Gescheiterte Revolution
Zeitschrift Telegraph Nr. 118/119

besprochen von Peter Nowak

09/09

trend
onlinezeitung

In den nächsten Wochen und Monaten wird viel  über das Ende der DDR geredet werden. Einige  ehemalige Bürgerrechtler werden das heutige Deutschland als  Endpunkt der „Friedlichen Revolution“ in der DDR feiern. Die Autoren und Herausgeber der ostdeutschen Zeitschrift “telegraph“ feiern nicht mit. Mit ihrem gerade erschienenen Doppelheft „Gescheiterte Revolutionen“ halten sie die Erinnerung an eine DDR-Opposition wach, die die Wiedervereinigung nicht zum Ziel hatte. Gleich im Vorwort reden die Herausgeber Klartext: 

„Mit dem 20.Jahrestag der gescheiterten Herbstrevolution von 1989 und dem das Jubiläum begleiteten Propagandafeldzug ist die offizielle Geschichtsschreibung offensichtlich am Ziel.“

Der Aktivist der DDR-Umweltbewegung Andreas Schreier spricht von einer halben Revolution in der DDR, der eine ganze Konterrevolution folgte.  Mit Verweis auf den DDR­-Oppositionellen Bernd Gehrke sieht Schreier in der überstürzten Maueröffnung einen wesentlichen Grund für diese Entwicklung. Diese Position teilten im November 1989 viele DDR-Oppositionelle, vergaßen sie aber bald, als sie sich zu  deutschen Bürgerrechtlern mauserten.  Diese Entwicklung machten die telegraph-Autoren nicht mit. 

 

Die 19 Aufsätze des aktuellen Heftes widmen sich neben der DDR-Geschichte  weiteren gesellschaftlich relevanten Themen. Der Historiker Thomas Klein von der Initiative Vereinigte Linke untersucht die Rolle von Linkssozialisten und antistalinistischen Kommunisten bei der Entstehung der  Außerparlamentarischen Bewegung der 60er Jahre. Dabei erinnert er an weitgehend vergessene Theoretiker wie den Marburger Politologen Wolfgang Abendroth, den Linksgewerkschafter Viktor Agartz und den Soziologen Leo Kofler,    deren Texten eine  linke Bewegung heute zu Kenntnis nehmen sollte.  Allerdings geht Klein auf einen Aspekt zu wenig ein. Die meisten der zitierten Linkssozialisten wie Agartz und Abendroth waren durchaus zu Bündnissen mit Kommunisten bereit, die positiv zu den nominalsozialistischen Staaten standen. Abendroth rief in den 70er und 80er Jahren mehrmals zur Wahl der DKP auf. Diese undogmatische Bündnispolitik hätten sich  vielleicht auch manche DDR-Linken zum Vorbild nehmen sollen, die noch die Stasi bekämpften, als der BND schon längst Einzug in die ehemalige DDR gehalten hat.

 

Von der Arbeiterselbstverwaltung zum Selbsthass

 

Der Historiker Karol Modzelewski erinnerte an die den Versuch der polnischen Opposition 1968 eine  Arbeiterselbstverwaltung zu etablieren. Davon ist wenig geblieben, wie Tadeusz Kowalik in seinem Aufsatz „Polens dorniger Weg in den Kapitalismus“ zeigte. Kamil Majchrzak untersucht die „Kolonisierung Osteuropas“ und legt dabei auch den Schwerpunkt auf die polnische Entwicklung.  „In Polen tragen unzählige Arbeiter einen alltäglichen Selbsthass in sich, der seit 1989 stetig zunimmt“¸so sein ernüchterndes Fazit.   Majchrzaks Aufsatz, der die Entwicklung nach 1989  in Osteuropa  durch die Brille der Thesen von Frantz Fanon betrachtet, verdient eine genaue auch kontroverse Diskussion. Besonders die Frage, wie weit in Osteuropa Teile der Eliten aber auch der Bevölkerung selbst aktive Träger des kapitalistischen Projekts waren, müsste genauer heraus gearbeitet werden.    

 

„Die Unterwerfung des widerständischen Ostblocks anno 1989 nahm die Gestalt eines Prozesses an, den der britische Historiker Eric Hobsbawm als „Erfundene Tradition“ bezeichnete. Die sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit, die Tradition einer antikapitalistischen Erfahrung sollen schockartig aus dem Bewusstsein der Menschen getilgt werden“, schreibt  Majchrzak in Bezug auf die Thesen von Naomi Klein.

 

Gefährliche Klassen

 

Weitere  Texte im telegraph widmen sich internationalen Themen. So erinnert der Venezuela-Experte Malte Daniljuk daran, dass die sozialen Bewegungen in Venezuela mit der Verfassung von 1999 „in einzigartiger Weise politisch privilegiert“ sind. Die Journalistin Heike Schrader berichtet über die  griechische Jugendrevolte vom Dezember 2008. Mit Jean-Marc Rouillan kommt ein Mitbegründer der französischen Stadtguerilla Action Directe (AD) zu Wort, die sich an der RAF orientierte.     

 

Sehr interessant ist die Vorstellung der Thesen des französischen Historikers Mathieu Rigouste über den Feind im Innern, der von den ideologischen Staatsapparaten als Fortsetzung des Diskurses über die gefährlichen Klassen vor allem in den BewohnerInnen der Banlineus  gesehen wird.  Rigoustes Buch  „Der Feind im Innern“ gibt es bisher nur auf Französisch und sollte bald ins Deutsche übersetzt werden.  

 

Die Vielzahl der Positionen, die im telegraph zu Wort kommen, macht die Ausgabe zum Vorbild einer linken Debattenkultur, wie sie heute leider nur noch selten zu finden ist. 

Wenn Linke zu den Jahrestagen des Mauerfalls nach Linken sucht, die nicht mitfeiern und das auch begründen können, in den AutorInnen des telegraph finden sie DiskussionspartnerInnen. 

 

telegraph 11(/119
kann bestellt werden über www.telegraph.ostbuero.de

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