Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe
 
 
von
Max Beer
09/07

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VIII. DIE ZEIT DER ERSTEN INTERNATIONALE   Zur Kapitelübersicht

1. Lassalle und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein.

Die ersten Regungen der selbständigen Arbeiterbewegung kamen aus Leipzig, wo die sozialen Gedanken von 1848/49 noch am lebhaftesten nachwirkten. Diejenigen Arbeiterelemente, die mit den liberalen Bildungsbestrebungen unzufrieden wurden und nach einer selbständigen Politik drängten, bildeten 1862 ein Zentralkomitee, um einen allgemeinen Arbeitertag einzuberufen. Da ihnen Lassalle durch seinen vor Berliner Arbeitern in jenem Jahre gehaltenen Vortrag „Über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes" bekannt geworden war, wandten sie sich unter anderem auch an ihn um Rat, worauf er ihnen sein „Offenes Antwortschreiben" sandte, in welchem er den Arbeitern zur Aufgabe stellte, eine selbständige Arbeiterpartei zu bilden, für das allgemeine Wahlrecht zu kämpfen und Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe zu gründen, denn durch die von den Liberalen vorgeschlagenen Mittel sei den Arbeitern nicht zu helfen: solange die Lohnarbeit dauert, könnten die Arbeiter nicht aus dem Elend herauskommen; das „eherne Lohngesetz" mache alle Verbesserungsversuche zunichte.

Ferdinand Lassalle (1825—1864), der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Breslau. Er besuchte das Gymnasium, dann die Handelsschule in Leipzig, wandte sich bald von der kaufmännischen Laufbahn ab, besuchte die Berliner Universität, wo er sich der Philosophie und der klassischen Philologie widmete. Lassalle zeichnete sich durch ungewöhnliche geistige Energie, große Tatkraft und ein äußerst leb-liaftes Temperament aus. Er war „Sozialdemokrat" etwa im Sinne Louis Blancs, aber auch nationaldeutsch gesinnt und diktatorisch veranlagt. In England oder Frankreich wäre er ein bürgerlicher Staatsmann geworden, — ein Disraeli oder ein Gambetta; in Preußen blieb ihm nur die Laufbahn eines viel verfolgten sozialistischen Agitators, intellektuellen und politischen Abenteurers übrig. Von seinen Reden und Schriften, so veraltet manche Partien heute sein mögen, geht noch immer eine mächtige agitatorische Wirkung aus. Lassalle fiel es ungemein leicht, Bewunderung zu wecken, aber schwerer, Vertrauen zu gewinnen. Sein Charakter war nicht so einheitlich groß, wie sein Intellekt. Lassalle war für rasche Erfolge geboren, aber nicht für ein Martyrium. Obwohl geistig vielfach von Marx abhängig, war Lassalle in seiner Weltanschauung idealistisch und staatsgläubig. Er blieb im Grunde genommen Alt-Hegelianer und nahm an, daß die materiellen und geschichtlichen Erscheinungen nur Äußerungen der Entfaltung der Idee sind. Er warb eifrig um die intellektuelle Liebe Marxens, aber es kam nie zu einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen beiden. Erfolgreicher war er in seinen Beziehungen zu Rod-bertus, Alexander von Humboldt und anderen preußischen Gelehrten. Auch Bismarck, mit dem sich Lasalle in politisch sehr bedenkliche Geheimverhandlungen eingelassen hatte (ihr Briefwechsel wurde erst 1924 durch G. Mayer veröffentlicht), schätzte ihn persönlich. Sein Drama „Franz von Sickingen" ist ein ideenreicher und kraftvoller Vorstoß der deutschen Einheitsbestrebungen.

