Was die BGH-Entscheidung bedeutet und was jetzt zu tun ist  
Eine Antwort in sechs Thesen

von Paragraphenamazone & Co.  

09/07

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Vor ca. einer Woche wurde Andrej H. aus der Haft entlassen. Dagegen hatte die BAW Beschwerde eingereicht. Am Donnerstag wurde bekannt, daß der BGH-Senat, der für die Entscheidung darüber zuständig ist, sich bis Anfang Oktober Zeit läßt. (1) Was bedeutet dies? Und was folgt daraus?

These 1.: Die BGH-Entscheidung ist erfreulich, aber keine Überraschung, denn sie kann mittelfristig dem staatlichen Interesse dienen.

These 2.: Der BGH wird in den nächsten Wochen zwei Fragen prüfen; das heißt nicht, dass er sie zu Gunsten von Andrej (und den anderen Beschuldigten) beantworten wird.

These 3.: Der BGH wird jetzt (noch) nicht über den Verdacht entscheiden, dass Oliver, Florian und Axel mg-Mitglieder sind.

These 4.: Die beiden Fragen, mit denen sich der BGH tatsächlich befassen wird, betreffen juristisch den Begriff des „dringenden“ Tatverdachts (und zwar ausschließlich bzgl. Andrej) und die gesetzliche Definition von „terroristischen Vereinigungen“ (mit generellerer Bedeutung).

These 5.: Beide Fragen haben hochgradig politische Implikationen. An ihnen wird sich entscheiden, ob am Ende der Auseinandersetzung (des Verfahrens) Linksliberale und radikale / revolutionären Linke Freiheitsrechte zurückerobern haben werden oder aber die staatlich-staatstragende Repression stärker wird. Und es sind in der Tat schon die Fragen des BGH, die die politischen Implikationen haben – und zwar die falschen! Es kommt politisch und juristisch nicht darauf an, ob der § 129a auf den vorliegenden Fall angewendet werden kann. Denn Anwendung und ‚einzelfall-gerechte’ Nicht-Anwendung, sind gleichermaßen antiliberal.

These 6.: Die zentrale Frage ist vielmehr, ob der § 129a in einer Gesellschaft, die beansprucht, liberal-demokratisch verfaßt zu sein, (verfassungsrechtlich und politisch) überhaupt akzeptabel ist. Auf die Verneinung dieser Frage muß in den nächsten Wochen alle Energie gerichtet werden.  

These 1.: Die BGH-Entscheidung ist erfreulich, aber keine Überraschung  

Die Vertagung der BGH-Entscheidung, über die Beschwerde der BAW gegen die Haftentlassung von Andrej ist erfreulich! Diese Vertagungsentscheidung kommt aber keinesfalls überraschend. Nachdem schon der Ermittlungsrichter, der bis dahin jeden Schritt der BAW in diesem Verfahren abgesegnet hatte, fand, dass eine Außer-Vollzug-Setzung des Haftbefehls gegen Andrej bei Zahlung einer Kaution akzeptabel ist, war kaum zu erwarten, dass ein Senat, der neu mit Sache befaßt wird, strenger entscheidet und Andrej sofort wieder inhaftiert.

Wenn die Option, Andrej zurück in den Knast zu bringen, im Moment nicht ernsthaft bestand, dann bestand für den BGH auch kein Grund zur Eile. Mit der Kaution und den anderen Umständen, die eine Flucht unwahrscheinlich machen, sind die Interessen des Staates gewahrt.

Die spannende Frage, die jetzt ansteht ist, ob der BGH-Senat die BAW-Beschwerde gegen die Haftentlassung von Andrej – wie schon der einzelne Ermittlungsrichter (2) – bei Aufrechterhaltung des Haftbefehls zurückweist. Oder ob er die Beschwerde zurückweist, weil nicht einmal der Haftbefehl aufrechtzuerhalten ist. Will der BGH, dass eine Aufrechterhaltung des Haftbefehls in einer breiteren Öffentlichkeit auf Zustimmung stößt, so tut er gut daran, sich mit seiner Entscheidung Zeit zu lassen. Zum einen kann eine auf ‚gründlicher Prüfung’ beruhende Entscheidung auf mehr Zustimmung hoffen. Zum anderen kann der Senat hoffen, dass in den kommenden fünf Wochen die Aufmerksamkeit für den Fall sinkt und damit dann ohnehin Dinge hingenommen werden, die im Moment noch für Aufmerksamkeit sorgen.

