Vergessene Geschichte des Antirassismus
Über Niels Seiberts Buch

von
lesender Arbeiter

09/08

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onlinezeitung

Das neue Buch von Niels Seibert behandelt die vergessene Geschichte des Antirassismus, eine Geschichte, die auch im aktuellen 68er-Rummel kaum vorkommt. Die Rezension erklärt, warum das so ist.

Eigentlich scheint über 1968 alles gesagt. Daher mag auf den ersten Blick der Titel des von Niels Seibert im Unrast-Verlag erschienenen Buch irritieren. „Vergessene Proteste“, lautet die Überschrift über die kommentierte Dokumentensammlung von Aktivitäten im Internationalismus- und Antirassismusbereich der Jahre 1964-1983. Wer das gut lesbare Buch durch gearbeitet hat, wird den Titel sehr passend finden.

Wem sagt denn die Cabora-Bassa-Kampagne heute etwas? Dabei hat die Mobilisierung gegen ein von der damaligen portugiesischen Kolonialmacht Ende der 60er Jahre geplantes Staudammprojekt in Mocambique nicht nur die linke Öffentlichkeit beschäftigt. Die Kampagne interessierte ebenso kritische Kirchenkreise und kann als Geburtsstunde der Kritischen Aktionäre bezeichnet werden. Denn die AktivistInnen hatten es verstanden, den Proteste zu den Aktionärsversammlungen großer Firmen zu bringen.

Diese Kampagne ist nur eines von 11 Beispielen von im Buch aufgeführten Protesten, die einmal die Öffentlichkeit bewegten und heute kaum noch jemand kennt.
Der Anschlag auf eine für Portugal bestimmte Fregatte im Hafen von Hamburg im Oktober 1969 hatte vor einigen Monaten Jutta Ditfurth in ihrer Ulrike-Meinhof-Biographie dem Vergessen entrissen. Die Verbindungen zu Meinhof stellt Seibert nicht her.

Die jahrelange Auseinandersetzung um eine Statue des deutschen Kolonialbeamten und –Vordenkers Herbert von Wissmann vor der Hamburger Universität ist vielleicht zumindest in der Hansestadt nicht mehr ganz so unbekannt, weil das im Keller der Sternwarte Hamburg-Bergedorf entsorgte Denkmal vor einiger Zeit im Rahmen einer kritischen Kunstaktion noch einmal aufgestellt wurde.

Dass der Kampf gegen den Vietnamkrieg ein Motor der 68er Bewegung war, ist sicher allgemein Konsens. Doch dass in diesen Rahmen sehr früh Kontakte zu in Deutschland stationierten US-Soldaten geknüpft und Netzwerke für Deserteure aufgebaut wurden, ist schon weniger bekannt.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum trotz des medialen Dauerhypes um 68 so viele Begebenheiten verborgen bleiben. Dabei wird schnell klar, . dass eine ganz bestimmte Lesart der 68er-Geschichte heute verbreitet wird. Es ist die Geschichte derer, die im Staat angekommen sind und die 68er Bewegung, bzw. sich selber dafür loben, wie sehr sie die deutsche Gesellschaft doch zivilisiert haben.

Niels Seiberts Buch dokumentiert eine andere Geschichte. An deren Beginn stand eben nicht der Schahbesuch, der bekanntlich mit dem Tod von Benno Ohnesorg endete. Das Buch begann mit dem im wesentlichen von afrikanischen Studenten getragenen Protesten gegen den Besuch des kongolesischen Präsidenten Moishe Tschombe in Bonn und Berlin.
Tschombe war von den westlichen Staaten nach der Ermordung des antikolonialen kongolesischen Präsidenten Lumumba in sein Amt eingesetzt worden, herrschte mit großem Terror aber zur Zufriedenheit der westlichen Welt. Die afrikanischen Demonstranten wurden damals nur von wenigen Studierenden um dem damals noch kaum bekannten SDS bei ihren Protesten unterstützt. Der distanzierte sich damals von der Aufschrift eines Plakates, das ein afrikanischer Student trug. „BRD – Feind Kongos ,DDR- Freund Kongos“, das ging in jenen Jahren nun wirklich nicht.

