Lucy Redler
Das Feigenblatt der Linkspartei

Von Ulrich Rippert

09/08

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Am 11. September hat die SAV (Sozialistische Alternative) den Eintritt von Lucy Redler und ihren Anhängern in die Linkspartei verkündet. Vor zwei Jahren hatte Redler als Spitzenkandidatin der Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin noch gegen die Linkspartei, beziehungsweise deren Vorläuferin PDS kandidiert und zum Widerstand gegen den rot-roten Senat aufgerufen.

Seitdem ist die Linkspartei/PDS deutlich weiter nach rechts gerückt. Bei den Berliner Wahlen 2006 wurde ihre unsoziale Politik von den Wählern abgestraft. Die Linkspartei verlor 9,2 Prozent der Stimmen, im Ostteil der Stadt schrumpfte ihre Wahlunterstützung sogar um 20 Prozent. Dessen ungeachtet setzte die Partei von Gysi und Lafontaine ihrer Angriffe auf die Bevölkerung der Bundeshauptstadt fort. In diesem Frühjahr zwang der "rot-rote Senat" den Berliner Landesbeschäftigten ein Tarifdiktat auf, um weitere Reallohnsenkung durchzusetzen.

Auch in anderen Bundesländern bietet sich die Linkspartei immer offener als Steigbügelhalter der SPD an. In Hessen hat sie Tolerierungsverhandlungen mit der Ypsilanti-SPD ohne Vorbedingungen begonnen. Nicht die Linkspartei stellt in Wiesbaden die Bedingungen für die Tolerierung, sondern die SPD verlangt und bekommt von den Linken ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zum kapitalistischen Profitsystem.

Unter diesen Bedingungen sind Redler und ihre Anhänger in die Linkspartei eingetreten. Der Grund für diesen Schwenk ist sehr einfach: Die Linkspartei braucht ein Feigenblatt.

Es ist kein Zufall, dass die SAV ihre Entscheidung wenige Tage nach dem Rechtsputsch an der Spitze der SPD bekannt gab. Mit der Rückkehr von Franz Müntefering an die SPD-Spitze und der Ernennung von Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten haben die Verfechter der Agenda-Politik das politische Ruder wieder fest in die Hand genommen. Auch Alt-Kanzler Schröder selbst ist wieder mit von der Partie. Er hat den Führungswechsel mit überschwänglichen Worten begrüßt und seine aktive Unterstützung im Wahlkampf angekündigt.

Die SPD reagiert mit diesem Rechtsruck auf den wachsenden Widerstand gegen die Auswirkungen von Sozialabbau, Massenentlassungen, Lohnsenkung und massiver Einführung von Niedriglöhnen. Gleichzeitig bietet sie sich den Wirtschaftverbänden als Partei an, welche die Agenda-Politik weiter verschärft.

In den Augen der herrschenden Elite hat sich die CDU/CSU im Bündnis mit der SPD als unfähig erwiesen, die Interessen der Wirtschaft konsequent zu vertreten und den Sozialabbau fortzusetzen. Die bayerische CSU hat stattdessen sogar die Wiedereinführung der Pendlerpauschale in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt. Unter diesen Bedingungen wird in Vorstandsetagen und Parteizentralen über die Option einer Linksregierung nachgedacht. Immerhin hat der rot-rote Senat in Berlin viele Sozialkürzungen konsequenter durchgesetzt als die meisten konservativen Landesregierungen.

Die Linkspartei signalisiert Zustimmung. Sie ist nicht nur in Hessen, dem Saarland und anderen Bundesländern bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, sondern - wenn nötig - auch im Bund. Der Charakter einer solchen Regierung ist keine offene Frage. Ihre Aufgabe bestünde darin, in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Widerstand aus der Bevölkerung zu unterdrücken und die Schraube des Sozialabbaus kräftig weiter anzuziehen.

Doch die Linkspartei hat ein Problem. Der Widerspruch zwischen ihren Worten und Taten wird mit jeder Regierungsbeteiligung offensichtlicher. Schon jetzt steht der langen Wunschliste über soziale Verbesserungen auf den Wahlprogrammen der Linken eine Regierungspolitik gegenüber, die in jedem Punkt in diametralem Gegensatz zu ihren Wahlversprechen steht.