Der BGH hat mit seiner Entscheidung im Staatsinteresse langfristig weise entschieden! Für uns ist sie kurzfristig gut; und wir freuen uns, dass Andrej nicht wieder in den Knast muß. Es liegt nun an uns, dafür zu kämpfen, dass sich jene Staats-Hoffnungen auf eine Wandelung der öffentliche Stimmung in nächsten den fünf Wochen zerschlagen und die Freude nicht nur im Moment, sondern auch am Ende auf unserer Seite ist.  

These 2.: Der BGH wird in den nächsten Wochen zwei Fragen prüfen; das heißt nicht, daß er sie zu Gunsten von Andrej (und den anderen Beschuldigten) beantworten wird  

Nach Mitteilung der Anwältin von Andrej will der BGH zwei Punkte prüfen:

1. die Frage, was Voraussetzung der Annahme eines dringenden Tatverdachts im Sinne des § 129a StGB ist

und

2. die Frage, was Voraussetzung der Eingruppierung einer Vereinigung als terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a StGB ist. (3)

Dass der BGH diese beiden Punkte prüfen will, heißt nicht, dass diese Prüfung am Ende zu Gunsten von Andrej (und den anderen Beschuldigten) ausgeht. Es sieht eher so aus, dass der BGH im Moment dahin tendiert, mindestens eine der beiden Fragen zu Lasten der Beschuldigten zu beantworten:

Wenn der BGH zugunsten von Andrej (d.h.: gegen die Beschwerde der BAW und darüber hinaus auch gegen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls) entscheiden will, so reicht es, wenn er eine dieser beiden Fragen zu Gunsten von Andrej beantwortet: Der Haftbefehl ist allein schon aufzuheben, wenn Andrej nicht „dringend“ verdächtigt ist, mg-Mitglied zu sein, und der Haftbefehl ist erst recht aufzuheben, wenn die mg keine „terroristische Vereinigung“ im Sinne des Gesetzes ist. Will der BGH auch nur eine dieser beiden Fragen zu Gunsten von Andrej entscheiden, so läge aus arbeitsökonomischen Gründen nahe, die jeweils andere Frage gar nicht erst / gar nicht mehr zu stellen.

Will der BGH dagegen den Haftbefehl aufrechterhalten (und Andrej vielleicht – gemäß BAW-Antrag – bei weniger öffentlicher Aufmerksamkeit sogar wieder in den Knast stecken), so muß er beide Fragen zu Lasten von Andrej und zu Gunsten der BAW beantworten: Er muß bejahen, dass die mg eine „terroristische Vereinigung“ ist und er muß bejahen, dass Andrej dringend verdächtig ist, dort Mitglied zu sein.

Dass der BGH beide Fragen stellt, deutet darauf hin, dass er mindestens eine (wenn nicht sogar beide) bejahen will (oder dass es Differenzen in dem Senat gibt).  

These 3.: Um auch das in aller Deutlichkeit zu sagen: Der BGH wird nicht über den Verdacht entscheiden, dass Oliver, Florian und Axel mg-Mitglieder sind  

Laut Mitteilung der Anwältin wird der BGH Anfang Oktober über die Beschwerde der BAW gegen die Haftentlassung von Andrej entscheiden; anderes wird nicht erwähnt.

Für Oliver, Florian und Axel ist diese Entscheidung im Moment nur insofern wichtig, als der BGH vielleicht entscheidet, dass die mg keine „terroristische Vereinigung“ ist. Dann wäre auch bei ihnen der § 129a nicht mehr Grundlage des weiteren Verfahrens.

Dagegen wird der BGH nicht darüber entschieden, ob sie „dringend“ verdächtig sind, mg-Mitglied zu sein. Das heißt: Das, was viele in der Szene einfach nur „das Konstrukt“ nennen, steht beim BGH im Moment nicht zur Debatte (Mit „Konstrukt“ ist die Behauptung gemeint, die BAW leite die angebliche mg-Mitgliedschaft der drei allein aus dem Umstand ab, dass Andrej angeblich mg-Mitglied ist und dass dieser Florian „konspirativ“ getroffen habe.)

