Betrieb & Gewerkschaft
Spaltet die GDL die Gewerkschaftsbewegung?
Pro & Kontra: Sind die GDL-Eisenbahner nun Egoisten oder Eisbrecher? 
Mit Rainer Perschewski und Eckhard Geitz
09/07

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Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) lehnt den von den Gewerkschaften Transnet und GDBA vereinbarten Tarifabschluss für die Bahnbeschäftigten ab. Das Transnet-Ergebnis bedeutet eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent für 19 Monate. Die GDL fordert ein Anfangsgehalt von 2.500 Euro brutto (statt bisher 1.970 Euro) und eine Stunde Arbeitszeitverkürzung. Bei der GDL-Urabstimmung votierte eine überwältigende Mehrheit für Streik.

Der GDL-Vorläuferverein war schon 1867 gegründet worden. Heute organisiert sie gut 75 Prozent der Lokführer, aber auch 30 Prozent der Zugbegleiter. Die GDL, die nicht dem DGB angehört, zählt 34.000 Mitglieder.

PRO

Rainer Perschewski, Betriebsrat bei der DB Station & Service AG* und Vorsitzender der DKP Berlin

Arbeitskampfmaßnahmen lassen die Herzen von Linken höher schlagen. Dieses darf jedoch nicht den Blick für die Realität und die wahren Hintergründe verschleiern. Um gleich Argumenten vorzubeugen, diese Gedanken sollen nicht die Fehler der Gewerkschaftsführungen beschönigen.

Die meisten Beschäftigten der Deutschen Bahn AG haben seit dem 9. Juli einen Tarifvertrag (TV) über die Entgelte. Dieser beinhaltet eine Sonderzahlung von 600 Euro im August, 4,5 Prozent ab 1. Januar 2008, Anhebung der Ausbildungsvergütungen und die Garantie eines Mindestbetrages, in Höhe von 1.600 Euro bis zum 31. Januar 2009. Dieser TV gilt auch für die Lokführer und entspricht dem, was in den Basisdialogen der Transnet von den Mitgliedern gefordert wurde: Mehr Geld! Ebenso wurde gefordert, dass in der Frage der Mindesthöhe in der Tarifauseinandersetzung verhandelt werden soll. Ausgehandelt wurde dieser TV von der Tarifgemeinschaft der Transnet und der GDBA. Allein die Transnet verfügt über einen Organisationsgrad von über 60 Prozent bei den Beschäftigten. Mit dieser Hausmacht ist der TV mit dem höchsten Abschluss in diesem Jahr durchgesetzt worden. Die Führung der Transnet hätte sich auf Grund des eindeutigen Votums der Basis auch keinen schlechteren Abschluss erlauben können.

Die GDL lehnt diesen TV ab. Sie forderte ursprünglich einen sehr umfangreichen eigenen Fahrpersonaltarifvertrag. Sie betont, dass die Lokführer eine besondere Verantwortung hätten und gegenüber den anderen Beschäftigten besonders schwere Arbeitsbedingungen. Dieses stößt auf Unwillen bei den anderen Kollegen. Ist die Verantwortung eines Lokführers höher einzuschätzen, als beispielsweise eines Fahrdienstleiters, der im Stellwerk gleich zwanzig Züge im Auge haben muss und auf dessen Anweisung der Lokführer handelt?

Die GDL hat fast alle Tarifverträge der Deutschen Bahn mit verhandelt und abgeschlossen (Arbeitsbedingungen, Soziales, Beschäftigungssicherung). Schon im Jahr 2003 hatte die GDL einen eigenen TV gefordert. Damals wurde sich darauf geeinigt, dass sie Tarifverträge im Rahmen eines einheitlichen Tarifwerkes mit Regelungen für das Fahrpersonal abschließen kann und die DB AG über wichtige Regelungsinhalte für Lokomotivführer nicht ohne die GDL abschließt. Dazu gehören Themen wie Zulagen, Sonderregelungen und auch eine lokführerspezifische Eingruppierung. Die GDL feierte diese Vereinbarung als „uneingeschränkte tarifliche Gestaltungsfreiheit im Sinne der Tarifführerschaft”. Die Angebote der Tarifgemeinschaft für gemeinsame Verhandlungen genau mit dieser Tarifführerschaft hat sie aber abgelehnt.

