeieilten – eine Person schreit sogar, sichtlich erregt „Endlich, geil! Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung, für mehr Staatszerlegung“. Ich bin dann in die U-Bahn gestiegen um dem Geschehen zu entkommen, manche Szenen sind einfach zu viel.

Der nächste Tag

Aus der von nahezu allen Zeitungen übernommenen dpa Meldung, die wiederum in weiten Teilen die Pressemitteilung der Polizei zitiert kann ich nun heute entnehmen, dass die Polizei eingeschritten ist, da zum einen ein Verkehrspolizist am neuen Pferdemarkt (am Grünen Jäger) attackiert wurde und im Folgenden die Polizeiwache an der Stresemannstraße (rund 500m von Schanzenfest entfernt) angegriffen wurde, wobei gefolgt von einigen Böllerwürfen eine Scheibe zu Bruch ging. Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass diese Darstellung zumindest eine Ungereimtheit aufweist: die Polizeiwache wurde laut offizieller Darstellung um 1:45 angegriffen, der Wasserwerfereinsatz begann allerdings schon um kurz nach 1:00.
Was genau, an welcher Stelle und in welchem Zusammenhang zur Eskalation führte weiß wohl niemand im Detail, dafür ist das Geschehen einfach zu unübersichtlich.

Wir hatten, was wir wollten

Der Grund warum ich diesen Artikel schreibe ist, meinem Ärger einfach mal Luft zu machen und einige Leute wachzurütteln. Gestern hatten wir was wir wollten, ein Schanzenfest ohne Anwesenheit von Bullen, an dem man friedlich feiern konnte – mein Appell gilt daher den Menschen, die sich unzufrieden über ein „unspektakuläres“ Schanzenfest gezeigt haben: „Werdet euch darüber im Klaren darüber, was ihr eigentlich wollt!“ Angenommen es wäre zu keinen Ausschreitungen gekommen, wäre das kein geiles Zeichen für die Politik gewesen? Das hätte echt blöd ausgesehen wenn die 2000 Kräfte ranschaffen, nur um dann festzustellen, dass der Abend friedlich verläuft wenn man diese 2000 Bullen nicht braucht (Ahlhaus hätte auch ordentlich Druck bekommen, das ist ja nicht billig, 2000 Bullen aus dem ganzen Bundesgebiet heranzukarren) – unterm Strich wäre das wirklich mal ein Argument gegen den ständigen weiteren Ausbau der Hamburger Exekutive. Jetzt haben Ahlhaus und der schwarze Teil der schwarz/grünen Bürgerschaft genau das, was sie brauchten, um aufzuzeigen, dass es auch zu Randalen kommt, wenn man sich zurückhält und haben ein Argument mehr für mehr Polizei und weniger Freiraum. Letzteres ist von besonderer Bedeutung; führt euch vor Augen, dass der politische Druck auf die Flora steigt!

Ich wage es zwar, zu bezweifeln, dass die Adressanten meines Artikels so kritisch reflektiert sind, aber ich will den Punkt trotzdem noch mal aufführen: Du magst sagen „Ey, Autor, es gibt kein richtiges Leben im Falschen, Presse ist egal, uns geht es ja nicht darum uns mit dem System zu arrangieren und damit zu leben sondern es abzuschaffen!“ – nun das stimmt zwar, aber ist das System jetzt gestürzt worden? Habt ihr dem Staatsapparat einen empfindlichen Schaden zugefügt? – ich befürchte nicht.
Die Hamburger Linke kann von Glück sagen, dass nicht schon wieder die Haspa demoliert wurde, damit wäre der Polizeieinsatz in den Augen der Öffentlichkeit noch eindeutiger gerechtfertigt worden.

Ich erwarte ja nicht, dass jeder in jeder Situation besonnen handelt, aber gestern wurde uns geboten was wir seit Jahren von der Stadt beim Schanzenfest verlangen, wer das langweilig findet, darf sich nicht einbilden für eine bessere Welt zu kämpfen, er will schlicht was erleben, und es würde mich freuen, wenn das in Zukunft nicht im Rahmen von sowieso schon umstrittenen Freiräumen passiert – dem Großteil der Linken geht es nämlich nicht nur um das Erlebnis, sondern wirklich darum die Welt zu verändern. Bitte reflektiert euren Aktionismus, es geht nicht darum, einen spannenden Abend zu haben und paradoxerweise auch noch nicht einmal darum das Schanzenfest zu verteidigen, es geht um die Zukunft der Hamburger Politik gegenüber der Flora und der linken Szene, man muss im Sinne größerer Sachen auch mal pragmatisch Denken.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir von Indymedia http://de.indymedia.org/2009/09/260783.shtml , wo er am 13.09.2009 erschien und wo er kontrovers diskutiert wird.