Warum nicht?

von gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t.
09/07

trend
onlinezeitung
„Mit diesem Brief möchten wir die hochschulpolitische Linke dazu einladen, sich einzubringen und mit uns gemeinsam einen schlagkräftigen Verband aufzubauen.“ Hochschulpolitische Linke? Die freundliche Einladung seitens einiger studentischer FreundInnen der entstehenden Linkspartei war auch an die gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. gerichtet. Die vernahm es wohl, doch dachte sie:

„Ich möchte lieber nicht“. Warum eigentlich?

Einfach zu behaupten, dass widerständige Politik im neoliberalen Hochschulumbau doch ohnehin von Massenprotesten getragen wird und ohne Organisations-Getue auskommt, wäre hier allzu naiv. Zwar haben wir auch in Marburg vielfältige Aktionen gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren erlebt und bewiesen, dass unsere Generation nicht nur aus stromlinienförmigen Neokonservativen besteht.

Aber der Sommer der Demos, Blockaden und Besetzungen war schließlich doch zu kurz, leiden soziale Bewegungen wie die gegen Studiengebühren doch immer an einer ernstzunehmenden Krankheit: Sie sind manischdepressiv. Symptome: Nach dem Rausch der Kater, nach der Revolte der Rückzug. Sich dauerhaft und verbindlich zu organisieren, Erfahrungen zu tradieren, theoretische Reflektion zu betreiben – all dies macht Sinn, und diese Absichten haben auch bei der Verbandsgründung Pate gestanden. Inzwischen gibt es ihn, den linken Hochschulverband, und unsere Skepsis gegenüber diesem Modell der Organisierung hat noch zugenommen. Entstanden ist eine Gliederung der Linkspartei, die sich „SDS“ nennt. Das soll wohl an 1968, Dutschke und Marcuse erinnern, ist aber eher peinlich; die Koordinaten für die Linke haben sich seither schließlich mehr als nur ein bisschen verschoben: „Die Sowjetunion ist weg, Punk ist Retrochic, die RAF Kunstgeschichte, Vernunft ist das, was ein Anlageberater benutzt, die Liebe hat Aids – was wir machen wollten ist alles abgesagt worden“, bilanziert das alter ego des FAZ-Feuilleton-Kommunisten Dietmar Dath.1

Kein Grund, in Pessimismus zu verfallen; nur ist es wenig hilfreich, vergangene Kämpfe für sich zu reklamieren. Zumal diese nicht immer glorreich waren. Zu den eher zweifelhaften Verdiensten des historischen SDS gehört es auch, der entstehenden Frauenbewegung hinreichend Anlass geboten zu haben, sich lieber in autonomen Strukturen zu organisieren. Man könnte an dieser Stelle aufhören, über ein Label zu lästern und sich wesentlicherem zuwenden, wäre da nicht der Umstand, dass der neue SDS gerade den sympathischsten Zug des alten unter den Tisch fallen lässt. Letzterer war bekanntlich eine der Keimzellen für die außerparlamentarische Opposition von 67 ff., ersterer ist unmittelbar an eine parlamentarische Kraft gebunden. Das ist fahrlässig. Die Erfahrungen mit anderen sozialdemokratischen Parteien zeigen, dass radikale Kritik im parlamentarischen Spiel früher oder später verloren geht. Und wofür die SPD einige Jahrzehnte gebraucht hat und die Grünen immerhin noch zwei, das könnte die Linkspartei in wenigen Jahren schaffen. Regierungsbeteiligung olé, Kapitalismuskritik passé. Wenn es denn soweit ist, braucht es eine (nicht nur hochschulpolitische) Linke, die sich ihre Autonomie bewahrt hat. A propos nicht nur hochschulpolitisch: Auch deswegen würde die gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. kaum in den Verband passen. Wir machen zwar Politik an der Uni, aber nicht nur dort und nicht nur zu Uni-Themen. Bundesweite Organisierung betreiben wir daher auch lieber in dem breiter angelegten Rahmen der Interventionistischen Linken, in der sich undogmatische Linke aus verschiedenen Städten, Generationen und mit verschiedenen Schwerpunkten treffen, und daran arbeiten, eine außerparlamentarische Linke auf der Höhe der Zeit zu entwickeln.

Join the winning side!

1 Dietmar Dath: Dirac. Roman. Suhrkamp, Ffm 2006.

Editorische Anmerkungen
Dieser Text erschien auf der Website der gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t.
Wir spiegelten von dort.