Den aktuellen Abschluss lehnte sie als zu niedrig ab. Ihr Entwurf eines TV umfasste zahlreiche Regelungen, die Bestandteil von der GDL unterschriebener aber nicht gekündigter Verträge waren. Das war die Grundlage für das Arbeitsgericht in Mainz, den Streik zu untersagen. Die Aufhebung dieses Verbotes war nur möglich, da die GDL eidesstattlich versicherte, dass sie ihre Forderungen zurücknimmt. So beschränken sich die modifizierten Forderungen auf fünf Punkte (neben der Gehaltsforderung von 31 Prozent für die Lokführer(!), Regelungen zur Arbeitszeit). Diese Forderungen sind auch schon Inhalt der oben genannten Regelungsabrede. Die Eingruppierungsfragen werden derzeit bis zum Jahresende mit der Tarifgemeinschaft verhandelt. Wenn die GDL ihre Forderungen ernst nimmt, muss sie mit verhandeln. Hiermit soll das juristische Vorgehen der DB AG gegen die Streiks nicht gerechtfertigt werden, aber es verdeutlicht das verantwortungslose Vorgehen der GDL. Sie bot dem Kapital ohne Not die Möglichkeit, entsprechende Urteile zu erhalten.

Warum will sie dennoch einen eigenen TV? Die Ursache ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass es sich um eine Standesorganisation handelt. Der frühere Verein Deutscher Lokführer sieht nur sein eigenes Klientel und will nicht solidarisch mit allen Berufsgruppen für gemeinsame Ziele eintreten. Die GDL sieht in separaten Verhandlungen die Möglichkeit für ihre Sparte mehr herauszuholen. Unterstützung erhält sie beispielsweise von der FDP oder dem Marburger Bund. Beide machten in Veröffentlichungen deutlich, worum es geht: Zerschlagung der Tarifeinheit zugunsten von “Tarifpluralität” oder “besonderer Interessen” bestimmter Berufsgruppen. Danach gibt es bestimmte Leistungsträger, denen man gesondert Rechnung tragen muss - jeder ist sich selbst der Nächste. Dieses Anliegen fördert die GDL mit ihren Aktionen. Am Ende steht die Spaltung der Belegschaft und der Gewerkschaften. Das Beispiel England hat gezeigt, welche Folgen durch eine Bahnprivatisierung entstehen. Es zeigt auch den drohenden Weg der Gewerkschaften in die Bedeutungslosigkeit, durch die Zersplitterung in Berufsorganisationen.

CONTRA

Eckhard Geitz, Kassel, Krankenpfleger, Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, SAV-Bundesvorstand

Die offensiven Forderungen der GDL und die Androhung eines Arbeitskampfes, der die Unternehmer hart trifft, erschütterte nicht nur die Manager der Deutschen Bahn, sondern das gesamte Establishment. Anders ist die Hexenjagd auf die Lokführer wohl kaum zu erklären, in der die Forderungen der GDL als größenwahnsinnig zurückgewiesen wurden. Per Gerichtshopping suchte der DB-Vorstand außerdem solange, bis man in Nürnberg ein Gericht fand, das das Streikrecht massiv beschädigte. Aber weder die Dauerhetze noch das scheinheilige Solidaritätsgefasel von Transnet-Chef Hansen konnten die hohe Unterstützung der Lokführer in der Bevölkerung brechen.

Die 4,5 Prozent Lohnerhöhung, die Transnet bei ihrem Tarifabschluss rausgeholt hat, drücken in keiner Hinsicht aus, was für die Beschäftigten nötig wäre. Der Tarifvertrag läuft 19 Monate und so bleiben gerade noch 2,6 Prozent jährliche Lohnerhöhung. Ist man optimistisch und geht von nur zwei Prozent Inflation pro Jahr aus, bewegt sich der Abschluss trotzdem näher am Reallohnverlust, als dass er irgendeine wirksame Verbesserung für die Beschäftigten darstellt. Ohne die offensiven Forderungen der GDL hätte Transnet wahrscheinlich nicht mal 7,5 Prozent gefordert.

