Betrieb & Gewerkschaft
Einzelhandel: Offene Klassenjustiz

von Markus Lehner

09/08

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Seit einigen Monaten bewegt viele GewerkschafterInnen - nicht nur in Berlin - das Schicksal der Kaiser‘s-Kassiererin Emily (Pseudonym für Barbara E.). Offensichtlich war sie wegen ihrer standhaften Beteiligung an den Streiks im Einzelhandel vom Kayser’s-Management gekündigt worden. Der fadenscheinige Kündigungsgrund (ein angeblich unterschlagener Pfandbon im Wert von 1,30 Euro) wurde nunmehr vom Arbeitsgericht in einem beispielhaft widerlichen Akt von Klassenjustiz für rechtmäßig erklärt.

Die Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel ist inzwischen zu einer der langwierigsten der Nachkriegsgeschichte geworden. Nach fast einem Jahr „Häuserkampf“ erzielte ver.di seit April mit einzelnen Konzernen Tarifabkommen. In Supermarktketten und verschiedenen Regionen wird seither um die Übernahme der bescheidenen Ergebnisse bei REWE bzw. von Baden-Württemberg gerungen.

Bei Stundenlöhnen von 6,50 bis 13 Euro war die Wut der KollegInnen dieses Mal groß. Trotz massiver Einschüchterungen und dem massenhaften Einsatz von Leihkräften zum Streikbruch haben die Streikenden hohe Moral und Einsatzbereitschaft gezeigt. Die Geschichte von Emily zeigt, mit welcher Verbitterung und Brutalität in dieser Brache inzwischen der Klassenkampf tobt und wie das Kapital seine Fratze zeigt. In einer Kaiser’s Filiale in Berlin-Hohenschönhausen beteiligten sich ursprünglich 8 KollegInnen am Streik, darunter auch die 50jährige Emily, die seit 31 Jahren in der Firma arbeitet. Nach mehreren
„Einzelgesprächen,“ unverhohlenen Drohungen und der Belohnung von  Streikbruch (z.B. Organisierung einer Party für Streikbrecher) blieb nur noch Emily in der Streikfront. Daraufhin wurde plötzlich „entdeckt,“ dass Emily einen angeblich von einem Kunden verlorenen Pfandbon im Wert von 1,30 Euro nicht richtig abgerechnet und damit eingekauft habe. Natürlich wurde eine streikbrechende Kassiererin als „Zeugin“ dieses „Schwerverbrechens“ gefunden - und natürlich auch der Filialleiter, der schon durch seine Streikbrecherparty als besonders neutral aufgefallen war! Dies sollte reichen, um Emily am 22.2.08 die fristlose Kündigung auszusprechen. Natürlich strebte Emily dagegen eine Kündigungsschutzklage an.

Nach mehreren Beweisaufnahmeterminen fand die eigentliche Verhandlung nun am 21.8. in der zweiten Kammer des Berliner Arbeitsgerichts statt. Die Kündigungsschutzklage wurde abgewiesen, d.h. der Kündigungsgrund für rechtmäßig befunden. Dabei war für den Richter unerheblich, dass das „Schwerverbrechen“ gar nicht nachgewiesen werden konnte. Ebenso
unerheblich war die Verhältnismäßigkeit der angeblichen Unterschlagung  von 1,30 Euro gegenüber der 31jährigen Arbeit in der Firma. Nach deutschem Arbeitsrecht sei es ausreichend, wenn der Arbeit“geber“ gegenüber einem „unabhängigen Dritten“ (damit ist ironischerweise ein Richter gemeint) der Tatverdacht „glaubhaft“ machen kann. Zudem sei die Geringfügigkeit der Tat unerheblich, da jegliche Unterschlagung immer  das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten untergrabe - und damit die Weiterbeschäftigung für das Unternehmen nicht zumutbar sei.

Natürlich war der Zusammenhang mit dem Streik für das Arbeitsgericht  völlig „irrelevant“, da ja kein Zusammenhang mit der Kündigung nachgewiesen werden könne!?

Offener und frecher kann natürlich nicht demonstriert werden, dass das  „Arbeitsrecht“ nichts anderes ist als Arbeit“geber“recht. Wenn dieser zur verhaltensbedingten Kündigung entschlossen ist, dann kann er nach diesem Muster immer einen Grund finden, warum ihm eine  Weiterbeschäftigung von „Querulanten“ nicht mehr zugemutet werden  könne.

In diesem Fall war natürlich die Entsolidarisierung in der betroffenen  Filiale der Schlüssel - dass eine streikbrechende Kollegin im Prozess als Zeugin für die angebliche Unterschlagung auftrat, war der Knackpunkt, um dem Richter die „ausreichende Begründung“ zu liefern. Für die Revision wird entscheidend sein, die Glaubhaftigkeit dieser
Zeugin zu erschüttern. In der Geschichte des Klassenkampfes war es immer schon so, dass Streikbrecher aufhören „Kollegen“ in irgendeinem Sinn zu sein. Es sind keine Skrupel angebracht, alles an den Tag zu zerren, was diese „Zeugin“ als das Schwein entlarvt, das sie tatsächlich ist!

Natürlich zeigen Beispiele aus anderen aktuellen Auseinandersetzungen,  dass dort, wo die KollegInnen weiterhin kampffähig sind und ein hohes Maß an Solidarität beweisen, solche Arten von Kündigungen erfolgreich abgewehrt werden können. So war jüngst bei der Berliner S-Bahn nach dem Äußern einer Kündigungsdrohung gegen einen Kollegen die Befürchtung einer ausgedehnten Erkrankungswelle bekannt geworden - schnell wurde die Drohung dann wieder vergessen.

Normalerweise verhandelt eine Gewerkschaft am Ende einer  Tarifauseinandersetzung eine Klausel, das sämtliche arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen am Streik beteiligte KollegInnen zurückgenommen werden.

Bei ver.di scheint dies im Fall Emily allerdings umgekehrt zu sein. Es sieht so aus, als ob ver.di - um die Übernahme des Tarifverhandlungsergebnisses für Kaiser’s zu erreichen - auf eine intensive Vertretung der Interessen von Emily verzichtet hätte. Außer  papiernen Solidaritätserklärungen tut sich nicht viel von Seiten einer Gewerkschaft, die über jedes kampfbereite Mitglied in diesem Bereich tausendfach froh sein müsste. Die Solidaritätsarbeit wird fast vollständig von einem unabhängigen Komitee geleistet. Angesichts der grundsätzlichen Bedeutung dieses Falles ist eine massive Kampagne  nötig, die von ver.di konsequentes Eingreifen fordert und eine  Beendigung des Arbeitskampfs bei Kaiser’s erst dann anerkennt, wenn  Emily wieder eingestellt ist!

Infos zum Fall finden sich unter:
www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/kaisers.html

oder
http://www.trend.infopartisan.net/trd0608/t460608.html

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 379
4. September 2008
 

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