Aus seiner Verbindung mit dem Leipziger Zentralkomitee entstand 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, dessen Präsident er war. Bei seinem Tode zählte der Verein etwa 4000 Mitglieder. Einer der begabtesten Nachfolger Lassalles war J. B. von Schweitzer, ein Jurist und kluger Politiker, mit dem jedoch die von Marx inspirierten Wilhelm Liebknecht (1826—1900) und August Bebel (1840—1913) in Konflikt gerieten, da er — im Sinne Lassalles — den Arbeiterverein innerhalb der preußisch-deutschen Entwicklung halten wollte und sich wie dieser mit Bismarck allzusehr einließ, während jene antipreußisch, großdeutsch-demokratisch und international orientiert waren. Liebknecht und Bebel wirkten dann mehrere Jahre im Kampfe gegen die Lassalleaner und gründeten schließlich 1869 in Eisenach eine besondere Partei: die sogenannten„Eisenacher"(1), die sich geistig an die 1864 in London gegründete Internationale Arbeiterassoziation anlehnte. Beim Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) nahmen beide Parteien eine unterschiedliche Haltung ein. Im Norddeutschen Reichstage stimmten die Vertreter der Lassalleaner: Schweitzer, Fritzsche und Mende, für die Kriegskredite, während die Eisenacher: Liebknecht und Bebel, sich der Abstimmung enthielten. Erst nach Sedan, bei Einleitung der preußisch-deutschen Annexionspolitik, lehnten die Vertreter beider sozialistischen Parteien die Kredite ab. Bebel und Liebknecht wurden sodann wegen ihrer Haltung zum Kriege sowie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Internationale angeklagt und zu Festungsstrafen verurteilt, während der dritte Angeklagte Adolf Hepner freigesprochen wurde.

2. Gründung und Verlauf der ersten Internationale.

Wie in Deutschland, machte sich auch in Frankreich und England in den Jahren 1861 bis 1864 ein Wiedererwachen der Arbeiterbewegung bemerkbar. Der Besuch einer französischen Arbeiterdeputation auf der Londoner Weltausstellung 1862, der sie mit den englischen Arbeiterführern in Verbindung brachte, die gemeinsamen Sympathien des englischen und französischen Proletariats für den polnischen Aufstand 1863; das Eintreten der englischen Arbeiter in einen Wahlrechtskampf — all diese Erscheinungen führten zur Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation (I.A.A.) in der letzten Septemberwoche 1864 in London. Die öffentliche Versammlung, die diese Gründung feiern und bestätigen sollte, fand am 28. September abends statt, an der sich die Vertreter englischer, französischer, italienischer und deutscher Arbeiterorganisationen beteiligten. Von deutscher Seite erschien auch Karl Marx, dem dann die geistige Führung zufiel. Er schrieb ihr Manifest („Inauguraladresse") und die Satzungen. Die Grundgedanken dieses Schriftstücks sind: Organisation des Proletariats zur selbständigen politischen Partei, Ausbau der Arbeiterschutz- und Fabrikgesetzgebung, Gründung von Genossenschaften, unermüdlicher Kampf gegen die intrigierende, völkerverhetzende Diplomatie, Zusammenschluß der Proletarier aller Länder, Vernichtung der Klassenherrschaft, ökonomische Befreiung der Arbeiterklasse. Die I. A. A. hatte ihren Sitz in London und wurde von einem Generalrat, der in der Hauptsache aus englischen Arbeiterführern und Marx bestand, geleitet. Sie sammelte die regsamsten Arbeiterführer und Arbeitergruppen um sich und war in gewissem Sinne eine internationale Schule, um eine gewisse einheitliche Auffassung über Taktik und Ziel der Arbeiterbewegung herbeizuführen. Marx hatte mit Proudhonisten und Bakunisten zu kämpfen. Die I. A. A. hielt fünf Hauptkongresse ab, auf welchen wichtige Fragen: Arbeiterschutz, Genossenschaftswesen, Gewerkschaftswesen, Krieg, Bodenreform, diskutiert wurden. Die Kongresse fanden statt in Genf (1866), Lausanne (1867), Brüssel (1868), Basel (1869). Bis 1867 überwog der proudhonistische Einfluß; 1867—1869 der marxistische: Beschlüsse über Vergesellschaftung des Grund und Bodens und der Verkehrsmittel wurden angenommen. 1868 trat der russische Revolutionär Michael Bakunin (1814 bis 1876) der I. A. A. bei und bald begann der Kampf gegen Marx. Bakunin gründete innerhalb der I. A. A. eine geheime Organisation: die „Alliance Internationale", die von der I. A. A. nicht anerkannt wurde. Der Zwist führte schließlich zur Spaltung der I. A. A. auf dem Kongreß im Haag (1872). Der Sitz der I. A. A. wurde nach New York verlegt, sie wurde 1876 aufgelöst.

Die I. A. A. trug zur Ausbreitung des Gewerkschaftswesens viel bei und bereitete den Sieg des Marxismus vor.

