Stimme erheben - Wahlen boykottieren!

von Revolutionäre Linke (RL)

09/09

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Der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 27. September 2009 steht nach den Europawahlen und vor allem dem ausklin­genden Sommerloch unmittelbar vor der Tür. Wir kennen die Bilder: VertreterInnen parlamentarischer Parteien halten Fens­terreden und versuchen sich gut in Szene zu setzen. Die Werbetafeln und Plakat-Serien der zur Wahl stehenden Parteien zieren die Straßenzüge bis in jeden Win­kel dieser Republik, die Briefkästen sind mit bunten Flyern des/der KandidatIn von vor Ort vollgestopft und im TV laufen als Prolog die Werbespots vor der 20-Uhr-Tagesschau.

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 27. September 2009 steht nach den Eu­ropawahlen und vor allem dem ausklin­genden Sommerloch unmittelbar vor der Tür. Wir kennen die Bilder: VertreterInnen parlamentarischer Parteien halten Fens­terreden und versuchen sich gut in Szene zu setzen. Die Werbetafeln und Plakat-Serien der zur Wahl stehenden Parteien zieren die Straßenzüge bis in jeden Win­kel dieser Republik, die Briefkästen sind mit bunten Flyern des/der KandidatIn von vor Ort vollgestopft und im TV laufen als Prolog die Werbespots vor der 20-Uhr-Tagesschau.

Und das alles vor dem Hintergrund einer der periodischen tiefen Krisen des kapi­talistisch-imperialistischen Systems. Wir werden den Wecker danach stellen kön­nen; nur wenige Stunden nach den Hoch­rechnungen am 27. September werden Stück für Stück die „sozialen Grausam­keiten“ aus dem vorher gut verschnürten Sack gelassen: Der über die Parteigren­zen hinweg organisierte Konsens des Klassenkampfes von oben wird medial über uns hereinbrechen. Uns ist hierfür der vorderste Platz in der ZuschauerIn­nenreihe zugewiesen – staunend konsu­mieren, aber Mund halten, so lautet die Devise!
Termingerecht zu jeder Wahl gaukeln uns VertreterInnen von „linken“ Parteien vor, wir könnten über die Stimmenabgabe bei den Bundestagswahlen den Klassen­kampf von unten in das Parlament hinein tragen. So, als ob sich die parlamentari­sche Bühne für eine revolutionäre Agita­tion eignen könnte. Die Parole nach dem Motto „KommunistInnen in die Parlamente wählen“ kann nur als eine bewusste Irre­führung verstanden werden, die uns in das Gleisbett des Konformismus zieht und nur die Illusion produziert, dass wir über die mandatierte Vertretung in einem Par­lament ein reelles Mitspracherecht hätten.
Lassen wir uns da auf nichts mehr ein! Deshalb: Den revolutionären Widerstand wählen - keine Stimme dem bürgerlichen Staat und seinen parlamentarischen Par­teien!

Bürgerlicher Klassenstaat und Parlamentarismus

Der Kapitalismus, d.h. das warenprodu­zierende System, was auf Ausbeutung und Unterdrückung der lohnabhängigen und produktionsmittellosen Massen be­ruht, kann ohne eine staat(srecht)liche Umrahmung nicht existieren. Der Staat mit seinem bürokratischen Apparat ist Bedingung und Garant dafür, dass die Mehrwertproduktion läuft und am Laufen gehalten wird. Störungen werden und müssen sanktioniert werden, damit der „gesetzliche Auftrag“ erfüllt werden kann. Der Staat ist als Geflecht von Institutio­nen niemals als klassenneutrale Veran­staltung zu verstehen, der quasi über den Klassenverhältnissen schwebt.