In der aktuellen Auseinandersetzung macht die GDL im Bereich Arbeitszeitverkürzungen dort einen Vorstoß, wo Beschäftigte aller Branchen in den letzten Jahren massiv verloren haben. Die GDL fordert unter anderem eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 41 auf 40 Stunden und eine Verlängerung der Ruhezeiträume. Dies und ihre Gehaltsforderung, die mit 2.500 Euro Einstiegsgehalt für Lokführer 529,93 Euro über dem Entgelttarifvertrag DB AG liegt, sind notwendige und nachvollziehbare Verbesserungen der Gehalts- und Arbeitsbedingungen.

Die GDL tut das einzig Richtige, wenn sie ihre als maßlos hingestellten Forderungen ins Verhältnis zur 62,5 prozentigen Gehaltserhöhung des achtköpfigen Bahnvorstandes im Gesamtvolumen von 20 Millionen Euro pro Jahr setzt.

Die Frage ist nicht, ob Fahrpersonal oder Stellwerker den verantwortungsvolleren Job haben. Die Frage ist zunächst, was eine Gewerkschaft für ihre Mitglieder versucht rauszuholen. Die GDL tut das einzig Richtige, wenn sie den mickrigen Transnet-Abschluss ablehnt.

Übrigens organisiert sie auch nicht nur Lokführer, sondern vermehrt weiteres Fahrpersonal. Während die meisten Gewerkschaften seit Jahren wegen ihrer Verzichtspolitik Mitglieder verlieren, legt die GDL zu. In kurzer Zeit sind gerade tausend Eisenbahner bei ihr eingetreten.

Es ist nicht zutreffend, Lokführern Standesdünkel zu unterstellen. Sie sind lohnabhängig Beschäftigte, die genauso verheizt und ausgenutzt werden wie andere Bahnbeschäftigte. Wenn sie zuerst aufstehen und sich wehren, dann kann die Devise nur heißen: Aufstehen und mitkämpfen. Ein Erfolg würde eine Ermutigung auch für andere bedeuten und könnte alle Lohnabhängigen im Kampf für Verbesserungen stärken. Fakt bleibt: Höhere Löhne gehen zu Lasten der Profite und der Arbeitgeber, nicht anderer Arbeitnehmer. So hatte der entschlossene Kampf von Beschäftigten baden-württemberigscher Unikliniken 2005 zum Beispiel Signalwirkung.

Was zur Spaltung beiträgt, sind Spartentarifverträge, Öffnungsklauseln und die Verbetrieblichung der Tarifpolitik – alles Produkte des Kurses der DGB-Spitze. Die mit der Bahn-Privatisierung einhergehende Zerschlagung des Betriebes in outgesourcte Bereiche und Kernbetrieb würden Arbeitskämpfe erschweren. Aber Transnet fordert sogar die Privatisierung der Bahn! Wenn man sich die Internet-Seite von Transnet und ihr Zelebrieren des Wettkampfes ansieht, könnte man meinen, die 233.000 bei der DB AG abgebauten Stellen seit 1990 sind ihr noch nicht genug.

Allerdings ist auch gegenüber der GDL-Führung Kritik angebracht, wenn sie nur erklärt, die Bahn sei momentan noch nicht reif für den Börsengang.

Vor allem eines muss die GDL tun: Offen auf die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften wie auch auf Unorganisierte zugehen, Solidarität einfordern und ein gemeinsames Kampfangebot machen. Zudem könnten von unten gemeinsame Aktions- und Streikkomitees von GDL- und Transnet-Mitgliedern initiert werden. Falls die GDL bessere Bedingungen erkämpft, könnte auch Transnet wieder für Verbesserungen streiken. Das erlaubt eine Klausel des Tarifvertrags. Die Frage der „Einheit“ darf nicht abstrakt bleiben. Durch den gemeinsamen Kampf fü echte Verbesserungen könnte sie konkret erreicht werden.

Die Unterstützung der GDL ist dringend geboten - sowohl an der Front, wo das Streikrecht zu verteidigen ist, als auch dort, wo es um eine verbesserte Lohn- und Gehaltsituation geht.

Editorische Anmerkungen

  • Rainer Perschewski ist Betriebsrat bei der DB Station & Service AG (dient nur der Kenntlichmachung der Person) und Vorsitzender der DKP Berlin

  • Eckhard Geitz, Kassel, ist Krankenpfleger, Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di, SAV-Bundesvorstand

Der Text erschien am 5.9.07 in Solidarität - Sozialistische Zeitung, Nr. 61, September 07

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