Ein krankes Gesundheitssystem zeigt die Krankheit der Gesellschaft !
Warum das Gesundheitswesen für den Staat und die Kapitalistenklasse ein mehrwertschluckender Faktor ist

von Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus (GWS)

09/08

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Krankes Gesundheitssystem: Wohl niemand käme auf die Idee zu sagen, dass im Gesundheitssystem alles optimal läuft. Der ökonomische Druck auf Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Reha’s usw. hat sich in den letzten Jahren verschärft. Dieser Druck wird auf die Beschäftigten und die Patienten und Klienten weitergeleitet. Es kommt zur knappen Personalsituation und Überstunden. Dadurch ist keine optimale Pflege, Genesung und Betreuung mehr möglich und die Beschäftigten leiden an den Auswirkungen der Überarbeitung und knappen Personaldecke. Schlafstörungen, Rückenprobleme, psychische Erkrankungen und Burn-out -Syndrom sind längst Massenerscheinungen bei den Beschäftigten geworden. Den Patienten wird nicht die optimale Pflege ermöglicht, wenn sie sich keine Privatversicherung bzw. Zuzahlungen für Sonderleistungen die nicht mehr übernommen werden, leisten können. Patienten werden eher aus Krankenhäusern entlassen als dies vom Gesichtspunkt der Genesung zu empfehlen wäre. Sie müssen immer öfter individuell für die Umsetzung ihrer Anträge bei den Krankenkassen kämpfen und sind oft der Willkür der Entscheidungsträger ausgesetzt. Auch gerade in ländlichen Regionen verschlechtert sich die Gesundheitsversorgung überproportional. Krankenhäuser müssen dicht machen. Landärzte die in den Ruhestand gehen finden keine Nachfolge mehr. Aber auch in den Großstädten ist es so, dass die Wartezeiten bei Ärzten (insbesondere bei Spezialärzten) z.T. erheblich hoch sind. Immer öfter werden Bereiche wie Fahrdienste, Reinigungsarbeiten, Küchen etc. von den Krankenhäusern ausgegliedert, Die Firmen die dann diese Aufgabe übernehmen, bezahlen ihre Angestellten schlechter. Es geht hierbei also darum Lohnkosten einzusparen.

Es wäre viel mehr möglich: In den letzten Jahren gab es erneut einige Fortschritte im Gesundheitsbereich. Neue technische Geräte wurden geschaffen, das Wissen über den Menschlichen Körper und seine optimale Pflege steigt weiter. Allerdings kommt dieser Fortschritt nur zu Teilen bzw. nur bei einem Teil der Bevölkerung an. Nehmen wir als Beispiel nur die schmerzfreie Zahnversorgung durch Laser etc. Nur wenige Zahnärzte haben diese technische Möglichkeit, die mit hohen Investitionen verbunden ist. Eine solche Behandlung kann sich nur leisten, wer die Möglichkeit hat Zuzahlungen zu übernehmen bzw. privat versichert ist. Bei allen Anderen wird mit herkömmlichen Verfahrensweisen, die technisch also schon überholt sind, weiterbehandelt. Die Fortschritte, auch die, die bisher nur sehr geringen Teilen zu Gute kommen, zeigen uns was eigentlich möglich wäre.

Die Verbindung zwischen Staat und Wirtschaft: Um zu verstehen warum das kapitalistische System krank ist und deshalb keine optimale Versorgung für uns garantieren wird, müssen wir auch auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft eingehen. Der Staat und die Wirtschaft sind Elemente des kapitalistischen Systems, die nicht trennbar sind. Ihre Verwachsenheit wird ständig aufs Neue bewiesen. Politiker, die für den Staat arbeiten, sitzen in Aufsichtsräten von Konzernen und Banken. Sie bekommen dort hohe Löhne, die sie motivieren auch in der Politik die Entscheidungen an die wirtschaftlichen Interessen der Kapitalisten zu orientieren. Auf Reisen der Politiker werden Vertreter der Wirtschaft mitgenommen und als Berater angestellt.

Der Staat gehört zum Überbau der Gesellschaft. Dieser Überbau wird aber durch die ökonomische Basis bestimmt, also durch die Produktionsverhältnisse, der Frage wem die Produktionsmittel gehören, der Frage wer über das Mehrprodukt entscheidet und der Frage ob es Klassen gibt. Der Staat hat aber eine relative Selbstständigkeit, also einen gewissen Handlungsspielraum.

Dieses Basis-Überbau-Modell geht davon aus, dass die ökonomische Basis das Primäre ist, das den Überbau bestimmt. Das Modell lehnt sich also an materialistisch definierte Wahrheiten wie über die Beziehung von Inhalt und Form an. Ändert sich die ökonomische Basis (Inhalt), so ändert sich (mit einer gewissen Verzögerung) auch zwangsläufig die Form, also der Überbau. Dieses Verständnis ist wichtig um nicht an Erscheinungen herumzuexperimentieren, aber das Wesen nicht zu erkennen. So wäre es falsch zu glauben, dass eine wesentliche Veränderung im Gesundheitswesen erreicht werden könnte, ohne eine Veränderung der ökonomischen Basis und der dann nötigen Änderung im Überbau dem voran zu stellen.