Es ist aber auch zu plump gesprochen, wenn wir die Einrichtung des bürgerlichen Staates ausschließlich oder in erster Li­nie als Verkörperung von Repression und Ideologie begreifen würden. Der bürger­liche Klassenstaat ist ebenso an einem innergesellschaftlichen Konsens interes­siert und nicht allein an der Unterdrückung revolutionärer Haltungen und Handlungen sowie einer Ideologie der Manipulation und Lüge.
Das Dämpfen von sozialen Konflikten und die Abfederung durch ein (immer löchri­ger, aber weiterhin existierenden) sozia­len Netzes, soll verhindern, dass sich der in jeder Klassengesellschaft latent an der Lunte lodernde Sprengsatz entlädt. Ein vollständiges Zerreißen des sozialen Zu­sammenhalts hätte unkalkulierbare Fol­gen für die Stabilität des eh schon fragilen Systemganzen.

Der Parlamentarismus mit seinen typi­schen turnusgemäßen Wahlen bildet die ideale Legitimationsfolie, auf der sich die VertreterInnen von Staat und Kapital (zu­recht) berufen können. Das „Wahlvieh“ hat seine eigenen Henker per Stimmen­abgabe dazu berechtigt, die Maßnahmen der „sozialen Grausamkeiten“ einzuleiten.

„Wer/welche im Sinne des parlamentari­schen Systems wählt hat seine/ihre Stim­me bereits abgegeben“, ein Spruchband, was das Ergebnis plastisch macht, das mit dem Urnengang (!) vollzogen wird. Und überhaupt: Warum sollten wir unse­ren „Urnengang“ vorweg nehmen, dieser kommt eh früh genug. Um es klar und ein­deutig zu Protokoll zu bringen: Der Parla­mentarismus und das Wahlprozedere sind die Angelegenheit von ParlamentarierIn­nen und jenen, die das Personal in den Etagen der Ministerialbürokratie bilden.

Sich auf das Terrain des Parlamentaris­mus einzulassen, ist bereits ein taktischer Erfolg des bürgerlichen Klassenstaats, denn das legalistische Regelwerk be­stimmt das Spiel. Die vermeintliche Al­ternative, „das kleinere Übel“ zu wählen, wie die Partei Die Linke, ist und bleibt von übel. Der Hinweis auf die Senatspolitik von „Rot/Rot“ in Berlin reicht als Beleg.

Klassenautonomie und revolutionäre Perspektive

Wir haben versucht anzuschneiden, dass der Wahlkampf um Abgeordnetenman­date und das „Bürgerrecht“ zur Wahl zu gehen keine Ebenen des Kampfes um Klassenautonomie und die Formulierung einer revolutionären Perspektive sind. Ganz im Gegenteil. Es ist ein Widerspruch in sich, innerhalb des parlamentarischen Rahmens über diesen hinausgehen zu wollen; so, als ob der günstigste Standort der Bekämpfung des Parlamentarismus in dem Gestrüpp des administrativen All­tagsgeschäft liegen könnte. Hier ist kein Aufbrechen des parlamentarischen Me­chanismus, sondern eine mehr und mehr stattfindende Verstrickung zu erwarten.

Dagegen ist das zentrale Ziel der schritt­weisen Schaffung einer revolutionären Klassenautonomie klar definiert; es geht um nichts anderes als um die Emanzipa­tion der proletarischen Klassen, um die Rechte und den Einfluss derjenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu veräußern haben, um existieren zu können. Eigen­initiative und Selbstorganisation als Er­gebnisse eines klassenbewussten und klassenkämpferischen Agierens bilden die Basis, um von der Autonomie des mehrfach in sich gespaltenen Proletari­ats als eigen- und selbstständiger Klasse sprechen zu können, die aus der passi­ven Rolle heraustritt und aktiv das gesell­schaftlich Neue gestaltet.