An dieser Stelle beginnt die neue Aufgabe von Lucy Redler. Die SAV wird gebraucht, um den wahren Charakter der Linkspartei zu verschleiern und ihre kapitalistische Politik schön zu färben. Sie erfüllt damit eine wichtige Funktion in der Vorbereitung einer Regierung, die linke Töne spuckt, aber knallhart die Interessen der Wirtschaft vertritt.

Politisches Täuschungsmanöver

Schon Redlers Presseerklärung ist eine Lobhudelei für die Linkspartei. Sie begründet ihren Parteieintritt mit den Worten: "DIE LINKE im Bund weckt bei Millionen Menschen Hoffnungen auf eine Politik jenseits des Sozialkahlschlags von SPD bis CDU." Anstatt diese Hoffnungen als Illusionen zu bezeichnen und die wahre Rolle der Linkspartei aufzudecken, schürt Redler die Illusionen.

Sie behauptet, die Linkspartei sei "die einzige Partei, die Hartz IV und die Rente mit 67 ablehnt und die Truppen aus Afghanistan abziehen will". Dass die Linkspartei überall dort, wo sie aktiv politische Macht ausübt, das genaue Gegenteil tut, verschweigt Redler. Sie tut so, als sei die Berliner Landesregierung ein Sonderfall, aus dem sich keine Rückschlüsse auf die Bundespolitik ziehen lassen.

Vor zwei Jahren hatte Lucy Redler die eigenständige Kandidatur der Berliner WASG gegen die Linkspartei noch damit begründet, dass "die Linkspartei.PDS in der Regierungsbeteiligung mit der SPD 100.000 Wohnungen privatisiert hat, mehr als 30.000 Hartz-IV-EmpfängerInnen in Ein-Euro-Jobs zwängt und mit dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Einkommen um acht bis zwölf Prozent gekürzt hat. Die Berlin-Frage ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der neuen Linken. Wenn die WASG auf den Listen der Linkspartei.PDS kandidieren würde, hieße das eine Abkehr von den Gründungsprinzipien Nein zu Sozialabbau, Privatisierungen und Stellenstreichungen; sie müsste im Wahlkampf eine Regierung vertreten, die eine durch und durch unsoziale Politik betreibt."

Nun tritt Redler in die Partei ein, "die eine durch und durch unsoziale Politik betreibt", und beschönigt diese Politik.

Auch die Behauptung, die Linkspartei sei die einzige Partei, die die Truppen aus Afghanistan abziehen wolle und einen konsequent antimilitaristischen Kurs vertrete, ist eine Lüge. Die Linkspartei stimmt in der Kriegsfrage nur so lange mit Nein, wie es auf ihre Stimmen im Parlament nicht ankommt. Oder sie nutzt ihre Haltung als Verhandlungsmasse bei Koalitions- oder Tolerierungsgesprächen.

Auf keinen Fall will sie eine breite Mobilisierung, die den Widerstand gegen imperialistischen Krieg mit dem Kampf gegen Sozialabbau und Armut - das heißt gegen das kapitalistische System - verbindet. Das haben die Antikriegsdemonstrationen vom vergangenen Wochenende in Berlin und Stuttgart gezeigt. Die Linkspartei hat weder ihren Apparat eingesetzt, um die Aktionen bekannt zu machen, noch ihre Mitglieder mobilisiert oder Redner zu den Auftakt- und Abschlussveranstaltungen geschickt.

Die rein verbale, ablehnende Haltung der Linkspartei zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan deckt sich mit einem Stimmungsumschwung im Außenministerium, das gegenüber den USA verstärkt auf Distanz geht. Bereits die Haltung der amerikanischen Regierung in der Georgienkrise, die Stationierung des Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien sowie die Militäroffensive in Süd-Afghanistan und Pakistan haben im Verteidigungs- und Außenministerium Kritik hervorgerufen.

Der Antimilitarismus der Linkspartei richtet sich vor allem gegen die USA. Sobald es um deutsche imperialistische Interessen geht, unterscheidet sich die Linkspartei nicht von den Grünen und verklärt die Bundeswehreinsätze als humanitäre Aktionen zur Schaffung, Aufrechterhaltung oder, falls nötig, Erzwingung von Frieden. Bei der jüngsten Abstimmung zum Bundeswehr-Einsatz im Kongo stimmten zum Beispiel bereits mehrere Abgeordnete der Linkspartei nicht gegen den Einsatz.