Eine Verneinung des „dringenden“ Verdachtes, Andrej sei mg-Mitglied, wäre nur die Voraussetzung dafür, um in einem zweiten Schritt auch zu prüfen, ob damit auch der „dringende“ Verdacht gegen die anderen entfällt oder ob in deren Fall vielmehr eigenständige Verdachtsgründe bestehen (4).

Im übrigen: Im Moment stehen ausschließlich Entscheidungen über die Untersuchungshaft an. Dafür kommt es nur darauf an, ob ein „dringender“ Tatverdacht besteht. Für den BGH besteht keine Veranlassung sich zu der Frage zu äußern, ob bei Verneinung des dringenden Tatverdachtes ein „einfacher“ Verdacht auf mg-Mitgliedschaft bestehen bleibt.

Das heißt: Sofern der BGH nicht verneint, daß die mg eine „terroristische Vereinigung“ ist, kann auch bei Verneinung des „dringenden“ Tatverdachtes gegen alle vier (bzw. alle sieben) Beschuldigten weiter wegen des „einfachen“ Verdachtes auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermittelt und gegebenenfalls Anklage erhoben werden.  

These 4.: Die beiden Fragen, mit denen sich der BGH tatsächlich befassen wird, betreffen juristisch den Begriff des „dringenden“ Tatverdachts (und zwar ausschließlich bzgl. Andrej) und die gesetzliche Definition von „terroristischen Vereinigungen“ (mit generellerer Bedeutung)  

Wie schon erwähnt, wird sich der BGH mit zwei Problemen beschäftigen: 1. mit den Voraussetzungen der Annahme eines dringenden Tatverdachts i.S.d. § 129a StGB und 2. mit den Voraussetzungen zur Eingruppierung einer Vereinigung als terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a StGB.  

4.1. Problem 1 ist vor allem eine Tatsachenfrage: Bedeuten die angeblichen oder tatsächlichen Ähnlichkeiten zwischen Texten von Andrej und Texten der mg sowie die „konspirativen“ Kontakte mit Florian schon einen „dringenden“ Verdacht, mg-Mitglied zu sein? (Wie schon in Abschnitt 3 erwähnt, wird der BGH diese Frage zunächst nur für Andrej beantworten; für Florian, Oliver und Axel folgt daraus nicht viel.)  

4.2. Das zweite Problem ist vor allem eine Rechtsfrage: Die Frage ist nicht in erster Linie: Was ist passiert (und wie ist das zu bewerten)? Sondern die Frage ist hier vor allem: Wie ist die gesetzliche Definition des Begriffs „terroristische Vereinigung“ zu verstehen.

Der Tagesspiegel bzw. die Nachrichtagentur AFP hat diesen Punkt ziemlich gut erklärt:

„Der erste Teil dieser Vorschrift [des § 129a StGB] zielt auf schwere Fälle des Terrorismus und zählt dazu Delikte auf wie Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Geiselnahme. Der zweite Absatz stuft eine Gruppierung auch dann als terroristisch ein, wenn sie etwa Brandanschläge und andere so genannte gemeingefährliche Straftaten begeht. Voraussetzung ist aber, dass diese Taten dazu bestimmt sind, etwa ‚die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern’, oder politische und soziale Grundstrukturen des Staates ‚zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen’.“ (4a)

Allerdings müssen die Taten – nach dem Wortlaut des Gesetzes – nicht nur subjektiv nach den Vorstellungen der Vereinigung dazu „bestimmt“ sein, das heißt: die Funktion haben, den Staat „erheblich zu beeinträchtigten“, sondern sie müssen zugleich (Wortlaut des Gesetzes: „und“) auch objektiv den Staat tatsächlich „erheblich schädigen k[ö]nn[en]“.  

These 5.: Beide Fragen haben hochgradig politische Implikationen. An ihnen wird sich entscheiden, ob am Ende der Auseinandersetzung (des Verfahrens) Linksliberale und radikale Linke Freiheitsrechte zurückerobern haben werden oder aber die staatlich-staatstragende Repression stärker wird.  

Dabei kommt nicht darauf an, wie die Fragen, die sich der BGH selbst stellt, beantwortet werden, sondern darauf, ganz andere Fragen zu stellen. Denn es sind in der Tat schon die Fragen des BGH, die politischen Implikationen haben – und zwar die falschen. Falsch heißt in diesem Zusammenhang: den Gesinnungsparagraphen 129a im Grundsatz zu akzeptieren und nur noch über dessen Anwendung im Einzelfall zu diskutieren.