Es handelt sich also um zwei miteinander unlöslich verbundene Bereiche der Gesellschaft bzw. eines Gesellschaftssystems.

Die menschliche Arbeit kann Mehrwert schaffen, ein Teil des Mehrwerts geht an den Staat: Die Arbeiterklasse als lohnabhängige Klasse, ist gezwungen ihre Arbeit zu verkaufen. Durch die menschliche Arbeit werden Werte geschaffen. Die Kapitalistenklasse bezahlt aber nur einen Teil dieses Wertes als Lohn an die Arbeiter (dieser Teil ist in der Regel ungefähr so hoch wie es für die Reproduktion nötig ist. D.h. also die Kosten, die nötig sind, damit wir wieder optimal arbeiten können, Kosten für Essen, Kosten für Wohnung, Gesundheit, Ausbildung usw.). Somit existiert ein Teil der Arbeit, der nicht bezahlt wird. Dies ist der Mehrwert. Die Mehrwertproduktion steht also auf der Grundlage des Privateigentums, der Lohnarbeit, der Ausbeutung der Arbeiterklasse, und daraus, dass so nur ein Teil des geschaffen Wertes bezahlt wird. Sie steht auf der Grundlage der Kapitalproduktion und der der Grundlage des Wertgesetzes. Der Mehrwert ist eine ökonomische Grundkategorie der polit-ökonomischen Gesellschaftsformation Kapitalismus/ Imperialismus. Die Produktion von Mehrwert zur Erzielung von Profiten ist der Zweck der kapitalistischen Produktion. Zur Finanzierung des Überbaus, und damit auch des Staates, geht ein Teil des Mehrwerts an ihn.

Nicht jede Arbeit schafft Mehrwert: Es ist wichtig zwischen produktiver Arbeit und unproduktiver Arbeit zu unterscheiden.

Produktive Arbeit schafft Gebrauchswerte bzw. leistet materielle Dienste, die nützliche Arbeit darstellen. Die produktive Arbeit ist im Kapitalismus die Schöpferin des Reichtums. Durch das Zusammenwirken von menschlicher Arbeit und Natur entsteht ein Produkt das entweder direkt ein Konsumtionsmittel darstellt oder aber indirekt als Produktionsmittel Bedürfnisse von Menschen befriedigt. Zur produktiven Arbeit zählt jede körperliche und geistige Arbeit in einem Arbeitsprozess, die in der materiellen Produktion einzeln oder als Glied eines arbeitsteiligen Produktionsorganismus Arbeit verrichtet. Die produktive Arbeit als Schöpferin des Reichtums schafft somit das ursprüngliche Einkommen der Gesellschaft, das aber im Kapitalismus, durch den Privatbesitz der Produktionsmittel, dem Kapitalisten gehört. Die produktive Arbeit, die sich stets mit der Entwicklung ändert, ist somit auch abhängig von den Verhältnissen. Im Kapitalismus gehört das Produkt der produktiven Arbeit dem Kapitalisten.

Aber nicht jede zweckmäßige Tätigkeit ist produktive Arbeit. So zählt im Kapitalismus auch nur die Arbeit als produktiv, die ein Mehrprodukt und einen sich daraus ergebenen Mehrwert erzeugt.

Die unproduktive Arbeit ist die Arbeit, außerhalb und innerhalb der materiellen Produktion, die sich nicht in der materiellen Produktion vergegenständlicht. Zur unproduktiven Arbeit zählen so Tätigkeiten für den Überbau (Staat, Kultur, Gesundheitsdienstleistungen usw.). Zur Finanzierung der unproduktiven Arbeit ist somit auch ein Mehrprodukt (als Resultat der produktiven Arbeit) erforderlich. Dies zeigt schon die Abhängigkeit von den Produktionsverhältnissen, die auch darüber bestimmen welche mögliche Arbeit für den Überbau bezahlt wird oder nicht. Produktive und unproduktive Arbeit bilden eine Einheit, sie bilden zusammen die lebendige Arbeit der Gesellschaft. Dennoch bleibt die unproduktive Arbeit in Abhängigkeit von der produktiven Arbeit, da sie selbst eben kein Mehrprodukt und im Kapitalismus keinen Mehrwert schafft. Dieser Abhängigkeit müssen wir uns auch in jedem Kampf um Verbesserungen der Gesundheitsleistungen bewusst sein.