Der Kampf für die Erlangung der Klas­senautonomie ist mit einer Stellvertre­terInnenpolitik, wie sie sich in den kom­munalen, regionalen und landesweiten parlamentarischen Körperschaften aus­drückt, unvereinbar. Autonomie im Den­ken und Handeln einzufordern und gleich­zeitig diese an Institutionen abzutreten, ist eine Bankroterklärung ohnegleichen.
Der Blick der Klassenautonomie reicht nicht nur über den Tellerrand von Vertre­tungssystemen hinaus, sondern verwirft diese also grundsätzlich. Es geht um die Entwicklung eigener Handlungsansätze, die dazu auffordern, sich in Basisprozesse der proletarisch-revolutionären Autonomie (Selbsthilfeprojekte, Stadtteilinitiativen, nicht-gewerkschaftliche Arbeitslosengrup­pen etc.) einzubringen. Basisprozesse, die im Keim das Entstehen lassen, was dem Status quo zuwider läuft.

Es lässt sich leicht aus der Geschichte der revolutionären Linken ableiten, dass immer dann revolutionäre Aufbrüche Re­alität geworden sind, wenn die Geschicke in die eigenen Hände genommen wur­den, wenn sich Strukturen einer Räte-Bewegung bildeten, die für den Aufbau einer neuen Gesellschaftsform jenseits von Unterdrückung und Ausbeutung stan­den. Anknüpfungslinien gibt es demnach genug, sie sind oft verschüttet, aber den­noch, wenn sie freigelegt sind, vorhanden.

Die Revolutionäre Linke (RL) aufbauen

Wenn wir davon reden, die Fraktionen der nicht-parlamentarischen Linken zu stär­ken, dann zielen wir darauf ab, die Kräfte zu unterstützen, die zunächst einmal eine „revolutionäre Realpolitik“ an den Tag le­gen und mit den Illusionen gegenüber dem Parlamentarismus radikal brechen. Diese Position ist eine der Grundbedin­gungen, um einen Gesellschaftsentwurf auch nur denken zu können, der sich au­ßerhalb der festgefügten Bahnen bewegt.

Die organisatorische Initiative, die wir als GenossInnen in verschiedenen Bereichen innerhalb der revolutionären Linken in der BRD eingeleitet haben, nimmt Schritt für Schritt Gestalt an, so dass wir dazu übergehen können, die ersten öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten zu unterneh­men. Dabei ist die Wiederbelebung des klandestin hergestellten und vertriebenen Blattes „radikal – publikation der revoluti­onären linken“, das Anfang Juli 2009 er­scheinen konnte, unser allererster (ver-)öffentlichter Ausdruck gewesen - diesem werden weitere folgen.

Wir verstehen unser Projekt der (RL) so­wohl als integralen Bestandteil der Strö­mungen der revolutionären Linken in der BRD, als auch als einen eigenständigen Strukturaufbau, als eine spezifische Platt­form, in der revolutionäre GenossInnen aus dem kommunistischen und libertären Spektrum zusammenkommen. Wir setzen darauf, dass sich die aufzubauende (RL) über den Grundstock hinaus perspekti­visch zugleich als Projekt und Strömungs­ausdruck zu entwickeln und festigen versteht. Um ein Höchstmaß an organi­satorischem Selbstschutz gewährleisten zu können, werden wir von Beginn an un­sere (RL)-Struktur informell und klandes­tin abzusichern wissen. Damit soll keine „Exklusivität“ gefördert, sondern unseren Strukturen der logisch einsetzenden Kri­minalisierung ein Schutzraum geben wer­den.