Es kommt politisch und juristisch nicht darauf an, ob der § 129a auf den vorliegenden Fall angewendet werden kann. Denn Anwendung und Nicht-Anwendung, sind gleichermaßen antiliberal. Natürlich wäre es pragmatisch in jedem Fall wünschenswert, wenn die jetzigen Beschuldigten nicht nach § 129a angeklagt würden, aber der Paragraph ist ein stetiges staatliches Drohpotential für linke Strukturen und schürt Angst. Dem lässt sich nicht dadurch abhelfen, dass einmal, in einem besonders krassen Fall, seine Anwendung – mittels einer die antiliberale Logik des 129a akzeptieren Argumentation – verhindert wird.  

Frage 4.1. läßt sich von Liberalen und Linksradikalen nicht sinnvoll beantworten, da die Anwendung des § 129a auf den vorliegenden Fall zwar vielleicht nicht zwangsläufig ist, aber zumindest in der Logik dieser Vorschrift liegt.

Wer bloße Organisationsdelikte (ohne jede konkrete Tatbeteiligung) als verfassungsgemäß akzeptiert, dem sind alle Wege bereitet, um Gesinnungsindizien als Beweise zu akzeptieren. 

Daß sich der Begriff des „dringenden Tatverdachts“ im Falle von Andrej in vage Spekulationen auflöst, ist also kein Exzeß, der noch über den § 129a hinausgeht. Vielmehr ist die Konturenlosigkeit des Begriffs des „dringenden Tatverdachts“ Folge der Vorverlagerung der Strafbarkeit, die die Einführung von Organisationsdelikten bedeutet. Der Konturenlosigkeit des Begriffs des „dringenden Tatverdachts“ kann nur durch eine Rückkehr zum Tatstrafrecht begegnet werden.

Werden die Voraussetzungen des „dringenden Tatverdachts“ im Einzelfall strenger oder weniger streng gefaßt, so mag dies zwar „verhältnismäßig“, den deutschen Verhältnissen (5) gemäß sein, aber liberal ist das nicht. (6) Die Abwehr eines vagen Gesinnungs-Verdachts-Strafrechts ist keine Wohltat, die sich WissenschaflerInnen qua besonderer Leistung verdient haben, oder die sich aus sonstigen Gesichtspunkten der „Einzelfallgerechtigkeit“ ergibt, sondern ein verfassungsmäßiges Recht, daß allen BürgerInnen zusteht. (7) Nicht Verhältnismäßigkeit, sondern die Verteidigung der Gleichheit vor dem Gesetz ist liberal!  

Frage 4.2. läßt sich von Liberalen und Linksradikalen noch weniger akzeptieren, da auf dieser Schiene ein Freispruch vom 129a-Vorwurf nur um den politischen Preis zu haben ist, die eigene staatstragende Gesinnung zu bekunden, das heißt: zu bekunden, dass den Staat selbst ein Brandanschlag nicht – erheblich – schädigen soll, sondern nur symbolic use of politics ist und den Staat vielleicht sogar nur auf seinen  richtigen Weg zurückbringen soll.

Oder aber selbst zu bekunden (oder zumindest der Verteidigung zu erlauben, zu bekunden), daß man zwar den Staat (subjektiv) schädigen wollte, daß es aber objektiv eine schwachsinnige Aktion war, die den Staat niemals hätte schädigen können.

Denn juristisch gesprochen geht es bei dem zweiten Problem darum, daß nach § 129a Absatz 2 StGB eine Gruppierung auch dann als terroristisch gilt, wenn sie nur Brandanschläge und ähnliche Taten begeht. Voraussetzung ist in diesen Fällen aber ausdrücklich (anders als bei Mord etc., wo dies anscheinend stillschweigend als ohnehin gegeben vorausgesetzt wird), dass diese Taten

++ dazu bestimmt sind, etwa „die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern“ oder „die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates […] zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen“

und

++ die Taten den Staat „durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen“ auch tatsächlich „erheblich schädigen k[ö]nn[en]“ (8).