Der Kampf zwischen den marxistischen und baku-nistisch-proudhonistischen Elementen wurde von beiden Parteien mit größter Schärfe geführt. Marx hatte die Inauguraladresse als gemeinsame Plattform aller Gruppen, die im Generalrat der I.A.A. vertreten waren, gedacht. Innerhalb dieser Organisation ging der marxistische Flügel in allen wesentlichen Fragen als Sieger hervor. Deshalb versuchte Bakunin, ohne vorerst aus der I. A. A. auszuscheiden, eine eigene Organisation der Anarchisten, die Internationale Allianz, geheim weiterzuführen. Zwischen beiden Gruppen gab es seit dem Kongreß von Basel (1869) erbitterte Kämpfe. Doch erst 1872, als der Sitz der I.A. A. nach New York verlegt wurde, schieden die Bakunisten aus der ersten Internationale aus. Im Grunde genommen waren beide Richtungen kommunistisch, denn der Proudhonismus hatte abgewirtschaftet, was noch von ihm übrig blieb, war die Bekämpfung des Staates, nur wünschte die marxistische Richtung gewerkschaftliche und parlamentarische Aktion und Ergreifung der Staatsgewalt als Mittel zum kommunistischen Endziel; die Bakunisten und die proudhoni-stisch beeinflußten Elemente hingegen sahen im antiparlamentarischen und antimilitaristischen Syndikalismus die beste Taktik. Die letztere Richtung, geführt von Bakunin, Guillaume, Hins kamen von der liberalen Gesellschaftslehre her, die den Einzelmenschen als souveränen Machthaber betrachtet, den Staat und alle autoritäre, zentralisierende Leitung als Übel ansieht; nur wichen sie von dieser Lehre insofern ab, als sie an Stelle des Sondereigentums die Gemeinwirtschaft oder die Gegenseitigkeit autonomer werktätiger Gruppen setzten. Die marxistische Richtung hingegen sah den Menschen bedingt durch die soziale Entwicklungsphase, in der er sich befindet, so daß er nur innerhalb des gegebenen Staates und der gegebenen Wirtschaftsform wirken kann. Die Bakunisten und proudhonistisch beeinflußten Elemente betonten stark die Freiheit der Einzelperson: das freiheitliche werktätige Schaffen der Genossen innerhalb der autonomen Gruppe; Marx hingegen betonte die Organisation der Arbeiterklasse zum Klassenkampf in Partei und Gewerkschaft, Ergreifung der Staatsgewalt, Diktatur des Proletariats, Übergang zum Kommunismus, bei dessen Verwirklichung der Staat absterben muß und durch demokratische Verwaltung der genossenschaftlich organisierten Gesellschaft ersetzt wird. Marx sowohl wie Proud-hon und Bakunin waren nicht staatsgläubig oder staatserhaltend; sämtlich hielten sie den Staat für eine Zwangsorganisation zur Aufrechterhaltung des Privateigentums gegenüber den Besitzlosen. Nur glaubte Marx, der Staat — als Produkt des Sondereigentums — könne erst fallen, nachdem das Sondereigentum abgeschafft sei; Proudhon und Bakunin hingegen sahen im Staat ein selbständiges Übel, das alle Versuche einer gesellschaftlichen Umwälzung hemmte und deshalb möglichst schnell abzuschaffen sei; Bakunin glaubte, das beste Mittel hierzu sei die geheime Verschwörung und der revolutionäre Putsch.

Das bedeutendste Ereignis in der Geschichte der ersten Internationale ist der Kampf der Pariser Kommune (1871).

