Zwischen Recherche und Verschwörungstheorie
Ein Buch zum Gladio-Netzwerk zeigt wie schnell man im Verschwörungssumpf landen kann

von Peter Nowak

09/09

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Kein Zweifel das Gladio-Netzwerk hat es in verschiedenen Ländern Westeuropas gegeben. Dort bereiteten sich in Zeiten des Kalten Krieges Antikommunisten gemeinsam mit Rechtsextremisten auf den Kampf gegen die Roten vor. Offiziell hieß es, dass ein Angriff der Roten Armee auf Westeuropa abgewehrt werden muss. Aber natürlich standen auch Linke in den verschiedenen westeuropäischen Ländern im Visier des Netzwerkes. Bis heute ist über Gladio wenig bekannt, was bei einer Geheimarmee nicht verwunderlich ist. Kein Wunder ist auch, dass sich darum dann auch die wildesten Spekulationen ranken. Der Schweizer Historiker Daniel Ganser verspricht mit seinem Monumentalwerk „NATO Geheimarmeen in Europa Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“, Licht in das Dunkel zu bringen. Tatsächlich hat er auf über 400 Seiten eine erstaunliche Fülle von Details zusammen getragen. Das in verschiedene Länderkapitel unterteilte Buch ist da informativ, wo der Autor auf umfangreiche Rechercheergebnisse zurückgreifen kann. Das trifft beispielsweise für die Türkei zu. Dort haben Linke und JournalistInnen seit Jahren die Verbindung von der türkischen Konterguerilla zu den Gladiostrukturen erforscht, die in die frühen 50er Jahre zurückreichen. Im Buch wird kompakt zusammengefasst, dass die türkischen Faschisten der Grauen Wölfe im Grunde eine Gladio-Partei waren. Für Deutschland sind die fundierten Rechercheergebnisse schon schwerer zu erlangen. Ganser weist auf Beispiele aus den 50er Jahren hin, wo das von Rechtsextremisten durchsetzte Netzwerk Bund Deutscher Jugend in die Gladio-Strukturen eingebunden war. Im Visier waren linke Journalisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten und zurückgekehrte Exilanten, im Grunde also der Personenkreis, der schon im NS-Regime verfolgt wurde.

Strategie der Spannung gegen Schmidt-Schnauze?

 

Je mehr Ganser in die Gegenwart kommt, desto schwieriger wird für ihn die Beweisführung. Tatsächlich ist über die Verbindung vom rechtsextremen Förster Heinz Lembke, der Waffenverstecke im Wald zu verantworten hatte, schon lange spekuliert worden. Als Lembke, der auch Kontakt zur Wehrsportgruppe Hoffmann hatte, in der Haft erhängt aufgefunden wurde, verdichteten sich die Spekulationen noch. Doch ob der Anschlag auf das Oktoberfest am 26.September 1980, der 13 Menschen tötete und Hunderte verwundete, ein verspäteter Gladio-Anschlag war, ist damit längst nicht bewiesen. Nach der Veröffentlichung von Gansers Buch widmen sich allerdings nicht nur Verschwörungstheoretiker dieser Frage. Selbst grüne Politiker fordern neue Untersuchungen. Schließlich fand der Anschlag wenige Tage vor der Bundestagswahl statt, bei der der Unionsrechtsaußen Franz Josef Strauß gegen den rechten Sozialdemokraten Helmut Schmidt antrat. Deshalb wird spekuliert, ob der Anschlag zur Strategie der Spannung gehörte, um eine rechte Regierung an die Macht zu bringen. Ähnliche Anschläge mit vielen Opfern erschütterten in den späten 70er und führenden 80er Jahren verschiedene italienische Städte. Allerdings ging es 1980 nicht um die Regierungsübernahme einer noch so versozialdemokratisierten Ex –KP sondern um die Fortsetzung der Regierung von Helmut Schmidt, der selbst als bekennender Wehrmachtsangehöriger und Feind aller Linken gute Kontakte in die Kreise hatte, die auch mit Gladio-Strukturen kooperierten. Warum sollte gegen seine Regierung eine Strategie der Spannung eingesetzt werden? Oder ging es darum, den bestens in nationalen und internationalen Rechtsaußenkreisen vernetzten Strauß doch noch zur Kanzlerschaft zu verhelfen? Auszuschließen wäre es nicht, aber hier bewegen wir uns eben nicht mehr auf dem Feld der Recherche sondern der Spekulation. Das macht aber leider auch Daniel Ganser in seinem Buch zu häufig, wie schon aus dem Untertitel „Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ deutlich wird.

 

Feld der Spekulation

 

So mag im Italien-Kapitel der in letzter Minute verhinderte Rechtsputsch belegbar sein. Die Moro-Entführung aber in diese Strategie einzuordnen, gelingt aber auch Ganser nicht wirklich. Hier bewegt er sich auf dem Feld, wo jeglicher linke Widerstand, der sich nicht in parlamentarischen Gleisen bewegt, im Zweifel als Teil einer Counterstrategie denunziert wird. In Westdeutschland versuchte in den frühen 90er Jahren mit dem Buch „RAF-Phantom“ ein Autor namens Gerhard Wisnewski mit solchen Thesen Aufsehen zu erregen. Mittlerweile ist der Autor eine feste Größe in einem internationalen Verschwörungstheoretikernetzwerk, die vor allem die Attentate vom 11. September 2001 in den USA als Inside-Job von Geheimdiensten klassifizieren. Kaum war Verena Becker erneut verhaftet wurden, wurde von einem Autor in der jungen Welt wieder über die Beteiligung von Geheimdiensten beim Attentat auf Buback geraunt. In diese Reihe kann man Ganser nicht stellen. Doch in manchen Kapiteln gibt es zumindest eine große Nähe zu solchen Positionen. So heißt es im Kapitel über Belgien, „dass die angeblich kommunistische Terrorgruppe CCC in Wirklichkeit von der Rechten aufgebaut wurde.“ Gemeint ist die belgische Stadtguerilla „Kämpfende Kommunistische Zellen“, die in den 80er Jahren aktiv war. Mehrere Mitglieder haben langjährige Haftstrafen in Isolationsgefängnissen abgesessen, sind mittlerweile wieder in Freiheit und engagieren sich teilweise in einer kleinen marxistisch-leninistischen Partei. Für eine Steuerung durch Rechte spricht das nicht gerade.
Verständnis für die Nato

Ganser macht im Kapitel „Schlussfolgerungen“ noch einmal deutlich, dass auch er in den 50er Jahren von einem möglichen Angriff der Roten Armee auf Westeuropa ausging, die Schutzmaßnahmen daher verständlich fand. So heißt es dor:t „Auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg und der schnellen und traumatischen Besetzung der meisten europäischen Länder durch deutsche und italienische Truppen fürchteten militärische Experten die Sowjetunion…“. Ganser macht nicht die Infamie deutlich, ein ausgepowertes Land wie die Sowjetunion, das die Hauptlast bei der Niederschlagung des NS-Regimes getragen hat, mit den hochgerüsteten Nazideutschland und den faschistischen Italien zu vergleichen. Nein, er findet die Befürchtungen zumindest nachvollziehbar. Ihn stört nur „die Manipulation von Washington und London“. Es schon erstaunlich, dass ein Autor mit solchen Ansichten auch in linken Medien recht unkritisch gefeiert wird.

 

Daniel Ganser
NATO Geheimarmeen in Europa
Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Orell Füssli Verlag
446 Seiten
ISBN 9783280061060
29,80 €

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