Das System zeigt seine Grenzen: Die oben genannten Beispiele zeigen schon, dass das System seine Grenzen zeigt. Denn das Gesundheitssystem ist nur ein Teil des Gesellschaftssystems. Das kapitalistische Gesellschaftssystem ist nicht in der Lage uns die optimale Gesundheitsversorgung zu garantieren. Dies liegt u.a. daran, dass das System nach dem Profitprinzip funktioniert. Die Profitinteressen widersprechen aber unserer optimalen Versorgung. So hat ein kapitalistischer Pharmakonzern das Ziel, möglichst hohe Profite zu machen. Dieses Ziel kann er aber nicht erreichen, wenn er uns schnell gesund macht und nur die Medikamente verkauft die uns tatsächlich helfen. Bewusst werden beispielsweise abhängig machende Medikamente auch in unnötigen Situationen verschrieben und verkauft. Auch Apotheken und Versicherungen profitieren vom Geschäft mit der „Gesundheit". So gab es wohl noch nie soviel verkaufte Medikamente oder z.B. noch nie so viele Menschen die Zahnzusatzversicherungen neu abgeschossen haben, wie in den letzten Jahren.

Der Staat hat ein widersprüchliches Verhältnis zur Gesundheit. Auf der einen Seite hat er auch die Aufgabe der Arbeiterklasse (dazu gehören auch große Teile der Angestellten) zumindest eine Grundversorgung zu beschaffen, damit diese wieder optimal in der kapitalistischen Akkumulation verwertet werden können, damit sie große Profitmassen schaffen (ein Arbeiter der erschöpft und krank ist, kann nicht so produktiv arbeiten) und er ist auch daran interessiert uns sozial zu bestechen, damit wir uns mit den gesellschaftlichen Bedingungen, mit dem kapitalistischen System abfinden. Andererseits hat er auch das Interesse, die Kosten für die sozialen Dienstleistungen möglichst gering zu halten. Schließlich ist es der Staat der herrschenden, also der kapitalistischen, Klasse. Da die Arbeit im Gesundheitswesen keinen Mehrwert schafft, ist dies für die herrschende Klasse immer ein mehrwertschluckender Bereich. Da die Kapitalistenklasse aber möglichst große Teile des Mehrwerts für sich behalten will, neigt sie dazu in solchen Bereichen einzusparen. Der Staat hat aber durch seine relative Selbstständigkeit von der Wirtschaft einen gewissen Handlungsraum. Durch ökonomische- bzw. durch Klassenkämpfe ist die Arbeiterklasse in der Lage eine bessere Gesundheitsversorgung durchzusetzen, dies aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Bei Niederlagen in solchen ökonomischen Kämpfen, können aber auch schnell Standards gesenkt werden. Der Kapitalismus, und damit auch sein Staat, sind ein Hemmschuh für die mögliche Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung der Massen geworden.

Wenn dieses System also zwangsläufig auch zu einem kranken Gesundheitssystem führt, das nicht die optimalen Möglichkeiten ausschöpft, so zeigt dies, dass dieses System seine Grenzen hat. So zeigt dies dass wir innerhalb des Kapitalismus bestenfalls für leichte Verbesserungen unseres Gesundheitssystems kämpfen können. Die optimale Nutzung des Fortschritts ist aber innerhalb des Kapitalismus nicht möglich. Deshalb müssen wir für ein System kämpfen das den möglichen Fortschritt realisiert. Nun werden viele einwenden: „Ja, aber der Sozialismus hat doch auch nicht geklappt". In unserer Gruppe wird derzeit die Frage diskutiert ob alles was sich sozialistisch nannte – auch sozialistisch war. Gab es überhaupt schon einen wirklichen Sozialismus? Zu dieser Frage haben wir Broschüren herausgegeben und stellen sie zur Diskussion. Beteiligt Euch an dieser Diskussion, es geht um unser aller Zukunft.

Der Kampf für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ist die einzige Alternative, die uns langfristigen gesellschaftlichen Fortschritt garantieren kann.

Kämpfe für die Verbesserung der Gesundheitsleistungen sind legitim. Allerdings dürfen wir hierbei nicht stehen bleiben, da die Ursache für das kranke Gesundheitssystem im kapitalistischen Gesellschaftssystem liegt. Somit ist die Frage wie das System, dass den Kapitalismus ablöst und uns gesellschaftlichen Fortschritt garantiert, aussehen muss von immenser Wichtigkeit!

Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus (GWS)

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GWS@wisso.info

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text von der GWS der  Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus, Postfach 65 21 41, 13316 Berlin, www.wisso.info  

Dort wurde der Text erstveröffentlicht. Die GenossInnen der GWS schrieben dazu:

Liebe Genossinnen und Genossen,
am 25.September 2008 findet in Berlin die Großdemo des Aktionsbündnisses „Rettung der Krankenhäuser“ statt. Zu diesem Thema haben wir das folgende Flugblatt geschrieben.
Mit solidarischen Grüßen
Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus (GWS)

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