Seibert liefert nicht nur zu allen dokumentierten Protesten eine kurze Einführung. Er spart auch interne Konflikte und Widersprüche nicht aus. So geriet die große Kampagne für die Freilassung der schwarzen Aktivistin Angela Davis in die beginnende Terrorismushysterie der 70er Jahre. Wurde der Kongress „Freiheit von Angela Davis“, der in Frankfurt/Main stattfand, wo Davis kurze Zeit gelehrt hatte, zunächst als Werk von Radikalen diffamiert, wurden die Veranstalter plötzlich zu vernünftigen Linken, weil sich führende ProtagonistInnen auf dem Kongress klar von Rote Armee Fraktion distanziert hatten. Seibert zeigt allerdings auf, dass die Erklärungen längst nicht vom gesamten Spektrum der Kongressvorbereitung getragen wurde. Auch von den Linken aus den USA gab es Widerspruch zur Distanzierung. Daneben gab es auch unterschiedliche Vorstellungen von der Solidaritätsarbeit. Wollte man nur die prominente Intellektuelle Angela Davis unterstützen oder galt die Solidarität auch den Black Panther-AktivistInnen, die nicht in Deutschland studiert hatten?

Bezüge zur Gegenwart

Ein roter Faden in dem Buch ist der Kampf gegen Rassismus und die Abschiebungen politischer AktivistInnen. Dabei ist auffallend, dass es zunächst um die Solidarität mit verfolgten politischen AktivistInnen aus den verschiedenen Ländern des globalen Südens ging, ehe die Unterstützung von MigrantInnen insgesamt zur zentralen Forderung wurde. So sorgten Ausweisungsdrohungen gegen iranische Oppositionelle 1969 für massive Proteste. Teilweise konnten die Abschiebungen in letzter Minute verhindert werden. Massenabschiebungen gab es auch nach den von einem palästinensischen Kommando verantwortenden Anschlag auf israelische Sportler während der Olympiade in München 1972. Dabei standen grundsätzlich alle Menschen aus arabischen Staaten im Visier. Hier werden sofort Erinnerungen an die Lage von Menschen arabischer Herkunft nach dem 11. September 2001 wach.

Auf Fotos über damalige Publikationen wird die Unbefangenheit deutlich, mit der im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen arabische migrantische Organisationen vom „neuen Antisemitismus“ geredet wird. So bietet das gut auch gute Gelegenheit über die blinden Flecken der linken Bewegung zu reden.

Das gilt auch für den letzten dokumentierten Text des Buches, die aus autonomen Zusammenhängen entstandenen „Thesen zur Flüchtlingsfrage“ von 1987. Dort finden sich nicht wenige krude Thesen, wenn beispielsweise Alphabethisierung und des Aufbaus von Gesundheitsstationen als Politik von nachrevolutionären Regierungen gefasst wird, die Bevölkerung unter ein neues Kommando zu zwingen. Trotzdem fällt die revolutionäre Emphase auf, mit der die Flüchtlingsfrage zum Teil des internationalen Klassenkampfs erklärt wurde. Davon ist heute auch in der linken Antirassismusarbeit über 20 Jahre später wenig übrig geblieben. Seiberts Verdient ist es, die vergessene Geschichte ausgegraben zu haben und sie damit diskutier- und auch kritisierbar gemacht zu haben.

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir bei Indymedia.

Seibert Niels
Vergessene Proteste
Internationalismus und Antirassismus 1964-1983.

Münster 2008
Unrast Verlag
 

Niels Seibert liest

Berlin
Mi. 03.09.2008, 20 Uhr, Stadtteilladen Zielona Gora, Grünberger Str. 73, Berlin-Friedrichshain

Bremen
Mo. 22.09.2008, 19.30 Uhr, Infoladen Bremen, St.-Paulistr. 10-12, 28203 Bremen

Oldenburg
Di 23.09.2008, 20.30 Uhr, Alhambra, Hermannstr. 83, 26135 Oldenburg

Mannheim
Mo. 13.10.2008, 19 Uhr, Wild West, Alphornstr. 38, 68169 Mannheim
wildwest

Ludwigsburg
Di. 14.10.2008, 20 Uhr, DemoZ, Wilhelmstrasse 45/1, 71638 Ludwigsburg
www.demoz-lb.de

Tübingen
Mi. 15.10.2008, 20 Uhr, Wohnprojekt, Schellingstrasse 6, 72072 Tuebingen
Infoladen Tübingen

Frankfurt am Main
Do. 16.10.2008, 20 Uhr, Dritte-Welt-Haus, Falkstraße 74, Frankfurt am Main.
Veranstalter: Initiativkreis GegenBuchMasse.
www.gegenbuchmasse.de