3. Die Pariser Kommune.

Die kriegerischen Erfolge Preußens (1864, 1866), die Gründung des Norddeutschen Bundes (1867) und die Annäherung an Süddeutschland (1868) bereiteten der französischen Diplomatie schwere Stunden. Als dann noch einem Prinzen aus dem Hause Hohen-zollern-Sigmaringen die spanische Krone angetragen und von ihm angenommen wurde (1870), fühlte sich Frankreich bedroht und ging der Bismarckschen Diplomatie in die Falle, denn Preußen war sowohl militärisch wie diplomatisch auf den Krieg vollständig gerüstet und wartete auf eine Gelegenheit, die die französische Regierung veranlassen könnte, ihm den Krieg zu erklären. Diese Kriegserklärung erfolgte am 19. Juli 1870. Anfang August begann die Reihe von Treffen und Schlachten, die bald zuungunsten Frankreichs ausfiel. Anfang September war Frankreich geschlagen. Am 4. September 1870 erhob sich Paris, stürzte das Kaisertum, erklärte Frankreich zur Republik, setzte eine provisorische Regierung der Landesverteidigung ein, in der nur Gambetta seine Aufgabe richtig erfaßte und soweit als möglich erfüllte, während General Trochu (Präsident und Gouverneur von Paris) von Anfang an eine zweideutige Rolle spielte, da er den inneren Feind (das Pariser Proletariat und die republikanischen Elemente) nicht minder haßte und fürchtete wie den äußeren Feind (die Preußen). Am 31. Oktober machte der damals noch in Paris anwesende Blanqui den Versuch, eine radikalere Regierung herzustellen, aber die Ereignisse auf den Schlachtfeldern ließen eine innere Reorganisation nicht zu. Blanqui wie Marx (s. die zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg) sahen, daß jeder Versuch, die Republik zu stürzen, einer Unterstützung des Feindes gleichkäme. Die französischen Arbeiter sollten die republikanischen Freiheiten soweit wie möglich ausnützen, um die Befreiung des Proletariats vorzubereiten. Inzwischen wurden, zum Schutz gegen Übergriffe der Regierung, Überwachungsausschüsse gebildet, in denen ein Teil der Proudhonisten und Blanquisten mit radikalen Demokraten zusammensaßen. Dann wurde die Nationalgarde von Paris zur Verteidigung der Stadt von 60 Bataillonen auf 200 ergänzt. Diese neuen Kaders gaben der Bürgerwehr einen überwiegend proletarischen Charakter. Die Überwachungsausschüsse und die Nationalgarde bildeten bereits die „Doppelherrschaft", die nach Lenin in der Revolution dem letzten Kampf um die Macht vorangeht. Am 18. März 1871 versuchten die Generäle Lecomte und Cle'ment Thomas die Nationalgarde zu entwaffnen. Sie wurden von den Nationalgardisten standrechtlich erschossen. Das war der eigentliche Ausbruch der Kommune.

Die Regierung Thiers, die im Februar von der nach Bordeaux zusammengerufenen Nationalversammlung bestätigt worden war, hatte bereits Ende Januar Waffenstillstandsverhandlungen mit den Preußen eingeleitet und am 26. Februar einen Präliminar-frieden abgeschlossen. Sie siedelte nach Versailles über und stellte sich unter den Schutz Bismarcks, der ihr wohlwollende Neutralität im Kampfe mit den Pariser Arbeitern zusicherte.

Der Zentralausschuß der Nationalgarde übernahm am 18. März die Regierung in Paris und bereitete die Wahlen zur Kommune vor. Er ergriff nicht die Offensive gegen die Versailler und ließ ihnen so Zeit, neue Kräfte zu sammeln. Am 26. März fand die Wahl trotz des Protestes der Pariser Bezirksvorsteher (Maires) statt. Der Föderalrat der Internationalen Arbeiterassoziation stellte durch Frankel fest, daß „der Munizipalrat nichts anderes sei als der Aufsichtsausschuß einer Assoziation"(2) Damit ist der so oft bestrittene Charakter der Kommune als einer Diktatur klargestellt. Sie hat in den 72 Tagen ihres Bestehens diesen ihren proletarischen Charakter durch zahlreiche Verordnungen bestätigt: Stundung der Mieten, Einstellung des Verkaufs verpfändeter Gegenstände, Betonung der Internationalität durch Aufnahme des Ausländers Frankel in den Rat, Trennung von Staat und Kirche, Erhebung der Anklage gegen die Mitglieder der Versailler Regierung, das Dekret über die Geiseln, Ernennung des polnischen Revolutionärs Dombrowski zum Kommandanten von Paris, Übergabe der von den Besitzern verlassenen Werkstätten und Fabriken an die Arbeiter, Schließung der reaktionären Zeitungen, Beschlüsse über revolutionären Terror gegen den Terror der Bourgeoisie, Gleichstellung der illegitimen Frauen der Nationalgardisten mit Verheirateten, Einrichtung von Berufsschulen, Verbot der Nachtarbeit der Bäcker, Regelung der Frauen- und Kinderarbeit usw.