Damit macht die Neufassung des § 129a Absatz 2 die politische Bestimmung der Tat in aller Offenheit zum Strafbarkeitsgrund. Daraus resultiert die Frage, die – im Gegensatz zu den Fragen des BGH – gestellt werden muß:  

These 6.: Die Frage ist nämlich vielmehr, ob der § 129a in einer Gesellschaft, die beansprucht liberal-demokratisch verfaßt zu sein, (verfassungsrechtlich und politisch) überhaupt akzeptabel ist. Auf die Verneinung dieser Frage muß in den nächsten Wochen alle Energie gerichtet werden.  

Auch, wenn es keinesfalls so ist, daß man vor Gericht nur viel fordern muß, um zumindest etwas zu bekommen, so ist es doch vorliegend so, daß jedes Einlassen auf die Fragen des BGH dazu führen würde, (nicht nur politisch unerfreuliche, sondern auch verfassungswidrige [9]) Gesinnungsjustiz zu akzeptieren.

Deshalb gilt: Der § 129a muß weg!

Nur das Festhalten an dieser liberal-demokratische Position (die Linksradikalen zwar sympathisch, aber selbst nicht linksradikal ist) würde, falls sie sich durchsetzen läßt, einen Wandel des autoritären, Grundrechte am Maßstab ihres staatstragenden Gebrauchs verkürzenden politischen Klimas in der BRD und eine Niederlage für die BAW bedeuten.

Jedes Einlassen auf die Fragen des BGH würde dagegen, selbst wenn sie zu Gunsten der Beschuldigten beantwortet würden, bestenfalls ein Remis, ein Unentschieden, bedeuten. Es wäre nur der Zustand wiederhergestellt, der vor dem aktuellen Verfahren bestand.

Der Vorschlag, auf Sieg und nicht auf Remis zu spielen, ist dabei nicht (nur) Folge liberaler (linksradikale ist es, wie gesagt, ohnehin nicht) Prinzipienreiterei oder Standhaftigkeit. Vielmehr ist es, wie in These 2 ausgeführt, nicht einmal besonders wahrscheinlich, dass der BGH seine Fragen zu Gunsten der Beschuldigten beantworten wird.

Und selbst, wenn der BGH seine Frage zum „dringenden“ Tatverdacht zugunsten von Andrej beantworten würde, so würde daraus für Florian, Oliver und Axel noch nicht viel folgen (siehe These 3. mit Anm. [4]).

Deshalb ist es nicht nur theoretisch, sondern auch pragmatisch richtig, kein Stück von der Kritik am § 129a abzurücken. Am Ende ist es wahrscheinlicher, daß – wenn überhaupt – ein Kippen des § 129a die Beschuldigten vor diesem retten wird als ein (diesen prinzipiell akzeptierendes) Verneinen seiner Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall.

Wir wollen aber durchaus auch die liberale Standhaftigkeit stark machen:

Liberale, die bei dem Köder des „erheblich schädigen“-Kriteriums anbeißen, würden wieder einmal beweisen, dass deutsche Liberale keine Liberalen sind. Und eine radikale Linke, die bei diesem für sie ausgelegten Köder anbeißt, würde auf den Zustand des staatstragenden deutschen Nationalliberalismus des 19. Jahrhunderts regredieren.  

„Im Vergleich zu Frankreich und England ist es ein charakteristisches Merkmal der Geschichte des deutschen Bürgertums, daß es ihm nicht gelungen ist, sich in einer selbstbewußten revolutionären Aktion von der feudalen Gewaltherrschaft und vom absolutistischen Staat zu befreien und sich als autonome politische Klasse zu konstituieren; erst dadurch hätte es sich die objektive Möglichkeit geschaffen, liberale Freiheitsrechte als seine eigene Angelegenheit zu betrachten.“  (S. 23; erste Hervorh. im Original). Und so sind Freiheitsrechten – statt eigene Sache der BürgerInnen – in Deutschland etwas geblieben, was der Staat mit „weiser Hand, zur rechten Zeit“ seinen StaatsbürgerInnen bei Wohlverhalten gnadenweise gewährt (a.a.O. , S. 20, 25).  

Das Sonderstrafrecht für Taten, die dazu bestimmt sind, „die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates […] zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen“, zu akzeptieren und in diesen Rahmen zu argumentieren, hieße, sich diese durch und durch antiliberale, staatstragende deutsche Tradition zueigen zu machen. Es hieße, dass der starke Staat nicht nur für die deutschen Liberalen, sondern auch für die deutsche Linksradikalen „alle Schrecken […] verloren“ hätte (a.a.O. , S. 25).  

