Betrieb & Gewerkschaft
IG Metall im Kalten Krieg
Essener Verwaltungsstelle strengt Ausschlußverfahren gegen Aktivisten der maoistischen MLPD an. Unvereinbarkeitsbeschlüsse bleiben in Kraft


von Herbert Wulff

09/09

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onlinezeitung

Angesichts drohender und zum Teil bereits stattfindender Massenentlassungen möchte man meinen, daß die Spitze der Industriegewerkschaft Metall andere Sorgen hat, als gegen linke Aktivisten in den eigenen Reihen vorzugehen. Doch in der Verwaltungsstelle Essen sieht man das offenbar anders. Kürzlich teilte diese zweien ihrer Mitglieder mit, daß gegen sie ein Ausschlußverfahren angestrengt worden sei. Begründet wird dies mit ihrer Bundestagskandidatur auf der offenen Liste der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), gegen die die im »Kalten Krieg« von der Gewerkschaft erlassenen Unvereinbarkeitsbeschlüsse weiterhin angewandt werden.

Am 13. August bekam Yazgülü Kahraman-Meister, Leiterin des IG-Metall-Vertrauenskörpers in der Essener Niederlassung von Kennametal Widia (ehemals Krupp), Post von ihrer Gewerkschaft. Darin hieß es, die Ortsverwaltung habe beim Vorstand der IG Metall den Antrag gestellt, die langjährige Aktivistin ohne Untersuchungsverfahren auszuschließen, weil sie auf Platz vier der MLPD-Landesliste in Nordrhein-Westfalen für den Bundestag kandidiere. Grundlage dessen ist Paragraph elf der Gewerkschaftssatzung, in dem es heißt: »Der Ausschluß von Mitgliedern ohne Untersuchungsverfahren kann auch erfolgen, wenn sie einer gegnerischen Organisation angehören oder sich an deren gewerkschaftsfeindlichen Aktivitäten beteiligen oder diese unterstützen« Als »gegnerische Organisationen« betrachtet die IG Metall aber nicht nur rechte Gruppen, sondern auch die in maoistischer Tradition stehende MLPD. Bis heute gilt ein Beschluß des Gewerkschaftsbeirates vom 14. Dezember 1982, in dem es heißt: »Die ›Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands« (MLPD) ist eine gewerkschaftsfeindliche Organisation (…) Mitglieder der IGM, die der MLPD angehören oder sich an deren gewerkschaftsfeindlichen Aktivitäten beteiligen oder diese unterstützen, müssen mit dem Ausschluß rechnen.« Grundlage hierfür bilden Beschlüsse über »linksextremistische Gruppen« von 1973 und ’76.

Seit mindestens zehn Jahre gab es immer wieder Versuche, diese Entscheidungen auf Gewerkschaftstagen der IG Metall zu kippen. 2007 hatten in Leipzig vier Verwaltungsstellen beantragt, dieses Relikt des »Kalten Krieges« zu beseitigen. Zwar wurde an diesem Anliegen keinerlei inhaltliche Kritik geäußert, doch empfahl die zuständige Kommission, die Anträge nicht zu beschließen sondern als »Material an den Vorstand« zu verweisen. Der Sprecher der Kommission erklärte laut Wortprotokoll: »Wir sind uns zu 100 Prozent in diesem Saal inhaltlich einig. Aber der Vorstand muß es bearbeiten, der Vorstand (…) muß es im Detail klären.« Mit knapper Mehrheit folgten die Delegierten dieser Empfehlung. Doch danach geschah nichts. Die Überprüfung der Klausel sei »bis dato noch nicht abgeschlossen«, heißt es in einem Antwortschreiben des IG-Metall-Vorstands auf eine entsprechende Anfrage der MLPD. Gerechtfertigt wird die Ausgrenzung der Organisation darin u.a. damit, daß diese laut Verfassungsschutz »nach wie vor der Auffassung ist, daß der Weg zum Sozialismus nur durch die Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht erreicht werden könne«. Die IG Metall trete hingegen »aktiv für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« ein.

Die auch innerhalb der gewerkschaftlichen Linken unterschiedliche beurteilte MLPD hält dem entgegen, dies widerspreche »nicht nur dem Grundgedanken der Einheitsgewerkschaft«, sondern »selbstredend auch den heute europaweit gesetzlich verankerten bürgerlich-demokratischen Rechten«. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sei ein grundlegendes Koalitionsrecht, das unabhängig von Parteizugehörigkeit und Weltanschauung in Anspruch genommen werden könne. Das Frankfurter Landgericht hat dieser Auffassung in einer 2003 getroffenen Entscheidung allerdings widersprochen.

Auch beim Gewerkschaftstag 2003 hatte es bereits den Versuch gegeben, die Satzung zu ändern. Damals hatte die Antragskommission argumentiert, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse hätten in der Praxis ohnehin keine Bedeutung, da sie nicht mehr angewendet würden. Das aktuelle Vorgehen der Verwaltungsstelle Essen – von dem nicht nur Kahraman-Meister, sondern auch Horst Dotten, Betriebsrat beim Bauelementehersteller ECS, betroffen ist – führt diese Argumentation ad absurdum. Kahraman-Meisters Kollegen haben jedenfalls kein Verständnis dafür, daß ihre Vertrauenskörperleiterin aus der Gewerkschaft fliegen soll. »Yazgülü wurde von uns Vertrauensleuten in einer demokratischen Wahl mit großer Mehrheit zur VK-Leiterin gewählt. Wir sprechen der Ortsverwaltung das Recht ab, sich hier politisch einzumischen«, so die gewerkschaftlichen Funktionäre in einer Erklärung.

Auch bei Kennametal Widia hat die Belegschaft eigentlich andere Probleme. Am Standort Essen hat der US-Konzern in den vergangenen Monaten mehr als 120 Beschäftigte, die Hälfte von ihnen Leiharbeiter, auf die Straße gesetzt. Der Rest hat wegen Kurzarbeit Lohneinbußen von 150 bis 700 Euro monatlich zu verkraften. Vor diesem Hintergrund sei »Einheit und Solidarität innerhalb unserer Gewerkschaft wichtiger denn je«, so die MLPD.

IG-Metall-Sprecherin Ingrid Gier erklärte auf jW-Nachfrage, der Vorstand werde über die Essener Anträge erst nach Ablauf örtlicher Anhörungsfristen entscheiden. Grundsätzlich stellte sie aber klar, daß die Unvereinbarkeitsbeschlüsse nach wie vor Geltung haben. »Unsere Beschlußlage ist klar, und daran hat sich auch nichts geändert. Das ist die Grundlage für unser Vorgehen«, sagte Gier.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde erstveröffentlicht unter
http://www.jungewelt.de/2009/09-01/021.php

Kollegin Kahraman-Meister schickte uns diesen Artikel zur Zweitveröffentlichung.