Freilich war es nicht möglich, den Sturm der Revolution auch auf die Provinz zu übertragen. Durchweg feindlich standen die Bauern den Pariser Arbeitern gegenüber. Die Kommune hatte infolge ihrer Abgeschlossenheit durch die Umklammerung der — Thiersschen wie Bismarckschen — Versailler Truppen und der Kürze der Zeit, keine Möglichkeit, eine ausreichende Propaganda zu entfachen. Nur wo die Arbeiterschaft selbständig genug war, wie in Marseiile, Lyon, St. Etienne, Creusot, Toulouse und Narbonne bildeten sich Kommunen, die aber bereits nach wenigen Tagen blutig niedergeworfen wurden. Auch in Paris wurde viel Notwendiges versäumt. So scheuten sich die Revolutionäre, die Bank von Frankreich zu beschlagnahmen. Marx bereits tadelte in einem Briefe an seinen Freund Kugelmann, daß der Zentralausschuß nach dem mißlungenen Angriff der Versailler Truppen auf Montmartre nicht die Pariser Nationalgarde auf Versailles marschieren ließ. Innerhalb der durch Wahl hervorgegangenen Kommune hemmten sich die verschiedenen Richtungen der Arbeitervertreter (Proudhonisten, Blan-quisten, Marxisten) mehr, als daß sie sich förderten. Auch wurden die Maires, in der Mehrzahl Anhänger von Thiers (darunter der spätere Kriegshetzer Cle-menceau) nicht von ihren Ämtern abgesetzt. Die militärische Organisation ließ, solange sie unter dem Kommando des Abenteurers Cluseret stand, viel zu wünschen übrig und wurde erst nach Übernahme des Oberbefehls durch Dombrowski straff zusammengefaßt. Auch der Kriegskommissar Delescluze, ein alter Revolutionär und Jakobiner, war seiner Aufgabe kaum gewachsen, zeigte aber großen persönlichen Mut und untadelige Gesinnung.

Währenddessen wurde der Kampf, vor allem um den Besitz der wichtigsten Forts von Paris geführt. Einige Teilerfolge wurden erzielt. Aber die Nationalgarden hatten zu Anfang der Belagerung zu viel versäumt, so stellte sich bald heraus, daß ein großer Teil der zahlreichen in ihren Händen gebliebenen Geschütze durch unzureichende Pflege unbrauchbar geworden war. Spät erst wurde die Organisation des Barrikadenbaus organisiert. Als die Versailler, denen ein Verräter zu Hilfe kam, in die Stadt einmarschiert waren, leisteten die Arbeiter noch erbitterten Widerstand. Mit größter Zähigkeit wurden die zahlreichen Barrikaden verteidigt. In der Blutwoche vom 21. bis zum 28. Mai wurde das revolutionäre Volk in Paris niedergeworfen.

Die Regierung Thiers rächte sich furchtbar an den revolutionären Arbeitern. Ihre Führer wurden, soweit sie nicht wie Dombrowski und Delescluze im heldenmütigen Kampfe gefallen waren, ohne Verurteilung erschossen. Dieselben Generäle, die im Kriege gegen Preußen ihre Unfähigkeit erwiesen hatten, wüteten jetzt gegen das Pariser Proletariat. Gal-lifet wurde der Henker der Kommune. Über die Zahl der bei diesen Massakern Ermordeten ist noch heute keine Übereinstimmung zu erzielen. Sie schwankt zwischen 15—30000. In Massen wurden die Arbeiter verhaftet und nach flüchtiger Untersuchung zu Gefängnis oder Deportation verurteilt.

Karl Marx hat in den Adressen des Generalrats — zusammengestellt in „Der Bürgerkrieg in Frankreich" — Entstehung und Verlauf der Kommune eingehend analysiert, und Lenin hat in „Staat und Revolution" die Erfahrungen des Pariser Proletariats zur Vorbereitung der Oktoberrevolution verwertet. Schon Friedrich Engels bestimmte den wirklichen Charakter der Kommune in den berühmten Schlußworten des Vorwortes zum „Bürgerkrieg": „Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats."

Anmerkungen

1) Die „Eisenacher" waren als „Allgemeiner Deutscher Sozialdemokratischer Arbeiterverein" organisiert. Bemerkenswert ist der Programmentwurf, den Johann Philipp Becker im „Vorboten" entwarf und nach Eisenach mitbrachte, und der von der Erwägung ausging, „daß die Gewerkschaften allein die richtige Form für die Arbeitervereine und die künftige Gesellschaft überhaupt bilden und auch die in ihren Kreisen herrschenden Fachkenntnisse festen Grund zu einer exakten Sozialwissenschaft legen helfen". Der Kern der politischen Arbeiterpartei sollte also die ökonomische Organisation sein, sowohl zum Klassenkampfe wie zur Vorbereitung der künftigen Gesellschaft.

2) Vgl. Pariser Kommune 1871 (Berichte und Dokumente) Neuer Deutscher Verlag, 1931, S. 211.

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S.567-576

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html