Wer/welche dagegen den Schwung der Anti-G8-Mobilisierung und die gewisse Radikalisierung, die in der Soli-Bewegung nach Veröffentlichung des internationalen Aufrufes für die Freilassung aller vier Gefangenen eingetreten war (10), erhalten will, muß beim Kampf gegen den § 129a Kurs halten.

Jeder Versuch, sich einen ‚Sieg’ über das „erheblich schädigen“-Kriterium zu erkaufen, wird bestenfalls im Katzenjammer, schlimmstenfalls im konservativen Biedermeier enden. Denn es besteht wenig Anlaß zu der Vermutung, dass Nachgeben (das heißt: ‚auf Remis spielen’ und ausschließlich im Rahmen des § 129a zu argumentieren) im vorliegenden Fall belohnt werden würde.  

Zitatnachweise:  

(1) http://delete129a.blogsport.de/ 

(2) Die Anwältin hatte in der vergangenen Woche zur Freilassung von Andrej erklärt: „Der Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, sondern der Ermittlungsrichter am BGH hat meinen Mandanten nach Zahlung einer Kaution und unter Auferlegung verschiedener Auflagen von der Untersuchungshaft verschont. Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Ermittlungsrichters der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann.“ (http://delete129a.blogsport.de ).  

(3) „der 3. Senat des Bundesgerichtshofes [beabsichtigt] sich anlässlich dieses Falles grundsätzlich mit den Voraussetzungen der Annahme eines dringenden Tatverdachts i.S.d. § 129a StGB auseinanderzusetzen und mit der Frage hinsichtlich der Voraussetzungen zur Eingruppierung einer Vereinigung als terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a StGB“ (Presseerklärung der Anwältin; http://delete129a.blogsport.de ).  

(4) Insofern bleibt Paragraphenamazone bei ihrem Pessimismis: „für juristische Argumentation der BAW ist die Verbindung zwischen den Dreien und Andrej nicht notwendig. Sie könnte im Falle von Andrej dem Druck nachgeben und die anderen weiterhin wegen 129a anklagen – zumindest sofern sie bei den Dreien Verbindungen zur mg ideologischer Art und/oder via Tatdurchführung nachweisen kann.“ (http://delete129a.blogsport.de ). Und genau, dass es Parallel in der Tatausführung gibt, behauptet die BAW: „Der versuchte Brandanschlag vom 31. Juli 2007 weist hinsichtlich […] der konkreten Tatausführung eine Vielzahl von Parallelen zu Anschlägen der terroristischen Vereinigung ‚militante gruppe (mg)’ in der Vergangenheit auf.“ (http://delete129a.blogsport.de/).

„Wenn dies wahr wäre, bedürfte es des Umwegs über H. nicht, um eine mg-Mitgliedschaft von L. für möglich zu halten. Ein Beweis wäre auch das noch nicht. Schließlich gibt es nicht allzu viele Möglichkeit, einen Brandanschlag durchzuführen. Die entscheidende Frage hinsichtlich L. ist also: Wie ‚konkret’ sind die Elemente der Tatausführung, auf die sich die BAW beruft, tatsächlich? Und wie groß oder wie klein ist jene ‚Vielzahl von Parallelen’ tatsächlich?“ (http://delete129a.blogsport.de ).

Siehe zur Begründung des Pessimismus von Paragraphenamazone auch noch die letzten drei Absätze des dritten Abschnittes von http://delete129a.blogsport.de

(4a) http://delete129a.blogsport.de

(5) http://media.de.indymedia.org/media/2007/08//192489.pdf 

(6) Vgl.  http://delete129a.blogsport.de ; siehe dort vor allem die Hervorhebungen in Großschreibung und besonders Seite 133.  

(7) Vgl. http://delete129a.blogsport.de (siehe dort vor allem die Ausführungen zum Begriff der „‚Klassenspaltung’ der Grundrechtsträger“) und http://delete129a.blogsport.de

(8) http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129a.html 

(9) http://delete129a.blogsport.de/aamazone/grundrechte-und-a-129a-stgb/ 

(10) http://delete129a.blogsport.de

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von den AutorInnen am 1.9.07 zur Veröffentlichung.