Ein Projekt wie die (RL)wird sich demnach erst einen Platz innerhalb der antagonis­tischen Strömungslinken, in der Linken allgemein und in unserer Klasse schaffen müssen. Sie wird sich positionieren und die Gretchenfrage beantworten müssen, was es heißt, im Gegensatz zu Fraktionen des angeblich auf die Anerkennung poli­tischer Realitäten setzenden ‚Zentrismus‘ und der ‚Reformlinken‘ im alten oder neu­en Gewand als revolutionäre Linke Poli­tik zu machen und Einfluss gewinnen zu wollen.
Wir sind fern davon zu glauben, dass sich eine revolutionäre Linke einfach pro for­ma ausrufen lässt und dann auf der Bild­fläche erschienen ist. Erst die organisier­ten Kerne der proletarisch-revolutionären Klassenautonomie, die sich in der (RL) zusammengefunden haben bzw. zusam­menfinden werden, geben das notwendi­ge Fundament, um durch den „Anschau­ungsunterricht“ des praktischen Handelns an politischer Bedeutung gewinnen zu können. Eines ist aber auch sicher: Wir befinden uns so lange in der politischen Defensive, so lange der bürgerliche Klas­senstaat mit seinen parlamentarischen In­stitutionen eine breite Legitimation (auch Gleichgültigkeit ist eine Form der Legiti­mation) innerhalb der „Volksmassen“ ver­melden kann. Diese Legitimationsgrund­lage kräftig anzutasten, ist eines unserer Ziele...

Ein Appell zur Sabotage des Wahlbetriebes

Eine Beteiligung an der Wählerei ist eine Konzession an die kapitalistischen Staats­einrichtungen – eine Feststellung, die sich auswirken muss, falls sie nicht als Sprechblase enden will. Wir als revoluti­onäre Linke wollen dagegen im Rahmen der Möglichkeiten die parlamentarischen Illusionen zum Platzen und das admi­nistrative Räderwerk ins Stocken brin­gen. Deshalb animieren wir zum aktiven Wahlboykott, zu kreativen Initiativen, die das Wahlspektakel unterlaufen (Pädago­gischer Fingerzeig: Achtet darauf, dass ihr euch gut auf die einzelnen Aktionen vorbereitet und nicht Hals über Kopf los zieht, ja!):

  • Füllt die Altpapiercontainer der Umge­bung mit den diversen „Informationen“ der Wahlparteien, die im eigenen Briefkas­ten landen oder euch beim Spaziergang durch die Altstadt von den parteilichen Drückerkolonnen aufgeschwatzt werden.
  • Verteilt auf Wahlkampfkundgebungen Anti-Wahl-Flugblätter und unterbrecht den selbstgefälligen Redefluss der Bundes­tagskandidatInnen.
  • Schreibt gefakte Wahlkampfzettel, in denen ihr den Stimmkasten-Zirkus denun­ziert und verteilt diese an für euch erreich­bare Haushalte.
  • Fertigt Stencils an, um Wandbilder anzu­bringen und Wahlplakate einen anderen Ausdruck zu geben.
  • Malt Transparente und hängt sie an öf­fentlichkeitswirksamen Stellen in eurer Stadt/in eurem Ort auf.
  • Sucht Parteibüros auf, verklebt deren Schlösser und hinterlasst Anti-Wahl-Pa­rolen und/oder markiert diese gegebenen­falls mit Farbbeuteln.
  • Organisiert am Wahlwochenende Kund­gebungen oder Demonstrationen, in de­nen klar zur Sprache kommt, dass die tatsächliche Alternative zum Wahlboykott nicht Passivität und Lethargie ist, sondern der organisierte Klassenkampf von unten.

Zuguterletzt. Merkt euch den folgenden Satz vom libertären Kommunisten Erich Mühsam, der bereits vor fast hundert Jahren schrieb: „Wer aber denen glaubt, die vorgeben, durch Ansammlung von möglichst vielen Stimmen, mögen sie ge­hören, wem sie wollen, die Fähigkeit zu erlangen, in parlamentarischer Diskussi­on sozialistische Ansprüche zu ertrotzen, dem sei erklärt: Solche Behauptung ist blanker Schwindel.“ (1912)

Revolutionäre Linke (RL)
September 2009

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 01.09.2009 bei Indymedia. Wir spiegeln ausschließlich zu Dokumentationszwecken.