Eine Bundesregierung unter Beteiligung der Linkspartei spielt in den Kalkulationen der Herrschenden also nicht nur eine wichtige Rolle, um den Widerstand der Bevölkerung zu kanalisieren und zu überwinden, sondern auch, um eine Umorientierung in der Außenpolitik einzuleiten. Immerhin stammen die meisten Mitglieder und Funktionäre der Linkspartei aus der früheren PDS/SED, die im Kalten Krieg auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs stand.

Kultur des Opportunismus

Redler betont, sie wolle innerhalb der Linkspartei eine "marxistische Opposition" aufbauen und diejenigen Kräfte stärken, "die für einen kämpferischen Kurs und ein sozialistisches Programm eintreten".

Man fragt sich, für wie einfältig und naiv sie ihre Leser hält. Vor zwei Jahren hatte sie die unsoziale Politik der Linkspartei angeprangert, eine Wahlkampagne dagegen organisiert, Protestbriefe geschrieben, Unterschriften gesammelt und Gewerkschafter zum Widerstand aufgerufen. Nachdem all das nichts genutzt hat und der Versuch, die Linkspartei nach links zu drücken, kläglich gescheitert ist, erklärt Redler, sie werde sich für einen "kämpferischen Kurs und ein sozialistisches Programm" innerhalb der Partei einsetzen.

Schon vor zwei Jahren war die Politik der SAV opportunistisch und zynisch. Im Bund unterstützte sie die Linkspartei und beteiligte sich an ihrer Gründung; in Berlin kandidierte sie gegen die Linke, weil sie fürchtete, die unsoziale Politik der örtlichen Linkspartei könnte das bundesweite Projekt gefährden. Nun ruft sie ihre damaligen Wähler auf, in die Partei einzutreten, die sie damals bekämpft hat.

Redler und die SAV sind unfähig, der Realität ins Auge zu blicken und die Linkspartei als das zu sehen, was sie ist: Ein bürokratisches Konstrukt, zusammengesetzt aus den Resten der stalinistischen Bürokratie, Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und der SPD, um eine Radikalisierung der Arbeiter und eine politische Entwicklung in sozialistischer Richtung zu verhindern.

Zwar findet man auf den Seiten der SAV auch Kritik an der Linkspartei und ihren Angriffen auf Lebens- und Arbeitbedingungen. Doch anstatt davor zu warnen, die Wahrheit auszusprechen und für den Aufbau einer revolutionären Alternative einzutreten, schüren Redler und die SAV immer neue Illusionen in diese rechten Kräfte. So behaupten sie, die Linkspartei werde als "einzige erstzunehmende linke Kraft auf der parteipolitischen Ebene" angesehen und "AktivistInnen aus Bewegungen und Kämpfen" würden sich ihr zuwenden.

Als theoretischer Unterbau für diese opportunistische Praxis dient folgende Argumentation: Marxisten hätten heute die doppelte Aufgabe, sowohl eine marxistische Organisation aufzubauen, "als auch einen Beitrag zum Wiederaufbau der Arbeiterbewegung im breiteren Sinn zu leisten", wie es in einem Strategiepapier der SAV heißt.

Unter der "Arbeiterbewegung im breiteren Sinn" versteht die SAV die Gewerkschaften - diese reaktionären, korrupten, auf Klassenzusammenarbeit verpflichteten bürokratischen Apparate. Es kommt ihr überhaupt nicht in den Sinn, dass sich die Arbeiterbewegung nur durch den Aufbau einer unabhängigen marxistischen Partei vorwärts entwickeln kann. Gerade in Deutschland ist auf diese Weise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der mächtigsten Arbeiterbewegungen der Welt entstanden - durch den Aufbau der SPD, die damals noch ein marxistisches Programm vertrat.

Die wichtigste Voraussetzung für den Wiederaufbau einer revolutionären Arbeiterbewegung ist der bewusste Bruch mit den alten reformistischen Organisationen und den theoretischen Konzeptionen des Sozialreformismus. Einem solchen Bruch steht die SAV allerdings organisch feindlich gegenüber. Sie versucht verzweifelt, die Arbeiterklasse auch weiterhin den alten Bürokratien unterzuordnen, von denen sie sich nach jahrelangen Enttäuschungen endlich abwendet.

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir von
http://www.wsws.org/de/2008/sep2008/sav-s23.shtml