In einer großen Blutlache liegt eine
Waffe. Es hätte gar nicht mehr des RAF-Symbols bedurft, um
deutlich zu machen, dass das Nachrichtenmagazin „der Spiegel“
mit dieser Fotomontage auf dem Titelblatt für die Sonderausgabe
zum Thema „30 Jahre deutscher Herbst“ wirbt.
Zum runden Jubiläum scheint keine Zeitung
ohne Sonderseiten und Beilagen zum Thema
auszukommen. Der Spiegel-Herausgeber Stefan Aust hat sich
allerdings als geschicktester Resteverwerter der RAF erwiesen.
Dabei hat er sogar den Hamburger Historiker Wolfgang Kraushaar
überboten.
Doch der Neuigkeitswert bei den
Spiegel-Sonderseiten hält sich in Grenzen. Immerhin wird noch
einmal daran erinnert, dass die Abhörprotokolle vom Toten
Trakts im 7.Stockwerk des Stammheimer Gefängnisses, in dem die
RAF-Gefangenen inhaftiert waren, bis heute nicht veröffentlicht
sind. Die Freigabe fordert der ehemalige Anwalt von
RAF-Gefangenen Christian Ströbele seit Jahren.
In einem Interview mit der Wochenzeitung
„Freitag“ hat der heutige Grünen-Politiker kürzlich betont,
dass für ihn die Ereignisse in der Stammheimer Todesnacht am
18.10.1977, bei der Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl
Raspe tot und Irmgard Möller schwer verletzt aufgefunden wurde,
nicht aufgeklärt sind, bis sämtliche Dokumente offen gelegt
sind. Damit steht Ströbele heute sehr allein. Denn trotz des
Rummels um den Deutschen Herbst ist das Interesse an den
Geschehnissen gering. Die Tageszeitung, einmal mit dem Anspruch
angetreten, Organ der Gegenöffentlichkeit im Deutschen Herbst
zu sein, veröffentlichte vor 14 Tagen ein Dossier zum Herbst
1977, in dem weder ein ehemaliger Gefangener noch ein
Anwalt zu Wort kamen. Ansonsten ist dort in den letzten Wochen
vor allem Jan Feddersen für die Berichterstattung über die RAF
zuständig. Der macht in seinen Beiträgen immer wieder
deutlich, dass für ihn die RAF-Mitglieder sowieso nur Kriminelle
waren, von denen er sich schon in den 70er Jahren belästigt
gefühlt hat. Kritische Fragen zu den Haftbedingungen oder gar
den Todesumständen der Gefangenen wird man in seinen Beiträgen
vergeblich suchen. Dafür findet sich dort die geballte Häme und
Verachtung, der stellenweise in offenen Hass umschlägt, auf
alle, die nicht das Loblied über das angeblich so zivilisierte
Deutschland singen.
Eine Korrespondentin der Frankfurter
Rundschau ließ in einer Reportage über eine Visite im Toten
Trakt ausführlich die Gefängnisbeamten zu Wort kommen. Mit
keinem Wort erwähnte sie, dass die einzige Überlebende des
18.10.77 Irmgard Möller vor mehr als 10 Jahren in einem
ausführlichen Interview mit dem Journalisten Oliver Tolmein ihre
Version der Geschehnisse dargelegt hat. Dort weist Möller jede
Selbsttötungsabsicht zurück. Unabhängig von der Bewertung ihrer
Aussage, ist das völlige Totschweigen ein Armutszeugnis für
einen kritischen Journalismus,
Dem ehemaligen RAF- Gefangene Ron Augustin
und der Stiefschwester von Ulrike Meinhof Anja Röhl blieb es
vorbehalten, in Beiträgen in der jungen Welt daran zu
erinnern, dass Anwälte, Ärzte und Architekten aus verschiedenen
Ländern Widersprüche zur offiziellen Version der Stammheimer
Todesnacht und zum Tod von Ulrike Meinhof zusammengetragen
haben. Die Texte sind noch erhältlich, werden aber in kaum
einen der vielen Beiträge zum Deutschen Herbst auch nur erwähnt.
Nur der Terminus „Deutscher Herbst“, vor 30 Jahren von
Intellektuellen als Kritik an die Einschränkung von Meinungs-
und Freiheitsrechten geprägt, hat sich durchgesetzt. Doch der
kritische Impetus ist bei den eingebetteten Journalisten unserer
Tage verloren gegangen.
Editorische Anmerkungen
Der Autor schickte uns am
16. 09. 2007 den Artikel zur Veröffentlichung.